Botschafter des Heils in Christo 1859
Jesus - inmitten unserer Umstände auf der Erde
Es ist ein sehr großer Segen und Trost für uns, fähig zu sein, den Herrn Jesus auf dieser Erde, als Er seinen Platz unter uns eingenommen hatte, zu betrachten. Sobald wir Ihn in dieser Stellung wahrhaft erkannt und darin Gemeinschaft mit Ihm haben, so wird unser Herz mit dem reichsten Trost erfüllt werden. Das ist besonders der Fall, wenn wir seine Ehre und Majestät, oder die des Vaters (von dem Er kam) betrachten, oder wenn wir seinen Leben als Mensch auf der Erde besehen, oder wenn wir sehen, wie Er in alle Verhältnisse und Umstände kam, in denen wir selbst sind, oder wenn wir den Pfad sehen, welchen Er betrat und welchen Er mit dem Vater ging. Dann verstehen wir nicht nur, dass unsere schwachen Körper durch den Heiligen Geist Gefäße des Zeugnisses und der Macht Gottes geworden sind („denn auch Christus hat für euch gelitten, euch ein Beispiel hinterlassend, damit ihr seinen Fußstapfen nachfolgt“; 1. Pet 2,21), sondern wir verstehen auch, dass eine wirkliche Einheit mit Ihm, der jetzt von oben auf uns auf diese Erde schaut, vorhanden ist: „denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15). In Ihm ist Fähigkeit zu helfen – nicht allein aus Macht, sondern auch aus Erfahrung. Diese Erfahrung ist jedoch nicht die einer äußeren Erkenntnis, wie sie ein Arzt in diesem oder jenem Fall haben mag, sondern die Erfahrung dessen, der diesen Weg in allen seinen Versuchungen völlig kennen gelernt und gefühlt und verstanden hat, und zwar mit Gefühlen, in welchen Er selbst durch diese Welt und ihre Umstände ging, und welche Er als ein Mensch auf dieser Erde in Gemeinschaft mit dem Vater empfand. Diese Tatsache stellt zugleich unser Eins sein mit Ihm auf das Völligste dar. Er leitet uns auf dem Pfad der Vollkommenheit, auf welchem Er selbst einherging.
Besonders das Lukasevangelium stellt Christus als den „Sohn des Menschen“ dar. Er kam auf diese Erde, um ein Mensch unter den Menschen zu sein. In seinem Charakter als Sohn des Menschen finden wir Ihn durch das ganze Evangelium. Wir haben in dem zweiten Kapitel seine Geburt, seine Kindheit, seine Jugend, und hier beginnt auch sein öffentliches Leben. Es ist das einzige Kapitel, welches uns Jesus als ein Kind von zwölf Jahren zeigt. Überall offenbart sich die Herrlichkeit seiner Person, auch darin, dass Er in den gewöhnlichsten Verrichtungen dieses Lebens gehorsam war, wie z. B. hier gegenüber Joseph und seiner Mutter. Es ist oft für uns eine sehr schwierige Frage, wie wir zwischen den Anforderungen der Berufung Gottes und der Autorität der Eltern entscheiden sollen. Nun, in diese Lage kam auch Jesus. Er wusste, dass Er Sohn Gottes war und sagte, als seine Mutter Ihn im Tempel suchte: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49). Und zu derselben Zeit, sobald die Autorität der Eltern in Frage kam (die Zeit seines öffentlichen Dienstes war noch nicht vorhanden) ging Er sogleich mit ihnen hinab und gehorchte ihnen. Als seine Mutter zu Ihm sagte: „Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“ (Lk 2,48), musste Er zwischen der Berufung Gottes und der Autorität der Eltern zu entscheiden. Beides wurde an seinen Platz gestellt. Einerseits zeigte Er, dass Er vor seinem öffentlichen Beruf der Sohn des Vaters war, andererseits, dass Er, geboren von einer Frau und unter Gesetz, der Mutter, welche Ihn gebar, und Joseph untergeordnet war.
