Einführender Vortrag zum 1. Johannesbrief
Kapitel 4
Folglich beginnt Kapitel 4 mit dieser Warnung. Johannes will uns über den Geist Gottes und Sein Wohnen in uns berichten. Doch er möchte, daß wir auf der Hut sind; denn es gibt genauso gewiß falsche Geister, wie es den Heiligen Geist gibt. Davon zeugen die falschen Propheten, die in die Welt ausgegangen sind. „Glaubet nicht jedem Geiste.“ [V. 1]. Nichts setzt einen Gläubigen einer größeren Gefahr aus (und so ist es immer gewesen), als wenn er den Heiligen Geist und Christus getrennt voneinander betrachtet. Der Apostel bindet die Kraft des Geistes stets an den Namen Christi. Wir werden in der Wahrheit bewahrt, wenn wir uns daran erinnern, daß die ausschließliche Absicht des Heiligen Geistes in der Verherrlichung Christi besteht. Diese Tatsache wird somit zu einem praktischen Test. Der Geist Gottes wirkt stets dahin, Christus vor unseren Augen fest zu halten. Falls nicht, liegt nicht weit vor uns ein Fallstrick. Verbinde den Geist Gottes einfach mit der Kirche, so hast du das Papsttum! Verbinde Ihn mit Einzelpersonen, so findest du Fanatismus! Er ist ein unabhängiger und offensichtlicher Zeuge für Christus. Dort liegt die Wahrheit. Der Heilige Geist ist hernieder gesandt worden, die Angelegenheiten Christi aufzunehmen und uns zu zeigen. Er ist gekommen, um Christus – und nicht einen Priester, noch nicht einmal die Kirche, sondern Christus – zu verherrlichen. Allein darin besteht für einen Gläubigen und die Kirche die wahre Herrlichkeit – ihre größte Segnung und Freude. Die Kirche ist im Namen Christi durch den Geist Gottes gebildet worden. Durch Ihn wohnt auch der Heilige Geist in einem Gläubigen. Das wird keineswegs bezweifelt. Aber alles dieses und das Zeugnis und die Wege von allem und jedem sollen unveränderlich unseren Gott durch Christus erhöhen. Wird hierin versagt, hat das Salz seine Kraft verloren.
Nehmen wir – um nicht von der Plumpheit des Papsttums zu sprechen – als Beispiel das System der Quäker1, welches die Wahrheit in schmerzvoller Weise verkehrt. Der Grund dafür ist klar. Der Heilige Geist wird praktisch von Christus getrennt; und dieses Zeugnis neigt ständig unter dem Anstrich von Demut dazu, den ersten Menschen zu erhöhen. Es wird dabei vorausgesetzt, daß jedes Kind Adams den Geist Gottes besitzt. Als Folge davon wird die Wahrheit verdunkelt, beeinträchtigt und zerstört. Jedes angemessene Bewußtsein vom Verderben des Menschen wird durch diese extreme Form des Pelagianismus2 vernichtet, indem dieses System eigentlich nicht nur die religiösen Zeremonien ablehnt, sondern in Wirklichkeit vor allem das Gewissen vergöttert.
Wie es auch immer sein mag – hier warnt der Apostel die Erlösten ernst vor falschen Propheten. Viele solche Menschen waren in die Welt hinausgegangen. Wir benötigen folglich einige sichere Mittel, um sie zu erkennen. Es geht nicht um die Entscheidung, wer Christus angehört und wer nicht, sondern vielmehr darum, welche Art Geist durch diesen oder jenen Lehrer wirkt. Der Gesichtspunkt ist hier keinesfalls, den Zustand eines Menschen vor Gott oder sein ewiges Schicksal zu verkündigen. Die Menschen sind ständig geneigt, dort eine Meinung zu bilden und auszusprechen, wo der Herr es verbietet. Es ist klar, daß der Herr uns dazu aufruft, freimütig Personen als aus Gott geboren anzunehmen, wenn sie ein wahres Zeugnis von Christus ablegen. Auf der anderen Seite sollten wir uns hüten, jene zu unterstützen, deren Zeugnis in Wort oder Tat gegen den Namen Jesu gerichtet ist.
