Überwinden ... aber wie?
II. Die Welt überwinden
Mesopotamien: Bild der Welt
Und die Kinder Israel wohnten inmitten der Kanaaniter, der Hethiter und der Amoriter und der Perisiter und der Hewiter und der Jebusiter; und sie nahmen sich deren Töchter zu Frauen und gaben ihre Töchter deren Söhnen und dienten ihren Göttern. Und die Kinder Israel taten, was böse war in den Augen des Herrn, und vergaßen den Herrn, ihren Gott, und sie dienten den Baalim und den Ascherot.
Da entbrannte der Zorn des Herrn gegen Israel, und er verkaufte sie in die Hand Kuschan-Rischataims, des Königs von Mesopotamien; und die Kinder Israel dienten Kuschan-Rischataim acht Jahre. Und die Kinder Israel schrien zu dem Herrn, und der Herr erweckte den Kindern Israel einen Retter, der sie rettete: Othniel, den Sohn des Kenas, den jüngeren Bruder Kalebs. Und der Geist des Herrn kam über ihn, und er richtete Israel; und er zog aus zum Kampf, und der Herr gab Kuschan-Rischataim, den König von Aram, in seine Hand, und seine Hand wurde stark gegen Kuschan-Rischataim (Ri 3,5–11).
Und danach zogen die Kinder Juda hinab, um gegen die Kanaaniter zu kämpfen, die das Gebirge und den Süden und die Niederung bewohnten. Und Juda zog gegen die Kanaaniter, die in Hebron wohnten; der Name Hebrons war aber vorher Kirjat-Arba; und sie schlugen Scheschai und Achiman und Talmai. Und er zog von dort gegen die Bewohner von Debir; der Name von Debir war aber vorher Kirjat-Sepher. Und Kaleb sprach: Wer Kirjat-Sepher schlägt und es einnimmt, dem gebe ich meine Tochter Aksa zur Frau. Da nahm es Othniel ein, der Sohn des Kenas, der jüngere Bruder Kalebs; und er gab ihm seine Tochter Aksa zur Frau. Und es geschah, als sie einzog, da trieb sie ihn an, das Feld von ihrem Vater zu fordern. Und sie sprang vom Esel herab. Und Kaleb sprach zu ihr: Was hast du? Und sie sprach zu ihm: Gib mir einen Segen; denn ein Mittagsland hast du mir gegeben, so gib mir auch Wasserquellen! Da gab ihr Kaleb die oberen Quellen und die unteren Quellen (Ri 1,9–15).
Was ist die Welt?
Mesopotamien ist ein Bild der Welt, nicht in ihrem materiellen, für uns sichtbaren Charakter, sondern in ihren Grundsätzen und Wegen, Beweggründen und Wertvorstellungen, von denen jeder Mensch, der Gott nicht unterworfen ist, beherrscht und geleitet wird. Die materielle Welt ist die Sphäre, in der diese Dinge sich abspielen; sie ist gleichsam nur die Hülle für all den Prunk und Ruhm, der aus dem Willen des Menschen entstanden ist; der Geist und das Leben dieser Welt werden von diesem Willen des Menschen und von seinen Anstrengungen, sich selbst zu gefallen und zu erheben, geprägt.
Die Welt in diesem Charakter kann nur gegen Gott sein. Sie ist wie eine Burg, die Rebellen gegen ihren rechtmäßigen Herrscher Unterschlupf gewährt. Alle, die mit ihr auf gutem Fuß stehen, sind gegen Gott, denn wir lesen: „Die Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott; wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“ (Jak 4,4). Sie übt eine große Anziehungskraft auf die Lüste des Menschen aus gemäß dem Vers: „Denn alles, was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern ist von der Welt“ (1. Joh 2,16). Hier wird deutlich, dass die Welt nichts mit Gott gemeinsam hat. Ob sie kultiviert ist oder verdorben, ob sie religiös ist oder gottlos, sie ist Gottes großer Gegenspieler und hält durch ihre Anziehungskraft die Herzen der Menschen gefangen, die doch eigentlich Gott hingegeben sein sollten.
Die drei großen Merkmale der Welt
Sie wurden das erste Mal bei der Versuchung im Garten Eden sichtbar. Eva befand sich schon in dem gefährlichen Machtbereich Satans, als sie sah, dass der verbotene Baum
- gut zur Speise war – Lust des Fleisches,
- eine Lust für die Augen war – Lust der Augen
- begehrenswert, um Einsicht zu geben – Hochmut des Lebens (1. Mo 3,6).
