Der zweite Brief an die Thessalonicher
Kapitel 2
Nachdem der Apostel die Thessalonicher auf den Boden der Wahrheit gestellt und sie dadurch vom Einfluss des Irrtums befreit hat, geht er dazu über, den Irrtum, der in Thessalonich gelehrt wurde, zu beleuchten und dadurch zu zeigen, welches der Anlass zu seinen Bemerkungen war.
„Und wir bitten euch, Brüder, durch die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unser Versammeltwerden zu Ihm bin, dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in der Gesinnung, noch erschreckt, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als durch uns, als ob der Tag des Herrn da wäre“ (Verse 1 und 2).
Verschiedene Übersetzer übertragen obigen Vers. „Wir bitten euch, Brüder, in Bezug auf die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus ... „ Dadurch aber wird der Gedanke des Apostels nicht sinngemäß wiedergegeben. Ohne Frage wollte hier Paulus nicht lediglich auf die Ankunft des Herrn bezugnehmen. Er will mit dem Wort „durch die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ den Thessalonichern vielmehr sagen: „Es ist unsere Bitte an euch und unser innigster Wunsch, dass ihr, so sicher ihr an die Ankunft des Herrn glaubt, und Ihn aus dem Himmel erwartet, auch feststeht in der Gesinnung und euch nicht beeinflussen lasst durch allerlei falsche Lehren“.
Ferner wird in einigen Bibelausgaben übersetzt: „als ob der Tag des Herrn nahe bevorstände“, statt, wie es heißen muss: „als ob der Tag des Herrn da wäre“. Das griechische Wort, das hier gebraucht wird, und das siebenmal im Neuen Testament vorkommt, bedeutet in keinem einzigen Fall „bevorstehend“, sondern stets „gegenwärtige“. (Siehe Röm 8, 38; 1. Kor 3, 22; 7, 26; Gal 1, 4; 2. Thes 2, 2; 2. Tim 3, 1; Heb 9, 9.) Zweimal steht der Ausdruck sogar im Gegensatz zu „bevorstehend oder zukünftig“ (Röm 8, 38; 1. Kor 3, 22), einmal ist von der gegenwärtigen bösen Welt die Rede (Gal 1, 4) und einmal von der gegenwärtigen Zeit (Heb 9, 9). Aus diesem geht klar hervor, dass die Übersetzung dieses Wortes mit „bevorstehend“ ganz willkürlich ist und nur eine Folge des Nichtverstehens der Absicht des Apostels sein kann. Da man mit „gegenwärtig“ nichts anzufangen wusste, übersetzte man „bevorstehend“.
Der Apostel will also den Thessalonichern gleichsam sagen: „wir bitten euch, Brüder, dass ihr, die ihr an die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und an unser Versammeltwerden zu Ihm hin glaubt, nicht in eurem Gemüt erschüttert oder erschreckt werdet durch die Irrtümer der falschen Lehrer, die, indem sie von allerlei betrüglichen Mitteln Gebrauch machen – eine vorgegebene Offenbarung Gottes, ein unrichtig angewandtes Wort des Herrn oder ein angeblich von Paulus stammender Brief – euch weiszumachen versuchen, dass der Tag des Herrn bereits angebrochen sei. Wir finden hier eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit dem ersten Brief. Paulus beruft sich auf das, was er ihnen in seinem ersten Brief in Bezug auf das Versammeltwerden der Gläubigen zu Christus hin bei der Ankunft des Herrn in der Luft mitgeteilt hatte; und diese den Thessalonichern bekannte Wahrheit gebraucht er hier als Beweisgrund gegen die falschen Lehrer. Die Thessalonicher wussten bereits aus dem ersten Brief des Apostels, dass der Herr nicht kommen kann zum Gericht, bevor Er all die Seinen zu sich genommen hat, so dass vor der Aufnahme oder Entrückung der Heiligen vom Gegenwärtigsein des Tages des Herrn keine Rede sein kann.
„Lasst euch von niemand auf irgend eine Weise verführen“ – fährt Paulus fort – „denn dieser Tag kommt nicht es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und offenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sieh in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (Verse 3 und 4).