Dieses ist demnach der Test, um zu prüfen, was vom Heiligen Geist ist und was nicht: „Hieran erkennet ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist aus Gott.“ [V. 2]. Ich bitte meinen [englischen; Übs.] Leser zu beachten, daß ich hier ein oder zwei Worte [aus der englischen Bibel3] weggelassen habe, die im Folgenden kursiv gedruckt sind. „Jeder Geist, der bekennt, daß Jesum Christum im Fleisch gekommen ist, ist aus Gott.“ Der Unterschied ist groß. Der Text in der „Authorized Version“ ist ganz und gar unangemessen. Nicht wenige hier [der Zuhörer von 1869, Übs.] werden sich erinnern, daß es vor einer Generation Offenbarungen von Geistern (ich zweifle nicht, bösen Geistern) gab, die nicht leugneten, daß Jesus im Fleisch gekommen sei. Im Gegenteil schienen sie den größten Nachdruck auf Seine Fleischwerdung (Inkarnation) zu legen und schalten die Rechtgläubigen, sie würden diese Wahrheit zu wenig beachten, bzw. an sie glauben. Der Hauptpunkt ihrer falschen Lehre bestand indessen darin: Sie bestanden darauf, daß Jesus das Fleisch in demselben Zustand des Verderbens auf sich nahm, in dem alle übrigen Menschen geboren werden, und daß Jesus Seine Vollkommenheit zeigte, indem Er sich dem Fleisch unterwarf und es reinigte. Natürlich ist dir klar, daß ich mich auf die Bewegung der Irvingiten4 beziehe. Das Bekenntnis, daß Jesus im Fleisch gekommen ist, genügt also nicht.
Was sagt und meint der Apostel hier? – „Jeder Geist, der Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist aus Gott.“ Das bedeutet, daß Seine Person bekundet wird – nicht Seine Göttlichkeit allein, noch weniger Seine Menschheit allein, sondern die Person, welche auf diese Weise kam. Das eine anerkennt einfach eine Tatsache; das andere ist das Bekennen einer göttlichen Person, die dennoch ein Mensch ist. Es gibt jedoch keinen Dämon, der jemals die Person Christi bekennt. Es gibt keinen bösen Geist, der nicht davor zurückschreckt oder sich nicht weigert, die Herrlichkeit Christi anzuerkennen. Wohingegen die unmittelbare Absicht des Geistes Gottes immer darin besteht, Christi Person in der ganzen Fülle Seiner Herrlichkeit und in all Seiner Gnade aufrecht zu erhalten. Niemand nehme unseren Vers als eine Aussage zu Seiner menschlichen Natur. Das ist nicht sein Sinn. Die wahre Menschheit Jesu ist darin enthalten; doch das ist keineswegs das Ganze oder der Hauptteil des Bekenntnisses. Nimm einen jeden Menschen – zum Beispiel dich selbst! Wer würde sagen, daß du im Fleisch gekommen bist? – Niemand mit Menschenverstand! Denn jeder würde fragen, in welcher anderen Weise du hättest kommen können. Darin liegt der Unterschied zwischen dem Sohn Gottes und jedem anderen Menschen, der jemals geboren wurde. Die ganze Menschheit muß im Fleisch kommen, wenn sie überhaupt kommt. Das Wunderbare liegt darin, daß diese göttliche Person im Fleisch kommen sollte; denn welche Anrechte hatte das Fleisch im geringsten an Ihm? – Nichts als Seine Gnade verhinderte, daß Er in der Ihm angemessenen göttlichen Herrlichkeit kam. Wäre Er in letzterer in dieser Welt geoffenbart worden, hätte es natürlich zur Vernichtung der ganzen menschlichen Rasse geführt. Nach dem Willen und den Ratschlüssen der Gottheit gefiel es Ihm, im Fleisch zu kommen. Das war nicht die Offenbarung der Herrlichkeit, außer in sittlicher Hinsicht und in Liebe, sondern genau jene Gnade, die wir vom Anfang dieses Briefes an gesehen haben und die bis an sein Ende reicht.