Wie Blätter durch den Wind von dem Baum gerissen werden, der ihnen Leben gibt, so riss dieser Angriff des Feindes die Frau und dann ihren Mann weit von Gott weg. In ihren Herzen wurde Gott entthront und das Ich wurde zum Mittelpunkt ihres Lebens. Von diesem Zeitpunkt an wird der Mensch beherrscht von der Lust auf das, was er nicht besitzt, und von dem Stolz auf das, was er besitzt. Wir sehen an Kain und seinen Nachkommen, dass es dem Menschen leichtfiel, sich getrennt von Gott und in Unabhängigkeit von Ihm zeitliches Glück zu verschaffen (1. Mo 4,16–22).
Abram wurde aus Mesopotamien herausgerufen
Gott berief Abram aus Mesopotamien heraus (1. Mo 12,1). Dieser Ruf an Abram gleicht dem des Evangeliums heute an die Menschen. Es will die Welt nicht verbessern (obwohl die Welt ohne das Evangelium ein noch traurigerer Ort wäre), sondern es will die Menschen von ihren Fesseln lösen und sie herausrufen, zu Gott hin. Es ist der Wille Gottes, die seinen aus der Knechtschaft und Macht der Welt zu befreien. Das erforderte aber ein großes Opfer. Dieses Opfer wurde gebracht, denn unser Herr Jesus Christus „hat sich selbst für unsere Sünden gegeben, damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters, dem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Gal 1,4.5).
Das Evangelium der Gnade Gottes, das uns von diesem großen Opfer der Liebe Kunde gibt, ist ein befreiendes Evangelium; es befreit Menschen von Täuschungen und Verlockungen einer Welt, die zum Gericht verdammt ist, und gibt ihnen stattdessen eine himmlische Hoffnung. Es verbindet sie so sehr mit dem Himmel, dass er für sie ihr Vaterland und ihre Heimat wird. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt ist für euch“ (1. Pet 1,3.4). Der Himmel ist die Heimat all derer, die dem Evangelium geglaubt haben, und genau in dem Maß, wie wir das verwirklichen, werden wir Fremdlinge und Pilger in der Welt sein.
Gott rief Abram aus Mesopotamien heraus, damit er und seine Nachkommen von nun an sein eigenes Volk sein sollten; nachdem sie dem Ruf Gottes gefolgt waren, hatte der König jenes Landes natürlich keinerlei Anrechte mehr auf sie. Es ist ebenso klar, dass alle, die dem Evangelium geglaubt haben und Christus angehören, nicht von dieser Welt sind, denn Er hat gesagt: „Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,14). Israel fiel jedoch von Gott ab, und indem es das tat, tauschte es die Freude und Freiheit im Dienst für Ihn gegen bittere Knechtschaft ein. Der erste König, der es unterjochte, war Kuschan-Rischataim, König des Landes, aus dem Abram herausgerufen worden war. Ähnlich wie Israel verlassen auch Christen oft die wahre Quelle des Lebens und der Freude, um Befriedigung in dieser Welt zu suchen, und das, was sie suchen und dem sie folgen, versklavt sie bald, so dass sie ihre Freiheit und Freude verlieren. Wir alle stehen in dieser Gefahr und sollten auf die Ermahnung achten, die uns sagt: „Liebt nicht die Welt noch was in der Welt ist“ (1. Joh 2,15).
Der König von Mesopotamien
Der Name des Königs bedeutet „Doppelbosheit“, und diese Bedeutung entspricht dem wahren Charakter der Welt, denn wir wissen, dass der, der die Welt regiert, der Teufel ist (l. Joh 5,19). Er herrscht hinter ihren Kulissen: Er bot die ganze Herrlichkeit der Reiche dieser Welt dem Herrn an; auch heute noch stellt er diese Dinge den Menschenkindern vor und betört und zerstört durch all den Glanz ihre Seelen. Seine Bosheit ist in dieser Hinsicht von doppeltem Charakter, denn er ist sowohl Fürst als auch Gott der Welt (Joh 12,31; 2. Kor 4,4). Als die Israeliten das eiserne Joch, dem sie unterworfen worden waren, zu spüren begannen, schrien sie in ihrer Bedrängnis zu dem Herrn. Er hörte ihr Schreien und erweckte ihnen einen Retter, der der ganzen Macht Mesopotamiens mehr als gewachsen war.
