Der Christ im Spannungsfeld dieser Welt
1. Mose 38 im Licht unserer Zeit
Lektion 1: Einleitung – „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“
In unserer ersten Lektion wollen wir uns zunächst einen kurzen Überblick über das gesamte Kapitel verschaffen. Es ist – nicht ohne Grund – in die Geschichte Josephs eingebunden. Darüber hinaus werden wir zwei wichtige Prinzipien im Handeln Gottes mit uns Menschen erkennen, nämlich das Prinzip „Regierung“ und das Prinzip „Gnade“.
Eine gewollte Unterbrechung
Dem aufmerksamen Bibelleser fällt auf, dass unser Kapitel die Geschichte Josephs abrupt unterbricht. 1. Mose 37 beschreibt uns den Beginn der Geschichte Josephs. Er wird von seinem Vater zu seinen Brüdern geschickt. Er soll sehen, wie es ihnen geht. Dort schlägt ihm eiskalter Hass entgegen. Seine Brüder freuen sich nicht, dass er kommt. Sie gehen übel mit ihm um. Sie werfen ihn in eine Grube und verkaufen ihn dann an midianitische Händler, die ihn mit nach Ägypten nehmen. 1. Mose 39 nimmt den Faden dieser Geschichte wieder auf. Joseph ist in Ägypten. Dort kommt er durch die Intrige einer Frau, die ihn verführen will, unschuldig ins Gefängnis.
Genau dazwischen steht die Geschichte von Juda und seinem bösen Tun. Warum ist das so? Wäre es nicht besser, wenn die Geschichte an einer anderen Stelle stehen würde?1 Ganz sicher nicht. Wenn der Heilige Geist einen Bericht offensichtlich unterbricht, dann hat er dabei immer eine ganz besondere Absicht.2
Eine erste Erklärung
Eine erste Erklärung für unsere Frage finden wir in der prophetischen Bedeutung dieses Kapitels. Damit wollen wir uns nicht lange beschäftigen, sie aber doch für den interessierten Bibelleser kurz erwähnen3:
Joseph ist in den Geschehnissen des 1. Buches Mose ein besonders schöner Hinweis auf unseren Herrn Jesus. Sein Weg war ein Weg, der durch Leiden zur Herrlichkeit führte (vgl. Lk 24,26). Genau das bildet die Geschichte Josephs vor. In Kapitel 37 befindet sich Joseph in der Hand seiner Brüder. Sie lehnen ihn ab. Sie werfen ihn in die Grube. Die Brüder Josephs sind ein Bild der Juden, zu denen der Herr Jesus kam. „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an“ (Joh 1,11). Das Handeln der Brüder Josephs deutet die Verantwortung der Juden an, die sie an dem Tod des Herrn Jesus haben. Sie waren es, die seine Mörder geworden sind (vgl. Apg 7,52).
In Kapitel 39 ist Joseph in der Hand der Ägypter, die ihn ins Gefängnis werfen. Sie stellen uns die Seite der Nationen vor. Die Nationen tragen ebenfalls Schuld am Tod des Herrn Jesus (vgl. Apg 4,27). Es war ein Römer, der den Befehl dazu gab, Jesus Christus zu kreuzigen. Joseph im Gefängnis in Ägypten zeigt uns deshalb im Bild den Tod des Herrn Jesus. Die Erhöhung Josephs schließlich lässt uns an den Herrn Jesus denken, so wie wir ihn jetzt mit dem Auge des Glaubens sehen. Er ist zur Rechten Gottes mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.
Kapitel 38 ist eingeschoben und zeigt uns prophetisch etwas von der Geschichte der Juden, nachdem sie den Herrn ans Kreuz gebracht haben. Es ist eine von Sünde und Niedergang geprägte Geschichte. Juda verbindet sich mit einem Mann, der nicht zur Familie Jakobs gehört. Darin sehen wir die Verbindung der Juden mit der Welt. Über viele Jahrhunderte hinweg hatten die Juden kein eigenes Land; sie waren in der ganzen Welt zerstreut. Sie haben das geerntet, was sie gesät hatten. Sie hatten gerufen: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder“ (Mt 27,25). Und das ist in der Geschichte der Juden wahr geworden, und es wird in den Gerichten der Endzeit weiter wahr werden. Dennoch gibt es auch für den Überrest dieses Volkes kommender Tage Gnade. Das wird dann sein, wenn der Herr Jesus als die Sonne der Gerechtigkeit kommt, die aufgeht mit Heilung in ihren Flügeln (Mal 3,20). Das wird im Übrigen in der Bedeutung der Namen der Zwillinge angedeutet, die Tamar bekommt. Ihre Namen lauten: Perez = Bruch und Serach = Aufgang, Glanz. Aus den Trümmern dessen, was von dem Volk der Juden übrig geblieben ist, wird der Herr Jesus als die Sonne der Gerechtigkeit hervorstrahlen. Er wird für Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Erde sorgen.
Eine zweite Erklärung
Die zweite Erklärung führt uns zu der für uns jetzt wichtigen praktischen Bedeutung dieses Kapitels. Dieser Linie wollen wir auch im Weiteren folgen.
