Betrachtungen über die Briefe des Apostels Johannes
2. Johannes
Ich habe meine Wege überdacht, und meine Füße zu deinen Zeugnissen gekehrt (Ps 119,59).
Drei Dinge sind es, die uns der zweite Johannesbrief vor Augen stellt:
- die Güte des Herrn und seine Treue den Schwachen gegenüber;
- eine Unterweisung die Wahrheit betreffend und
- eine ernste Warnung vor den Verführern.
Der Apostel Johannes steht hier nicht in seiner apostolischen Autorität vor uns, sondern er redet vertraulich als der vom Herrn eingesetzte Älteste und zugleich als ein uns zugetaner Freund von Herzen zu Herzen. In treuer Gewissenhaftigkeit erfüllt er das Wort des Apostels Paulus: „Habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde“ (Apg 20,28). Mit welcher Hingabe und Treue entsprach er diesem Dienst, nicht allein unter der Herde, in deren Mitte er sich befand, sondern auch bei den Schäflein, die in weiter Ferne waren. Er erkannte die Notwendigkeit, sowohl zu ermuntern, als auch zu belehren, zu ermahnen und zu warnen. Deshalb schrieb er diesen Brief, welcher an eine Schwester im Herrn und deren Kinder, die auf einsamem Posten standen, gerichtet war.
In der Anrede hebt Johannes zuerst die Gnade hervor, die jener Frau geworden war. Er nennt sie eine „Auserwählte“. Wir dürfen hier wohl zuerst an die wunderbare Auserwählung vor Grundlegung der Welt denken (Eph 1,4). Wer vermöchte diese Gnade in ihrer Fülle zu erfassen! Obwohl Gott im Voraus sah, wohin der Mensch kommen würde durch die List des Feindes und durch seine eigene Unwachsamkeit und seinen Ungehorsam, so nahm Er sich doch vor, einige aus dem Verderben herauszuerlesen und sie für sich selbst abzusondern und vor sich hinzustellen als Kinder seiner Liebe. Welch ein Erbarmen solchen gegenüber, die von Natur nicht besser sind als die übrigen Menschen, ja, voller Schuld und Sünde, und jetzt Gottes geliebte Kinder heißen dürfen. Wie schön sagt der Dichter:
Du wolltest nicht des Sünders Tod,
Du wolltest als der Heiland Gott
Uns Heil und Leben bringen.
In dem Geliebten auserwählt,
Hast du uns vor dich hingestellt
Als Kinder deiner Liebe.
O Abba, Vater, welch ein Glück!
In Ihm begnadigt, ruht dein Blick
Auf uns mit Wohlgefallen.
Es gibt auch eine Auserwählung in der Zeit. Wir finden dies im Evangelium Johannes, wo der Herr zu seinen Jüngern sagt: „Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe“ (Kap. 15,16). Da werden wir erinnert an jene Zeit, da der Herr uns – den Verlorenen – in den Weg trat und uns unseren traurigen Zustand zeigte. Dann, als wir im Staub vor Ihm lagen und um Erbarmen riefen, hat Er uns wissen lassen, was Er für uns getan hat auf Golgatha; da gab Er uns die Vergebung an unserer Sünden, zog uns an sein liebendes Herz und schenkte uns den gesegneten „Frieden mit Gott“ (Röm 5,1). Zugleich ließ Er uns erkennen, dass es für uns hier auf der Erde wichtige Aufgaben zu erfüllen gibt. Beide Arten der Auserwählung zeigen uns die große Güte Gottes; sie erfüllen das Herz mit heiliger Bewunderung und mit Anbetung. Lieblich ist dabei der Gedanke dass auch die Kinder solch einer gesegneten Person in den Kreis des Segens einbezogen werden, so dass von ihnen gesagt werden kann: „Sie sind heilig“ (1. Kor 7,14).
