Der Brief an die Kolosser
Kapitel 1
„Paulus, Apostel von Christus Jesus durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, den heiligen und treuen Brüdern in Christus, die in Kolossä sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Verse 1 und 2). Mit apostolischer Macht angetan, tritt Paulus vor die Versammlung1. Er war ein Apostel, nicht der Versammlung, sondern von Jesus Christus, durch den Willen Gottes; und Timotheus ist mit ihm einfach als „der Bruder“ verbunden. Die Gläubigen in Kolossä werden nicht als „Heilige und Treue“ angeredet wie die Epheser, sondern als „heilige und treue Brüder“. Die Gemeinde in Ephesus wird mehr in ihrer Beziehung zu Gott, die Gläubigen in Kolossä werden mehr in ihren Beziehungen zueinander betrachtet.
Es ist von Wichtigkeit zu beachten, dass der Apostel nicht in der gleichen Weise über den Strom der geistlichen Segnungen schreibt wie im ersten Kapitel des Briefes an die Epheser. Einzig der 3. Vers unseres Kapitels stimmt überein mit dem 16. Vers von Epheser 1, doch erkennen wir im Gebet des Apostels in Epheser 1 eine größere Freude. Der Glaube an Christus und die Liebe zu allen Heiligen wurden in beiden Versammlungen gefunden, und darum kann der Apostel Gott danken, ihrer allezeit im Gebet gedenkend (Verse 3 und 4). Der Gegenstand des Gebets in diesem Brief ist aber ein ganz anderer als im Brief an die Epheser. Dort hatte Paulus die Ratschlüsse Gottes in Bezug auf die Ekklesia offenbart, und er bat Gott, dass die Heiligen diese Ratschlüsse verstehen möchten. Hier bittet er, dass ihr Wandel durch die göttliche Weisheit geleitet werde. Es steht dies in Verbindung mit dem Gesichtspunkt, von dem aus er in beiden Briefen die Gläubigen betrachtet. Im Brief an die Epheser schaut er sie als in Christus in den Himmel versetzt; in unserem Brief betrachtet er die Gläubigen auf Erden unter Berücksichtigung ihrer himmlischen Hoffnung. Er sagt: „Wir danken Gott ... wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln.“ Und in seinem Gebet beschäftigt ihn der Wandel der Heiligen, damit dieser in Übereinstimmung wäre mit dem Ziel, das vor ihnen stand. Wir können die Gläubigen unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Eins mit Christus sind sie nicht nur gerechtfertigt, sondern auch schon verherrlicht (Römer 8,30), d. h. in Ihm in den Himmel versetzt. So werden sie von Gott gesehen. Gott sieht Christus zu Seiner Rechten im Himmel und Er sieht die Heiligen in Christus; sie sind Glieder Seines Leibes. Doch andererseits ist es auch wahr, dass die Gläubigen noch auf Erden wandeln. Sie sind in der Wüste und darum noch auf der Reise, noch nicht am Ziel. In dieser letzteren Beziehung werden sie in unserm Brief betrachtet und darum auf ihre Verantwortlichkeit hingewiesen.
Im Blick auf die himmlische Hoffnung betete der Apostel für die Gläubigen in Kolossä. Sie liefen Gefahr, sich von dem himmlischen Ziel zu entfernen; falsche Lehrer versuchten durch Philosophie und jüdische Überlieferungen ihre Herzen von Christus und der Herrlichkeit abzuziehen; darum weist sie der Apostel auf die Hoffnung hin, die für sie in den Himmeln aufbewahrt ist, und wovon sie durch das Wort der Wahrheit des Evangeliums gehört hatten. Dieses Evangelium war auch zu den Kolossern gekommen und hatte unter vielen Menschen Frucht hervorgebracht. Sie waren durch dasselbe bekehrt worden und hatten die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt (Verse 5 und 6).
Epaphras, den Paulus hier „unsern geliebten Mitknecht“ nennt, „ein treuer Diener des Christus“, und dem er in Kapitel 4 ein überaus schönes Zeugnis gibt, hatte sie im Evangelium unterwiesen, und durch ihn hatte der Apostel von den Kolossern Bericht erhalten – er hatte ihm ihre Liebe im Geist kundgetan (Verse 7 und 8).
Der Apostel richtet nun den Blick der Kolosser nach dem Himmel, damit sie dort Christus anschauen und das Bewusstsein ihrer Einheit mit dem Haupt, das ihnen verloren gegangen war, wieder finden sollten. Sie hatten zwar nicht den Glauben an Christus und die Liebe zu allen Heiligen verloren, wohl aber das Bewusstsein ihrer Einheit mit Christus. Dieses Bewusstsein allein konnte sie über die Satzungen eines menschlichen und fleischlichen Gottesdienstes erheben. Das ist es, was das Christentum von irgendwelcher Religion und im besondern von der jüdischen unterscheidet.
„Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tag an, da wir es vernommen haben, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr erfüllt werdet mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“ (Vers 9). Die Erkenntnis des Willens des Christus ist ein Ausfluss der innigen Gemeinschaft mit Gott und zeitigt als Frucht die Erfassung Seiner Wesensart und Seiner Natur.
