Betrachtungen über die Briefe des Apostels Johannes
3. Johannes
Welch wunderbare Zeit war es doch, als der Heilige Geist der Versammlung Gottes, der Ekklesia, der Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus bezeugen konnte: „Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele; und auch nicht einer sagte, dass etwas von seiner Habe sein Eigen wäre, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (Apg 4,32). Das war nicht ein Werk, hervorgebracht in der Kraft der menschlichen Natur, nein, es war ein Werk Gottes, die Frucht der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der zu Pfingsten herabgesandt, Wohnung in den Gläubigen genommen hatte und sie nun anleitete, das zu tun, was dem Herrn gefiel. Die Geschichte berichtet, dass selbst die Welt von den ersten Christen bezeugte: „Seht, wie lieb sie sich haben!“
Wo irgend sich unter den Kindern Gottes die Liebe betätigt, ist es eine Erquickung, dort zu weilen. Da erfüllt sich das Wort: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen… denn dort hat der HERR den Segen verordnet, Leben bis in Ewigkeit“ (Ps 133).
Wir wissen, wie bald es dem Feind gelang, diese liebliche Eintracht zu stören. Die alte Natur, das Fleisch, trat in Tätigkeit zum unberechenbaren Schaden der Gläubigen und ihres Zeugnisses und zur Verunehrung des Herrn. Deshalb bringen die Briefe der Apostel so manche Belehrungen über unser Verhalten in den Zeiten des Verfalls und des Abweichens von der Wahrheit Gottes. Dem Herrn sei Dank für diese kostbaren Verheissungen! Er hat sich angesichts all der bösen Werke des Fleisches herabgelassen, um in Gnade und Langmut sich mit uns zu beschäftigen, um uns dem Bild gleich zu gestalten, das uns in seinem Wort vor Auge und Herz gestellt wird.
Dies finden wir ganz besonders in dem ersten Brief des Johannes, wo uns das gezeigt wird, „was von Anfang war... betreffend das Wort des Lebens“ (1. Joh 1,1). Aber schon damals gab es, wie der Apostel es in seinem Brief schreibt, „viele Antichristen“, und es galt „die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott waren“ (1. Joh 2,18; 4,1).
Weil nun „viele Verführer“ in die Welt ausgegangen waren, war es notwendig, die Einsamen und Schwachen zu belehren und zu warnen, wie es der Apostel in seinem Brief an die „auserwählte Frau“ tat (2. Johannes).
Der dritte Brief des Johannes stellt drei Personen in das Licht des Heiligtums.
Die kurze, äußerst exakte Beschreibung des Verhaltens jener Personen ist einerseits ermutigend und belehrend, dann aber auch warnend.
„Der Älteste dem geliebten Gajus, den ich liebe in der Wahrheit. Geliebter, ich wünsche, dass es dir in allem wohl geht und du gesund bist, wie es deiner Seele wohl geht“ (Verse 1 und 2).
Der Apostel wendet sich in der Anrede an den „geliebten Gajus“ nicht in seiner amtlichen Eigenschaft als Apostel, sondern er nennt sich, wie auch in seinem zweiten Brief, mit dem lieblichen Titel „Ältester“. Auch dieser dritte Brief trägt einen vertraulichen, familiären Charakter. Die Äußerungen des mit apostolischer Machtvollkommenheit bekleideten Mannes fehlen nicht völlig, treten aber nicht in den Vordergrund.
Der „Älteste“ fühlt den Ernst der Zeit, sieht die Gefahren, die der Versammlung Gottes, welche der Herr erworben hat durch das Blut seines Eigenen, drohen. Er sieht den Diotrephes, der seine Zunge sogar gegen ihn, den treuen Knecht des Herrn, in den Dienst des Bösen stellt. Dies erfüllte das Herz des Apostels mit tiefem Kummer. Es gab aber auch Dinge, die ihn erfreuten: Sein Auge nahm einen Gajus wahr, einen Mann, dessen Treue auch von anderen bezeugt und bestätigt wurde. Ihm gegenüber konnte er nun sein Herz öffnen.
Er wendet sich an diesen Bruder, der selbst vor einem Diotrephes nicht zurückschreckte, wie an einen vertrauten Freund und nennt ihn seinen „geliebten Gajus“. Dieser Ausdruck ist für unseren Brief bezeichnend; er kommt viermal vor. Die Erlösten sind alle „Geliebte“. Die Gnade hat sich zu ihnen herabgeneigt und sie als Gegenstände der Liebe Gottes aus der gegenwärtigen, bösen Welt herausgenommen, so dass sie auf einem ganz besonderen Boden stehen und von den übrigen Menschen, wenngleich von Natur um nichts besser als sie, klar unterschieden sind.
Jeder von ihnen ist mit einer Liebe geliebt, die wunderbar und überwältigend ist. Diese Liebe kann die Gegenstände ihrer Zuneigung nie aufgeben, sie geleitet sie sicher bis zum Ziele.
Aber hat es nicht noch eine besondere Bedeutung, wenn Gajus in unserem Brief immer wieder als Geliebter angeredet wird? Es ist anzunehmen. Die Heilige Schrift redet ja öfters von einzelnen Gläubigen, aber die Weise, wie sie es tut, ist verschieden. Daniel wird ein „Vielgeliebter“ genannt, an anderen Männern wird z.B. ihre Gottesfurcht, ihre Treue und Sanftmut gerühmt (vergleiche auch die Grüße in Röm 16). Sollte es mit Gajus nicht ähnlich sein wie mit dem Apostel Johannes selbst, der in seinen jungen Jahren (und zwar er allein) „der Jünger, den Jesus liebte“, genannt wird? (vgl. Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20). Dass der Herr alle seine Jünger liebte, ist selbstverständlich, und diese waren sich dessen auch mehr oder weniger bewusst; doch wird die Liebe des Herrn zu Johannes besonders hervorgehoben. Auch wir sind heute mit der gleichen Liebe geliebt; wie erhebend offenbart sich das in dem gemeinsamen Lobgesang der Erlösten in Offenbarung 1,5–6: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut, und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater“. Fragen wir aber, ob die Jünger des Herrn diese Liebe alle in gleichem Maß erwiderten, so dass der Herr sich auch allen in gleicher Weise offenbaren konnte, so müssen wir dies verneinen. Es gab Unterschiede. Ein Johannes, der sich viel in seiner Nähe aufhielt, ja an seiner Brust ruhte, war mit dem Herrn in besonders inniger Gemeinschaft.