Die ersten Verse entrollten uns auch das schöne Bild des lieblichen Zusammenhaltens jener Gläubigen der ersten Zeit, von denen bezeugt und gesagt wird: „Seht, wie sie sich lieben!“ Ja, es besteht eine wunderbare Verbindung unter allen, die sich der „Auserwählung“ erfreuen. Auf diesem Boden der Wahrheit wirkt die göttliche Liebe, und wie gesegnet ist dies! Die tätige Liebe erzeugt gesegnete Frucht; sie offenbart sich in der gegenseitigen Anteilnahme des einen an dem Wohl und Wehe des andern (Röm 12,15; 1. Kor 12,26).
Sehr zu beachten ist in diesem kurzen Brief die Verbindung der Liebe mit der Wahrheit. Unter der Wahrheit ist wohl der ganze Kreis des Willens und Segens Gottes gemeint. Sie ist auf die Offenbarung im Sohn gegründet und jetzt unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes uns durch sein Wort mitgeteilt. Welch ein großer Gegenstand zum Nachsinnen! Wie viel gibt es da zu lernen!
Liebe um der Wahrheit willen. Die an den Sohn Glaubenden gehören zusammen. Diese kostbare Wahrheit führt den Glaubenden auf den Boden einer völligen Absonderung, und die Liebe erweist sich da wirksam um des Herrn Jesus wie auch um der Stellung willen, in die der Gläubige durch die Wahrheit praktisch geführt ist. Es ist die Wahrheit, welche heiligt und verbindet.
Geliebte Mitpilger! Lasst uns viel an dieser Quelle uns aufhalten, die Wahrheit schätzen und diese Liebe genießen! Das ist der Weg, auf dem die Liebe sich durch uns wirksam erweisen wird zum Segen der Auserwählten Gottes und zur Verherrlichung unseres geliebten Herrn, durch den sie uns zuteil geworden ist. Möchten wir aber nicht außer Acht lassen, dass die göttliche Liebe niemals die Wahrheit Gottes preisgibt. Im Gegenteil, wahre Liebe leitet uns dahin, diese Wahrheit immer besser kennen zu lernen, sie festzuhalten und in Übereinstimmung mit ihr zu verharren. Die Wahrheit bleibt in den Auserwählten, sie geht mit ihnen und wird mit ihnen sein in Ewigkeit.
Wir dürfen uns hier an die Worte des Herrn erinnern. Er hat seinen Jüngern gesagt, dass, wenn Er verherrlicht sein würde beim Vater, sie in Ihm seien und Er in ihnen. Auch hat Er ihnen verheißen, bei ihnen zu sein alle Tage, und dass sie dereinst alle ewig bei Ihm sein würden (Mt 28,20; Joh 14,1–3.20). Wie gesegnet ist dies alles für uns, Geliebte, nicht wahr! Weiter wird der auserwählten Frau und ihren Kindern für ihren Pfad hier auf der Erde die Gnade zugesichert. Eine Frau und Kinder sind ein Bild der Schwachheit. Solche sind auf den steten Beistand der Gnade Gottes angewiesen. Welch ein starker Trost ist es nun für die Pilger Gottes, zu wissen, dass diese Gnade, wie sie für einen Paulus bei all seinen großen und schweren Aufgaben genügte, auch uns, bis wir am Ziel sind, völlig genügen kann. Wegen unserer Schwachheit und Hilflosigkeit bedürfen wir auch der Barmherzigkeit. Wie gesegnet ist das Bewusstsein, dass unser Gott und Vater „reich ist an Barmherzigkeit wegen seiner vielen Liebe“ (Eph 2,4). Er weiß wohl, wie sehr wir ihrer bedürfen, um in den mannigfachen und wechselvollen Umständen der Wüstenwanderung aufrechterhalten zu werden. Er weiß, wie schnell wir zusammenbrechen und versagen, und deshalb wendet Er uns seine ganze Barmherzigkeit zu. Wie gut! Unser Gott pflegt und trägt uns voll Güte und Huld auf seinen ewigen Vaterarmen. Welch eine große Ermunterung für uns alle! Die naturgemäße