Die Geister also, die nicht aus Gott sind, weigern sich (es sei denn, die göttliche Macht beugt und zwingt sie dazu), die persönliche Herrlichkeit Christi anzuerkennen, während der Heilige Geist gerade dieses liebt. Darin besteht die Probe. Falls irgendeine Lehre die Herrlichkeit Christi untergräbt, hast du einen unzweideutigen Beweis, daß sie von Satan stammt. Genauso gewiß gilt: Was immer Christus dem Wort Gottes entsprechend erhöht, ist von Gott.
Das führt Johannes dazu, von dem Unterschied der Dinge zu sprechen, die in der Welt und die von Gott sind. In der Welt wirkt ununterbrochen ein ruheloser Geist des Gegensatzes zu Christus. Das ist der Geist des Antichrists, der sich zu seiner Zeit völlig entfalten wird. Daher wird gesagt: „Ihr seid aus Gott, Kinder, und habt sie überwunden, weil der, welcher in euch ist, größer ist als der, welcher in der Welt ist. Sie sind aus der Welt, deswegen reden sie aus der Welt, und die Welt hört sie. Wir sind aus Gott; wer Gott kennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht. Hieraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums.“ [V. 4–6]. Diese falschen Lehrer sind von der Welt und sprechen von dem, was ihr Herz besitzt und die Welt anzieht. Zwischen ihnen und der Welt besteht Seelenverwandtschaft. „Wir sind aus Gott“, sagt der Apostel, indem er von sich selbst und seinen Gefährten spricht, die bestimmt waren, das Wort Gottes vollständig zu verkündigen. Er spricht unwiderruflich; und das stachelt den Geist des Unglaubens an, so wie es auch dem Glauben begegnet.
„Wer Gott kennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht.“ Auch das ist ein ernster Test. Dabei geht es nicht um das Bekenntnis Christi, sondern darum, daß ein Mensch sich als von der Welt erweist, indem er Unterwerfung unter das apostolische Wort ablehnt. Viele Menschen mögen bekennen, daß sie die buchstäblichen Worte Jesu anerkennen. Viele anerkennen ausschließlich die Worte des Alten Testaments. Falls du nicht mehr tust als dieses, kannst du unmöglich von Gott sein. Wer wirklich aus Gott ist, fühlt, obwohl er zusätzlich jedes Wort anerkennt, das von Gott im Alten Testament aufgeschrieben wurde, ganz besonders die Gesegnetheit dessen, was Er jetzt durch Seine heiligen Apostel und Propheten geschenkt hat. (Vergl. Epheser 2 und 3!). Darauf mußte der äußerste Nachdruck gelegt werden zu jener Zeit, als die Evangelien und Briefe erschienen. Gleichzeitig, obwohl nicht in genau demselben Ausmaß und in gleicher Weise bleibt diese Anerkennung, nächst der Person Christi, stets ein wichtiger Test. Die Zeit eilt heran, in der sich zeigen wird, wie wenige unter denen, die das Neue Testament anerkennen, wirklich auf dasselbe hören und ihm glauben. Der traurigste Beweis davon, daß sie nicht glauben, daß es das Wort Gottes ist, wird ihr Aufgeben desselben sein. Würden sie ihm glauben, wären sie genauso wenig bereit, es aufzugeben, wie eine wahre Mutter erlaubt, daß ihr Kind entzwei geschnitten wird.
Das führt uns zu einen anderen Gegenstand – nicht die Wahrheit, sondern die Liebe untereinander. Zuerst kommt die Wahrheit, dann die Liebe. „Denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt [was er auch immer behaupten und sagen mag], denn Gott ist Liebe.“ [V. 7–8].