Der Befreier
Der Mann, den Gott gebrauchen konnte, um sein Volk zu befreien, hieß Othniel, was „Meine Stärke ist Gott“ bedeutet. Wir lesen von ihm schon in Kapitel 1. Dort wurde seine Tapferkeit bereits vollständig erprobt und erwiesen; als Belohnung erhielt er die Tochter Kalebs und mit ihr das Mittagsland – ein sonniges und fruchtbares Land – und mit diesem Mittagsland die oberen und die unteren Quellen. Er war der Mann, der das Mittagsland mit den oberen und unteren Quellen als sein Erbteil besaß und deswegen Mesopotamien überwinden konnte.
Gott wirkt auch in unseren Tagen der Gnade durch das Gesetz der Anziehungskraft. Durch den mächtigen Einfluss seiner Güte und Liebe will Er uns von dem abziehen, was böse ist, und durch die treibende Kraft von etwas Besserem vertreibt Er die Welt aus unseren Herzen. Dieses Bessere ist das Mittagsland mit seinen oberen und unteren Quellen.
Das Mittagsland
Die leuchtende Schönheit dieses wundervollen Erbteils wird uns im Johannesevangelium vorgestellt; und in den Briefen des Johannes werden wir öfter als in irgendeinem anderen Teil der Schrift vor der Welt gewarnt, denn das, was Gott für uns hat und was die Welt hat, steht in fortwährendem Widerstreit miteinander; es kann nicht vermischt oder in Einklang gebracht werden.
Das Johannesevangelium hat einen ganz besonderen Charakter. In ihm wird uns der Herr nicht als derjenige vorgestellt, der nicht hat, wo Er sein Haupt hinlegen kann, sondern als „der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist“ (Joh 1,18). Das war seine Wohnung, seine Ruhe und der Ort seiner Freude. Mit seinen Jüngern konnte Er über das sprechen, was Ihm gehörte; das Wörtchen „mein“ ist charakteristisch für dieses Evangelium. In den Kapiteln 14–17 gebraucht der Herr es ungefähr 30-mal. Er war dort in der Mitte seiner kostbaren Besitztümer – der Dinge, die Er sein Eigen nennen konnte: „meines Vaters Haus“, „mein Vater“, „meine Freunde“, „mein Name“, „mein Friede“, „Meine Herrlichkeit“, und so weiter. Wir haben hier das gesegnete Vorrecht, Ihn als den Eingeborenen zu betrachten, der sich an dem unvergänglichen Glanz seines Erbteils erfreut. Er kam in diese Welt, um solche zu suchen und zu finden, die diese Kostbarkeiten für immer mit Ihm teilen sollen.
Christsein erschöpft sich nicht in Lehre und Glaubensbekenntnis, sondern ist Leben und Realität und besteht in der Freude an diesen Dingen, von denen der Herr hier spricht. Er möchte, dass sich alle, die sein Eigen sind, an ihnen erfreuen, denn Er sagte: „Meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). „Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei“ (Joh 15,11). „ Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“ (Joh 17,22). „Mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott“ (Joh 20,17). Damit diese Dinge unser Teil würden, hat Er uns mit sich selbst als seine Brüder verbunden, und Er findet seine Freude daran, uns nicht zu geben, wie die Welt gibt, sondern dieses wunderbare Erbe mit uns zu teilen. Er hat uns zu sich gebracht, damit wir das Beste seines Erbes kennen und genießen sollen, und das ist die Liebe seines Vaters; denn Er betete zu seinem Vater, damit „die Welt erkenne, dass du … sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast“ (Joh 17,23). Und wieder: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan …, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen“ (Joh 17,26).
Hier werden wir in die Unendlichkeit und Ewigkeit einer göttlichen Liebe mit einbezogen, die zu gewaltig ist, als dass wir sie mit unserem kleinen Verstand erfassen könnten; obwohl wir erst einen kleinen Anfang gemacht haben, die kostbare Bedeutung dieser Worte zu verstehen, wissen wir aber doch, dass es Worte ewigen Lebens sind, die unsere Herzen ergreifen und sie als Antwort auf diese unermessliche Liebe höher schlagen lassen.