Folge dieser dargereichten und genossenen Gnade und Barmherzigkeit ist dann der köstliche „Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt“ und das Herz und den Sinn bewahrt in Christus Jesus (Phil 4,7). Viele der schwer geprüften Geliebten des Herrn haben, durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes getragen, diesen köstlichen Frieden genossen, selbst angesichts der Leiden und auch des Märtyrertodes. Auch in einer Zeit, wo so manche der Gläubigen Hab und Gut verloren haben, konnten sie im Aufblick zum Herrn, wenn auch das Herz blutete und das Auge tränte, sich des süßen Friedens erfreuen. Es war ergreifend, als eine gläubige Frau an den Ruinen ihres Hauses, wo ihr Mann und zwei Söhne ums Leben gekommen waren, einer Nachbarin, die ihr ihre Anteilnahme zum Ausdruck brachte, bekannte: „Ich freue mich für meine Lieben; sie sind beim Herrn Jesus; sie haben gewonnen“. So offenbart sich ein Herz, das durch den Frieden Gottes bewahrt wird. Dies alles ist uns in unserem Gott und unserem Herrn Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, geschenkt. Was unsere Errettung und ewige Sicherheit betrifft, so sind wir geborgen in der Hand des Sohnes und des Vaters (Joh 10,27–29). Auch für den Weg hier auf der Erde ist es dann wiederum der Vater und der Sohn, die für unser geistliches Wohl besorgt sind. Welche Gnade! Lasst uns darüber sinnen und uns in diese Fülle hineinversenken! Alle Segnungen entsprechen auch völlig der Wahrheit Gottes, in der man zu wandeln begehrt, sowie auch der Liebe Gottes, des Vaters, und des Sohnes des Vaters, deren hochbeglückte Gegenstände wir geworden sind (2. Joh 3).
Deine Füll' an Lieb' und Gnade
Misst kein menschlich Denken aus;
Auf dem ganzen Pilgerpfade
Gehst du segnend mir voraus.
Wollest mir auch dieses schenken:
Dir mein ganzes Herz zu weih'n,
Deiner Liebe mich zu freu'n,
Deines Ruhmes zu gedenken,
Bis ich dich nach dieser Zeit
Lieb' und lob' in Ewigkeit.
Es scheint, dass Johannes als ein treuer Knecht des Herrn und als wachsamer Ältester unter den Kindern Gottes kurz zuvor die Schwester, an die er schreibt, besucht hatte. Bei der Unterhaltung mit ihren Kindern fand er, dass einige von ihnen sich der Errettung durch den Glauben an das vollbrachte Erlösungswerk des Sohnes Gottes erfreuten. Er entdeckte auch, wie die Herzen dieser jugendlichen Gläubigen die ihnen mitgeteilte Wahrheit Gottes schon zu schätzen wussten. Diese Wahrheit erwies ihre Wirksamkeit in ihren Herzen, und die Frucht davon war sichtbar in ihrem praktischen Leben und Verhalten. Sie bemühten sich, ihr ganzes Leben mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb konnte der Apostel schreiben, dass sie in der Wahrheit wandelten.
Diese jungen Gläubigen verstanden, dass sie nicht der Welt angehörten. Sie waren aus der Mitte der Ungläubigen herausgegangen. Dadurch erfreuten sie sich umso mehr der Annahme seitens Gottes und genossen die Liebe des Vaters (2. Kor 6,4–7.1; 1. Joh 2,15). Die Wahrheit Gottes zeigte ihnen auch die Wertlosigkeit aller menschlichen Religionen und weckte ein tiefes Verlangen nach der Gemeinschaft mit dem Volk Gottes. In dankbarer Liebe begehrten sie das „Gebot des Vaters“ zu erfüllen, das ihnen die Knechte des Herrn kundgemacht hatten (1. Joh 1,5; 2,5.6). Die Wirksamkeit der göttlichen Liebe im Leben des Gläubigen offenbart sich stets im Gehorsam.