Das leitet Johannes dazu, von der Weise zu sprechen, in der Gott Seine Liebe gezeigt hat. Er stellt sie in drei Formen vor. Zuerst gibt es jene wunderbare Offenbarung Gottes in Christus, welche die Grundlage der Evangelien bildet; und Er enthüllte sich zudem in Christus noch in zweifacher Weise, nämlich als Leben und als Sühne. Wenn wir nicht Christus als das Leben besäßen, könnten wir Gott niemals verstehen. Wenn wir Gott verstehen könnten, indem wir Christus ohne die Sühne als unser Leben besäßen, könnten wir uns nur vollkommen elend fühlen, weil dann nämlich Gottes Herrlichkeit und Gericht unberücksichtigt geblieben wären. Die Kenntnis dessen, was Gott ist und was wir sind, ohne daß unsere Sünden weggetragen wurden, müßte sowohl zu Gottes Verunehrung als auch zu unserer ewigen Beschämung und Angst führen. Viele zum Leben erweckte Seelen, die unwissend über die Auswirkungen der Erlösung sind, beweisen in einem gewissen Maß diese Wahrheit. Gott in Seiner großen Barmherzigkeit läßt nicht zu, daß irgendwer dieses Gefühl bis in die letzten Tiefen empfinden muß. Wie viele von uns kennen aus Erfahrung, was es bedeutet, bekehrt zu sein und dennoch für eine gewisse Zeit das Gericht über die Sünde und seine völlige Wegnahme durch das Kreuz Christi nicht zu verstehen! Infolgedessen hat zwar die Welt ihren Geschmack verloren, verabscheut man die Sünde und verlangt wirklich Gottes Willen zu tun, aber die Ruhe des Herzens und des Gewissens in Christus vor Gott fehlt. Es ist Barmherzigkeit, auf diese Weise bekehrt zu sein, doch ein Elend, in diesem Zustand zu bleiben. Welche Freude, daß Gott Leben und Sühnung in unserem Herrn und Seinem Werk nicht voneinander getrennt, sondern verbunden hat! Möge der Mensch hier nicht dazwischenfahren! Was Gott zusammengefügt hat, soll kein Mensch scheiden. Er hat denselben Christus, der das Leben ist, auch zur Sühnung für unsere Sünden gegeben. Das ist die Lehre der Verse 9 und 10. Beide sind eine Entfaltung der Liebe Gottes und stehen im Gegensatz zum Gesetz (vor allem der letztere Vers), welches kein Leben zu vergeben hatte. Es konnte nur richten, aber nicht die Sünde wegnehmen.
Das ist aber nicht alles. „Wenn Gott uns also geliebt hat [und Er zeigte es, wie niemand anderes es konnte], so sind auch wir schuldig, einander zu lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist vollendet in uns.“ [V. 11–12]. Das ist ein wunderbares Wort, welches offensichtlich mit Johannes 1, 18 in Verbindung steht, wobei es bedeutungslos ist, welche Aussage zuerst geschrieben wurde. Dort ist Christus die Offenbarung Gottes in Liebe. Hier werden die Erlösten aufgefordert, nichts weniger zu sein. Geliebte Geschwister, wie weit offenbaren wir unseren Gott und Vater durch diese göttliche Liebe, die niemals das Ihrige sucht? Welche um jeden Preis das Gute für die Seinigen, nämlich für Seine Kinder – ja, für alle, sogar für Feinde – erstrebt?
„Hieran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geiste gegeben hat.“ [V. 13]. Das geht weiter als der letzte Vers von Kapitel 3, welcher [in Bezug auf das Erkennen; Übs.] nur sagt, daß Er in uns bleibt, aber nicht, daß wir in Ihm bleiben. Davon werden wir noch mehr sehen, darum verweile ich jetzt nicht bei diesem Thema. „Und wir haben gesehen und bezeugen, daß der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt. Wer irgend bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott.“ [V. 14–15].