Der Teufel ist ein Fuchs. Oberflächlich betrachtet war der Irrtum, dem er bei den Thessalonichern Eingang verschaffen wollte, nicht sehr groß. Doch der Apostel, geleitet durch den Heiligen Geist, sieht die Dinge im wahren, göttlichen Licht und erkennt diese Lehre als eine Verführung Satans. Abgesehen davon, dass die Gläubigen dadurch ihrer Erwartung, von Christus aufgenommen zu werden, beraubt wurden, wurde das, was der Apostel ihnen bezüglich der Entwicklung der Bosheit gesagt hatte, auf die Seite gestellt und dadurch die Welt von selbst in Schlaf gewiegt. Bekanntlich ist dem Teufel nichts angenehmer, als wenn man seine bösen Handlungen gering achtet, verharmlost und seine Existenz herabsetzt oder gar verneint.
Der Tag des Herrn kann nicht kommen, es sei denn, dass zuerst der Abfall gekommen und der Mensch der Sünde offenbar sein wird. Den Thessalonichern war das nichts neues, denn der Apostel Paulus hatte sie in diese Dinge eingeweiht, als er sich in ihrer Mitte aufhielt. „Erinnert ihr euch nicht“, sagt er in Vers 5, „dass ich dies zu euch sagte, als ich noch bei euch war?“ Bevor der Tag des Herrn kommt, müssen zwei Dinge sich erfüllen: Die Christenheit wird ihren Glauben verleugnen (der Abfall), und der Mensch der Sünde (der Antichrist) wird offenbart werden. Welch eine schreckliche Aussicht! Die Welt schwelgt allerdings in ganz anderen Hoffnungen. Sie träumt von Fortschritt; das goldene Zeitalter schwebt ihr vor. Doch Gott sagt, dass alle bloßen Namenchristen (niemals aber wirkliche Kinder Gottes), die so leichtfertig den Namen des Christus tragen, öffentlich vom christlichen Glauben abfallen und das Christentum preisgeben werden; danach wird ein Mann, der Sohn des Verderbens aufstehen, der sie alle in den Pfuhl des Verderbens mitreißen wird.
Ohne Zweifel sind all die Grundsätze, die zum Abfall führen werden, jetzt schon vorhanden, ja sie übten ihren verderblichen Einfluss bereits zur Zeit der Apostel aus. „Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam“, sagt Paulus in Vers 7. Und in dem Maß, wie wir uns der Zeit des Endes nähern, durchdringen diese Grundsätze die Christenheit und treten immer deutlicher ans Licht. Gleichwie zur Zeit von Johannes bereits viele Antichristen in der Welt waren, während der Antichrist noch kommen musste, so waren auch zur Zeit des Paulus schon etliche vom Glauben abgefallen, und die Zahl der Abgefallenen hat sich in unseren Tagen vervielfacht, jedoch ist der Abfall noch, nicht gekommen. Aber dieser Abfall kommt. In 2. Timotheus 3 und 2. Petrus 2 sowie im Judasbrief wird er ausführlich beschrieben. Es handelt sich dabei um das Verwerfen des christlichen Glaubens, ein Preisgeben des Christentums, ein Verlassen der christlichen Sittenlehre, ein sich Übergeben an die völlige Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Wie schrecklich! Die Gesunkenheit des Heidentums ist nicht so furchtbar wie der Abfall vom christlichen Glauben. „Es wäre ihnen besser“, sagt Petrus, „den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt zu haben, als, nachdem sie ihn erkannt haben, umzukehren von dem ihnen überlieferten heiligen Glauben.“
Leider haben es die meisten Gläubigen nicht erkannt, dass in Bälde dieser Abfall kommen wird. Man redet oft in gläubigen Kreisen von einer Wiederherstellung der Kirche und einer Rückkehr der Menschheit zum Glauben. Es zeugt dies von einer großen Unkenntnis der Heiligen Schrift und vor allem des prophetischen Wortes. Dem, der ins Wort Gottes eingeweiht ist, kann es nicht verschlossen bleiben, dass der Unglaube und die Gottlosigkeit fortschreiten werden, bis sie in dem kommenden Abfall ihren Höhepunkt erreicht haben. Gott aber sei Dank, dass wir, die Erlösten, nicht diesen kommenden Abfall erwarten müssen, sondern unsere Hoffnung auf die Ankunft des Herrn vom Himmel richten dürfen und auf unser Versammeltwerden zu Ihm hin! Dadurch reinigen wir uns, gleichwie Er rein ist, indem wir die gewisse Hoffnung haben, Ihn bald zu sehen wie Er ist, und Ihm gleich zu sein. Je mehr unsere Blicke auf den wiederkommenden Herrn gerichtet sind, um so mehr werden wir gelöst von all dem, was unsere Herzen hienieden verunreinigen und uns vom göttlichen Weg abbringen könnte.
