Betrachtung über den Propheten Micha (Synopsis)
Kapitel 1
Der Herr redet in dem vorliegenden Buch von seinem Tempel aus und wendet sich an alle Völker, an die ganze Erde. Das will sagen: Er nimmt seinen Platz auf seinem irdischen Thron ein, um die ganze Erde zu richten und allen Nationen gegenüber als Zeuge aufzutreten. Er kommt aber von oben herab, indem Er von seiner Stätte ausgeht, um auf den Höhen der Erde einherzuschreiten. Alles Erhabene zerschmilzt unter Ihm, und alles Erniedrigte ist wie Wachs vor dem Feuer. Und warum erscheint Er in dieser richterlichen Weise: Warum will Er nicht noch länger der Torheit der Nationen gegenüber seine Langmut erzeigen und sie fern von Ihm auf ihren eigenen Wegen wandeln lassen? Darum, weil sein eigenes Volk, das auf Erden von seinem Namen hätte Zeugnis ablegen sollen, von Ihm abgefallen ist, indem es sich dem Dienst anderer Götter und der Sünde hingegeben hat. Es gibt kein Zeugnis für Gott auf Erden mehr, denn das einzige, was diesen Namen trägt, ist ein falsches Zeugnis; daher muss Gott sein eigner Zeuge sein. Nun kommen alle Sünden der Nationen ins Gedächtnis vor Ihn, sie liegen offen da vor Augen, die ihren Anblick nicht ertragen können. Sein Volk muss Er die Folgen seiner Sünde tragen lassen. Es wird daher in die Gewalt seiner Feinde gegeben, deren Hochmut um dieser Ursache willen zu solcher Höhe steigt, dass Gott mit seinem Gericht einschreiten muss. Er befreit den von Ihm geliebten Überrest und tritt als der gerechte Beherrscher aller Nationen auf.
Mehr als einmal haben wir bereits bemerken können, dass der Assyrer in den Ereignissen, die den Abschluss der Wege Gottes auf Erden bilden, die Hauptrolle spielt. Auch hier begegnen wir ihm als der Rute, deren Gott sich bedient, und zwar ist dies ein Gegenstand, der in der Weissagung Michas ganz besonders hervortritt.
Die Schlechtigkeit Samarias und ihre gegossenen Bilder sind die Ursache, um derer willen Gott nach seinem gerechten Urteil die schreckliche Geißel kommen lässt, jene Flut, deren Wagen sogar Juda erreichen (V. 6–9).
Man wird erkennen, dass das, was in den Tagen des Propheten selbst eintrat, dem Zustand des Volkes gegenüber dieselbe Bedeutung hatte, wie sie das Endgericht der letzten Tage haben wird, und dass daher die Ankündigung jener damals unmittelbar bevorstehenden Ereignisse dazu dient, um auf die gewaltigen Schläge des dereinstigen Gerichts hinzuweisen, gleichzeitig wurde aber auch das Volk zu damaliger Zeit hierdurch gewarnt. Wir haben dieselbe Sache schon mehrfach in den Propheten bemerken können.
Ohne Zweifel hat die vorliegende Stelle Salmaneser und Sanherib im Auge; betrachtet man jedoch die Weissagung ihrem ganzen Umfang nach, so wird es klar, dass jene nur die Veranlassung zu derselben sind. Der Assyrer kommt bis vor die Tore Jerusalems. In Vers 11–16 wird sein Vorrücken geschildert, wie dies auch bei Jesaja geschieht; nur werden hier gelegentlich dieser Schilderung noch mehr die Ursachen genannt, um welcher willen die einzelnen Städte, die er angreift, von dem Gericht betroffen werden, während Jesaja sie nur als die einzelnen Stationen seines Marsches aufzählt.