Ich wüßte nicht, daß irgend etwas uns gefühlsmäßig mehr angehen könnte als diese Verse; denn was könnte näher bei Gott gedacht werden als das Weilen in Gott und Gottes Weilen in uns? Es gibt kein Bild, das uns Vertrautheit und Gemeinsamkeit sozusagen mehr vorstellen könnte als diese Aussage; und wenn wir daran denken, wer und was Gott ist sowie was wir sind, erkennen wir die unaussprechliche Größe dieser Worte. Von wem spricht der Apostel hier? – Von jedem Christen – und zwar als die einfache Frucht des Evangeliums!
Doch laßt uns die Kraft dieses Abschnitts etwas näher ansehen! In dem einen Fall lesen wir: „Hieran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geiste gegeben hat“, in dem anderen: „Wer irgend bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott.“ Es wird jetzt nicht gesagt: „Hieran erkennen wir.“ In diesem Fall mag jemand diese Wahrheit nicht bewußt kennen. Das hindert jedoch nicht die Wirklichkeit der Segnung. Falls du bekennst, daß Jesus der Sohn Gottes ist, wohnt Gott in dir und du in Gott. Er wohnt in dir, weil Er dir Seinen Geist gegeben hat, damit Er in dir sei.
Auf diese Weise wird Sein Wohnen in einem Menschen bewirkt. Die Folge dieser Gabe an dich ist indessen, daß du Gott zu deiner Zuflucht und Wonne machst. Ein Wohnen des Heiligen Geistes in einem Erlösten kann es nicht geben, ohne daß es die Seele zum Selbstgericht und Frieden mit Gott führt. Zu diesem Ziel gelangt durch die Gnade, meiner Meinung nach, jeder Christ früher oder später, wenn auch nicht immer sogleich. Er wird in der Güte Gottes dahin geführt – sei es auch, wie häufig der Fall, erst auf dem Sterbebett. Wir urteilen nicht immer richtig. Nicht selten gibt es Hindernisse für eine solche trostvolle Ruhe durch falsche Lehre oder ungerichtete Sünde. Davon spreche ich jetzt nicht, auch nicht von einem Mangel an Erkenntnisfähigkeit (Intelligenz). Noch weniger rede ich von den Wirkungen des calvinistischen Systems oder vom Arminianismus5, welche beide schädlich sind für den Genuß der Gnade Gottes. Calvinisten neigen dazu zu leugnen, daß ein Arminianer Frieden haben könnte. Das ist alles Unsinn. Er kann genauso sich des Friedens mit Gott erfreuen wie der Calvinist. Die Erfahrung zeigt eigentlich, daß die Gläubigen der arminianischen Schule denselben häufiger genießen als ihre Gegner, obwohl die Anhänger beider Gruppen (wie ich denke, unschriftgemäß) in sich selbst blicken. In Wahrheit ruht der Friede auf unserem Glauben an Christus und Sein Werk. Der Arminianismus ist für mich nicht mehr als der Calvinismus; und ich glaube nicht, daß ich den einen mehr schätze als den anderen. Als System erscheinen sie mir beide gleich engstirnig, ungesund und verderblich. Ich danke indessen Gott, daß Er nicht wenigen, die sich mit der einen oder anderen Seite verbunden haben, einen Geschmack von Seiner Gnade in Christus geschenkt hat.