Das erste Erfordernis eines geheiligten Lebens ist, Gottes Willen zu erkennen; nicht nur eine oberflächliche Kenntnis, sondern das Erfülltsein mit einer Erkenntnis, die von Gott kommt und in der Seele Weisheit und geistliches Verständnis bewirkt. Gott hat uns durch Christus Seinen Willen bekannt gemacht; und Er will, dass wir mit der Erkenntnis dieses Willens erfüllt seien „in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“. Wie verschieden ist dies doch von Gesetzeswerken!
Das Gesetz ist der Ausdruck der Forderungen Gottes an einen Menschen dieser Erde. Das Gesetz zeigt uns, was Gott von einem Menschen als Seinem Geschöpf verlangt. Aber der Christ ist im Grund nicht mehr ein Mensch dieser Erde. Er ist ein neuer, ein auferweckter, ein himmlischer Mensch. Darum ist für ihn nicht mehr das Gesetz, sondern Christus der Ausdruck von Gottes Willen. Welch ein Unterschied zwischen Christus und dem Gesetz! Das Gesetz sagt mir, was ich tun und nicht tun soll; aber in Christus finde ich die Offenbarung alles dessen, was Gott wohlgefällig ist. Will ich wissen, was Gott gut nennt und was Ihm angenehm ist, dann muss ich Christus anschauen. Ein treuer Christ wird mit der Erkenntnis des Willens Gottes erfüllt sein und zwar „in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“. Das heißt, er wird durch seine Gemeinschaft mit Gott den Willen Gottes so erkennen, dass er alle Dinge beurteilen kann und weiß, was Gott wohlgefällig ist und was nicht. Ein Knecht fragt nach den Geboten seines Meisters; ein Kind schaut nach den Augen des Vaters und weiß durch seinen Umgang mit ihm, was seinem Vater angenehm ist. Darum fährt der Apostel fort: „Um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbar, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Vers 10). Sind wir erfüllt mit der Erkenntnis von Gottes Willen, „in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“, dann wandeln wir würdig des Herrn. Er selber ist unser Vorbild. Wir fragen bei allem zuerst, was Ihm wohlgefällig ist; wir verleugnen unseren eigenen Willen. Es wird unsere Lust sein, so für Ihn zu leben, dass Sein Auge mit Wohlgefallen auf uns ruhen kann. Indem wir das tun, tragen wir Frucht in allem guten Werk, nicht nur im Halten gewisser Gebote, wir wachsen in der Gnade und im geistlichen Leben durch die Erkenntnis Gottes, die je länger je mehr Wirklichkeit wird. Man sieht deutlich, dass dies alles mit dem Zweck dieses Briefes in Verbindung steht. Der Philosophie und den menschlichen Überlieferungen stellt der Apostel das Erfülltsein mit der Erkenntnis des Willens Gottes gegenüber und ermahnt, würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk fruchtbringend.
Doch der Apostel geht noch weiter. Er fügt hinzu: „Gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit“ (Vers 11). Das göttliche Leben trägt Frucht, es ist nicht kraftlos. Die Gemeinschaft mit Gott kräftigt, und so vermögen die Gläubigen in Übereinstimmung mit ihrer Stellung zu wandeln. Und was ist der Maßstab dieser Kraft? Die Stärke Seiner Herrlichkeit! Der auferweckte und verherrlichte Christus ist die Kraft aller, die durch den Glauben an Ihn das ewige Leben besitzen. Christus, so wie Er auf Erden wandelte, ist das Vorbild und Christus in der Herrlichkeit ist die Kraft des Gläubigen. Um Ihm nachfolgen zu können, müssen unsere Augen auf Ihn, den Verherrlichten, gerichtet sein, und unser Herz muss mit Ihm, der im Himmel ist, Gemeinschaft haben.
„Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden umgewandelt in dasselbe Bild, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor. 3, 18). Da wir durch eine böse Welt pilgern, wo allerlei Mühen und Beschwerden unser Teil sind, bedürfen wir des Ausharrens. Wir werden aber gekräftigt nach der Macht Seiner Herrlichkeit „zu allem Ausharren und aller Langmut“. Gott schenkt uns die Kraft, um, wie der Herr Jesus, mit Stetigkeit und Geduld unseren Pfad zu vollenden. Nicht als Seufzende und über die Mühseligkeiten des Weges und über die große Zahl unserer Widersacher Klagende sollen wir voranschreiten, sondern „mit Freuden“. Wie mühsam unser Weg auch sein mag, wir können uns freuen, der Herr steht uns bei und die ewige Herrlichkeit wartet unser. Mag die Welt uns auch hassen und verfolgen und benachteiligen; es hat keine Not! Bald sind wir allem enthoben und werden die herrliche Erbschaft antreten dürfen, die für uns im Himmel aufbewahrt ist.
