Betrachtung über den Propheten Joel (Synopsis)
Kapitel 4
In diesem Kapitel gibt der Geist eine noch mehr ins einzelne gehende Beschreibung dessen, was sich in den letzten Tagen ereignen soll – in jenen Tagen, da Gott die Gefangenen Judas und Jerusalems zurückführen will. Dieser Zeitabschnitt geht der Friedens- und Segenszeit voraus, in welcher der Fluch gänzlich weggenommen werden wird. Es handelt sich hier um das Gericht über die Nationen, welches Gericht einesteils notwendig ist, um die Rechtsansprüche, welche Gott hinsichtlich seines unterdrückten Volkes macht, zu behaupten, und anderenteils um vor den Augen der Nationen an den Tag zu legen, was Er in seinen Regierungswegen bezüglich der Erde ist. Hier stehen die zehn Stämme nicht in Frage, auch nicht die allgemeine Wiederherstellung Israels. Ehe die volle Segnung seines Volkes eintritt, muss Gott seine unmittelbare Regierung desselben wieder aufnehmen, und zwar an demselben Orte, wo Er sie aufgegeben hatte, indem Er den Sitz jener Regierung, den Er einst selbst erwählt hatte, aufs neue einnimmt. Dort wird Er in seiner Macht rechten mit allen Nationen, welche seine Rechte in Frage stellen, indem Er sich inmitten seines Volkes offenbart, als unter ihm wohnend handelt und die Rechtsansprüche desselben als Ihm selbst zukommend aufrechterhält. Israel ist sein Erbteil. Das Wort „Josaphat“ bedeutet „das Gericht oder das Zepter des HERRN“. Dort, im Tal Josaphat, wird Er im Gericht den Nationen gegenüber die Sache seines Volkes führen, welches sie zerstreut, sowie die Sache seines Landes, welches sie unter sich geteilt hatten.
Alle Kränkungen, die seinem Volk widerfahren sind, zählt Er auf als Ihm selbst angetan. Vermittels des Volkes sollen den Nationen die nämlichen Leiden, welche sie jenem zugefügt haben, im Gericht wiedervergolten werden.
Die Nationen werden aufgefordert, sich zum Kriege zu rüsten, sie sollen sich alle versammeln; sie sollen sich aufmachen, ihre friedlichen Beschäftigungen verlassen und zu dem Tal Josaphat kommen. Dort wird der HERR sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten. Und wenn die Nationen alle ihre Helden für den Tag Gottes erwecken sollen, so will auch Gott Seinerseits seine Helden hinabkommen lassen (V. 11).
Mag aber der Stolz der Kriegsmänner noch so groß sein, es ist doch das Gericht Gottes, um welches es sich handelt – die Sichel Gottes, welche die Erde aberntet. Seine Kelter wird voll sein, und seine Kufen werden überfließen; denn die Bosheit war groß. In der Offenbarung wird zwischen der Ernte und der Weinlese ein Unterschied gemacht; erstere ist das Gericht, welches die Guten von den Bösen scheidet und umgekehrt, letztere die Ausführung der Rache. Hier scheint es mir, als wenn beide Bilder zusammengenommen den allgemeinen Gedanken der Ausführung des Gerichts darstellen, wiewohl dasjenige der Kelter das kräftigere ist. Welche Mengen werden wohl an jenem Tag erfahren, was für Folgen ihre Verachtung des Wortes der Gnade sowie ihr Hochmut der sie zur Empörung gegen den HERRN der Heerscharen verleitete, nach sich gezogen haben! Jede Form menschlicher Regierung sowie aller Glanz und alle Macht derselben sollen vor dem Gericht Gottes verschwinden.
Der HERR wird aber dann selbst die Zügel der Regierung auf Erden wieder ergreifen und seine Stimme aus Jerusalem hören lassen. Bei seinem Einschreiten werden Himmel und Erde erzittern. Während aber dieses Einschreiten den Empörern das Gericht bringt, wird Er, der einschreitet, der HERR, eine Zuflucht für sein Volk sein – Er selbst eine Feste für die Kinder Israel. Auf diese Weise werden sie erkennen, dass Er der HERR, ihr Gott, ist, der auf Zion, Seinem heiligen Berg, wohnt. Jerusalem wird heilig sein, Fremde werden es nicht mehr durchziehen und als ihre Beute entweihen. Und damit nicht genug: das Land seines Volkes wird eine Überfülle von Segen genießen; Wein wird von seinen Bergen herabfließen und Milch von seinen Hügeln. Die Bäche Judas werden von Wasser fließen, und eine Quelle wird aus dem Haus des HERRN hervorbrechen und das Tal Sittim bewässern (vgl. Hes 47 und Sach 14, 8). Ägypten und Edom werden zur Einöde gemacht werden, aber Juda und Jerusalem werden in ewigem Frieden wohnen; denn der HERR wird sie gereinigt haben. Wie wir sehen, handelt es sich hier um die Ausübung einer mächtigen, unumschränkten Gnade.
Außerdem wird man bemerken, dass diese Weissagung nicht über die Segnung Judas und Jerusalems hinausgeht; dass die Schilderung des an den Nationen vollzogenen Gerichts auf jenes Gericht Bezug hat, welches im Land Judäa, woselbst ihre Heere versammelt sein werden, zur Ausführung kommt und dazu dient, den HERRN in den Besitz seines Thrones auf Erden zu setzen – oder, um es noch genauer auszudrücken, durch Vollziehung dieses Gerichts ergreift der HERR Besitz von seinem Thron und überschüttet dann das Volk, welches seine Gnade gereinigt hat, mit Segen. Auf ein Heer, das schreckliche Verwüstungen anrichtend heranzieht, wird besonders hingewiesen; es ist jenes Heer, das von Norden kommt. Zugleich ist ersichtlich, dass vor der Dazwischenkunft des HERRN die Verödung des Landes so groß ist, dass das Volk zu einem Gegenstand der Schmähung unter den Nationen wird. Wehe aber denjenigen, die das Volk Gottes verachten werden!
Dieses Heer kündigt den Tag des HERRN an; doch will der HERR selbst einschreiten, damit es in Wahrheit sein eigenes Heer genannt werden könne, und indem Er einschreitet, wird Er das Volk befreien, das Er liebt.