Mag es sein, wie es will – falls ich Jesus, den Sohn Gottes, als denjenigen bekenne, auf dem meine Seele ruht, und Seine reiche Errettung annehme, sagt der Heilige Geist, daß Er dort weilen kann. Er wohnt dort; und wenn es so ist, gefällt es Ihm in Seiner Gnade, das Herz dahin zu führen, sein Vertrauen und seine Ruhe in Gott zu nehmen. Das bedeutet, in Gott zu bleiben. Damit findet man in Gott seine Zuflucht sowie die Quelle aller Ratschlüsse, aller Freude und aller Kraft. Man wendet sich zu Ihm in jeder Prüfung und Schwierigkeit sowie auch Freude. Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß niemand von uns dieses Vorrecht so nutzt, wie er sollte. Johannes spricht auch keineswegs von irgendwelchen Rangstufen in dieser Hinsicht. Ein solcher Gedanke ist der abstrakten Schreibweise des Apostels Johannes fremd. Er spricht von einer großen Tatsache für den Christen, obwohl sie nur mehr oder weniger verwirklicht sein mag. „In ihm bleibt Gott und er in Gott.“ Das empfängt der Glaube; und er besitzt es. Am Anfang nimmt Gott Seine Wohnung in uns. Als Folge davon bleiben wir in Gott. Manchmal betrachtet Johannes diese Wahrheit in einer anderen Reihenfolge und spricht von unserem Bleiben in Gott und danach von Gott in uns. Es sieht so aus, als spräche er dann von unserer Erfahrung, wo er zuerst unseren Teil und danach Gottes Weilen in uns vorstellt.
Den dritten Punkt kann ich nur kurz herausstellen. Es geht dabei nicht um die Entfaltung der Liebe oder ihre Wirksamkeit in uns, sondern um die Vollendung der Liebe mit uns. [V. 17]. Wir wissen nicht nur von unserem Weilen in Gott und Er in uns aufgrund der Tatsache, daß Er uns von Seinem Geist gegeben hat. Die Liebe ist nämlich dadurch mit uns vollendet worden, damit wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, weil auch wir in dieser Welt sind, gleichwie Er ist. Dieser Zustand wird uns nicht erst am Tag des Gerichts gegeben. Wir werden schon jetzt so behandelt. Das schenkt Freimütigkeit, selbst wenn wir an den Tag des Gerichts vor uns denken. Wie könnte es anders sein? Wenn ich wirklich glaube und sicher bin, daß Gott mich jetzt zu dem gemacht hat, was Christus ist – was könnte die Wirkung des Gerichtstages anders sein als eine Entfaltung der Vollkommenheiten? Das sind nicht allein die Vollkommenheiten dessen, was Christus für mich ist, sondern auch dessen, was du und ich durch und in Christus, unserem Herrn, geworden sind. Wir sind es jetzt schon.
Fußnoten
- 1 Religiöse Sekte, die alle äußere Organisation ablehnt und sich auf das „Innere Licht“, das angeblich jeder Mensch besitzt, verläßt. (Übs.).
- 2 Pelagianismus: nach dem Mönch Pelagius (um 400) benanntes religiöses System, das u. a. behauptet, der Mensch sei von Natur gut. (Übs.).
- 3 Vergl. englische „Authorized Version“; vergl. aber auch „Lutherbibel“ bis wenigstens zur Ausgabe von 1984 einschließlich! (Übs.).
- 4 Anm. d. Übs.: Irvingianer; benannt nach Edward Irving (1792–1834), dem Gründer der „Katholisch-Apostolischen Gemeinde“. (nach: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde (2000), Dateiversion, Wuppertal, E 338).
- 5 Anm. d. Übers.: Calvinismus ist die Richtung des Protestantismus, welche Jean Calvin (1509–1564) folgt. Sie vertritt u. a. eine strenge Lehre über die Auserwählung (Prädestination) zum Heil bzw. zur Verdammnis des Menschen durch Gott vor der Schöpfung, auf die ein Mensch in seinem Leben keinen Einfluß hat. Gegen diese Lehre trat Jacobus Arminius (1560–1609) auf und bestand auf die Willensfreiheit des Menschen zur Annahme der Errettung durch eine Bekehrung. Er kann jedoch wieder abfallen und geht dann verloren. Auf diese Auffassungsdifferenz beziehen sich wahrscheinlich Kellys Anspielungen.