Die Zukunft
Einführung in die Betrachtung der Weissagungen
Kann wohl etwas das Herz des Menschen mehr bewegen als die Frage: Was wird die Zukunft bringen? Natürlich war diese Frage früher auch vorhanden, aber nach zwei Weltkriegen mit all dem dadurch verursachten Elend und der Furcht vor einem dritten ist die Frage besonders dringlich geworden. Wenn der letzte Krieg mit seinem Terror und den Konzentrationslagern, mit seinen Luftangriffen und der Wut vorsätzlicher Vernichtung schon so schrecklich war, wie muss es dann erst bei dem nächsten Krieg sein, wenn die aufs modernste vervollkommneten Waffen, die seitdem erfunden wurden oder noch erfunden werden, zur Anwendung kommen?
Und was wird das Ergebnis sein? Wird Russland durch Amerika mit seinen Wasserstoff- und Atombomben, mit seinen bakteriologischen Kampfmitteln vom Erdboden weggefegt werden? Oder wird Russland durch seine fünften Kolonnen oder durch Waffengewalt über West-Europa den Sieg davontragen? Das sind alles bange Fragen in den Herzen der Menschen, auf die keine Zeitung und auch kein Politiker eine Antwort geben kann.
Und doch gibt es Einen, der auf alle Fragen des menschlichen Herzens Antwort geben kann. Wenn es sich dabei um Fragen über den persönlichen Zustand des Menschen handelt, so sagt Er, was der Mensch ist. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; … da ist keiner, der Gott sucht; … da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer; … denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,10–23). Und wenn jemand, der zur Erkenntnis seiner Sünden gekommen ist, fragt: „Was muss ich tun, damit ich errettet werde?“, so erhält er zur Antwort: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus“ (Apg 16,31). Fragt jemand nach seiner persönlichen Zukunft – Gottes Antwort ist deutlich und lässt keine zwei verschiedenen Auslegungen zu: „Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken“ (Off 20,11–15). Und wird dann die Frage gestellt: „Wie kann ich einem solchen Gericht entfliehen?“, so lautet die göttliche Antwort: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe … Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet“ (Joh 3,16–18).
Ebenso klar und deutlich gibt Gott auch Antwort auf die Fragen nach der Zukunft der Erde, der Zukunft Russlands, der Zukunft West-Europas, der Zukunft Palästinas, der Zukunft der Menschheit. Sollte der ewige Gott diese Dinge nicht wissen? „ … der ich von Anfang an das Ende verkünde, und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jes 46,10). Ja, Gott kennt die Zukunft, und was für uns von noch größerer Bedeutung ist, Er will sie uns auch mitteilen: „Denn der Herr, Herr, tut nichts, es sei denn, dass er sein Geheimnis seinen Knechten, den Propheten, offenbart habe“ (Amos 3,7).
Wem werden von Gott die Weissagungen gegeben?
Die Antwort ist bereits in der eben angeführten Schriftstelle aus Amos enthalten. Gewiss nicht an die Welt. Sicherlich wird die Zukunft der Welt vorausgesagt. Besteht nicht ein sehr großer Teil der Weissagungen aus der Ankündigung des Gerichtes über die verschiedenen Völker und Länder? Und ist nicht gerade ein Teil des Buches Daniel, der sich vorwiegend mit der Zukunft der um das Mittelländische Meer herumwohnenden Völker beschäftigt, in Chaldäisch und nicht in Hebräisch geschrieben? Ja, Gott hat seine Weissagungen auch gegeben, um die Welt vor dem kommenden Gericht zu warnen, damit sie sich vorher bekehren sollte. Denken wir nur einmal an Noah, der ein Prediger der Gerechtigkeit genannt wurde; und an Jona, der der Stadt Ninive das Gericht ankündigte (1. Mo 6; 2. Pet 3,5; Jona 3,4).