Er ist durch dieselben Umstände gegangen, Er stand in derselben Verantwortlichkeit und blieb tadellos. Er kam, um seinen Vater zu verherrlichen, um mit Aufopferung seiner selbst den Willen des Vaters zu tun. Und obgleich Er das Bild und den Charakter Gottes darstellte, so war es doch in der Stellung des Gehorsams und der Pflicht.
Die Liebe unseres teuren Herrn zu seiner Mutter war vollkommen. Das sehen wir besonders in seinem Andenken und seiner Fürsorge für sie in dem schrecklichsten Augenblick an dem Kreuz, wo Er sagen konnte: „Frau, siehe, dein Sohn!“ und zu dem Jünger: „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26.27). Er vertraute sie dem an, der sozusagen sein Freund war und der an seiner Brust gelegen hatte. Genauso aber konnte Er, sobald Er in den öffentlichen Dienst berufen war zu ihr sagen: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ (Joh 2,4).
Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Dingen zu unterscheiden, ist ein bezeichnender Fortschritt im geistlichen Urteil. Wenn wir den Willen Gottes als seine Kinder aufrichtig zu tun wünschen, wenn unser Auge einfältig ist, so werden wir auch in allen vorliegenden Umständen, in denen wir uns täglich befinden, wünschen zu wissen, was der Wille Gottes ist. Das Wort ist immer treu: „Wenn nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein“ (Mt 6,22). Und wir können fest überzeugt sein, dass, wenn unser Urteil nicht völlig klar ist, auch unser Auge nicht ganz einfältig ist. Es ist das eine oder andere Hindernis vorhanden. Vielleicht kenne ich dieses Hindernis nicht, und Gott gebraucht oft gerade die Umstände, um es mir zu zeigen. Befinde ich mich aber in irgendeiner Lage, wo ich den Willen Gottes nicht weiß, so bin ich dadurch verhindert, seinen Willen zu tun. Es ist dann nötig, die Beweggründe meines Handelns zu untersuchen. Geschieht dies mit aufrichtigem Ernst, so werde ich auch bald meinen Zustand und die Stellung der Seele, die bei meinem Urteil über irgendeine Sache auf mich einwirken, entdecken. – Ich werde in meinem Urteil nie irren, wenn in meinen Gefühlen und Neigungen die wahre Nüchternheit herrscht. – Gott benutzt wie gesagt oft die Umstände durch die wir gehen, um das, was in unseren Herzen ist, aufzudecken und bloß zu stellen, und so macht das christliche Leben unvermerkt Fortschritte. Während wir oft glauben, die Umstände beurteilen zu müssen, benutzt Gott dieselben, um unser Herz zu erproben. Der Herr erlaubt uns nur insofern als Heilige über Recht und Unrecht zu urteilen, als wir ein geistliches Verständnis haben. Wenn ich stets nur einer bestimmten Vorschrift zu folgen hätte, so würde ich kein wirkliches Verständnis über den Willen Gottes erlangen. Wir lesen in Kolosser 1,9.10: „Damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“. Wenn wir wünschen mit unseren Herzen in der Laufbahn, worin das Herz Christi lief, voranzugehen, so dürfen wir nicht mit den Umständen, in denen wir uns befinden, beschäftigt sein, sondern mit Christus. Der Glaube sagt immer, „Das Leben ist für mich Christus“ (Phil 1,21).