Wie wir dieses Erbe genießen können
Wir können verstehen, dass der Herr seine Freude in diesem Mittagsland findet, wo alles von Gott ist, denn Er ist ja der Sohn Gottes; aber wie können wir diesen Platz, den Er uns in Verbindung mit sich selbst gibt, verstehen oder genießen?
Wenn heute ein König in ein Gefängnis ginge, um dort einen Verbrecher zu begnadigen, dann wäre das wohl ein Akt der Gnade, aber er würde ihn nicht unbedingt als seinen Gefährten mit in seinen Palast nehmen. Der Mann wäre ganz fehl am Platz und wahrscheinlich weit glücklicher im Gefängnis als in dem Palast. Wenn der König ihm allerdings den Geist eines seiner Kinder geben könnte, würde das die Sache ändern, denn jetzt wäre dieser Mann in der Lage, das zu genießen, was dem König gehört und würde sich in seiner Gesellschaft zu Hause fühlen. Was der König niemals tun kann, hat Gott getan. Er hat uns den Geist seines Sohnes gegeben – den Heiligen Geist –, und der Geist befähigt uns, nicht nur „Abba, Vater“ zu rufen, sondern enthüllt uns auch alle die Dinge, die Christus betreffen, und lässt uns sie genießen, und in dem Geist, der uns so gegeben worden ist, haben wir die oberen und unteren Quellen.
Wir werden diesen kostbaren Platz in seiner ganzen Fülle genießen, wenn wir im Vaterhaus ankommen, aber seine Liebe ist so groß, dass Er uns nicht auf diese Freude warten lässt, bis wir jene gesegnete Wohnung erreichen; Er hat uns seinen Geist gegeben, damit wir jetzt schon anfangen, sie zu genießen.
Die Quellen der Welt
Mesopotamien bedeutet „Land der zwei Flüsse“; es kennzeichnet damit bildhaft einen anderen Wesenszug der Welt. Es wäre falsch, anzunehmen, dass die Welt nichts zu bieten hätte, denn sie hat zwei Ströme, die in ihren Augen vortrefflich und ausreichend sind. Aber sie sind nicht das, was sie zu sein scheinen; sie können nicht das hervorbringen, wonach das Herz sich sehnt; und dennoch werden sie von allen Menschen, die der Wahrheit widerstehen, in ihrer Blindheit aufgesucht, genauso wie Naaman in seinem Stolz ausrief: „Sind nicht Abana und Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser als alle Wasser von Israel?“ (2. Kön 5,12) Das Johannesevangelium stellt die zwei großen Ströme, derer sich die Welt so rühmt, in ihrem ganzen unbefriedigenden Charakter bloß. Sie sind Fälschungen von dem, was Gott für die Menschen bereithält, und zwar:
Erstens Vergnügen (Joh 4) und zweitens Religion (Joh 7). Diese beiden Seiten der menschlichen Natur werden hier angesprochen. Vom Vergnügen sagt der Herr: „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten“ (Joh 4,13). Und am großen Tag des Laubhüttenfestes sah Jesus voll Mitleid die unbefriedigte Volksmenge und rief aus: „Wenn jemand dürstet …“ (Joh 7,37).
Genauso wie alle Flüsse im Meer enden und das Meer doch nicht voll wird, so können alle Wasser dieser Welt in das Herz des Menschen fließen, und er bleibt doch unbefriedigt. Sein Herz ist zu groß für die Welt; es wurde für Gott geschaffen, und nur Gott kann seinen Durst befriedigen. Die Vergnügungen dieser Welt können absolut keinen bleibenden Frieden vermitteln, und ihre Religion kann die Seele weder retten noch erbauen.
Das Angebot des Herrn – Die oberen und unteren Quellen
Wie schön ist es, zu sehen, dass der Herr bereit ist, sowohl den Hunger nach Vergnügen zu stillen als auch die Herzen derjenigen zu füllen, die erfahren haben, dass sämtliche Festlichkeiten einer leeren Religion das niemals vermögen. Es ist seine Absicht, die Menschen von dieser Welt unabhängig zu machen: „Wer irgend aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit“ (Joh 4,14). Genauso will Er sie aber auch zu Mitarbeitern machen, die in der Lage sind, anderen durstigen Herzen dieser Welt in ihrer großen Not zu helfen: „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus da und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“ (Joh 7,37–39). Gibt es etwas Herrlicheres? In sich eine tiefe Quelle der Befriedigung zu haben, die ins ewige Leben quillt – die in verständnisvoller Einsicht und Anbetung zu ihrem Ursprung und Geber aufsteigt. Das ist die obere Quelle; wo dann die selben erquickenden Wasser in Strömen fließen zum Segen für andere: Das ist die untere Quelle.