Und doch hat Gott seine Mitteilungen nicht an die Ungläubigen gemacht. „… heilige Menschen Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geist“ (2. Pet 1,21). Wie sollten auch die Weissagungen durch Ungläubige in fruchtbringender Weise erfasst werden können? Wenn sie auch wirklich glauben würden, dass es Wahrheit ist, was das Wort Gottes uns sagt, wie könnten sie mit einem stillen und ruhigen Herzen erforschen, auf welche Weise „der Zorn Gottes vom Himmel her“ offenbart wird „über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen“ (Röm 1,18)? Wie würden sie unbekümmert darum bleiben und Gefallen daran finden können, wenn von demselben Jesus, den sie nicht annehmen wollen, gesagt wird: „Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,9–11). Und ebenso: „Denn er muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat“ (1. Kor 15,25). Und wie sollten sie überhaupt mit ihrem natürlichen Verstand, der durch die Sünde verfinstert ist, die Mitteilungen Gottes verstehen können, die durch heilige Männer Gottes, vom Heiligen Geist getrieben, gesprochen wurden? „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (1. Kor 2,9–16). Ach nein, es sind zwei Vorrechte erforderlich, um die Weissagungen in Ruhe annehmen und mit Erfolg untersuchen zu können: das Bewusstsein, erlöst zu sein und also nicht mehr zu dieser Welt zu gehören, über die die Gerichte kommen werden, und das Innewohnen des Heiligen Geistes (Joh 16,13). Nur die Christen können die Weissagungen verstehen.
Die Zukunft des Teufels
Wie kommt es aber, dass auch selbst so viele Christen sich niemals mit den Weissagungen beschäftigen und so viel wie gar nichts davon verstehen? Es ist die List Satans, der ihre Augen verblendet hat, so dass sie die große Bedeutung, die darin liegt, nicht mehr erkennen. Der Teufel kennt seine eigene Zukunft sehr wohl. Er weiß, dass die Zeit bald kommen wird, da der Herr Jesus „das Reich der Finsternis mit Scham bedecken wird, bis dass es nicht mehr sein wird“ (Jes 24,21–22; holländ. Text). Selbst seine Diener, die Dämonen, wissen es, wie man bei einem Vergleich der drei Schriftstellen, die von dem Besessenen aus dem Land der Gadarener berichten, feststellen wird (Mt 8,29–34; Mk 5,1–20; Lk 8,26–39). Sie befürchten, dass sie schon vor der Zeit nach Off 20 in den Abgrund geschickt werden sollen. Und der Teufel fürchtet (und das nicht zu Unrecht), dass – wenn die Christen sich erst einmal mit seinem Gericht und mit der Vernichtung der Welt, deren Fürst er ist, beschäftigen – es dann mit seinem Einfluss auf sie vorbei ist und dass sie sich dann völlig von der Welt absondern werden.
Ist aber nun die Tatsache, dass ein großer Teil des Wortes Gottes aus Weissagungen besteht, nicht ein Hinweis darauf, für wie bedeutungsvoll Gott die Weissagungen für seine Kinder hält? Und gibt Er nicht solchen, die sich damit beschäftigen, auch besondere Verheißungen (Off 1,3; 22,7)? Und wie müssen wir das nennen, wenn Gott seine Kinder zu sich einlädt, um ihnen als ihr Vater seine Gedanken mitzuteilen (1. Mo 18,17; Eph 1,8–10), wenn diese Kinder dann keinerlei Interesse dafür zeigen? – Und wenn der Herr Jesus sagt: „… euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört habe, euch kundgetan habe“ (Joh 15,15), dass wir dann gar nicht darauf hören (Off 1,1).
Der Zweck der Weissagungen
Viele Christen wissen wohl, wovon sie errettet sind, haben aber nie erfahren, wozu. Sie begnügen sich damit, dass sie ihres Heils in Christo gewiss sind. Sollte es aber nicht auch ihr Bestreben sein, alle Ergebnisse dieses Heils kennenzulernen (Eph 1,16–19)? Wir sollten nicht allein wissen, dass wir in dem Haus des Vaters sind (Lk 15,22–24), sondern auch alle Vorrechte dieser herrlichen Stellung genießen. Gott hat uns berufen „durch Herrlichkeit und Tugend“ (2. Pet 1,3).
Gott hat uns in der Herrlichkeit des Christus und der Versammlung eine Zukunft gegeben, die sich ganz und gar auf seine Ratschlüsse gründet. Wenn wir diese betrachten, werden unsere Herzen mit Gedanken erfüllt, die zur Gemeinschaft mit Ihm führen. Das ist eine der Absichten, die Gott mit uns erreichen wollte, indem Er uns die Weissagungen gab. Er gab sie uns als seinen Freunden, damit wir an seinen Empfindungen teilhaben sollten (Joh 15,15; Eph 1,9; 1. Mo 18,17). Konnte Er uns einen anderen, größeren Beweis seiner Liebe und seines Vertrauens geben?