Die Wahrnehmung ihres Gehorsams erfüllte das Herz Johannes mit Freude. Und so wie er gewiss zuvor für sie betete, konnte er jetzt vor dem Herrn auf den Knien für das gesegnete Werk des Geistes Gottes in ihnen danken. Wenn solche Wahrnehmung schon das Herz eines Knechtes des Herrn erfreut, wie viel mehr freut sich der Herr Jesus selbst darüber! Sollte nicht jeder der Erlösten dankbar danach trachten, den Herrn zu erfreuen und Ihn durch treue Hingabe zu verherrlichen!
Wie gut und lebhaft ist es, wenn die Söhne und Töchter der Erlösten beizeiten sich zum Herrn bekehren! Und wenn sie durch den Glauben an Ihn errettet sind und sich seiner Liebe erfreuen, dann auch das Verlangen haben, treu und entschieden den Weg seines Wortes, den Weg des Gehorsams zu gehen, und zwar sowohl persönlich als auch in Gemeinschaft mit den Heiligen.
Dankbaren Herzens, getrennt von all den menschlichen Einrichtungen, feststehend auf dem Boden der Absonderung und der Zusammengehörigkeit aller Erlösten des Herrn, scharen sie sich um Ihn als ihren gesegneten Mittelpunkt. Sein Vermächtnis, das Mahl des Herrn zu feiern, ist ihnen ein tiefes Bedürfnis. Zu seinem Namen hin versammelt, das Brot und den Kelch, die Zeichen seines Todes vor sich habend, erheben und preisen sie Ihn, unter der Leitung und Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Sie danken Ihm für seine liebende Hingabe bis in den bitteren Tod. Indem sie seinen Tod verkündigen und sich auf seine Wiederkehr freuen, beten sie in heiliger Bewunderung auch den Vater an für seine viele Liebe, die in der Gabe seines geliebten Sohnes offenbart worden ist. Des einen Brotes teilhaftig, bringen sie sowohl ihre Gemeinschaft mit dem dahingegebenen Herrn zum Ausdruck, als auch die Wahrheit, dass sie Glieder seines Leibes sind, wovon Er das verherrlichte Haupt ist droben zur Rechten Gottes. Das eine Brot stellt den einen geistlichen Leib des Christus dar, zu dem alle Kinder Gottes gehören. Auf diesem Boden ist Raum genug für alle Erlösten des Herrn. Da ist keine Mauer, die überstiegen werden müsste – es sei denn die Mauer die die Irrlehren und das sittlich Böse draußen halten soll.
Wie lieblich, wenn Jesus die Seinigen findet
Um Ihn, den Gekreuzigten, dankbar vereint;
Wenn innige Liebe die Herzen verbindet
Und Tränen des Dankes das Auge nur weint.
Ihr Danken und Loben
Steigt jubelnd nach oben,
Zu dem, der den Sohn, den geliebten, geschenkt,
Mit Vatergefühlen der seinen gedenkt.Wie lieblich, wenn Brüder in Eintracht und Frieden
Sich sonntäglich scharen zum herrlichsten Mahl;
Den Tod des Herrn zu verkünden hienieden,
Mit Ihm in der Mitte, wie klein auch die Zahl!
Sie rühmen und preisen
In lieblichen Weisen
Den Gott, der so Großes an ihnen getan,
Dem sie als Erlöste und Kinder nun nah'n.
Wie neugeborene Kindlein trachten solche jungen Christen, wenn sie in der Furcht Gottes stehen, nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, um durch dieselbe zu wachsen und Fortschritte zu machen in der Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn. Sie nützen jede Gelegenheit aus zum Lesen des Wortes Gottes, und gerne nehmen sie ihren Platz ein in den Zusammenkünften zur Betrachtung des Wortes Gottes, um dadurch gefördert zu werden am inneren Leben für den Pfad des Glaubens. Unterwiesen über die Bedeutung des Gebetes, pflegen sie dasselbe persönlich im Verborgenen, eilen aber auch gerne dorthin, wo man gemeinsam dem Thron der Gnade naht „mit Gebet, Flehen und Danksagung“ (Phil 4,6), und wo mit kindlichem Vertrauen die mannigfachen Bedürfnisse des Volkes und Werkes Gottes an das Herz des Vaters gelegt werden in der Erwartung seiner gnädigen Erhörung.