Es wird jedoch nicht nur der Abfall kommen, sondern der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens wird offenbart werden, ehe der Tag des Herrn kommt. Dieser Mensch der Sünde wird nach der gänzlichen Verwerfung des Christentums von Seiten der Menschen auftreten. Nachdem die Menschheit den wahren Gott verworfen hat, wird sie dem Sohn des Verderbens unterworfen sein. Er wird die personifizierte Sünde sein, gleichwie er auch der personifizierte Teufel genannt werden kann. In ihm wird die volle Entwicklung des Falles des Menschen sichtbar sein. Und wie der Teufel Adam in die Sünde stürzte, so wird dieser Mensch der Sünde die Menschen ins volle Verderben führen, weshalb er ja „Sohn des Verderbens“ heißt. Vom Teufel angetrieben und beseelt, empört er sich gegen Gott. Er tritt öffentlich in Feindschaft gegen Gott auf und erhebt sich gegen alles, was Gott genannt wird oder ein Gegenstand der Verehrung ist. Vor ihm muss alles aus dem Weg, was ihn nicht anerkennen will. Nicht nur der wahre Gott, sondern jeder Name, der Verehrung verdient, muss vor ihm weichen, so dass er sich in den Tempel Gottes setzen kann und sich selbst darstellt, dass er Gott sei.
Fürwahr, hier hat wohl die Bosheit ihren Höhepunkt erreicht. In Eden begonnen, als Satan den Hochmut des Menschen erregte, und ihm vorschlug, Gott gleich zu werden, wird das Ende der Geschichte des Menschen sein, dass ein Abtrünniger den Platz Gottes beansprucht und sich durch seine Mitmenschen als Gott anbeten lässt. Ist der wahre Gott einmal verworfen, dann beugt sich der Mensch vor einem Menschen, der sich selber Gott nennt, und betet in diesem Gott sich selber an. Das lang verfolgte Ziel hat der Mensch dann erreicht; niemand steht mehr über ihm; er steht über allen und allem; in seinem eiteln Namen ist sein Ruf vollkommen, ohne dass er sich dessen bewusst ist, wie tief und unwiderruflich der darauffolgende Fall sein wird.
Was uns der Apostel hier lehrt, ist mit allen anderen Stellen der Heiligen Schrift in vollkommener Übereinstimmung und wird verschiedentlich noch ergänzt. Johannes sagt, dass der Antichrist den Vater und den Sohn leugnen wird; das ist mit andern Worten die vollständige Verwerfung des christlichen Glaubens. Ferner berichtet er uns, dass er leugnet, dass Jesus der Christus, der verheißene Messias ist. Das ist der typische jüdische Unglaube. Beladen mit der Last der Sünde, die er gegen das Christentum, die Gnade und die Gegenwart des Heiligen Geistes begangen hat, wird der Antichrist sich mit dem jüdischen Unglauben vereinigen, damit nicht nur der menschliche Hochmut zur vollen Entwicklung kommen soll, sondern damit auch für eine Zeit der teuflische Einfluss eines falschen Christus die Erde verderben würde. Dann wird das Wort des Herrn Jesus in Erfüllung gehen: „Ich bin in dem Namen Meines Vaters gekommen, und ihr nehmt Mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“.
Die teuflische Macht des Menschen der Sünde, des Antichristen, wird uns im zweiten Tier von Offenbarung 13 deutlich dargestellt. Dieses Tier mit zwei Hörnern gleich einem Lamm (eine Nachahmung des Lammes Gottes) redet wie der Drache; und der Drache ist die alte Schlange, die Teufel und Satan genannt wird. Durch Wunder und Zeichen bringt dieses Tier die, welche auf der Erde wohnen, zur Unterwerfung unter seine Macht und unter die Macht des anderen Tieres, des wieder erstandenen Römischen Weltreiches, mit dem es sich aufs Engste verbunden hat.