Darum konnte der Herr sich ihm ganz anders offenbaren als den anderen Jüngern. Wir dürfen wie gesagt annehmen, dass auch Gajus, seinem Lehrer gleichend, sich den wohltuenden Strahlen der Liebe des Herrn oft und gerne aussetzte, und, von ihnen belebt und erwärmt, seiner Dankbarkeit durch ein treues, hingebendes Leben Ausdruck gab. Personen, von denen solches gesagt werden kann, betrachten zu dürfen, ist lieblich und wohltuend; wie schmerzlich muss es aber für das liebende Herz unseres Herrn sein, wenn seine Liebe von einem seiner Heiligen nur wenig erwidert wird! Sollte es darum nicht unser aller herzliches Begehren und Bemühen sein, auf die Liebe unseres Herrn so zu antworten, dass unsere Dankbarkeit sich nicht allein in Worten zeigt, sondern auch in der tätigen Hingabe und Widmung eines ungeteilten Herzens?
Der Apostel liebte Gajus „in Wahrheit“ oder „in der Wahrheit“ – ein Ausdruck, der für seine beiden letzten Briefe kennzeichnend ist. In unserem Brief kommt er sechsmal vor. Es war nicht eine Liebe in Worten allein, nein, die Herzen der beiden Männer waren in aufrichtiger Zuneigung miteinander verbunden. Kein Wunder! Der Apostel, der von dem Herrn selbst berufen war, „das Wort des Lebens, das beim Vater war und uns offenbart worden ist“ (1. Joh 1,1.2) zu verkündigen, hielt die ihm anvertraute Wahrheit fest, wandelte darin und übte treu und hingebend seinen Dienst aus. Auf solchem Pfad muss aber ein Diener vielfach die Erfahrung machen, dass er nicht verstanden, oft auch falsch ausgelegt und sogar verleumdet wird. In solcher Lage ist es wohltuend, einen Geliebten des Herrn zu kennen, dem man in Wahrheit sich anvertrauen kann, bei dem man Verständnis findet für die Umstände und Verhältnisse, durch die der Pilger hier auf der Erde zu gehen hat. Nicht jedem kann man das Herz öffnen und ihm seine innersten Gefühle anvertrauen. Gajus gegenüber aber konnte der Apostel dies tun. Da standen keine Hindernisse im Weg. Mit ihm konnte er rückhaltlos reden, ohne befürchten zu müssen, missverstanden zu werden.
Nach der kurzen Anrede hebt Johannes seine Mitteilungen mit den Worten an: „Geliebter, ich wünsche, dass es dir in allem wohl geht und du gesund bist, wie es deiner Seele wohl geht“ (V. 2). Es scheint, dass Gajus durch Prüfungen zu gehen hatte vielleicht auch körperlich nicht gesund war. Wie lieblich sind da die Gefühle, die der fürsorgende Älteste ihm gegenüber offenbart! Wie müssen sie Gajus ermuntert und aufgerichtet haben! Der Apostel hätte ihn heilen oder seine Umstände wenden können, denn als Apostel war er dazu begabt und befähigt. Aber Gajus befand sich in der Erziehung seines Gottes und Vaters, und da wartete selbst ein Apostel ruhig ab und sah dem weisen und gesegneten Tun des himmlischen Erziehers zu. So schrieb auch einst Paulus: „Trophimus habe ich in Milet krank zurückgelassen“ (2. Tim 4,20), und seinem magenleidenden Kind Timotheus riet er, „nicht länger nur Wasser zu trinken, sondern ein wenig Wein zu gebrauchen“ (1. Tim 5,23). Am Thron der Gnade sich für die geliebten Brüder zu verwenden, und ihre Namen mit Freimütigkeit dort zu nennen, stand auch den Aposteln allezeit zu, und wie haben sie von diesem Vorrecht Gebrauch gemacht! Wie lieblich ist es zu sehen, dass sie nicht gleichgültig und ohne Gefühl waren für das körperliche Wohlbefinden ihrer Brüder (vgl. Phil 2,27). So wünscht Johannes seinem geliebten Gajus, dass es ihm wohl gehen und er gesund sein möge, aber die Erfüllung seines Wunsches überlässt er Gott.
Der Nachsatz zu dem Wunsch des Apostels ist sehr schön: „...wie es deiner Seele wohl geht“. Glücklicher Gajus! Wohl dir, dass du durch manche Probe zu gehen hast! Dein inneres Leben nimmt darin nicht ab, es verliert sich nicht; nein, deiner Seele dient es zum Heil. Übungen treiben immer zum Herrn. In dem untrüglichen Licht des Angesichtes Gottes wird der eigene Wille zerschlagen; man lernt von sich selbst absehen und sich den Händen und der Leitung des Herrn anvertrauen. Welch ein Gewinn, geübt zu werden und in den Prüfungen sich zu bewähren! Der äußere Mensch mag dabei verfallen, was tut's, wenn nur der innere Tag für Tag erneuert wird. Die Schwierigkeiten, „das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal, bewirken uns ein über jedes Maß hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ (Vgl. 2. Kor 4,16–18.). Wenn die Seele sich an der Liebe Gottes weidet, an der Person Jesu und an seinem Wort, so wird es und muss es ihr wohlgehen. Wie mächtig spricht es zu unseren Herzen, wenn wir eine Seele sehen, die trotz des Schweren, das sie durchzukosten hat, in jener Liebe ruht und den tiefen Frieden genießt, der allen Verstand übersteigt!