Solch eine Einstellung bei Anfängern auf dem Glaubenspfad erfreut ganz gewiss die gläubigen Eltern und einen jeden, dem die Verherrlichung des Herrn und das Wohl seiner Schäflein am Herzen liegen. Vor allem nimmt der Herr Jesus Kenntnis davon. Es erfreut Ihn, der alles, ja sich selbst dahingab und das große Werk der Erlösung vollbrachte, um sich ein Volk zu erwerben, das eifrig sei in guten Werken (Tit 2,14).
Weil der Feind besonders wirksam ist, um die Kinder der Gläubigen in seine Netze zu ziehen, gilt es sowohl für die Eltern, als auch für alle Erlösten, viel für die Kinder zu beten. Es ist äußerst schmerzlich und tief betrübend, wenn Söhne und Töchter von Gläubigen die Welt liebgewinnen und den breiten Weg einschlagen. Welch ein Verlust in jeglicher Hinsicht! Sollten solche Kinder diese Zeilen lesen, dann bitten wir sie und rufen ihnen zu: „Eilt, rettet eure Seelen!“ Noch schaut voll Liebe und Erbarmen der Herr Jesus nach euch aus. Er ist bereit, euch heute zu erretten, denn bald wird es für ewig zu spät sein. Es steht geschrieben, dass alle, die Gott nicht kennen, und die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen, Strafe leiden werden, ewiges Verderben (2. Thes 1,8–9). O geliebte Eltern, verliert nicht den Mut; ruft umso lauter zum Herrn; ruft bis Er erhört hat!
Nachdem „der Älteste“ seiner Freude über die Kinder Ausdruck verliehen hat, wendet er sich mit einer Bitte an die Schwester selbst. Er erinnert die „auserwählte Frau“ an das Gebot des Herrn das die Seinigen von Anfang an hatten. Es ist das Gebot der Liebe (Joh 13,34.35; 15,17). Über den Mangel an Liebe unter den Kindern Gottes wird heutzutage allgemein geklagt. Dieser Mangel hat seine Ursache in der Vernachlässigung einer innigen Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus, der auf seinem ganzen Weg hier auf der Erde die Liebe Gottes kundtat. Je inniger der Umgang des Herzens mit dem Herrn ist, umso mehr erfreut man sich seiner Liebe, und umso mehr wird man dadurch befähigt, Liebe zu üben. Es soll aber nie gedacht werden, dass man genug Liebe geübt habe. Die gläubigen Thessalonicher übten Liebe „gegen alle Brüder“, und doch wird ihnen gesagt, dass sie „reichlicher“ zunehmen sollten (1. Thes 4,10).
Andererseits ist aber sehr zu befürchten, dass vielfach wenig Klarheit vorhanden ist darüber, was Liebe eigentlich ist. Sicher leitet Liebe die Kinder Gottes dahin, dass sie sich freundlich begegnen, einander wohltun und gute Werke betreiben, wozu es in unseren Tagen ja so viel Gelegenheit gibt. Möge solche Tätigkeit der Liebe noch reichlicher geübt werden zum Wohle der Geliebten des Herrn und zu seiner Freude. Wahre göttliche Liebe ist stets in Übereinstimmung mit den Geboten des Herrn; Gehorsam ist der Prüfstein ihrer Echtheit. Vielfach haben Eltern eine ungesunde Liebe zu ihren Kindern. Es ist klar, dass solche Liebe falsch erzieht und keine gute Frucht zeitigt. Auch unter den Christen findet sich oft ungesunde Liebe, das ist aber keine göttliche Liebe. Vieles wird für Liebe gehalten, was aber im Licht des Wortes Gottes besehen die Prüfung nicht besteht.