„Danksagend dem Vater der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“ (Vers 12). Welch herrliche Worte! Gott der Vater hat uns fähig gemacht, teilzuhaben an der Erbschaft der Heiligen im Licht. Beachten wir wohl, dass es nicht heißt: Der uns fähig machen wird, sondern, der uns fähig gemacht hat. Es ist keine Sache des Zunehmens oder des Wachstums, sondern etwas Vollbrachtes und Vollendetes. Durch das Werk des Christus sind wir so vollkommen gereinigt, dass wir nun fähig sind, im Licht Gottes zu stehen. Damit wir das recht erkennen, redet der Heilige Geist nicht bloß von der Erbschaft der Heiligen, sondern von der Erbschaft der Heiligen im Licht. Wir werden im Licht Gottes sein, und zwar ohne Flecken oder Runzel. Jesus wird uns in die unmittelbare Gegenwart des heiligen und gerechten Gottes bringen. Dieser Gott ist in Christus unser Vater. Nicht nur werden wir in Seinem Licht sein, sondern wir werden als Seine Kinder dort sein. Unergründliche Gnade!
Was Gott getan hat, um uns in dieses Licht zu bringen, wird uns im folgenden Vers erläutert. Der Vater „hat uns errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe, in welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“ (Verse 13 u. 14). Wir sind von Natur Sklaven der Sünde und der Finsternis; doch Gott hat uns aus der Macht der Finsternis erlöst und uns in ein ganz neues Verhältnis zu Ihm gebracht. In Christus, der sich für uns hingegeben hat, haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. Die Macht und die Liebe Gottes haben sich in Seinem Werk offenbart; und darum sind wir aus der Macht der Finsternis errettet und versetzt in das Königreich des Sohnes Seiner Liebe. Das Königreich des Christus wird hier charakterisiert durch die persönliche Beziehung des Sohnes zum Vater. Christus ist der Sohn des Gottes der Liebe; und damit wir den Charakter dieses Königreiches begreifen sollten, wird es das „Reich des Sohnes Seiner Liebe“ genannt. Später, wenn Christus kommt, um Seine Regierung hienieden anzutreten, wird dieses Königreich offenbart werden in Macht und Herrlichkeit.
Nachdem der Apostel den Sohn in Seiner Beziehung zum Vater vorgestellt hat, gelangt er von selber zur Darstellung der Herrlichkeit des Sohnes. Und das ist, wie wir bereits bemerkten, der Hauptzweck dieses Briefes. Sobald das Herz von Ihm und Seiner Herrlichkeit angezogen wird, verliert alles andere seinen Wert. Die Philosophie mag für den Verstand anziehend sein, die gesetzlichen Überlieferungen mögen für das Fleisch schmeichelnd sein; sobald die Herrlichkeit des Christus geschaut wird, verlieren sie ihren Wert. Und so ist es mit allen Dingen. Unser Blick wird sich auf den schönsten aller Gegenstände richten. Ist Christus für uns der Schönste unter allem geworden, dann wird unser Blick nur noch auf Ihn gerichtet sein. Das kostet keine Anstrengung; o nein! das Herz ergötzt sich an Seiner Schönheit. Und in welcher Beziehung stehen Philosophie und Überlieferungen zur Herrlichkeit des Christus? Beides sind Grundsätze (Elemente) der Welt. Die Welt, die Philosophie, die Überlieferungen alles fällt beim Betrachten der Herrlichkeit der Person des Herrn dahin. Kennen und betrachten wir Ihn, dann ist die natürliche und notwendige Folge, dass wir alles andere preisgeben, ja, es für Schaden und Dreck achten wegen der Vortrefflichkeit Seiner Erkenntnis. Paulus stellt darum den Kolossern, deren Herzen von menschlichen Lehren eingenommen waren, die Herrlichkeit des Christus vor Augen. Nicht mit strengen Verweisen begegnet er ihnen, nein, er stellt ihnen einfach Christus vor Augen, denn er weiß sehr gut, dass sie alles andere als unbedeutend fahren ließen, wenn sie von Seiner Herrlichkeit erfüllt wären. Das ist der richtige Weg, um jemand zurechtzubringen. Gib dem Gläubigen etwas Besseres als was er hat, und er wird das, was er festhält, preisgeben. Das Herz wird immer mit etwas beschäftigt sein. Ist es von Christus erfüllt, dann wird es nicht von der Welt der Philosophie oder irgend etwas anderem angezogen. Predigt darum Christus und Seine Herrlichkeit und ihr werdet die kostbarsten Früchte ernten!
Christus ist „das Bild des unsichtbaren Gottes“ (Vers 15). Das ist das vornehmste Merkmal der persönlichen Herrlichkeit des Christus und der Inbegriff aller anderen Wesenheiten. In Hebräer 1 wird festgehalten, dass Er „der Abglanz Seiner (d. h. Gottes) Herrlichkeit und der Abdruck Seines Wesens“ ist. Adam war geschaffen nach dem Bild Gottes. Christus ist das Bild Gottes. In Seiner Person, in Seiner Wesensart erkennen wir Gott, weil Er das ausdrückliche Abbild Gottes ist. Und Er ist dies als Sohn. Im Evangelium Johannes, Kapitel 1, wird Christus dargestellt als das Wort, das alle Dinge geschaffen hat; hier und im Brief an die Hebräer ist der Sohn, der „das Bild des unsichtbaren Gottes“ ist. der Schöpfer Himmels und der Erde. In Lukas 1,35 wird Christus Sohn Gottes genannt, als der, welcher durch die Kraft des Heiligen Geistes gezeugt und in diese Welt geboren wurde. Der Unterschied ist von großer Bedeutung. Wenn auch wahrer Mensch, ist Er doch der Sohn Gottes, weil Er durch göttliche Kraft gezeugt wurde. Aber Er ist auch der Sohn Gottes, der vor Grundlegung der Welt war, denn durch Ihn sind die Welten geschaffen. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“. „Im Anfang“, das will heißen, bevor etwas von dem Bestehenden existierte, war Er bei Gott; die zweite Person der Gottheit. Seiner Natur nach ist Er Gott, aber dennoch als Person vom Vater unterschieden. Er war Gott, und Er war „bei“ Gott. Das Wort ist nun Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Der Sohn, der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, kam als Mensch auf die Erde, damit wir, Ihn anschauend, Gott kennen lernen könnten. Wer den Sohn sieht, sieht den Vater. Er ist die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Und das hätte Er nicht sein können, wäre Er nicht selber Gott gewesen; denn niemand kann Gott offenbaren, als nur Gott selbst.