Das menschliche Herz muss stets mit irgendeinem Gegenstand beschäftigt sein. Der Mensch kann in Bezug auf die Zukunft nichts unternehmen, wenn sein Herz nicht darauf gerichtet ist. Wenn wir nun den Gegenstand, den Gott uns vorstellt, nicht vor Augen haben, so werden wir uns mit anderen Dingen beschäftigen. Das sind aber dann Dinge unserer eigenen Einbildung, und diese werden unserem ganzen Wandel ihren Stempel aufdrücken. Es kann nicht anders sein. Wenn jemand nach Ehre und Macht oder Reichtum oder den Annehmlichkeiten dieser Welt strebt, so wird sein ganzes Handeln auch dementsprechend eingestellt sein. Wenn das Herz eines Christen mit den Dingen der Zukunft erfüllt ist und er die Berufung der Versammlung versteht, Teilhaber der zukünftigen, himmlischen Herrlichkeit zu sein, was wird sich daraus für ihn ergeben? Er wird dann nicht anders denn als ein Pilgrim und Fremdling leben können (Phil 3,21; Kol 3,4; Lk 12,37.45). Wenn aber ein Christ sich über die Zukunft keinerlei Gedanken macht, so wird sein ganzes Denken nur auf die gegenwärtige Zeit gerichtet und sein ganzes Leben auch dementsprechend eingestellt sein. Er wird sein Glück in der Welt und in den irdischen Dingen suchen. Wie viel alte und auch junge Christen haben ihre ganzen Kräfte dazu verwandt, diese Welt zu verbessern, eine Welt, die ihre völlige Verderbnis schon dadurch bewiesen hat, dass sie den Sohn Gottes verwarf (Joh 12,31). Sollten solche Christen nicht lieber darauf bedacht sein, Seelen für die Ewigkeit zu gewinnen?
Eines der Argumente, die der Böse gebraucht, um die Christen von den Weissagungen abzuhalten, ist das, dass die Bedeutung einer Weissagung erst dann erkannt werden könne, nachdem sie bereits ihre Erfüllung gefunden hat. Der eigentliche Zweck solle also darin liegen, dass durch bereits erfüllte Weissagungen die Göttlichkeit des Wortes Gottes erwiesen werde. Ganz gewiss werden die erfüllten Weissagungen auch einem solchen Zweck dienen. Aber ist das ihr eigentlicher Zweck? Was würde die Prophezeiung, dass Gott die Menschen vom Erdboden vertilgen würde (1. Mo 6,7), für einen Nutzen für Noah gehabt haben, wenn er geglaubt hätte, auf ihre Erfüllung warten zu müssen, um sie verstehen zu können? Er würde dann in der Flut umgekommen sein und die Erfüllung niemals erlebt haben. Was für einen Nutzen würden die vom Herrn Jesus ausgesprochenen Warnungen gehabt haben, wenn die Menschen, für die sie bestimmt waren, sie nicht hätten verstehen und an die Wahrheit ihrer Erfüllung nicht hätten glauben können? Ihr Verständnis für die noch nicht erfüllten Weissagungen und ihr Glaube daran ist doch gerade das, was sie von den ungläubigen Angehörigen ihres Volkes absondern würde. Hat Petrus nicht geschrieben, dass das prophetische Wort ist wie „eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet, bis der Tag anbricht“ (2. Pet 1,19), und dass wir wohl tun, darauf zu achten? Wann müssen wir darauf achten? Wenn es erfüllt ist und das volle Licht darauf scheint? Nein, die Bedeutung des prophetischen Wortes liegt vielmehr darin, dass es eine Leuchte ist für den Fuß des Pilgrims in dieser dunklen Welt. Eine Lampe ist nicht dazu da, dass man sie gegen die Sonne hält, um dadurch festzustellen, dass die Sonne am hellen, lichten Tag auch wirklich scheint.