„Wie es deiner Seele wohl geht.“ Ach, nicht immer kann das von den Gläubigen gesagt werden. Vielfach ist gar das Gegenteil der Fall. Wie mancher ist wohl in der Welt vorwärts gekommen; es geht ihm äußerlich wohl; er steht in nichts seinen unbekehrten Mitmenschen nach, vielleicht hat er gar viele von ihnen überholt, aber die Seele, wie steht es um sie? Geht es ihr wohl? Ach, der äußere Mensch ist gediehen und fett geworden, aber der innere ist verfallen, die Seele ist abgemagert. Welch ein Verlust!
Mein lieber gläubiger Leser! Trifft das entworfenen Bild vielleicht bei dir zu? O, dann erkenne und bekenne dein Abweichen dem Herrn! Reiß dich los von den Fesseln, entrinne dem Strick des Vogelstellers. Schon beim Volk Israel finden wir, dass es Tage des Wohlergehens nicht ertrug. Bei manchen Christen sehen wir dasselbe. Wie ernst richten sich auch an uns die mahnenden Worte: „So lasst und nun nicht schlafen ... sondern wachen und nüchtern sein! Denn die das schlafen, schlafen des Nachts und die da trunken sind, sind des Nachts trunken. Wir aber, die von dem Tag sind, lasst und nüchtern sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Hoffnung der Errettung“ (1. Thes 5,6–8). Ja, lasst uns dankbar sein, wenn Gott uns durch mancherlei Prüfungen gehen lässt, und eingedenkt des gesegneten Zwecks derselben, ergeben und willig darin ausharren!
Im Genuss der unendlichen Liebe Gottes, erfahrend was wir sind, aber auch was Er ist, wird es unserer Seele wohlgehen, und was könnte an Wert damit verglichen werden? So werden wir dann auch treue Zeugen und Zeuginnen des Herrn sein, und unser ganzer Geist, Seele und Leib wird tadellos bewahrt werden bei der Ankunft des Herrn Jesus Christus.
„Denn ich habe mich sehr gefreut, als Brüder kamen und Zeugnis ablegten von deinem Festhalten an der Wahrheit, wie du in der Wahrheit wandelst. Ich habe keine größere Freude als dies, dass ich höre, dass meine Kinder in der Wahrheit wandeln“ (Verse 3 und 4). Ab und zu kamen Brüder zu Johannes, die sich im Werk des Herrn bemühten. Sie hatten auf ihren Reisen auch Gajus kennen gelernt und nahmen mit Freuden wahr, dass er an der ihm anvertrauten Wahrheit festhielt.
Mochten die Verführer, deren es schon in jenen Tagen so viele gab, oder selbst der eigenwillige Diotrephes kommen, Gajus, unterwiesen durch die „Salbung von dem Heiligen“ und im Herrn bleibend, war imstande, das schöne, anvertraute Gut so zu bewahren, wie er es vom Apostel empfangen hatte. Fest und mutig trat er für die Wahrheit ein. Im Glauben hielt er fest an der „Lehre des Christus“ und genoss so die Liebe des Vaters und des Sohnes (2. Joh 7–9). Die von dem Apostel empfangenen Mitteilungen, „das, was er von Anfang gehört hatte“, hielt er unversehrt und unverändert aufrecht. Wie ist es mit uns? Haben wir alle das, „was von Anfang war“, erkannt und festgehalten oder preisgegeben?
Gajus wandelte in der Wahrheit, wie die Kinder der auserwählten Frau (2. Joh 4). Der Wandel in der Wahrheit bringt zu allen Zeiten Kämpfe und Schwierigkeiten, wie in der Vergangenheit so auch heute. Der natürliche Mensch liebt Übungen und Sichtungen nicht, weil diese seinem ich und seinem eigenen Willen keinen Raum lassen. Heute ist der Weg für den Getreuen ungleich schwieriger als im Anfang, weil die Verwirrung noch weit größer ist als in den Tagen der Apostel. Andererseits haben wir heute den Vorteil, dass wir die ganze offenbarte Wahrheit besitzen und gesammelt in Händen haben. Dies vermehrt aber auch unsere Verantwortlichkeit. Ach, wie mannigfach haben wir darin gefehlt!
Für das Herz des Apostels muss es eine große Freude gewesen sein, als er vernehmen durfte, dass Gajus an der Wahrheit festhielt und in ihr wandelte. Sollte das Herz unseres Herrn weniger erfreut sein, wenn Er heute, inmitten des großen Verfalls, einige wenige Getreue entdeckt, die mit Entschiedenheit an der ganzen Wahrheit festzuhalten und in ihr zu wandeln begehren? Ein bloßes Bekenntnis ohne Wirklichkeit ist wertlos, ja, weniger als das, es wird Schaden anrichten und das Missfallen des Herrn hervorrufen. Wo aber eine echte Liebe zur Wahrheit sich mit einem aufrichtigen, wenn auch schwachen und unvollkommenen Wandel verbindet, da wird seine Anerkennung nicht fehlen.