Er ist „der Erstgeborene aller Schöpfung“ (Vers 15). Über diese Worte wird viel geschrieben und gestritten und doch sind sie, dünkt uns, ganz deutlich zu verstehen, wenn man sie in Verbindung mit dem Nachfolgenden betrachtet. Aus dem Zusammenhang ergibt sich klar, dass, wenn Christus „der Erstgeborene aller Schöpfung“ genannt wird, nicht von Zeit die Rede sein kann, sondern von Rang. „Erstgeborener“ ist ein Titel und Ihm gegeben, weil durch Ihn alle Dinge geschaffen sind, die Dinge des Himmels und der Erde. Er ist also nicht der Erstgeborene, weil Er zuerst geboren wäre, sondern weil Er der Schöpfer aller Dinge ist. (vgl. Sprüche 8,22–29). Als Schöpfer inmitten der Schöpfung ist Er notwendigerweise das Haupt der Schöpfung. Als Erstgeborener alles Geschaffenen ist Er der Erste der ganzen Schöpfung, wie schon der Psalmist sagt. „So will auch Ich Ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten der Könige der Erde“ (Ps 89,27). Überdies erkennen wir auch aus Vers 18 die Bedeutung des Wortes „Erstgeborener“. Dort wird Christus als „der Erstgeborene aus den Toten“ bezeichnet, „damit“, so wird beigefügt, „Er in allem den Vorrang habe“. Wohl ist es wahr, dass Christus Seine Rechte noch nicht geltend gemacht hat, obwohl Er auch die Erlösung am Kreuz vollbracht hat. Er besitzt aber diese Rechte, und der Glaube anerkennt sie. Als Schöpfer hat Er alle Rechte über die ganze Schöpfung. „Denn durch Ihn ist alles erschaffen worden, das in den Himmeln und das auf der Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Mächte: alles ist durch Ihn und für Ihn geschaffen“ (Vers 16). Er ist der Schöpfer Himmels und der Erde; nicht nur dessen, was sichtbar, sondern auch dessen, was unsichtbar ist, sowohl von dem, was auf der Erde, als auch von dem, was im Himmel ist, sowohl der Engel, als auch der Menschen – mit einem Wort: Er erschuf alles. Aber nicht nur ist alles durch Ihn erschaffen; alles ist auch für Ihn erschaffen, d. h. zu Seiner Ehre und Verherrlichung. Er, der alles geschaffen hat, wird auch, alles unter Seine Herrschaft bringen.
Aber noch mehr: „Er ist vor allem, und alles besteht zusammen durch Ihn“ (Vers 17). Er ist nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter von allem. Welch wunderbare Wahrheit! Er, der uns erkauft hat, der Mensch geworden ist, um das Lösegeld zu bezahlen, ist der Schöpfer und Erhalter der ganzen Schöpfung. Teurer Herr Jesus! Voll Bewunderung und Anbetung beugen wir uns vor Dir! Du, der so hoch Erhabene, Du hast Dich so tief erniedrigt, um uns zu erlösen! Dein Name sei dafür gepriesen in Ewigkeit!
Im folgenden Vers finden wir noch größere Gnade. Das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung, der Schöpfer und Erhalter des ganzen Weltalls, ist das „Haupt des Leibes“ der Gemeinde, der Versammlung. Auf die engste und innigste Weise ist Er mit uns, den Gläubigen, und wir mit Ihm verbunden. Er ist das Haupt des Leibes, wir sind Seine Glieder. So eng wie die Glieder unseres Leibes mit unserem Haupt verbunden sind, so eng sind wir mit Christus, dem Haupt des einen Leibes, verbunden. Welche Herrlichkeit! Fürwahr, wenn unsere Herzen dies recht verstehen lernen, dann werden wir von Lob, Dank und Anbetung überfließen! Erst wurde uns die Herrlichkeit der Person des Christus vorgestellt und nun wird uns mitgeteilt, dass wir mit dieser Person auf das Innigste verbunden sind.