Und, meine Brüder, was ist als Erlöste unser Ziel? Ist es nicht Christus gleich zu sein? Wollen wir etwas Geringeres vorziehen? Wir haben schon Frieden empfangen – bleibt jetzt noch der Friede unser Ziel? Nein, der Segen nimmt immer zu. Der Friede ist der nicht zu erwartende Gegenstand eines Christen – er hat Frieden – aber ach! Er wird noch oft zum Gegenstand gemacht! Viele Christen suchen, was sie schon völlig in Christus besitzen, und deshalb haben sie eine Menge Gegenstände vor sich, wodurch das geistliche Leben immer mehr geschwächt wird. Was der Herr erwartet ist, dass wir heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus (vgl. Eph 4,15). Gott erfreut sich in uns in Christus und indem Er dieses tut, kann Er nicht an uns denken, außer in Verbindung mit Christus. Er erfreute sich in uns, ehe die Welt war. „Als er die Himmel feststellte, war ich da, als er einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe; als er die Wolken droben befestigte, als er Festigkeit gab den Quellen der Tiefe; als er dem Meer seine Schranke setzte, dass die Wasser seinen Befehl nicht überschritten, als er die Grundfesten der Erde feststellte – da war ich Werkmeister bei ihm und war Tag für Tag seine Wonne, vor ihm mich ergötzend allezeit, mich ergötzend auf dem bewohnten Teil seiner Erde; und meine Wonne war bei den Menschenkindern“ (Spr 8,27–31). Gott, der Vater, erfreut sich in Christus, und Christus erfreut sich in uns. Er kommt zu uns auf diese Erde, und dann nimmt Er uns weg von dem Ort wo wir uns befinden, und bringt uns dahin, wo Er ist. Und durch den Geist erfreut Er uns in dem, was Er ist.
Wenn der Geist Gottes in den Herzen gewirkt hat, so kann der Heilige an die Herrlichkeit Gottes als eine solche denken, zu der er gebracht ist, und kann sich ihrer in Hoffnung erfreuen. Dort hat er Christus erkannt, dort hat er Ihn gesehen, und dort kann er sich in Ihm erfreuen. Sein Herz ist gewonnen, und er ist jetzt auf dem Weg zu Christus. Wenn er den Herrn Jesus als den gefunden hat, der nicht nur in der Herrlichkeit droben ist, sondern der auch hier auf der Erde war und dort hin ging, so kann er sagen: „Er will mich dort haben, wo es seine Freude ist, mich zu haben. Ich werde Ihn sehen, wie Er ist, und werde Ihm gleich sein.“ Dann empfängt das Herz einen Gegenstand, der immer erfreut, – ohne Zweifel, immer verbunden mit dem Gefühl der Demut und mit dem Bewusstsein der Gnade, – und so geht es vorwärts. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1. Joh 3,3). Da ist durchaus kein Gesetz, das sagt: Du musst dieses oder jenes tun. Ich würde auch erwidern müssen: Ich kann nichts tun, und würde in Verzweiflung kommen. Seine Freude ist es, mich dazu zu befähigen. Ich finde in Ihm den Gegenstand meiner Neigungen, und halte deshalb „alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn“ (Phil 3,8).
Der Herr Jesus stellt uns also vor, dass wir, wie geschrieben steht, berufen sind durch Herrlichkeit und Tugend (vgl. 2. Pet 1,3) – nicht wie die Kinder Israel, durch ein forderndes Gesetz. Der Herr selbst ist der Gegenstand, welcher vor uns gestellt ist, und die Gnade Gottes allein kann uns in diesem Weg erhalten. Das christliche Leben wird dadurch charakterisiert, dass es einen Gegenstand vor sich hat. Der Apostel sagt: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich auch von Christus Jesus ergriffen bin. Brüder, ich denke von mir selbst nicht, es ergriffen zu haben; eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ (Phil 3,12–14). Wir sehen, geliebte Brüder, dass Paulus einen Gegenstand vor sich hatte: das vorgesteckte Ziel immer anschauend. Dies ist immer mit Kraft und Freude begleitet, aber wegen unserer Mängel, wie vorhin schon gesagt, auch mit Demut. Denn er fügt hinzu: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und seht hin auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt“ (Phil 3,17). Der einzige Gegenstand dieses ganzen Kapitels ist, dass Christus – und nicht ein Gesetz, welches von uns verlangt, was wir nicht haben – vor uns gestellt und die Quelle aller Freude ist.