Das treue, entschiedene Festhalten an der Wahrheit setzt uns aber nicht nur Schwierigkeiten, sondern auch mancherlei Angriffen aus. Diese kommen oft selbst von Seiten derer, die dem Herrn anzugehören bekennen, aber meinen, es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen zu müssen. Zufrieden damit, errettet zu sein, möchten sie um des Friedens und der äußeren Einheit willen jede Meinung gelten lassen. Man kann das vielleicht verstehen, wenn es sich um nebensächliche, untergeordnete Dinge handelt, aber im Blick auf gottgewollte Grundsätze und wichtige Teile der Wahrheit gibt es nur eines, diese festzuhalten und zu verwirklichen suchen. So dachte und handelte Gajus. Mit allem Ernst war er darauf bedacht, das Empfangene zu verteidigen, und „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“ (Jud 3). Wer sind wir, dass wir irgendeinen Teil der uns anvertrauten Wahrheit preisgeben dürften? Ob es sich nun um den Zustand des Menschen von Natur oder um die Vollgültigkeit des ein für alle Mal vollbrachten Werkes von Jesus Christus handelt, ob um die ewige Verdammnis der Gottlosen oder um das ewige Heil derer, die im Glauben ihre Zuflucht zu Jesus genommen haben, ob um die Wahrheit von dem einen Leib oder um die Darstellung der Einheit der Gläubigen in der Welt und die Reinheit des Hauses Gottes, ob endlich um die Auferstehung des Leibes oder um die hochgelobte Person des Herrn Jesus als Gottes- und Menschensohn, alles ist für den, der sein Wort liebt, von größter Wichtigkeit. Es sind dies alles Dinge, über die eifersüchtig zu wachen er berufen ist. Menschliche Meinungen und Vernunftgründe haben für ihn keinen Wert. Nach dem Vorbild seines Meisters sagt er immer wieder: „Es steht geschrieben!“
Das war entscheidend für Gajus, und das sollte auch für uns in allen Fragen entscheidend sein. Dieses muss auch unseren täglichen Wandel in jeder Beziehung beeinflussen, so dass der Widersacher keine Veranlassung findet, uns zu verurteilen (vgl. Dan 6,5.6). Beides soll uns gleich wichtig sein, sowohl das Festhalten der reinen Lehre als auch ein heiliger Wandel.
„Geliebter, treu tust du, was irgend du an den Brüdern, und zwar an Fremden, getan hast“ (V. 5). Gajus hatte dem Wort des Apostels gemäß gehandelt. Er hielt die Wahrheit fest in Liebe. Sein Wandeln in der Wahrheit war mit praktischer Liebe verbunden. Die im Werk tätigen Brüder konnten Zeugnis ablegen von der Liebe, die er ihnen erwiesen hatte.
Es war in der Tat Treue und Entschiedenheit zu solcher Gastfreundschaft nötig, da insbesondere Diotrephes nicht dulden wollte, dass man die Brüder an- und aufnahm, ja solche, die es taten, aus der Versammlung stieß (V. 10). Ob Gajus die Belehrungen der Apostel Paulus und Petrus hinsichtlich der Gastfreundschaft kannte, wissen wir nicht. Jedenfalls handelte er nach den Worten: „Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren“, „die Gastfreundschaft vergesst nicht“, „nach Gastfreundschaft trachtet“ (1. Pet 4,9; Heb 13,1; Röm 12,13). Er nahm die Brüder vor allem um des Herrn willen auf, wissend: Wer sie aufnahm, der nahm den Herrn auf, „wer aber den Herrn aufnimmt, nimmt den auf, der Ihn gesandt hat (Joh 13,20). Gajus liebte den Herrn und folglich auch die Brüder; Herz, Hände und Haus waren für die Heiligen offen. Es ist auch heute noch ein hohes Vorrecht, die Brüder aufnehmen zu dürfen. Welch ein Segen damit verknüpft ist und ins Haus einkehrt, das wissen die am besten, welche sich vom Herrn für die Aufnahme seiner Knechte gebrauchen lassen.
„Die von deiner Liebe Zeugnis abgelegt haben vor der Versammlung, und du wirst gut daran tun, wenn du sie auf eine Gottes würdige Weise geleitest. Denn für den Namen sind sie ausgegangen und nehmen nichts von denen aus den Nationen. Wir nun sind schuldig, solche aufzunehmen, damit wir Mitarbeiter der Wahrheit werden“ (Verse 6–8).
Jene Brüder, Diener des Herrn, waren nicht ausgegangen um schnöden Gewinns willen, nicht um versorgt zu sein, sondern um seines Namens willen. Sie waren ausgegangen aus Liebe zu ihrem Herrn, der für sie litt und starb, und ließen sich von Ihm, dem nun verherrlichten Herrn, verwenden in seinem Weinberg und unter seiner Herde. Sich solcher Männer anzunehmen, ihnen in Liebe zu dienen und sie auf ihrem oft verleugnungsvollen Pfad „in Gottes würdiger Weise zu geleiten“, ließ Gajus sich angelegen sein; und gewiss, der Herr hat mit Wohlgefallen diese Liebesdienste wahrgenommen und droben verzeichnet. Die Belohnung wird nicht ausbleiben. Die Wahrheit, welche jene Diener des Herrn brachten und verkündigten, gab sich in ihrem eigenen Auftreten kund. Vertraut mit den Verheissungen des Herrn, hinsichtlich des Unterhalts seiner Knechte, verließen sie sich völlig auf Ihn und nahmen die Unbekehrten nicht in Anspruch. Wie einst Serubbabel und Jeschua nicht erlaubten, dass die Feinde Israels am Tempelhau mithalfen, indem sie ihnen antworteten: „Es geziemt euch nicht, mit uns unserem Gott ein Haus zu bauen“ (Esra 4,1–3), so wiesen auch diese Knechte des Herrn jede Teilnahme der Unbekehrten am Werk des Herrn ab. Es geziemte sich nicht und geziemt sich auch heute nicht, in dieser Sache irgendwelche Gemeinschaft mit denen zu machen, die der Welt angehören, welche einst Jesus verwarf und Ihn auch heute noch immer hasst. Der Herr wird auch stets das Vertrauen seiner Knechte belohnen, die also in Abhängigkeit von Ihm vorangehen wollen.