„Und Er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, damit Er in allen Dingen den Vorrang habe“ (Vers 18). Eine weitere Herrlichkeit des Christus! Gleichwie Er der Erstgeborene alles Geschaffenen ist, so ist Er auch der Erstgeborene aus den Toten. Er ist als Schöpfer das Haupt der ersten Schöpfung und durch die Kraft der Auferstehung das Haupt der neuen Schöpfung, so dass Er in allem den Vorrang hat. Wir sehen hier die Offenbarung der göttlichen Macht nicht in der Schöpfung, sondern in dem Bereich des Todes, damit durch die Erlösung und durch die Macht des Lebens viele Menschen an der Herrlichkeit des Christus teilhätten. Die erste Herrlichkeit, mit der wir uns beschäftigen, ist ihm sozusagen, Eigen. Diese dagegen hat Er empfangen wiewohl kraft der Herrlichkeit Seiner Person durch persönliche Überwindung des Todes und der Macht des Feindes; und durch diesen Sieg hat Er uns mit sich vereinigen können. Es ist wichtig, dies recht zu verstehen. Christus ist nicht das Haupt des Leibes durch Seine Menschwerdung, sondern durch Seine Auferstehung. Viele verwechseln unsere Einheit mit Christus mit Seiner Menschwerdung und meinen, dass der Herr sich durch Seine Menschwerdung mit uns vereinigt habe. Das ist keineswegs der Fall. Christus ist Mensch geworden, um für den Menschen zu leiden und zu sterben, also um in Seinem Leib das Werk der Versöhnung und Erlösung vollbringen zu können. Gott hatte Ihm einen Leib bereitet, damit Er das Opfer für die Sünden würde. Dieses Werk musste erst vollbracht sein, bevor wir mit Ihm vereinigt werden konnten. Jesus selbst sagt das ausdrücklich: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ Wäre Jesus nicht gestorben, so wäre niemand mit Ihm vereinigt worden. Er wäre ohne Frucht, also allein geblieben. Nun Er aber gestorben und begraben ist, bringt Er viel Frucht, denn in der Auferstehung sind alle, die an Ihn glauben, mit Ihm auferweckt. Vor Seinem Tod und Seiner Auferstehung war keine Vereinigung mit Ihm möglich. Die alte Schöpfung musste zuerst zunichte gemacht werden, sollte eine neue Schöpfung beginnen können. Am Kreuz machte Gott in Christus dem alten Menschen ein Ende; in der Auferstehung sehen wir den Beginn der neuen Schöpfung. Die Versammlung (Gemeinde) ist deshalb der Leib des auferweckten und verherrlichten Christus. Vor dem Tod und der Auferstehung des Christus waren wohl Gläubige auf Erden, aber sie waren nicht Glieder Seines Leibes. Erst nach der Auferstehung und Verherrlichung des Christus wurden die Gläubigen durch den Heiligen Geist, den der verherrlichte Herr vom Himmel herab sandte, zu einem Leib getauft.
„Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen“ (Vers 19). Diesen merkwürdigen Ausdruck gebraucht der Apostel im Hinblick auf einige Irrlehrer, die Christus eine geringere Herrlichkeit als dem Vater zuschrieben, ja Ihn gar für einen Gott zweiten Ranges hielten. (Diese Irrlehrer, Gnostiker genannt, auferlegten sich allerlei Entbehrungen und Kasteiungen, aßen kein Fleisch, heirateten nicht und führten die Anbetung der Engel ein.) Gerade das Gegenteil ihrer Meinung ist Wahrheit. Anstatt eine geringere Person zu sein, wohnte die Fülle der Gottheit in Ihm. Wir kennen Gott, den Vater, aber offenbart durch Christus; wir besitzen den Heiligen Geist, doch die Fülle ist in Christus. Gott selber ist, ohne jeden Vorbehalt, in all Seiner Fülle offenbart in der Person des Christus, und dieser Christus gehört uns, Er ist unser Heiland, unser Herr. Er ist uns und für uns offenbart worden. Welch herrliche Wahrheit! Gott sei Dank! Was sind doch philosophische Gedankengänge und Träumereien gegenüber der überströmenden Fülle Gottes, deren wir uns in unserem großen und herrlichen Erlöser freuen dürfen!
Doch Christus war nicht nur das Haupt der Schöpfung kraft der göttlichen Herrlichkeit Seiner Person und das Haupt der Gemeinde als der Erstgeborene aus den Toten, sondern Ihm lag vor allem das große Werk der Erlösung ob. „Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen und durch Ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – nachdem Er Frieden gemacht hat durch das Blut Seines Kreuzes – durch Ihn es sei das, was auf der Erde oder das was in den Himmeln ist. Und euch, die ihr einst entfremdet und der Gesinnung nach Feinde wart in den bösen Werken, hat Er aber nun versöhnt in dem Leib Seines Fleisches durch den Tod“ (Verse 19–22). Zwei Erlösungen werden uns hier gelehrt: die Versöhnung aller Dinge und die Versöhnung derer, die glauben.
Die ganze Schöpfung ist durch den Sündenfall verdorben. Durch die Sünde des Menschen ist sie der Eitelkeit unterworfen. Die Erde ist eine Stätte des Elends, der Sünde und des Todes; um der Sünde willen ist sie verflucht und bringt Dornen und Disteln hervor. Alles ist verunreinigt, alles besudelt und verdorben; und mehr noch, alles steht in Rebellion wider Gott. Darum musste nicht allein der Mensch, sondern die ganze Schöpfung versöhnt werden. Paulus lehrt uns hier, dass es das Wohlgefallen Gottes war, alle Dinge durch Christus mit sich selbst zu versöhnen. Dazu hat Er durch Ihn, durch das Blut Seines Kreuzes, Frieden gemacht. Das am Kreuz durch Christus vollbrachte Werk ist die Grundlage von allem. Zwar hat die Befreiung der Schöpfung vom Fluch der Sünde noch nicht stattgefunden, aber die Grundlage, das Werk, durch dessen Vollgültigkeit auch alle Dinge versöhnt werden, ist vollbracht.