Wie ist es nun mit uns, geliebte Brüder? Ist Christus stets vor unserem Auge? Ist Er der einzige Gegenstand, welcher unsere Neigungen und Gedanken leitet? Oder ist unsere Absicht, hier mehr zu haben, als Er hatte? Und was finden wir, wenn wir einen anderen Gegenstand als Ihn haben? Wir mögen an zukünftige Pläne für diese Welt denken und dergleichen, aber wenn dies der Fall ist, ist dann nicht etwas vorhanden, wodurch unser inneres Leben verzehrt wird? Der Apostel spricht von einigen und zwar weinend, „dass sie die Feinde des Kreuzes Christi sind“, „die auf das Irdische sinnen“ (Phil 3,18.19). Dies zeigt, wie weit ein christlicher Mensch hinabsinken kann. Und ach! Wie oft erlauben sich die Christen, genau das zu tun, weil sie die Gemeinschaft der Schmach Christi und einen Nachteil für ihr zeitliches Leben fürchten. Die Folge davon ist, dass wir träge und gleichgültig oder gar ruhelos werden, indem wir uns zu uns selbst zurückwenden und unsere eigenen Fehler und Erfahrungen zum Mittelpunkt unserer Gedanken machen – und sind wir glücklich darin? Sicher nicht, es ist nie Frieden darin, sondern stete Furcht und Angst. Erfüllt aber die Person Christi die Gedanken, so ist alles ruhig und still. Die Seele des Heiligen erfreut sich in dem Bewusstsein seiner Liebe und gibt Zeugnis davon, und zwar mit der köstlichen Aussicht, dass diese Liebe nie mehr weggenommen werden wird. Er kennt den Weg und die Schwierigkeiten des Weges, dass er voll Versuchungen und Fallstricke ist, und er versteht, weshalb Christus auf diese Erde kam und sich selbst „zu nichts machte“, wie wir in Philipper 2,5.6 lesen: „[Denn] diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war, der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte.“ Er ist in dieselben Umstände und in dieselbe Lage gekommen, worin wir sind, und immer ist Er „der Heilige“ (Lk 1,35). Ich kann Ihn sehen als Säugling, ich kann Ihn sehen als Kind von zwölf Jahren, ich kann Ihn sehen als Zimmermann, den Sohn der Maria von Nazareth (vgl. Mk 6,3). Er lebte dort mit seinen Eltern und war ihnen untergeordnet. Welche Furcht! Er lebte in einfachem Gehorsam – „Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52). Er lebte, bis zu der Zeit, wo Er sich öffentlich zeigte, höchst einfach und zurückgezogen in einem Dorf, indem Er sich selbst zu nichts machte.
Gott hatte kurz vorher Johannes den Täufer gesandt, aber es geschah nicht auf dieselbe Weise. Johannes war in den Wüsteneien, war bekleidet mit Kamelhaaren und einem ledernen Gürtel um seine Lenden. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, indem er sich von Allen absonderte und außerhalb von allem menschlichen Verkehr seinen Beruf lebte. Bei dem Herrn finden wir gerade das Gegenteil. Er kam in der Absicht, um sich mit der von Gott abgefallenen Menschheit zu beschäftigen (vgl. Lk 7,34). Sein Weg führte geradezu vom Stall zum Kreuz, indem Er durch die gewöhnlichsten Umstände ging, durch die wir zu gehen haben, und offenbarte darin das Licht und die Gnade Gottes. Er war in gewöhnlicheren Umständen als irgendein Prophet. In Betreff seiner Gestalt und Erscheinung war sein Aussehen mehr entstellt, als das irgendeines Menschen und seine Gestalt mehr, als die der Menschenkinder – ein Reis aus dürrem Erdreich (vgl. Jes 52,14; 53,2). In dieser Stellung begegnen wir dem Herrn auf dieser Erde. Obwohl Er alle Dinge durch ein Wunder hätte vollbringen können, so machte Er sich doch völlig mit den Menschen eins und vollbrachte alles, was immer der Vater wollte, in Sanftmut und Milde und in der Einfachheit des sich selbst verleugnenden Gehorsams.