Dem Gajus wird seine Liebestätigkeit ganz besonders hoch vom Herrn angerechnet. Die ganze Versammlung musste erfahren, was er den Dienern des Herrn getan hatte, und wie sie durch seine Liebe erquickt worden waren. Weil er dadurch dem Sohn Gottes diente, wurde er von Gott, dem Vater, geehrt, Er hat sein Tun für alle Zeiten aufschreiben lassen (Siehe Joh 12,26). Ja, durch sein Tun wurde er noch in besonderer Weise ein „Mitarbeiter der Wahrheit“, und dies erwartet der Herr von allen, die Ihm angehören. Bezeichnend ist, dass der Apostel hinzufügt: „Wir sind schuldig, solche aufzunehmen“ (V. 8). Sind wir uns dieser Schuld bewusst und denken wir daran, solche Männer in ihrer Arbeit zu unterstützen? Wie viel können wir von diesem Gajus lernen!
„Ich schrieb etwas an die Versammlung, aber Diotrephes, der gern unter ihnen der erste sein will, nimmt uns nicht an. Deshalb, wenn ich komme, will ich an seine Werke erinnern, die er tut, indem er mit bösen Worten gegen uns schwatzt; und sich hiermit nicht begnügend, nimmt er die Brüder nicht an und wehrt auch denen, die es wollen, und stößt sie aus der Versammlung“ (Verse 9–10).
Der Apostel hatte einen Brief an die Versammlung geschrieben, in deren Mitte beide Männer, Diotrephes und Gajus, sich befanden. Über den Inhalt desselben wird uns nichts Näheres berichtet. Wir wissen nicht, ob er wichtige Grundsätze der „Wahrheit“ behandelte, deren Herold Johannes in so besonderer Weise war, oder ob er Belehrungen und Ermahnungen für die Gläubigen enthielt; jedenfalls aber sollte er den Empfängern zum Segen dienen. Das war aber offenbar nicht nach dem Sinn des Diotrephes. Denn im unmittelbaren Anschluss an seine Mitteilung: „Ich schrieb etwas an die Versammlung“, sagt Johannes: „aber Diotrephes, der gern unter ihnen der erste sein will, nimmt uns nicht an“. Der Inhalt des Briefes wird wohl dem Gewissen des Diotrephes nicht entsprochen haben, er fühlte sich wahrscheinlich verurteilt, und so wie er die treuen Knechte des Herrn nicht annahm, so auch nicht den Brief des Apostels. Er hat ihn wahrscheinlich der Versammlung vorenthalten. Der Brief hätte gewiss viel Segen stiften können, indem er bestehende Gefahren beleuchtete, vor ihnen warnte und zur Standhaftigkeit aufforderte. Es ist eine äußerst ernste Sache, Briefe, welche mit der Wahrheit vertraut machen, zur Wachsamkeit, angesichts der drohenden Gefahren, mahnen, sowie auch zum Festhalten an der anvertrauten Lehre auffordern, der Gesamtheit vorzuenthalten. Wer vermag solches zu verantworten! Und doch geschieht es. Feierlich ernst ist der Schluss des 1. Briefes an die Thessalonicher, wo Paulus schreibt: „Ich beschwöre euch bei dem Herrn, dass der Brief allen heiligen Brüdern vorgelesen werde“ (Kapitel 5,27).
Wie traurig ist es, wenn ein Gläubiger so von sich selber eingenommen ist, dass er sich über andere erhaben dünkt, den ersten Platz in ihrer Mitte beansprucht und über sie zu herrschen sucht! Solche Gesinnung offenbart, wo das Herz sich befindet. Wenn ein Gläubiger im Licht Gottes wandelt, und Gemeinschaft pflegt mit dem sanftmütigen und von Herzen demütigen Herrn, der nicht kam, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, so lernt er, den niedrigsten Platz einzunehmen. Das Wort des Herrn, der hinsichtlich der in der Welt herrschenden Gesinnung den Seinigen zuruft: „Aber so ist es nicht unter euch; sondern wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein; und wer irgend unter euch der erste sein will, soll der Knecht aller sein“ (vgl. Mk 10,42–45), hätte den Diotrephes unfehlbar vor Hochmut und Herrschsucht bewahrt. Das Vorbild des Christus, die Mahnungen des Heiligen Geistes und die Belehrungen des Wortes Gottes würden ihn angespornt haben, dem Apostel Paulus ähnlicher zu werden, der, obwohl er von den Korinthern so manches über sich ergehen lassen musste, dennoch ihnen schreiben konnte: „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen, wenn ich auch, je überreichlicher ich euch liebe, umso weniger geliebt werde“ (2. Kor 12,15).
So redet ein wahrer Diener des Herrn. Ein solches Verhalten offenbart einen Wandel im Licht und in der Gemeinschaft mit dem Herrn. Aber leider ist dieses Verhalten gar selten unter dem Volk Gottes zu finden. Und doch, sollten wir nicht, die wir unseren, Herrn zu lieben bekennen, selbstlos und selbstverleugnend, als seine Knechte und Mägde, gern den niedrigsten Platz einnehmen, und sein Wohlgefallen auf uns herabzuziehen trachten? Das Verhalten des Diotrephes zeigt auch, dass er sich selbst nicht kannte. Wer sich selbst wirklich kennengelernt hat, wird niemals der erste sein wollen. Im Gegenteil, er wird Furcht vor sich selbst haben, erkennend, wie verabscheuungswürdig alles ist, was von der alten Natur sich in ihm zeigt; er wird andere höher achten als sich selbst und gern den letzten Platz einnehmen. Drittens hat Diotrephes nicht daran gedacht, was die Gläubigen für das Herz des Herrn Jesus sind, wie selbst die Allerschwächsten und die Allergeringsten für Ihn unaussprechlich teuer und wertvoll sind.