Das Blut ist vergossen; der Friede ist gemacht; allen Menschen dürfen wir nun zurufen: „Kommt, alles ist bereit!“ Wenn Jesus mit den Seinen in Herrlichkeit, d. h. zur Aufrichtung Seines messianischen Königreiches kommt, wird Er auf Grund Seines Werkes jeden Flecken und jede Spur von Unreinigkeit von der Schöpfung wegnehmen. Dann werden keine Dornen und Disteln mehr wachsen, die Erde wird ihren Ertrag geben, und Gerechtigkeit wird auf ihr wohnen. Satan und seine Engel werden aus dem Himmel geworfen sein (Vgl. Off 12).
In Vers 21 redet der Apostel über die Versöhnung derer, die glauben. Es fällt auf, dass in Bezug auf die „Dinge“ von der Notwendigkeit der Versöhnung gesprochen wird, doch in Bezug auf uns wird auf den Zustand hingewiesen, in dem wir uns befinden. Wir waren einst „entfremdet und der Gesinnung nach Feinde in den bösen Werken“. Die feindliche Gesinnung unserer Herzen gegen Gott offenbarte sich in unseren schlechten Werken. Doch, welches auch unser Zustand gewesen sein mag, Gott hat uns versöhnt. Auch diese Verschiedenheit ist merkwürdig. Die Wegnahme des Fluches muss noch geschehen. Wohl ist die Sühnung, das Werk hierfür vollbracht, aber noch haben die Dinge nicht teil daran; alles ist noch unter dem Fluch. Die Gläubigen dagegen sind versöhnt. Für sie ist es keine zukünftige, sondern eine zurückliegende Angelegenheit. Sie haben teil an dem vollbrachten Werk des Kreuzes. Und kraft dieses Werkes kann Er sie „heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinstellen“. Das Blut des Christus reinigt von allen Sünden. Durch Sein Werk sind wir gereinigt und geheiligt und in einen ganz neuen Zustand versetzt, so dass Gott in Seiner Heiligkeit keinen Flecken an uns wird sehen können, wenn wir in einem unsterblichen und unverderblichen Leib vor Ihn hingestellt werden.
Beachten wir, wie deutlich hier gelehrt wird, dass die Versöhnung sowohl der Dinge als auch der Menschen, die da glauben, die Folge des Todes des Christus ist. Er hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes, und darum werden die Dinge versöhnt. Er hat uns versöhnt in dem Leib Seines Fleisches, durch den Tod. Nichts Geringeres als das war notwendig. Weder die Vollkommenheit des Christus als Mensch, noch Seine Hingabe an den Willen des Vaters, noch Sein heiliger, Gott verherrlichender Wandel, wie wunderbar das alles auch ist, konnten die Versöhnung zustande bringen; Er musste sich in den Tod geben; Er musste Sein Blut vergießen; Er musste sich an unsern Platz und damit unter das Urteil Gottes stellen. Er musste die uns gebührende Strafe erdulden. Und das ist der Tod. Ohne Blutvergießung – ohne Sterben – gibt es keine Vergebung. Christus musste „um unserer Übertretungen willen verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen“ werden; „die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm, und durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jes 53).
„Wenn ihr nur in dem Glauben gegründet und fest bleibt“, fügt Paulus bei, „und euch nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums, welches ihr gehört habt“ (Vers 23). Der Zustand der Kolosser gab Anlass zu einer ernsten Warnung, darum gebraucht der Apostel die Worte „wenn ihr nur bleibt“. Sie hatten das Bewusstsein ihrer Einheit mit Christus, dem Haupt der Gemeinde, aus dem Auge verloren. Durch Philosophie und gesetzliche Gesinnung liefen sie Gefahr, von der offenbarten Wahrheit abzuweichen und die Hoffnung des Evangeliums, den verherrlichten Christus zur Rechten Gottes, der für sie gestorben ist und das Werk der Erlösung vollbracht hat, zu vergessen. Hielten sie nicht fest an diesem Glauben und ließen sie sich von der Hoffnung des Evangeliums abwendig machen, dann würden sie auch nicht heilig und tadellos und unsträflich, vor ihren Herrn hingestellt werden.