Nehmen wir ein Beispiel: Einer meiner Freunde schlägt einen verbotenen Weg ein. Ich weiß, dass der Weg verboten ist, gehe aber dennoch mit ihm. Mein Freund betrachtet es als Freundschaft und Liebe, und doch ist es kein guter Dienst, den ich ihm erweise. Das ist keine echte Liebe. Diese belehrt, mahnt, warnt und hält mich von dem bösen Weg zurück. Dadurch erweise ich ihm den besten Liebesdienst und wahre Treue. Gleicherweise verhält es sich auch mit der Liebe auf dem Pfad des Glaubens. Wenn mir Gottes Wort den Willen des Herrn zeigt, und wenn mich die göttliche Liebe leitet, so folge ich ohne zu zögern und ohne zu warten auf andere. Zu warten, bis sich andere aufmachen, ist ebenfalls keine wahre Liebe und bedeutet nur Verlust. Sowohl die Liebe zum Herrn, wie auch zu den Brüdern, offenbart sich im rückhaltlosen Gehorsam gegen sein Wort (Joh 14,15.21–24; 1. Joh 5,2.3; 2. Joh 6).
Das Wort Gottes bestimmt nicht allein meinen persönlichen, sondern auch meinen gottesdienstlichen Weg. Es zeigt mir die Grundlage, auf der man sich mit den Kindern Gottes versammeln soll. Viele Kinder Gottes denken, dass dies dem Gutdünken des Einzelnen überlassen und nicht so wichtig sei. Was sagt Gottes Wort dazu? Dieses ist sowohl für die jungen als auch für die alten Christen allein entscheidend. Auch unser Brief zeigt uns, dass die Erlösten des Herrn nach dem Gebot zu wandeln haben, das sie „von Anfang“ hatten. Dieses Gebot „von Anfang“ ist auch heute noch in voller Kraft. Der Herr erwartet von den Seinigen, dass sie einfältigen Herzens und in biblischem Gehorsam seine Liebe dankbar erwidern. Aus Liebe zum Herrn soll ein jeder, der Ihm angehört, sich ernstlich prüfen, ob die Art und Weise seines Zusammenkommens mit den Gläubigen dem Willen und Wort des Herrn entspricht. Möge auch uns die Willigkeit des Psalmisten kennzeichnen, wenn er sagt:
„Ich eile und säume nicht, deine Gebote zu halten“ (Ps 119,60). Lasst auch uns, wie der Apostel Paulus, nicht „mit Fleisch und Blut zu Rate“ gehen, sondern willig der Leitung des Geistes Gottes durch Gottes Wort folgen. Ein vollkommenes Vorbild ist uns darin der Herr Jesus selbst, der aus Liebe zu seinem Gott und Vater „gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8).
Dir zu folgen ist Gewinn;
Präg' es tief in Herz und Sinn!
Der Apostel schreibt weiter: „Denn viele Verführer sind in die Welt ausgegangen“. Diese Tatsache wird uns wiederholt bestätigt, sowohl durch Gottes Wort, als auch durch die ganze Geschichte der Christenheit. Wir sehen den Erzverführer schon im Paradies tätig (1. Mo 3). Er hat es zu jeder Zeit meisterhaft verstanden, Helfershelfer zu werben, Gottes Wort redet von diesen, und wir begegnen ihnen in mannigfacher Weise auf Schritt und Tritt. Diese Irrlehrer verdrehen und verneinen wohl fast alle Wahrheiten der Heiligen Schrift. Um diesen Verführern widerstehen zu können, gilt es, sowohl vertraut zu sein mit dem, was „von Anfang war“, als auch daran unentwegt festzuhalten. Die Kinder im Glauben werden ermahnt, dass das, was sie „von Anfang“ gehört hatten, in ihnen bleiben soll. Zudem besaßen sie auch die Salbung – den Heiligen Geist – welcher sie über alles belehrte (1. Joh 2,24.27). Das war ihr Schutz damals, und das ist ihr Trost und ihre Kraft auch in diesen letzten Tagen, wo verblendete Menschen allerlei Irrtümer, grobe und feine, einzuführen suchen. Der Apostel Paulus sah sie kommen und redet nicht allein von „verderblichen Wölfen, die hereinkommen“, sondern auch von Männern, die aus der Mitte der Gläubigen aufstehen und „verkehrte Dinge reden“ würden (Apg 20,30). Auch wir haben das Wort zu beherzigen: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist“ (2. Tim 3,14).