In Daniel 9 ist von dem Fürsten die Rede, der kommen wird, um in der Hälfte der siebenzigsten Jahrwoche (welche erst noch zur Erfüllung kommen muss) das Schlacht– und Speiseopfer aufhören zu lassen, d. h. dem jüdischen Gottesdienst ein Ende zu machen, um dann ein gräuliches Bild, nach Offenbarung 13 ein Bild des Tieres, im Tempel in Jerusalem aufzurichten. Und in Daniel 11, 36–38 lesen wir: „Und der König wird nach, seinem Gutdünken handeln, und er wird sich erheben und groß machen über jeden Gott, und wider den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden; ... Und auf den Gott seiner Väter wird er nicht achten, und weder auf die Sehnsucht der Weiber noch auf irgendeinen Gott wird er achten, sondern er wird sich über alles erheben. Und an dessen Statt wird er den Gott der Festungen ehren: den Gott, den seine Väter nicht gekannt haben, wird er ehren mit Gold und Silber.“
Von dieser Zeit sagt der Herr Jesus: „Wenn ihr aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht – wovon gesprochen wird durch den Propheten Daniel – an dem heiligen Ort (wo er nicht hingehört, nämlich im Tempel, wo kein Götzenbild stehen durfte), dass alsdann die in Judäa sind auf die Berge fliehen (Mk 13, 14; Mt 24, 15).
Nehmen wir alle diese Einzelheiten zusammen, so ergibt sich, dass der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der Antichrist, den christlichen Glauben verwirft, sich mit den ungläubigen Juden verbindet, den wahren Messias verleugnet, um dann sich selber als den Christus hinzustellen, und, geleitet und beseelt von Satan, die Welt unter seinen teuflischen Einfluss zu bringen. Die Zeit seiner Regierung nennt der Herr: „die große Drangsal, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird“ (Mt 24, 21).
Aus dem allem folgt, dass die Juden nach ihrem Land zurückkehren und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen werden. Der Mensch der Sünde kann sich nicht in den Tempel Gottes als Gott niedersetzen, solange dieser nicht wieder aufgebaut ist. Und dass mit diesem Tempel Gottes weder die Gemeinde des Christus, noch der Vatikan in Rom, noch irgend ein anderes Kirchengebäude gemeint sein kann, ergibt sich aus den Worten des Herrn, wenn Er im Hinblick auf die Abgötterei an heiliger Stätte sagt. „dass alsdann, die in Judäa sind, auf die Berge fliehen“. Die Weissagungen des Alten Testamentes reden deutlich von dieser Rückkehr der Juden nach ihrem Land und vom Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels (Jer 30 und 31; Sach 12; 13; 14), und in der Offenbarung werden uns die Szenen beschrieben, die in den letzten Tagen im Tempel in Jerusalem stattfinden werden.
Wir müssen noch bemerken, dass der Mensch der Sünde, der Antichrist, in unserem Brief in seinem religiösen, oder lasst mich lieber sagen, in seinem antireligiösen Charakter dargestellt wird. Von einer weltlichen Macht redet der Apostel nicht. Aber wir wissen aus andern Stellen, dass der Antichrist als König einen großen politischen Einfluss ausüben wird. In Daniel 9 und 11 wird er „der Fürst“, „der König“ genannt, und aus der Offenbarung wissen wir, dass er mit dem Haupt des Römischen Reiches einen Bund schließen und durch jenes, das ganz von ihm inspiriert sein wird, die ganze Erde regieren wird (Off 13). Alle seine Macht wird jedoch von ihm dazu gebraucht, um sich gegen Gott aufzulehnen und die Menschen dem Verderben zuzuführen. Und darum spricht der Apostel hier nur über den Geist, durch den er geleitet wird, und über den geistlichen Charakter, den er zeigt.