„Und er, Jesus, begann seinen Dienst, ungefähr dreißig Jahre alt, und war, wie man meinte, ein Sohn Josephs“ (Lk 3,23). Würden wir zufrieden sein, so ungekannt und unbeachtet durch den schönsten Teil unseres Lebens zu gehen? Wo finden wir Ihn in dem Augenblick, als Er von Gott aus dieser Stellung in den öffentlichen Dienst gebracht wurde? – Und sehen wir Ihn am Kreuz, so sehen wir das große Sühnopfer für die Sünde – Er, der Sünde nicht kannte, wurde zur Sünde gemacht, der Gerechte litt für die Ungerechten. Er erhielt an unserer Stelle einen Platz am Kreuz, welchen wir verdient hatten. Und auf dieser Erde, gepriesen sei Gott, sehe ich Ihn wieder. Wenn auch nicht in derselben Weise indem Er kam, um die Ratschlüsse Gottes zu erfüllen, so doch eins mit mir in meinen Umständen. Indem Er den Tod schmeckte, litt Er für uns. Hier aber nimmt Er seinen Platz unter uns ein.
In dem ersten Teil des Kapitels finden wir Johannes den Täufer, wie er den Zustand des Volkes vorstellt. Er kommt, um den Weg des Herrn zu bereiten. „Aber im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus aber Vierfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis, und Lysanias Vierfürst von Abilene, unter dem Hohenpriestertum von Annas und Kajaphas, erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Umgebung des Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Worte Jesajas, des Propheten: ‚Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Pfade! Jedes Tal wird ausgefüllt und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden, und das Krumme wird zu einem geraden Weg und die unebenen werden zu ebenen Wegen werden; und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen´“ (Lk 3,1–6). Er sagt: Hier ist, was Gott tut, und ich bin da, um den Weg zu bereiten, aber zu derselben Zeit sagt er: „Schon ist aber auch die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“ (Lk 3,9). Wo würden wir einen Stärkeren zu finden suchen wie diesen, von dem Johannes sprach, welchem die Riemen seiner Sandalen aufzubinden er sich nicht würdig hielt? Als diese Ankündigung des schrecklichen Tages, der wie ein Ofen brennen sollte, kam, wo wollten wir denjenigen finden, dessen Worfschaufel in seiner Hand war, welcher seine Tenne ganz und gar reinigen und den Weizen auf seinen Speicher sammeln, die Spreu aber mit unauslöschlichem Feuer verbrennen wollte (vgl. Lk 3,17)? – Wo aber finden wir Jesus? – „Es geschah aber, als das ganze Volk getauft wurde und Jesus getauft war“ (Lk 3,21).
Was war diese Taufe? „Die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Lk 3,3). Weshalb kam denn Jesus dort hin? Sicher, Er hatte die Buße nicht nötig. Selbst Johannes wehrte es Ihm: „Ich habe nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ (Mt 3,14). Aber Jesus sagt: „Lass es jetzt geschehen“ (Mt 3,15). Er musste dieselbe Stellung seines Volkes einnehmen. Wenn sein Volk mit der Taufe der Buße getauft werden musste, so musste auch Er dort sein. Wenn seine Worfschaufel in seiner Hand ist, und die Gnade Gottes tritt entgegen, so muss Er in ihre Stellung auf diese Erde kommen. – „Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“ (Mt 3,15). Er sagt gleichsam: Ich bin in derselben Absicht auf diese Erde gekommen, um meinen Platz in den Umständen und in der Lage dieser armen Sünder zu nehmen. Er sagt nicht nur: „denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist“ (Lk 19,10), sondern: Ich nehme meinen Platz unter Sündern ein, weil das Volk da ist. Ich mache in ihrer Lage und in ihren Umständen keine Ausnahme, obgleich ich ohne Sünde bin.