Der Älteste warnt vor einer besonderen Gefahr, nämlich vor der Verfälschung der „Lehre des Christus“.
Der Herr Jesus ist nun sowohl der Erretter eines jeden Einzelnen, der seine Zuflucht zu Ihm nimmt, als auch die unerschütterliche Grundlage, auf der jetzt seine Gemeinde aufgebaut wird. Sobald das letzte Glied zu der Gemeinde oder Versammlung hinzugefügt sein wird, führt Er sie in das Vaterhaus ein, dass, wo Er ist, auch sie sei (Joh 14,1–3). Als der „Urheber des ewigen Heils“ hat uns der Herr an das Herz des Vaters gebracht, und seine Liebe ruht nicht eher, bis Er uns verherrlicht sich selbst dargestellt hat. Welch eine wunderbare, anbetungswürdige Person ist doch unser Herr Jesus! Welch eine Gnade ist es, Ihn zu kennen und Ihm anzugehören! Lasst uns Ihn betrachten im Licht seines Wortes und uns an Ihm, an dem alles lieblich ist, erfreuen! Lasst uns Ihn erheben und preisen für seine unvergleichliche Liebe, die unser Teil auf ewig geworden ist!
Vers 8 betont die persönliche Verantwortlichkeit. Es gilt, standhaft zu bleiben und sich durch nichts aufhalten oder irreführen zu lassen. Der Herr segnet die Bemühungen seiner Knechte, und Er erfreut sie durch seine gnadenreiche Wirksamkeit an den Seelen, die Er zu sich zieht. Für alle aber, die für Jesus gewonnen sind, gilt es zu wachen und ihre „eigenes Heil mit Furcht und Zittern zu bewirken“ (Phil 2,12). Sie sind verantwortlich, auf dem Weg des Gehorsams und der Treue auszuharren bis zum Ziele. Dort werden sie dann erscheinen als die Frucht und Krone des Dienstes der Knechte des Herrn. Diese Aussicht soll einen jeden, der sich für den Herrn hier bemüht, anspornen, im Werk des Herrn überströmend zu sein. Zugleich aber gilt es, wachsam zu sein hinsichtlich derer, unter die uns der Herr gestellt hat. Paulus konnte den Ältesten von Ephesus sagen, dass er „drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, einen jeden mit Tränen zu ermahnen“. Täglich drang auch „die Sorge um alle Versammlungen auf ihn ein“ (Apg 20,31; 2. Kor 11,28). Wie nötig ist solch ein treuer, selbstloser Dienst in unserer Zeit und wie gesegnet ist er!
Sehr auffallen müssen uns der Ernst und die außerordentliche Strenge des Johannes, der oft der Apostel der Liebe genannt wird. Unter der Leitung des Heiligen Geistes besteht er darauf und befiehlt, allen denen gegenüber, die nicht in der Lehre des Christus bleiben und weiter gehen würden, dass sie nicht angenommen werden, ja man sollte sie nicht einmal grüßen.
Schon durch das Grüßen solcher macht man sich mit ihnen und mit ihrem bösen Werk eins. Die Erfahrung lehrt uns, wie in unseren Tagen diese Mahnung fast gar nicht befolgt wird. Es wird für Liebe gehalten, wenn man mit Anhängern von ungesunden und bösen Lehren Gemeinschaft pflegt. Unser Brief verurteilt es aufs Entschiedenste, und selbst die Schwester, also eine Frau, wird ermahnt, jeden abzuweisen, der weiter gehe und diese Lehre nicht brächte. Dass die Zulassung solcher Personen zum Tische des Herrn nicht in Frage kommt, und so sie daran teilgenommen haben, entfernt werden müssen, ist selbstverständlich.