Wo würden wir hinkommen, wenn dies die Antwort unserer Herzen wäre auf die unendliche Gnade Gottes, der wir seine vertraulichen Mitteilungen verdanken. Ist denn in all diesen heiligen Dingen der Offenbarungen nichts für die Versammlung bestimmt? Hat die Versammlung denn noch Zeugnisse dazu nötig, dass das Wort Gottes die Wahrheit ist? Ist es für die Versammlung die angemessene Haltung, darüber zu disputieren, ob das, was Gott gesagt hat, auch Wahrheit ist? Wie würden wir die Güte und Freundlichkeit Gottes verachten, wenn wir auf solche Weise gegen Ihn handeln würden!
Aber da ist noch mehr. Der größte Teil der Weissagungen, ja, in gewissem Sinn können wir sagen, sämtliche Weissagungen, werden ihre Erfüllung erst nach Abschluss des Zeithaushaltes, in dem wir jetzt leben, finden. Zu jener Zeit wird die Versammlung nicht mehr auf der Erde sein und also die Bestätigung, dass die Weissagungen Wahrheit sind, nicht mehr dazu dienen können, die anderen Menschen zu überzeugen, denn gerade das furchtbare Gericht, das über die Ungläubigen kommt, wird die allerdeutlichste Bestätigung der Weissagungen sein.
Nein, die Weissagungen sind uns gerade zu dem Zweck gegeben, dass wir unseren Wandel nach den Wegen des Herrn einrichten sollen; sie sollen uns auch zur Ermunterung sein, weil wir ja sehen, dass es letzten Endes doch Gott ist, der alle Dinge lenkt, und nicht der Mensch. Die Prophetie ist ein Licht, das an einem dunklen Ort leuchtet. In ihr erkenne ich das, was Gott gesagt hat; in ihr lese ich, dass alles zum Voraus geordnet ist. Von den weltlichen Dingen völlig abgeschieden und ohne mich mit der Politik der Großen dieser Erde befassen zu müssen, vermag ich von vornherein die vollkommene Weisheit Gottes zu bewundern. Ich kann meinen Weg gehen als ein „Wissender“, ohne mich auf mein eigenes Urteil verlassen zu müssen. In den Ereignissen um mich her erblicke ich nicht mehr die Ergebnisse menschlicher Leidenschaften, sondern die Entfaltung der Ratschlüsse des Allerhöchsten. Besonders in den Ereignissen, die in der Zeit des Endes stattfinden werden, zeigt uns die Weissagung alles das, was wir nach Gottes Wunsch und Willen von Ihm erkennen sollten: seine Treue, seine Gerechtigkeit, seine Macht, seine Langmut. Ebenso sehen wir aber auch das Gericht, das Er auf eine ganz bestimmte Weise über alle Ungerechtigkeit zur Ausführung bringen wird, wie auch die „Hinwegreinigung“ von allen denen, die die Erde verderben, damit Er eine Regierung in Frieden und Segen aufrichten kann. Das Gericht Gottes über die Völker wird kommen; – die Versammlung hat Kenntnis davon. Und dank der Unterweisung des Heiligen Geistes hat sie Verständnis dafür empfangen, glaubt es und entflieht diesen zukünftigen Ereignissen.
Ist die Erforschung der Weissagungen ein irreführendes Wagnis?
Ein weiteres Argument, das dagegen angeführt wird, sich mit den prophetischen Dingen zu beschäftigen, liegt darin, dass die Erforschung der Weissagungen so spekulativ sei. Es wird dabei auf die mancherlei Behauptungen, die von den Zeugen Jehovas, den Mormonen und Adventisten aufgestellt werden, verwiesen. Wir müssen zugeben, dass die Behauptungen dieser Menschen auch wirklich eigenwillig und irreführend und oft nicht auf die Schrift gegründet sind. Wenn aber die Weissagungen durch irregeleitete Menschen zuweilen missbraucht werden, sind dann darum die Weissagungen selbst auch nicht mehr richtig? Sind über die Lehre der Versöhnung und über das Werk des Herrn Jesus nicht schon häufig genug irreführende Betrachtungen angestellt worden? Ja, gibt es überhaupt einen Teil der Bibel, der nicht schon missbraucht worden ist? Sollten wir darum die Bibel ganz aus der Hand legen? Liegt die hauptsächliche Ursache, dass auf dem Gebiet der prophetischen Dinge so viele Menschen durch eigenwillige Behauptungen in die Irre geführt werden nicht darin, dass sie sich in den Weissagungen nicht auskannten? An meinem Wohnort werde ich mich kaum verirren, weil ich jede einzelne Straße kenne. Das könnte mir aber wohl passieren, wenn ich in eine mir unbekannte Stadt komme. Wenn ich die Zukunft betrachte und die Prophezeiungen nicht oder nicht genügend kenne, so wird mir alles unklar erscheinen, und ich laufe Gefahr, das Fehlende durch meine eigenen Meinungen zu ersetzen. Das wären dann wirklich irreführende, gewagte und eigenwillige Vorstellungen.