Der Heilige Geist hat uns im vorhergehenden Abschnitt unseres Kapitels die zwei verschiedenen Herrlichkeiten und die zwei verschiedenen Versöhnungen dargestellt. Christus ist das Haupt der Schöpfung und das Haupt der Versammlung. In Übereinstimmung damit gibt es eine Versöhnung der Dinge, über welche Christus als Haupt gesetzt ist; und eine Versöhnung der Menschen. Der Dienst des Apostels hat nun ebenfalls zweifachen Charakter. Er ist ein Diener des Evangeliums, „das gepredigt worden ist in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist“ (Vers 23). Die Gnade hat die engen Grenzen des Judentums überschritten, um das Zeugnis von Gottes vollkommener Liebe der „ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist“, d. h. allen Menschen bekannt zu machen; und als Apostel der Heiden war Paulus das Werkzeug dazu. Außerdem war er auch, nach der Verwaltung Gottes, die ihm gegeben war, ein Diener der Versammlung, damit er die wahre Stellung und die herrlichen Vorrechte der Gemeinde offenbare. Durch diese zweite Aufgabe seines Dienstes erfüllte, d. h. vollendete (vervollständigte) der Apostel das Wort Gottes (Vers 25). Das Gesetz, das Königreich, die Person des Christus, das Leben in Ihm, die Wege Gottes, alles dieses war bereits mitgeteilt und offenbart; die Lehre bezüglich der einen Gemeinde war noch ausstehend. Dem Apostel Paulus wurde diese Wahrheit offenbart. Ihm wurde durch den Herrn mitgeteilt, wie die Gläubigen nun ein Organismus seien mit dem verherrlichten Christus im Himmel. Schon auf dem Weg nach Damaskus hörte er in den Worten: „Saul, Saul, warum verfolgst du Mich!“ wie das verherrlichte Haupt – Jesus – sich mit Seinen leidenden Gliedern auf Erden eins erklärte. Durch Offenbarung war ihm also diese herrliche Wahrheit mitgeteilt, damit – durch diese letzte Kundmachung – wurde das Wort Gottes vollendet, Die Reihe der Offenbarungen, die Gott mitteilen wollte, um die Herrlichkeit des Christus vorzustellen und eine vollkommene Übersicht in Bezug auf Seine Ratschlüsse und Gedanken zu geben, wurde mit der Offenbarung der Lehre bezüglich der Versammlung Gottes abgeschlossen. Es ist nicht die Rede von der Zeit, wann die verschiedenen Bücher des Neuen Testaments geschrieben wurden, sondern von den Gegenständen, die darin behandelt werden. Nachdem nun die Lehre betreffs der Versammlung und allem, was mit ihr in Verbindung steht, offenbart ist, sind uns alle Ratschlüsse und Gedanken Gottes mitgeteilt, so dass das Wort Gottes vollständig ist und nichts mehr hinzugefügt werden kann.
Die Verkündigung der Lehre hinsichtlich der Ekklesia, Versammlung, brachte dem Apostel allerlei Verfolgungen und Leiden, die ihm in besonderer Weise die Juden zufügten. Doch fern davon, hierdurch niedergeschlagen zu sein, schreibt der Apostel: „Ich freue mich in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch, was noch rückständig ist von den Drangsalen des Christus für Seinen Leib, das ist die Versammlung“ (Vers 24). Christus hatte gelitten aus Liebe für die Gemeinde. Bei Paulus ist aber natürlich keine Rede vom stellvertretenden, sühnenden Leiden, denn hierin kann niemand Christus nachfolgen, sondern er spricht von der Liebe, die den Herrn trieb, um unsertwillen Leiden auf sich zu nehmen. Von diesem Gesichtspunkt aus das Leiden des Christus betrachtend, kann der Apostel, und können wir, wenn auch nur in geringern Maße, an den Leiden für Seinen Leib – die Gemeinde – teilhaben. Wenn Jesus die Stelle des Messias nach den Gedanken der Menschen hätte einnehmen wollen, dann wäre Er von den „Seinigen“ gut empfangen worden; aber da Er aus Liebe zur Versammlung sich selber hingab, waren Schmach und Leiden Sein Teil. Hätte Paulus die Beschneidung gepredigt, dann wäre das Ärgernis des Kreuzes beseitigt gewesen und der Mensch im Fleisch hätte an solchem Gottesdienst Wohlgefallen gehabt. Dass nun aber Gott Seine Gnade auch auf die Heiden erstreckt, und nach Seinem Ratschluss die Gemeinde, den Leib des Christus, bildet, worin weder Jude noch Heide gilt, das kann der Jude nicht ertragen. Es ist ihm unerträglich, völlig zur Seite gestellt zu werden und mitsamt seinem Gottesdienst, dessen der religiöse Mensch sich so sehr rühmt, verworfen zu werden. Gerade dies hatte die Predigt des Apostels Paulus zum Gegenstand; daher die Feindschaft der Juden, wie wir sie während der ganzen Wirksamkeit des Apostels Paulus immer wieder sehen müssen. Da nun Paulus sich durch nichts – weder durch Verfolgung, noch durch Leiden, noch durch Gefängnis oder Geißelung – zurückhalten ließ, der Gemeinde das Wort der Wahrheit zu predigen, konnte er mit Recht sagen, dass er in seinem Fleisch ergänze, was noch mangelte an den Leiden des Christus für die Versammlung. Gleichwie Christus aus Liebe zu Seiner Versammlung gelitten hat, so litt auch Paulus aus Liebe zu ihr. Die Liebe zur Gemeinde drängte den Apostel die ihm offenbarten, herrlichen Wahrheiten überall mitzuteilen; und die Folgen davon waren Leiden und Verfolgungen; somit litt er, in diesem Sinn, gleichwie Christus für die Gemeinde.