Auf dem Weg nach Damaskus, wo der Herr dem Saulus begegnete und ihm zurief: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ stellt der Apostel die angsterfüllte Frage: „Wer bist du, Herr?“ Er erhielt die Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (Apg 9,5). Schon da durfte Paulus etwas von dem erkennen, was die Gläubigen nach dem Gedanken Gottes sind: Eins mit Jesus. Später wurde Paulus offenhart, dass sie „Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen sind“ (Eph 5,29.30). Deshalb sehnte er sich auch nach ihnen mit dem Herzen des Christus Jesus (Phil 1,8), und wollte gern als Trankopfer über das Opfer und den Dienst ihres Glaubens gesprengt werden (Phil 2,17), um so ihr Opfer umso wohlannehmlicher vor Gott zu machen. Deshalb erduldete er auch alles, „um der Auserwählten willen, dass auch sie die Seligkeit erlangen möchten, die in Christus Jesus ist mit ewiger Herrlichkeit“ (2. Tim 2,10). Wenn jemand ein wenig die Gedanken des Herrn bezüglich der Seinigen erfasst hat, kann er es nur als ein Vorrecht, als eine besondere Gunst betrachten, Ihm in den Seinigen dienen zu dürfen.
Anstatt der erste sein zu wollen, die Gläubigen einseitig zu beeinflussen, oder gar über sie zu herrschen, ihnen seine eigenen Gedanken und Urteile aufzwingend, dient er ihnen in Liebe und Abhängigkeit, nicht als herrschend über die Herde Gottes. Als Vorbild in der Nachfolge des Herrn empfiehlt er sich ihnen in Demut, Treue und Hingabe.
Dem Diotrephes mangelte es also an drei Dingen: an dem Herzensumgang mit dem sanftmütigen und demütigen Herrn, an Selbsterkenntnis, und an dem Verständnis über den Wert der Geliebten des Herrn. Er mochte manches wissen, ein gewandter, beredter Mann sein, aber die erwähnten kostbaren und wichtigen Dinge waren seinem Wesen und Herzen fremd.
Angesichts des ganzen Ernstes dieser Tatsachen möchten wir noch einmal betonen: Wie verabscheuungswürdig ist es, wenn da, wo die Gnade sich so wunderbar wirksam erweist, der alten Natur, dem Fleisch, erlaubt wird, sich zu entfalten! Bedauernswerter Diotrephes! Du bist eitler Ehre geizig, du entsprichst nicht dem Herzen deines Herrn, der sich selbst zu nichts machte, Knechtsgestalt annahm, sich selbst erniedrigte, indem Er gehorsam wurde bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz (Phil 2,5–8). Deshalb können auch die Gläubigen von dir keinen Segen haben. Du kannst auch nichts aufweisen, was der Herr bestätigen oder anerkennen könnte. Denn mit einem hochmütigen Mann kann der Herr keine Gemeinschaft haben. Er hasst ihn (Spr 8,13). Er muss ihm „widerstehen“ (Jak 4,6), um ihn zur Besinnung zu bringen. Ja, es steht geschrieben: „Wer irgend sich selbst erhöhen wird, wird erniedrigt werden.“ Ist es darum nicht erschreckend, wenn ein Gläubiger seine eigene Ehre sucht und nach dem ersten Platz trachtet? Den Demütigen gibt Gott Gnade, und „Wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wird erhöht werden“ (Mt 23,12).
Ein hochmütiger Mann, mag er auch noch so begabt sein, kann den Gläubigen keinen Segen bringen. Die Einbildung, etwas zu sein, macht ihn unnahbar und stößt andere ab. Sein Dienst gereicht nicht zur Auferbauung und Förderung, geht nicht von Herz zu Herz, denn er wird nicht hervorgebracht durch den Heiligen Geist, sondern durch die Tätigkeit des eigenen Ichs. Sehr schwer ist es auch, einem solchen Mann beizukommen und ihm zu dienen. Von sich selbst eingenommen und blind für das Licht des Wortes Gottes, fühlt er sich erhaben über jede Belehrung und Ermahnung.
Sogar den Dienst eines vom Herrn berufenen Apostels erkannte Diotrephes nicht an. Welch eine Anmaßung und Verblendung! Während andere herzlich dankbar waren für jeden Dienst, der, aus Liebe zum Herrn und seinen Heiligen hervorgehend, ihnen gebracht wurde, wies dieser verblendete Mann die Diener Gottes, ob Apostel, Lehrer oder Evangelisten, ab. Welch ein trauriger Herzenszustand! Noch nicht zufrieden damit, suchte er auch durch böse, verleumderische Reden die Diener des Herrn anzuschwärzen und das Vertrauen zu ihnen zu untergraben, um so ihren Dienst unmöglich zu machen.
Das tat freilich der Machtvollkommenheit des Apostels keinen Abbruch. Er will bei seinem Besuch mit Autorität bezüglich des Diotrephes handeln und „an seine Werke erinnern“.