Nehmen wir aber z. B. die Weissagung: „… die Erde wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken“ (Jes 11,9). Welcher Christ würde nicht glücklich sein, wenn er an diese Zeit denkt? Aber wie wird das geschehen? Lasse ich nun meiner eigenen Meinung ihren Lauf, dann habe ich nichts als die gewagten Vorstellungen meines eigenen, armen Herzens, das nichts weiß und durch die Sünde verdorben ist. Lasse ich aber das Wort Gottes reden, dann gibt dasselbe Kapitel mir auch die göttliche Antwort.
Gott hat uns nicht dazu berufen, Propheten zu sein. Das Wort Gottes ist vollendet, d. h., es gibt keine neuen Offenbarungen mehr (Kol 1,25). Daher bringt jeder, der mit etwas Neuem kommt, das in der Schrift nicht enthalten ist, nur menschliche Einbildungen. Das ist nicht das einfältige, ernste, betende Erforschen alles dessen, was in der Schrift offenbart ist.
Zubereitung für das Erforschen der Weissagungen
Der Geist, in dem das Erforschen der Weissagungen geschehen muss, wird uns in der Zubereitung des Propheten Jesaja deutlich beschrieben (Jes 6). Bei Jesaja diente sie dazu, ihn zu einem Propheten zu machen, jedoch bleibt die Art und Weise der Zubereitung stets dieselbe. Es handelt sich dabei nicht um Verstandeskraft, Einstellung der Natur oder Urteilsfähigkeit. Wenn Gott der Lehrer ist und seine Schüler Sünder waren, die durch die Gnade errettet wurden, dann muss die Zubereitung eine sittliche und geistliche sein. Die Prophetie ist nicht der Platz für die Ausübung geistiger Verstandeskraft oder philosophischer Erwägungen. Sie wendet sich an den Glauben, um durch diesen in aller Einfalt als das Wort Gottes angenommen zu werden.
Jesaja schaute den Herrn der Heerscharen, und er hörte das Rufen der Seraphim: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit!“ Angesichts dieser Herrlichkeit verblasste alle Pracht und Schönheit des Fleisches, und er kam zu einer tiefen Erkenntnis seines eigenen verlorenen Zustandes, wie auch dem des ganzen Volkes. Da rief er aus: „Wehe mir! Denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich; denn meine Augen haben den König, den Herrn der Heerscharen, gesehen.“ Genau so muss es auch bei uns sein.
Dann aber kommt die Gnade und dient ihm, und es wird ihm gesagt, dass seine Ungerechtigkeit von ihm gewichen und seine Sünde gesühnt ist. Wenn nicht nur ein gebrochenes Herz, sondern auch die Erkenntnis der Gnade vorhanden ist, wenn wir nicht nur den Herrn der Heerscharen auf dem Thron der Herrlichkeit, sondern ihn auch zum Kreuz hingehen sehen und dort in seiner durchbohrten Seite von völliger Vergebung lesen, dann ist das Herz frei und in Gottes Liebe glücklich gemacht, – dann sind wir zubereitet zum Erforschen des prophetischen Wortes. Wir sehen, wie das Gericht über verschiedene Völker, über verschiedene Personen und schließlich auch über die Toten kommt, und dann erkennen wir, was auch unser Teil gewesen wäre, wenn die Gnade nicht für uns ins Mittel getreten wäre. Und wenn wir dann die Stimme des Herrn hören: „Wen soll ich senden?“, dann wird auch unsere Stimme antworten: „Hier bin ich, sende mich.“ Wie sollten wir das Gericht dieser Welt sehen können, ohne bereit zu sein, die Botschaft von der Gnade, die wir empfangen haben, an andere weiterzugeben?