Die Offenbarung des Menschen der Sünde wird jedoch bis zu einem gewissen Zeitpunkt durch etwas gehemmt. Obschon das Geheimnis der Gesetzlosigkeit bereits wirksam ist, so gibt es immerhin jetzt noch ein Hindernis, das der Offenbarung dieses Geheimnisses, der vollen Entwicklung des Bösen im Weg steht. „Und jetzt wisst ihr, was zurückhält, dass er (der Sohn des Verderbens) zu seiner Zeit offenbart werde. Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur ist der, welcher zurückhält, bis er aus dem Weg ist“ (Verse 6 und 7). Über diesen Vers gibt es eine Menge Auslegungen. Viele Ausleger des Wortes Gottes sind sich darüber nicht im klaren, vor allem, weil zuerst von einer Sache oder Macht und nachher von einer Person die Rede ist. Der Apostel redet von etwas, das zurückhält und von dem, der zurückhält; aber immerhin auf solch eine Weise, dass es deutlich zutage tritt, dass die Macht und die Person, welche das offenbar werden des Menschen der Sünde aufhalten, miteinander in engster Verbindung stehen. Wie es uns scheint, ist die Erklärung weder schwierig noch unsicher. Wenn man nur bedenkt, worum es hier geht. Das Offenbarwerden des Menschen der Sünde wird aufgehalten; es gibt eine Macht, die ihr im Weg steht und ihr Erscheinen also verhindert. Diese Macht muss natürlicherweise über der Macht des Menschen und des Teufels stehen und einen scharfen Gegensatz bilden zum Menschen der Sünde. Der Mensch der Sünde ist das Haupt des Bösen oder besser die Personifizierung, deshalb muss das, was die Offenbarung dieses Bösen hemmt, notwendigerweise die Macht des Guten sein, und diese Macht ist zugleich eine Person. Nun, wo finden wir eine Macht und eine Person, welche die Ausführung der Pläne Satans aufhält? Ohne Bedenken antworten wir: Diese Macht und diese Person ist der Heilige Geist. Er ist zweifellos sowohl eine Macht als auch eine Person, und was kann es anderes sein als seine Gegenwart auf der Erde, wodurch das Offenbarwerden des Menschen der Sünde aufgehalten wird?
Nun wohnt der Heilige Geist in des Herrn Gemeinde als ihr Führer und Tröster. Er ist der Stellvertreter Jesu auf Erden und der Versammlung gegeben, um in Ewigkeit bei ihr zu bleiben. Wenn also die Kirche – die wahren Gläubigen – „dem Herrn entgegen in die Luft“ aufgenommen wird, dann verlässt auch der Heilige Geist diese Erde. Die Gemeinde ist sein Tempel; wenn der Tempel aufgenommen wird, dann zugleich auch Er, der in diesem Tempel wohnt. Wenn darum gesprochen wird von der Sehnsucht der Braut nach der Ankunft des Bräutigams, geschieht das mit folgenden Worten: „Der Geist und die Braut rufen: Komm!“
Sobald nun der Heilige Geist, und mit Ihm die Gemeinde, diese Erde verlassen hat, kommt der Abfall und dann wird sich das Böse in seiner ganzen Zügellosigkeit und Feindschaft gegen Gott zeigen. Solange jedoch der Heilige Geist auf Erden ist, ist Gott die Quelle der Macht hienieden. Er hat die Zügel der Regierung in Händen; die Mächte auf Erden sind Gottes Diener. Wenn die Obrigkeit auch noch, so viel Missbrauch treibt mit der ihr verliehenen Gewalt, so trägt sie dennoch diesen Charakter der Abhängigkeit. Der Herr sagt zu Pilatus: „Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ Wie schlecht Pilatus auch war, so wird doch seine Macht als von Gott kommend anerkannt. Die Obrigkeit ist von Gott und übt Gottes Gewalt aus und zwar, wie der Apostel sagt, zum Nutzen der Gemeinde, die der Gegenstand von Gottes besonderer Fürsorge und Liebe ist. „Sie ist Gottes Dienerin, dir zum Guten.“ Ist nun die Gemeinde in den Himmel aufgenommen und der Heilige Geist von dieser Erde weggenommen, dann wird dem Teufel – für eine beschränkte Zeit natürlich, und als Gericht Gottes über die Welt – die Macht und Gewalt hienieden gegeben, und die Bosheit zeigt sich in ihrer schrecklichsten Gestalt. Das Tier steigt aus dem Abgrund empor, das seine Macht und seinen Thron und große Gewalt von Satan und nicht von Gott empfängt und im zweiten Tier ist die ganze Kraft Satans gegenwärtig. Der Mensch der Sünde tritt auf den Schauplatz, und damit muss alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, verschwinden; keine Macht, von wem sie auch sei, wird anerkannt, und der Gesetzlose setzt sich in Gottes Tempel, sich selbst als Gott darstellend. Mit einem Wort: Wir sehen hier an Stelle der Versammlung den Abfall, an Stelle des Heiligen Geistes den Satan, und an Stelle der Macht Gottes, die ein Damm gegen das Böse war, den zügellosen Menschen, der alle Macht verwirft und sich selber zu Gott macht.