In jenen Tagen gab es neben den Aposteln manche, die von dem Herrn der Ernte für sein Werk ausgerüstet waren, und die nun, getrieben durch die Liebe des Christus, „um seines Namens willen“ (V. 7) ausgingen, um sich in seinem Dienst zu verwenden. Aber seitens eines Diotrephes wird ihnen keine Liebe, kein Entgegenkommen erwiesen. Diotrephes denkt nicht daran, dass Gastfreundschaft wohlgefällig ist vor Gott, und dass durch dieselbe etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt haben (Heb 13,2). Er bedarf auch ihres Dienstes nicht. Wo er ist, da ist es doch nicht notwendig, dass noch andere kommen! Will jemand etwas wissen, so kann er sich ja bei ihm erkundigen! O welch eines Segens wird eine Versammlung durch das Auftreten eines solchen Mannes beraubt! Sie geht der Ermunterung und Erquickung, die der Herr durch andere Kanäle seinen Geliebten zufließen lassen möchte, verlustig. Die Ausübung der Gaben, die Er zur Auferbauung seines Leibes gegeben hat, wird verhindert.
Es gab einige in der Versammlung, die ein solches Verhalten nicht billigten, eingedenk des Wortes des Herrn: „Wer euch hört, hört mich, und wer euch verwirft, verwirft, mich; wer aber mich verwirft, verwirft den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16).
Sie wünschten die Knechte des Herrn in Liebe aufzunehmen und zu beherbergen; aber auch das ließ Diotrephes nicht zu. Er übte eine solch rücksichtslose Herrschaft aus, dass er jeden, der es wagte, die reisenden Brüder zu beherbergen, aus der Versammlung stieß. Sehen wir da nicht schon die Ansätze des Klerus, der geistlichen Vorherrschaft?
Welch ein dunkles, tief betrübendes Bild entrollen diese zwei Verse vor unseren Augen! Jener stolze, eigenwillige Mann hemmte jede geistliche Wirksamkeit und schloss treue, hingebende Glieder rücksichtslos von ihren Vorrechten aus. Einem solchen Verhalten gegenüber galt es, entschieden Stellung zu nehmen.
Bezeichnend ist hierbei, dass über die Versammlung selbst nichts gesagt wird. War sie in einem schwachen, niedrigen Zustand? Jedenfalls gab es einzelne Glieder, die unter dem vorhandenen Übel seufzten und litten, aber sie waren wohl nicht stark genug, um ihm in der rechten Weise begegnen zu können. Was nun den treuen und hingebenden Gajus betrifft, so dürfen wir annehmen, dass er vielleicht durch seine Leiden verhindert war, den unter dem Druck des Diotrephes trauernden und seufzenden Brüdern tatkräftig beizustehen, es kann auch sein, dass er von dem Versammlungsort abgelegen wohnte. Dass bei den allgemeinen Zusammenkünften infolge der Gegenwart und Wirksamkeit des Diotrephes der eigentliche Charakter einer Versammlung nicht zum Ausdruck kam, ist anzunehmen. Sein Tun musste fraglos der Darstellung der Versammlung als solcher Abbruch tun, denn es war genau das Gegenteil von dem, was die Zusammenkünfte einer örtlichen Versammlung offenbaren sollen. Wir denken hier vor allem an die Tatsache, die uns nie verdunkelt werden, geschweige denn ganz verloren gehen sollte, nämlich dass es die Person unseres geliebten Herrn ist, um die wir uns scharen (Mt 18,20). Nicht um einen Menschen oder zu einem Menschen hin versammeln wir uns, nein, dieses Recht oder dieser Platz gebührt dem Herrn allein, und niemals wird Er ihn einem seiner Diener, und wenn es der beste und der treueste wäre, überlassen. Auch darf nur der Heilige Geist unser Leiter sein, damit Er sich bediene, wessen Er will, und wirke, wie Er will, den Bedürfnissen und dem Zustand der Versammlung entsprechend.
Viel Wachsamkeit und Zartgefühl sind nötig, wollen wir anders die Gegenwart des Herrn in der Mitte der um Ihn Versammelten genießen; und es bedarf wahrer Abhängigkeit und Stille des Herzens, um der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht hinderlich im Weg zu stehen, oder Ihm gar vorzugreifen.
Voraussehend was da kommen würde, hat der Herr in diesem kurzen Brief Diotrephes erwähnen lassen, einerseits um uns zu zeigen, was es für Ihn ist, wenn jemand gleich dem Gajus und Demetrius ein ungeteiltes Herz für Ihn hat, oder wenn einer, wie Diotrephes, in böser Gesinnung vorangeht, um uns ein warnendes Beispiel zu geben, wenn irgendwie selbstgefällige und hochmütige Regungen in uns aufsteigen wollen. Fürchten wir uns denn vor aller Überhebung und Anmaßung, und möchte niemand von uns höher von sich denken, als zu denken sich gebührt! Lasst uns besonnen sein, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat, und nicht sinnen auf hohe Dinge, sondern uns halten zu den niedrigen! (Röm 12,3.16).
Dem Gajus wird zugerufen: „Geliebter, ahme nicht das Böse nach, sondern das Gute.“ (V. 11). Möchten wir auch das „Gute“, das uns so anziehend in Gajus und auch in vielen anderen Personen des Wortes Gottes entgegentritt, „nachahmen“, und das „Böse“, wie es sich in Diotrephes und manchen anderen Gestalten der Heiligen Schrift zeigt, „meiden“. Um das „Gute“ hervorbringen zu können, hat uns Gott den Heiligen Geist gegeben. Unter seiner Leitung und in seiner Kraft wird bei den Erlösten des Herrn „die Frucht des Geistes“ hervorgebracht, und diese ist: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit“ (Gal 5,22–32). Möge es diesem göttlichen Gast in uns gelingen, diese liebliche Frucht bei einem jeden von uns, die wir dem Herrn angehören, immer mehr hervorzubringen. Das wird ausschlagen zum Segen für unsere Mitpilger auf dem Weg zum Vaterhaus, und vor allem wird dadurch Er, unser geliebter Herr, der auch uns „gesetzt hat um Frucht zu bringen“, verherrlicht (vgI Joh 15,16). Lasst uns „in Ihm bleiben“, dann werden wir vor dem Bösen bewahrt und sind sicher vor den listigen Anläufen des Feindes. Das „Bleiben in Ihm“ ist zugleich auch die Vorbedingung, um Frucht bringen zu können (1. Joh 2,28; Joh 15,4.5).