Joseph zeigt uns in seiner Geschichte in den Kapiteln 37 und 39, wie ein junger Mann (und auch eine junge Frau) seinen Weg in Gerechtigkeit und Reinheit gehen kann (vgl. Ps 119,9). 1. Mose 37 zeigt einen gerechten Joseph, der seinen Brüdern dient, aber von ihnen gehasst und verstoßen wird. In 1. Mose 39 sehen wir, dass die Frau Potiphars ihn nicht zur Sünde verführen kann. In einer äußerst kritischen und schwierigen Situation sagt er klar und entschieden: Nein. Von diesem Verhalten können wir alle lernen. Joseph floh vor der Sünde. Er spielte nicht mit dem Feuer und war bereit, die Konsequenzen seiner Treue zu tragen.
Das pure Gegenteil finden wir in Kapitel 38. Der Kontrast zwischen den drei Kapiteln (37, 38 und 39) könnte kaum größer sein. Die Bibel zeigt uns hier einen gewaltigen Gegensatz zwischen zwei Menschen auf, die völlig unterschiedlich waren. Auf der einen Seite die Gerechtigkeit und Reinheit Josephs. Auf der anderen Seite die Ungerechtigkeit und Sittenlosigkeit Judas. Beide hatten den gleichen Vater – und doch waren sie völlig verschieden. Vor dem hellen Bild der moralischen Größe und Reinheit Josephs erscheint die Sünde seines Bruders Juda umso schrecklicher. Hier lernen wir durch einen Kontrast.
Regierung und Gnade
Wenn wir das Kapitel als Ganzes auf uns einwirken lassen, dann erkennen wir zwei wichtige Prinzipien im Handeln Gottes mit uns Menschen. Diese Prinzipien finden wir immer wieder in der Bibel, sowohl in der Bildersprache des Alten Testaments als auch in den Belehrungen des Neuen Testaments. Wir überschreiben diese beiden Prinzipien mit „Regierung“ und mit „Gnade.“
Zunächst zwei Verse aus dem Neuen Testament, die uns klar machen, worum es geht.
Das Prinzip „Regierung“:
„Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7).
Gott handelt mit uns Menschen nach bestimmten Grundsätzen. Davon sind seine Kinder – also wir Gläubigen – nicht ausgenommen. Einer dieser Grundsätze ist, dass wir das ernten werden, was wir auch gesät haben. Das ist schon im natürlichen Leben so. Wer Weizen sät, wird keine Kartoffeln ernten. Wer einen Apfelbaum pflanzt, wird davon keine Kirschen pflücken. Im geistlichen Leben ist das nicht anders. „Wer für sein eigenes Fleisch sät, wird von dem Fleisch Verderben ernten; wer aber für den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten“ (Gal 6,8). In Hosea 8,7 heißt es: „Wind säen sie, und Sturm ernten sie.“ Die Saat ist also größer als die Ernte. Das macht uns auch 1. Mose 38 ganz klar.
Das Prinzip „Gnade“:
„Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden“ (Röm 5,20).
Die Gnade Gottes ist immer da, auch wenn wir sündigen. Es gibt keine Sünde im Leben eines Gläubigen, die so groß ist, dass Gott sie nicht vergeben könnte. Selbst in einem verpfuschten und kaputten Leben kann sich die Gnade Gottes groß machen. Der „verlorene Sohn“ in Lukas 15 hatte unter den bitteren Folgen seines bösen Weges zu leiden (das Prinzip „Regierung“). Trotzdem nimmt der Vater ihn wieder auf. Das ist Gnade. Auch die Geschichte Judas endet mit Gnade. Einer der Nachkommen Judas ist niemand Geringeres als der Herr Jesus. In seinem Geschlechtsregister finden wir Tamar – die Frau Judas – wieder (Mt 1,3).
Auf eine kurze Formel gebracht: Wenn Gott in Gnade handelt, dann handelt er so, wie wir es nicht verdient haben. Wenn er in seiner Regierung handelt, dann handelt er so, wie wir es verdient haben. Beide Seiten sind gleichzeitig wahr. Sie widersprechen sich nicht. Sie heben sich nicht gegenseitig auf. Sie ergänzen einander.
1. Mose 38 ist ein Kapitel der Warnung. Wir wollen sie nicht in den Wind schlagen. 1. Mose 38 ist gleichzeitig ein Kapitel, das Mut macht. Kein Leben ist so kaputt, dass Gott nicht noch etwas damit anfangen könnte.
Fußnoten
- 1 Es ist anzunehmen, dass zumindest der Beginn der Ereignisse von 1. Mose 38 zeitlich vor die Ereignisse von Kapitel 37 fällt. Dennoch werden sie an dieser Stelle berichtet.
- 2 Das gilt übrigens auch für viele andere Stellen in der Bibel. Immer dann, wenn wir meinen, der Gedankenfluss sei unterbrochen, sollten wir ganz besonders aufpassen, weil Gott das nie ohne Absicht tut. Er möchte, dass wir darüber nachdenken, warum das so ist.
- 3 Viele Begebenheiten des Alten Testaments haben neben der praktischen Bedeutung für uns auch eine prophetische Bedeutung. Wer sich näher mit der Bibel beschäftigt, um die Wahrheit Gottes kennen zu lernen, sollte sich durchaus auch einmal mit dem prophetischen Gehalt der alttestamentlichen Berichte beschäftigen. Es ist zwar manchmal etwas mühsam, lohnt sich aber in jedem Fall. Zur Hilfe gibt es gute Literatur, die wir benutzen können.