Was sollen wir sagen? Was für ein Beweggrund für uns Geliebte, um an dem Platz der Buße zu sein! Und welch ein Trost für das Herz, Christus dort an demselben Platz mit den Sündern zu finden! – Er kam dort hin, – und wir werden Ihn niemals droben finden, wenn wir Ihn nicht dort, unter den Wassern des Jordans, unter der Hand des Johannes, wo das Volk war, finden. Dort ist es, wo wir Ihn finden und, wie gesagt, wir werden Ihn niemals droben finden, bis wir Ihn dort gefunden haben, wo er seine Wanderung begann. Hier ist es unmöglich für Ihn, uns etwas von dem vorzuwerfen, was wir getan haben, denn Er nahm unsere Stelle ein. Sein vollkommener Gehorsam, seine Vollkommenheit als Mensch, sein völliges Erfülltsein von dem Willen Gottes richtet alles, was in jedem Herzen gefunden wird. Aber dann, wenn wir Ihm auf dieser Erde begegnen, so werden wir die Gnade und Güte eines Demütigen und sich selbst Erniedrigten finden, nämlich Jesus von Nazareth, den Freund und Heiland der Sünder, den Sohn des Menschen, den verherrlichten Sohn Gottes. Er schaut nicht von der Herrlichkeit auf diese Erde, und ruft, dass ich dorthin kommen möge, – nein, ich finde Ihn an dem Platz, wohin mich meine Sünden gebracht haben, und ich höre Ihn sagen: „Ich bin in diese Stelle auf diese Erde gekommen, um euch in euren Sünden zu begegnen“ und somit habe ich nicht nötig, etwa zu verzweifeln.
„Es geschah aber, als das ganze Volk getauft wurde und Jesus getauft war und betete“ (Lk 3,21). Das Erste, was ich finde, als Jesus in das Elend seines Volkes eintrat, ist ein Ausdruck der Abhängigkeit von seinem Vater. In dem Augenblick, als wir Ihn bei der Taufe des Volkes finden, ist Er dort „betend“. Sein ganzes Leben war geprägt von der völligen Abhängigkeit. „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat“ (Jes 42,1). Dieselbe Sache und denselben Grundsatz finden wir in Gethsemane: „Und er ging hinaus und begab sich der Gewohnheit nach an den Ölberg; es folgten ihm aber auch die Jünger. Als er aber an den Ort gekommen war, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt. Und er zog sich ungefähr einen Steinwurf weit von ihnen zurück und kniete nieder, betete und sprach: Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe! Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, der ihn stärkte. Und als er in ringendem Kampf war, betete er heftiger. Und sein Schweiß wurde wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen“ (Lk 22,39–44). Ebenso in Lukas 6,12: „Es geschah aber in diesen Tagen, dass er auf den Berg hinausging, um zu beten; und er verharrte die Nacht im Gebet zu Gott.“ Der Apostel wendet die Stelle: „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen“ in Hebräer 2 auf Jesus an. Ihr seht, will Er sagen, wie wahr es ist: „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen“, indem Er sagt: „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen“ (Heb 2,13.14). Seine Vollkommenheit als Mensch offenbarte sich in seinem Gehorsam, und Er verließ in all seinem Tun nie seine Abhängigkeit.