Es gibt noch eine andere Einzelheit, die unsere Aufmerksamkeit nötig hat. Wir haben gesehen, dass der Mensch der Sünde sich als der Messias aufspielt. Als solcher wird er sowohl König als auch Prophet sein, d. h. er wird sich die irdischen Titel des Messias aneignen. Er war im Himmel der Ankläger der Brüder. Doch in der Zeit, von der wir hier reden, ist die Gemeinde bereits im Himmel, und der „Ankläger der Brüder“ aus dem Himmel geworfen, um nie mehr dorthin zurückzukehren. Und nachdem er aus dem Himmel vertrieben ist, macht er sich in einem von ihm inspirierten Menschen zum Propheten und König. In diesem Charakter ahmt er dann auf betrügerische Weise Gott nach, um die Sendung des Messias bei den Menschen vorzutäuschen. In Apostelgeschichte 2, 22 sagt Petrus: „Jesus, der Nazaräer, ein Mann, von Gott an euch erwiesen durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch Ihn in eurer Mitte tat.“ Und hier lesen wir von dem Menschen der Sünde, „dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge“ (Vers 9). An beiden Stellen werden in der ursprünglichen Sprache dieselben Wörter gebraucht. Diese Zeichen gehen so weit, dass der Mensch der Sünde durch den Einfluss des Teufels die Macht empfangen wird, um dem aufgerichteten Bild Odem zu geben, so dass dieses Bild reden wird. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch, an eine andere ernste Tatsache erinnern, welche dieses Gemälde vollendet. In der Geschichte des Elias finden wir, dass der Beweis für die Göttlichkeit Jehovas darin gefunden wurde, dass Feuer vom Himmel kam. Nun wird uns in Offenbarung 13 mitgeteilt, dass das zweite Tier (der Antichrist) ebenfalls Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen lässt vor den Menschen. Im Brief an die Thessalonicher finden wir deshalb dieselben Wundertaten, welche die Sendung des Herrn bestätigen, und in der Offenbarung die Beweise, dass Jehova der wahre und einzige Gott ist. Und der Teufel ahmt beide nach, um die Menschen zu verführen.
Leider wird ihm dies nur zu gut gelingen. Mit Ausnahme einiger wenigen werden sich alle vor dem Antichristen niederbeugen und ihn als Gott anbeten; ja, so stark wird die Verführung sein, dass er, wenn es möglich wäre, sogar die Auserwählten in seine Gottlosigkeit hineinziehen würde. „Wie ist das möglich?“, werden manche ausrufen. Doch braucht uns das nicht zu verwundern, da ja dieser Abfall nichts anderes als ein Gericht Gottes über diejenigen, welche die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, sein wird. Hört nur, was der Apostel sagt: „Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben, dass alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“ (Vers 11 und 12). Es ist hier nicht von den Heiden die Rede, sondern von solchen, denen die Wahrheit verkündigt worden ist, die sie aber nicht angenommen, sondern verworfen haben. Diese Worte haben ohne Frage auf die jüdische Nation bezug, wie es Stephanus in Apostelgeschichte 7 deutlich beweist; und der Apostel wird gewiß an sie gedacht haben, besonders auch deshalb, weil der Schauplatz der Wirksamkeit des Menschen der Sünde Jerusalem und Judäa sein wird. Doch ist hier ebenso die Rede von den Namenchristen. Diese vor allem haben die Wahrheit vernommen, aber sie mit aller Entschiedenheit verworfen. Darum sendet ihnen Gott als Gericht eine Lüge, und zwar eine kräftige Lüge, so dass sie ihr vorbehaltlos glauben, indem sie diese für die Wahrheit halten. Gott hat stets so gehandelt. So machte Er es mit den Heiden (Römer 1, 24. 26. 