Paulus war also ein Diener der Versammlung nach der Verwaltung Gottes, die ihm gegeben war „um das Wort Gottes zu vollenden, das Geheimnis, welches von den Zeitaltern und von den Generationen her verborgen war, jetzt aber Seinen Heiligen offenbart worden ist, denen Gott kundtun wollte, welches der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses sei unter den Nationen, welches ist Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Verse 25 u. 27). Die Lehre bezüglich der einen Gemeinde war im Alten Testament unbekannt. Das wird uns hier ausdrücklich gesagt, und hieraus geht hervor, dass die allgemeine Meinung, als ob die Versammlung von Anfang an bestanden habe und im Neuen Testament lediglich eine Fortsetzung erfahre, ganz im Widerspruch steht zum Worte Gottes. Die Ekklesia, die Gemeinde, der eine Leib, war von allen Zeitaltern und Generationen her verborgen in Gott, wie Paulus im Brief an die Epheser sagt. Nicht nur bestand die Versammlung damals nicht, sondern sie wird auch mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ihre Stellung, ihre Herrlichkeit und ihre himmlischen Segnungen werden nicht genannt. Doch können wir, die wir mit dem Evangelium des Paulus bekannt sind, die Versammlung und ihre Verbindung mit Christus in verschiedenen Vorbildern des Alten Testaments dargestellt finden, doch vergesse man nicht, dass den betreffenden Personen, in welchen wir diese „Schatten der zukünftigen Dinge“ sehen, die Sache selbst ganz unbekannt war. Die Gemeinde, der Leib des auferstandenen und verherrlichten Christus war Menschen und Engeln, Israel und den Propheten gänzlich unbekannt; sie war verborgen in Gott, der sie nun Seinen Heiligen offenbart hat.
Der Apostel betrachtet diesen Gegenstand von einem besonderen Gesichtspunkt aus. Im Brief an die Epheser stellt er den einen Teil des Geheimnisses dar, hier den andern. Die Heiligen sind eins mit dem erhöhten Herrn im Himmel; die Gemeinde ist der Leib des verherrlichten Jesus das ist der Hauptgegenstand im Brief an die Epheser. Hier aber ist es „Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit“. Der verherrlichte Christus wohnt auf eine unsichtbare Weise in den Heiligen auf Erden. Aber obwohl Christus, der schon verherrlicht ist, in den Heiligen wohnt, so besitzen diese die Herrlichkeit noch nicht, sie warten und harren noch derselben. Christus ist ihre „Hoffnung der Herrlichkeit“. In dem seligen Bewusstsein ihrer Einheit mit Christus und der Herrlichkeit, die ihrer wartet, sind ihre Herzen mit Freude erfüllt. Wunderbare Offenbarung der Gnade Gottes! Die Versammlung ist eins mit Christus im Himmel; sie ist Sein Leib, Fleisch von Seinem Fleisch und Bein von Seinen Gebeinen; sie ist „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“. Sie ist nicht nur mit Christus auferweckt, sondern bereits mit Ihm im Himmel. Doch zugleich wohnt der verherrlichte Christus in den Heiligen auf Erden und ist in ihnen die Hoffnung der Herrlichkeit. Welch ein wunderbares Geheimnis!
Paulus war der Prediger dieses Geheimnisses. Ihm zuerst hatte Gott die herrliche Stellung und die wunderbaren Segnungen der Versammlung bekannt gemacht; alle seine Briefe sind voll von dieser kostbaren Wahrheit. Wie wichtig und notwendig auch alle andern Wahrheiten sind, so ist doch diese der Höhepunkt der göttlichen Offenbarung. Das Herz des Paulus war stets davon erfüllt; er war immer damit beschäftigt, die Gläubigen darauf hinzuweisen und sie darin zu befestigen; und er war voll Traurigkeit, sobald er bemerkte, dass man davon abwich. Er schreibt von Christus: „Den wir verkündigen, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit damit wir jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen“ (Vers 28). Der Apostel war nicht damit zufrieden, dass die Gläubigen an Christus glaubten und das Bewusstsein der Vergebung ihrer Sünden hatten; er wollte, dass sie in Christus vollkommen wären, was hier sagen will, dass sie in das innige Verhältnis mit Christus als Glieder Seines Leibes geistlicherweise eintreten sollten.
„Wozu ich mich auch bemühe, indem ich kämpfend ringe gemäß Seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft“ (Vers 29). Es war ein schwerer Kampf, den der Apostel zu kämpfen hatte. Er musste jüdische Vorurteile, gesetzliche Gesinnung und heidnische Philosophie überwinden und zudem gegen die Geneigtheit des menschlichen Herzens, sich mit den Dingen dieser Erde zu beschäftigen, ankämpfen. Doch die Kraft Gottes wirkte in ihm mit Macht und darum ließ er sich durch nichts zurückhalten. Vom Beginn seiner Laufbahn bis ans Ende blieb er in der gleichen Frische, voll Feuer und Kraft. Christus in der Herrlichkeit und die Gläubigen ein Leib mit Ihm, – das war der Hauptgegenstand seiner Predigt; es war stets das heiße Verlangen seines Herzens, die Christen in diese herrlichen Wahrheiten einzuführen und ihnen Christus groß zu machen.
Fußnoten
- 1 Siehe die Betrachtung über den Brief an die Philipper.