An dieser Stelle wurde der Himmel über Ihm aufgetan und der Heilige Geist kam auf diese Erde und blieb auf Ihm. In dem Augenblick, wo Er in dieselbe Stellung mit seinem Volk eintrat, indem Er sich mit ihrem Elend und den Folgen ihrer Sünde eins machte, sagte Er: Meine wahre Gerechtigkeit ist auf diese Erde gekommen. Er kommt nicht nur ein wenig auf diese Erde, Er kommt uns nicht einen kurzen Weg entgegen, sondern Er kommt, obgleich Er sich von jeder Verunreinigung fern hielt, in unsere wirkliche Stellung. Ebenso war es bei dem Aussätzigen. Als der arme Aussätzige Ihn besuchte und bat: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ war Macht in Ihm, um der Macht der Sünde in dem Übel zu begegnen und es hinweg zu treiben. Nur die Gnade brachte eine Hand zwischen Ihn und den Mann, der voll Aussatz war: Er streckte die Hand aus und rührte ihn an. Er allein konnte es tun und unbefleckt bleiben, und konnte sagen: Ich will; werde gereinigt!“ (Lk 5,12.13). Ohne Sünde nahm Er den Platz eines Demütigen, sich selbst verleugnenden und abhängigen Menschen ein. Und in dieser Stellung der Abhängigkeit (wovon das Gebet der Ausdruck ist) ist der Himmel über Ihm geöffnet. Wenn wir unsere Stellung des Nichts und der Abhängigkeit eingenommen haben, so dürfen wir stets auf die Antwort Gottes rechnen. Ich muss aber zuerst meinen Platz als Sünder einnehmen, ehe ich als ein Heiliger handeln kann. Zuerst muss mein Gewissen und mein Herz in der Stelle des Untergangs, als Sünder, gefunden werden, und danach muss mein Herz die Stellung der Abhängigkeit, als ein Heiliger, einnehmen. Zuerst muss die Anerkennung da sein, dass alles Fleisch Gras ist (vgl. 1. Pet 1,24), oder ich kann nicht als ein Heiliger beten.
Wenn Gott von dem Trost seines Volkes redet, so sagt Er: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet zum Herzen Jerusalems, und ruft ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand des HERRN Zweifaches empfangen hat für alle ihre Sünden. Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN; ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden; und das Höckerige soll zur Ebene werden und das Hügelige zur Talebene! Und die Herrlichkeit des HERRN wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund des HERRN hat geredet. Stimme eines Sprechenden: Rufe! Und er spricht: Was soll ich rufen? ‚Alles Fleisch ist Gras, und all seine Anmut wie die Blume des Feldes. Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen; denn der Hauch des HERRN hat sie angeweht. Ja, das Volk ist Gras [Gottes Volk, wovon Er sagt: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ ja, dieses Volk ist das Gras]. Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen; aber das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit`“ (Jes 40,1–8). Dies ist der Weg, auf welchem Gott sein Volk tröstet. „Redet zum Herzen Jerusalems, und ruft ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist […]“, aber jetzt, da ich gekommen bin, dieses alles zu offenbaren, wohin muss ich sie stellen? Sie sind an die Stelle der gänzlichen Wertlosigkeit und des Untergangs gesetzt. Sie alle, alle sind Fleisch – verdorrtes Gras. Wenn ich nicht völlig den Platz des verdorrten Grases einnehme, so erwarte ich noch etwas von dem Menschen. Ich untersuche, ob nicht nach allem doch noch etwas Gutes an dem Fleisch zu finden ist. Ich muss zum Jordan gehen. Wenn des Herrn Worfschaufel in seiner Hand ist, wenn es sich um das Reinigen der Tenne und um das Brennen der Spreu mit unauslöschlichem Feuer handelt, wenn alles Fleisch Gras ist und alle seine Herrlichkeit wie die Blume des Feldes, so muss ich vorher dort gefunden werden, oder das Worfeln wird zu meinem Untergang sein. Alles Fleisch ist Gras, nichts Gutes ist