„Dem Demetrius ist Zeugnis gegeben worden von allen und von der Wahrheit selbst; aber auch wir geben Zeugnis, und du weißt, dass unser Zeugnis wahr ist“ (V. 12). Von den Brüdern, die vom Herrn benutzt wurden, nennt der Apostel mit Namen nur den Demetrius. Scheinbar hat er als Arbeiter eine besondere Hingabe an den Tag gelegt. Alle, die ihn kennen lernten und mit Johannes über ihn redeten, konnten ihm nur ein gutes Zeugnis ausstellen. Es ist sehr bezeichnend, dass der Apostel das Zeugnis der Wahrheit selbst hervorhebt. Das will wohl sagen, dass auch Demetrius gleich dem geliebten Gajus an der Wahrheit festhielt und auch in der Wahrheit wandelte, so dass es keinen Grund gab, ihn irgendwie zu verurteilen, wenn auch von Ihm nicht so viel gesagt wird, wie über Gajus. Wenn Paulus von Timotheus schreibt: „Denn ich habe keinen Gleichgesinnten, der von Herzen für das Eure besorgt sein wird; denn alle suchen das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist. Ihr kennt aber seine Bewährung“ (Phil 2,20–22), so konnte dies auch von Demetrius gesagt werden. Auch er wird sich „befleißigt“ haben, „sich Gott bewährt darzustellen, als ein Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat“ (2. Tim 2,15). Der Apostel selbst, und die Brüder, die bei ihm waren, lernten Demetrius kennen und bestätigen mit ihrem Zeugnis auch die zwei vorhergehenden Zeugnisse, so dass diesbezüglich eine völlige Übereinstimmung bestand.
Es ist lieblich, hier schon so manches Schöne und Gute von den Geliebten des Herrn zu erfahren. Wie wird es aber erst an jenem Tag sein, wenn wir vor dem Richterstuhl des Christus stehen werden, um zu empfangen, ein jeder, „nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“. Wenn uns das Tun eines Diotrephes mahnend und warnend vorgestellt wird, so sind die Zeugnisse über Gajus und Demetrius dazu angetan, uns anzuspornen in diesen letzten Tagen, so nahe vor der Ankunft des Christus, immer reichlicher an Treue und Hingabe zuzunehmen. Der Tag naht, wo der Herr auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen und seine Belohnungen austeilen wird. Dort werden große, vielleicht uns alle überraschende Unterschiede gesehen werden, und das sollte uns gewiss ernst stimmen und zu einer gründlichen Prüfung im Licht der Wahrheit veranlassen. Wohl uns, wenn die Wahrheit und unsere Brüder und Schwestern uns solch gutes Zeugnis ausstellen können, wie wir es bei Demetrius sahen. An jenem Tag des Offenbarwerdens wird unser gnädiger und reicher Herr einem jeden seiner Getreuen unendlich mehr geben, als diese es sich je hätten träumen lassen: „ein gutes, gedrücktes und überlaufendes Maß“ wird Er in unseren Schoß schütten. Die Treue wird anerkannt: „Wohl, du guter und treuer Knecht“ und das Tun der Liebe wird belohnt. Nicht einen Becher kalten Wassers, der in seinem Namen gereicht wird, will Er unbelohnt lassen. Ja, mit Wohlgefallen wird Er auch uns sagen: „... insofern ihr es einem der geringsten dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan“ (Mt 25,21.40).
„Ich hätte dir vieles zu schreiben, aber ich will dir nicht mit Tinte und Feder schreiben, sondern ich hoffe, dich bald zu sehen, und wir wollen mündlich miteinander reden. Friede sei dir! Es grüßen dich die Freunde. Grüße die Freunde mit Namen.“ (Verse 13–15).
Noch vieles hatte der Apostel am Herzen, doch vertraute er es nicht dem Papier an. Er hoffte, bald eine Gelegenheit zu erhalten zu mündlicher Aussprache und ruft dem Mitarbeiter der Wahrheit, seinem geliebten Gajus zu: „Friede sei mit dir!“ Wie die Umstände auch sein mochten, auch wenn sein körperlicher Zustand vieles zu wünschen übrig ließ, sollte sich Gajus dennoch des Friedens Gottes erfreuen, der allen Verstand übersteigt und das Herz und den Sinn bewahrt in Christus Jesus (Phil 4,7). Unser geliebter Herr wünscht, dass ein jeder der Seinigen sich dieses Friedens erfreue. Auch der Apostel Petrus schließt seinen ersten Brief mit den lieblichen Worten: „Friede euch allen, die ihr in Christus Jesus seid!“
Mögen die Umstände immer schwerer, der Weg immer steiler und einsamer werden, wenn es unser aufrichtiger Wunsch ist, in allem den Willen Gottes zu tun, dann genießen wir den Frieden Gottes und erfahren auf diesem Weg, dass der Gott des Friedens selbst mit uns ist.
Alle diejenigen, die wie Gajus und Demetrius inmitten all des Verfalles an der Wahrheit festzuhalten und in ihr zu wandeln begehren, fühlen und wissen sich miteinander aufs Innigste verbunden und in dieser göttlichen Freundschaft, auf dem Weg der Wahrheit sich grüßend und die Hände zum Guten stärkend, harren sie des Augenblicks, wo „der Gott des Friedens den Satan unter die Füße der Seinigen zertreten wird“ (Röm 16,20).
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch!“