28). Auf die gleiche Art verfuhr Er mit den Juden (Jes 6, 9–13); ebenso mit einzelnen Personen (denken wir an Saul und Judas); und im gleichen Sinn wird Er mit den Namenchristen einmal verfahren. Will der Mensch die Wahrheit nicht annehmen, so hat er eben die Lüge lieb; obschon ihm die Wahrheit vorgestellt und angepriesen wird, kommt schließlich das Gericht der Verstockung über ihn. Von diesem Augenblick an ist, er dem Irrwahn preisgegeben; Bekehrung ist nicht mehr möglich; das schreckliche Gericht Gottes kommt über ihn! Und dieses Gericht richtet sich nach dem Licht, das man gehabt hat. „Der es gewusst und nicht getan haben wird, wird mit doppelten Schlägen geschlagen werden.“ Das Gericht über die Juden wird schwerer sein als das über die Heiden; aber das schwerste von allen wird das Gericht über die Namenchristen sein. Man lese Offenbarung 17 und 18, um völlig von der Wahrheit hiervon überzeugt zu sein. Niemand hat mehr Licht empfangen als die Christenheit; kein Abfall wird daher so schreckliche Folgen zeitigen wie letzterer.
Was nun die Vernichtung des „Gesetzlosen“ betrifft, so lesen, wir, dass „der Herr Jesus ihn verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“ (Vers 8). Der Hauch Seines Mundes ist Seine innere, göttliche Kraft, die das Gericht einleitet und ausübt. In Offenbarung 19 finden wir das Mittel, das dazu gebraucht wird. Der, welcher auf dem weißen Pferd saß und zum Gericht erscheint, hat ein scharfes, zweischneidiges Schwert in Seinem Mund: das Wort Gottes. Wenn die Bosheit und Gottlosigkeit ihren Höhepunkt erreicht haben wird und die Menschen, unter Anspornung durch das Tier und den falschen Propheten, in offenbarem Widerstand gegen den Herrn und Seinen Gesalbten gekommen sind, dann werden sie plötzlich vernichtet, während das Tier und der falsche Prophet lebend in den Feuerpfuhl geworfen werden.
Der teuflische Einfluss, von dem der Apostel sprach, hatte, wie wir gesehen haben, in denen Fuß gefasst, welche die Wahrheit verworfen hatten und darum zur Strafe vom Geist des Irrtums heimgesucht wurden. Von seinen geliebten Thessalonichern jedoch hatte der Apostel eine ganz andere Meinung. „Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang erwählt hat zur Seligkeit in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit, wozu Er euch berufen bat durch unser Evangelium, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus“ (Vers 13, 14). Obschon die Gläubigen in Thessalonich durch den Feind irregeführt waren betreff s des Tages des Herrn, so ist der Apostel in Bezug auf sie vollkommen ruhig und getrost. Gott hatte sie von Anfang an zur Seligkeit erwählt und sie durch das Evangelium zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus berufen. Sie gehörten zur Zahl derer, die am Tag des Herrn Mitgenossen Seiner Herrlichkeit sein würden. Fürwahr, ein großer Gegensatz zu den Plagen und Gerichten, die über die gottlose Welt kommen würden bei der Ankunft Jesu auf Erden. „Also nun, Brüder“, fügt der Apostel darum hinzu, „steht fest und haltet die Überlieferungen, die ihr gelehrt worden seid, sei es durch Wort oder durch unsern Brief“ (Vers 15). Lasst euch nicht verführen, nicht vom rechten Weg abbringen; bleibt bei dem, was ich euch gelehrt habe, als ich bei euch war und das ich in meinem Brief euch geschrieben habe. Und da wir aus uns selber nichts vermögen, da wir keine Kraft haben, um den listigen Verführungen des Satans widerstehen und entfliehen zu können, so möge „unser Herr Jesus Christus selber und unser Gott und Vater, der uns geliebt und uns ewigen Trost und gute Hoffnung gegeben hat durch die Gnade, eure Herzen trösten und euch in jedem guten Werk und Wort befestigen“ (Vers 16).