mehr darin für Gott zu finden, wie auch der Apostel sagt: „Die aber, die im Fleisch sind, vermögen Gott nicht zu gefallen“ (Röm 8,8). Aber es gibt einen gewissen und unfehlbaren Trost in dem, was folgt, wenn alles Fleisch Gras ist: das Wort unseres Gottes wird ungeachtet dessen bleiben bis in Ewigkeit. Hier ist vollkommener Grund eines gewissen und unfehlbaren Trostes. Haben wir gelernt, dass alles Fleisch Gras ist, haben wir uns der Gerechtigkeit Gottes als Sünder unterworfen, so werden wir zu dem Charakter der Unterwürfigkeit eines Heiligen gelangen. Finde ich Christus selbst dort, so finde ich, dass Er, der ohne Sünde diesen Platz seines Volkes in Gnade einnahm, dort anfangen kann zu beten, und dass der Himmel geöffnet ist. Wenn die Gnade der Buße und der Unterwürfigkeit so zu sagen von der einen Seite geöffnet ist, so ist der Himmel geöffnet von der anderen. „Es geschah aber, als das ganze Volk getauft wurde und Jesus getauft war und betete, dass der Himmel aufgetan wurde und der Heilige Geist in leiblicher Gestalt, wie eine Taube, auf ihn herniederfuhr und eine Stimme aus dem Himmel erging: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ (Lk 3,21.22). Indem Er unseren Platz eingenommen hat, kommt Er zu der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Er machte sich selbst zu nichts und erniedrigte sich als ein Mensch, und Gott sagt einem Menschen in dieser Stellung: Der Himmel ist geöffnet, ich habe den bußfertigen Menschen, den betenden Menschen, der sich von mir völlig abhängig zeigte, empfangen, und ich kann sagen: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“
Das Andere, was wir hier finden, ist sein Gesalbtsein mit dem Heiligen Geist und Kraft. Als Petrus dem Kornelius und seinem ganzen Haus predigte, sagte er: „Jesus, den von Nazareth, wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging, wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38). Da waren nicht nur Wünsche, nicht nur Abhängigkeit, sondern die Antwort Gottes an diese Stellung des Nichts und der Abhängigkeit in Mitteilung der Kraft. Und diese Stelle nehmen wir in und mit Christus in der Wüste ein. Wir lernen von Ihm, wir bewundern, wir werden immer mehr zu nichts und also durch die Gnade Ihm gleichförmig, und dann kommt diese gesegnete Antwort. Du darfst dich nicht mit guten Wünschen befriedigen. Wenn Christus, welcher sich dort befand und in allem unfehlbar wandelte, so gesalbt war, so ist es auch unser Teil: gesalbt zu werden mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, damit wir durch die Innewohnung des Heiligen Geistes auch fähig sind, die Wünsche, welche wir Kraft unseres neuen Lebens haben, zu erfüllen.
Wir sind in der Stellung des Kampfes und des Gehorsams als Heilige gebracht, weil Christus in unsere Stelle der Sünde und des Todes auf diese Erde gekommen ist. Haben wir dort mit Ihm begonnen, wo Er uns ein Beispiel hinterlassen hat, und wo Er uns das Bild eines Menschen, welcher Gott lebt, darstellt, so zieht Er uns sich nach. Lernen wir Ihn also jeden Tag kennen, dann gehen wir voran von Kraft zu Kraft. Es ist nötig, dass unsere Demütigung immer erneuert werde, weil wir nicht alle die Seiten des Fleisches, welche noch ungebrochen sind, entdeckt haben, aber die Freude, die Befreiung, die Liebe, der Friede und der Geist der Sohnschaft bleibt uns. Da ist unser Platz, unser erster Platz als Christ, unser beständiger Platz, und wenn wir von Versuchung zu Versuchung in der Welt vorangehen, so hat doch Jesus diesen Platz vor uns betreten, und wir gehen in Kraft in dem Platz, in welchem Er in Gemeinschaft mit seinem Vater lebte, durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Der gnadenreiche Herr gebe, dass wir Ihm stets nahe sind – geborgen in Ihm.