J. G. Bellett schreibt über diesen Gegenstand u.a.: „Geduld zu haben mit solchen, die einfach unwissend sind, sie geduldig zu unterweisen, ist gewiss der göttliche Weg, der Weg des Heiligen Geistes. Der Herr selbst ging diesen Weg, wenn Er sagt: „So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus?“ Aber ebenso gewiss ist es auch, dass der göttliche Weg keinerlei Herabwürdigung der Person des Christus gestattet. Die Schriften des Johannes beweisen uns das; sie enthalten die feierlichsten und zugleich die lieblichsten Aussprüche Gottes, weil sie sich gerade in besonderer Weise mit der persönlichen Herrlichkeit des Sohnes Gottes beschäftigen. Sie scheinen mir solchen gegenüber, die diese Herrlichkeit zu besudeln trachten, oder doch nicht mit aller Entschiedenheit und Treue über dieselbe wachen, nur wenig oder gar kein Erbarmen zu zeigen.“ Ja, es ist so, die Gläubigen, die nach göttlichen Grundlagen handeln, werden engherzig genannt. Sie sind jedoch bemüht, wenn auch in Schwachheit, treu zu handeln und den klaren Belehrungen des Wortes Gottes zu entsprechen. Darin erlangen sie die Anerkennung ihres Herrn, und diese zu erwerben, sollte allen, die Ihm angehören, begehrenswert sein.
In Vers 12 äußert Johannes, dass er noch vieles auf dem Herzen habe. Wie gerne hätte er es der auserwählten Frau und ihren Kindern mitgeteilt! Aber er wollte es nicht dem Papier anvertrauen; sondern hoffte, bald sie besuchen und ihnen mündlich dienen zu können. Durch diesen Dienst sollte bei ihnen völlige Freude bewirkt werden. Wie gesegnet ist doch solch ein Dienst unter der Leitung und in der Kraft des Heiligen Geistes! Er hat zum Gegenstande die Segnungen Gottes, aber vor allem die Person und das Werk des Herrn Jesus, sowie auch alles das, was Gott für die Seinigen bereitete und was Christus für sie ist. Da kann es nicht ausbleiben, dass solch ein Dienst „völlige Freude“ bewirkt.
Ich hab' genug, weil dich ich habe,
Mein Geist frohlocket inniglich.
Wo findet eine solche Gabe
Auf Erden und im Himmel sich?
Mein Herz, zu groß für alle Dinge,
Zu klein, als dass es dich umfinge.
Zuletzt übermittelt der Apostel noch die Grüße „der Kinder der auserwählten Schwester“. Wenn uns auch weiter nichts über diese Kinder gesagt wird, so dürfen wir doch annehmen, dass auch sie bereits dem Herrn angehörten, so dass Johannes gerne ihre Grüße ausrichtete. Paulus fügt auch oft solche Grüße der Heiligen seinen Briefen hinzu. Sie erfreuen und beleben auch immer wieder neu das Bewusstsein der wunderbaren, ewigen Verbindung mit allen denen, die mit einem und demselben kostbaren Blute erlöst sind und der einen Familie Gottes angehören, und als Glieder des einen Leibes mit dem verherrlichten Haupt droben verbunden sind.
Auf dem Weg zu dem einen himmlischen Vaterhause werden sie durch solche gegenseitige Grüße auf ihrem Pilgerpfad ermuntert, bis sie alle am Ziel angelangt und verherrlicht ihren geliebten Herrn sehen. Um Ihn, das geschlachtete Lamm, geschart, das inmitten des Thrones ist (Off 5), werden sie Ihn ewig erheben und preisen.
Dann wird deiner Heil'gen Menge
Ein Herz, eine Seele sein.
Preis und Dank und Lobgesänge
Werden sie Dir ewig weih'n.
Amen, komm, Herr Jesus!