All diese Dinge sind keine bloße Fantasie; es ist wohl wahr, dass sie oft unsere kühnsten Träume übertreffen, aber trotzdem sind es zuverlässige Wahrheiten Gottes, sehr greifbar und wirklich für jene, die Ihn lieben.
Es ist ganz klar: Für ein Herz, das dieses wunderbare Erbteil genießt, hat die Welt keinen Reiz mehr. Es wird nicht mehr angelockt von ihrem Lächeln noch können ihre Drohungen es erschrecken; ihre Schlingen sind abgeworfen, und die Seele ist frei. Nur die, die dieses Erbteil besitzen und genießen, sind wahre Othniels – Männer Gottes – selbst frei und dann in der Lage, auch andere zu befreien.
Wir können jedoch nicht durch natürliche Kraft oder durch große Anstrengungen unsererseits Selbstverleugnung praktizieren, um die Welt zu überwinden; solche Versuche würden nur in erbärmlicher Gesetzlichkeit und im Versagen enden; nur wenn wir uns im Glauben diese Dinge zu eigen machen und das Herz sie wirklich genießt, werden wir an den Geboten des Herrn Freude finden und erfahren, dass seine Gebote nicht schwer sind. „Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube. Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ (1. Joh 5,4.5).
Unser großes Vorbild
Es hat nur einen vollkommenen Menschen auf dieser Erde gegeben, der in Abhängigkeit von Gott einen immer siegreichen Weg ging, und Er hat uns ein Beispiel hinterlassen, damit wir in seine Fußstapfen treten sollen. Wenn wir Ihn lieben, werden wir Ihm mit Freuden nachfolgen und die Erfahrung machen, dass sein Joch sanft ist und seine Last leicht. Das Lukasevangelium stellt uns den Herrn in dieser besonders anziehenden Eigenschaft eines Menschen in Abhängigkeit von Gott vor, und in diesem Evangelium tritt der Teufel Ihm auch mit der dreifachen Versuchung entgegen, die im Garten Eden so viel Unheil hervorgebracht hatte. Die Versuchung in der Wüste (Lk 4,1–13) bestand in:
- der Lust des Fleisches – die Steine in Brot zu verwandeln;
- der Lust der Augen – alle Reiche des Erdkreises;
- dem Hochmut des Lebens – wirf Dich von hier hinab.
Dem ersten Angriff wurde eine vollkommene Antwort entgegengehalten: „Es steht geschrieben: ‚Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort Gottes‘“ (Lk 4,4). Sicher hatte der Herr die Macht, Steine in Brot zu verwandeln, aber Er war hier, um allein Gottes Willen zu tun, und niemals gebrauchte Er seine Macht für eigene Zwecke; darüber hinaus wollte Er nicht auf dieser Erde seine Befriedigung finden, sondern nur in Gott. Er trachtete nicht danach, seine Nahrung von unten zu bekommen, sondern von oben.
Gott erfüllte sein Herz und war zugleich Antwort auf die Versuchung des Teufels. Gott wollte jedes seiner Bedürfnisse stillen, und Er hätte niemals seine eigene Macht dazu benutzt, weil Er den Platz der vollkommenen Abhängigkeit von Gott nicht verlassen wollte; Er war nicht da, um sich selbst zu gefallen, sondern um den Willen Gottes zu tun. Die Lust des Fleisches hatte keinen Raum in seinem Herzen. In diesem Punkt waren Adam und Eva zu Fall gekommen; sie stellten ihre Interessen vor diejenigen Gottes. Da, wo sie fielen, stand der Herr fest, so dass der Teufel besiegt und zurückgeschlagen wurde.
Jetzt kam der Angriff von einer ganz anderen Seite: Aller Glanz der Reiche dieser Welt wurde Ihm vor Augen gestellt. Aber ihre Macht, ihr Pomp und ihre Größe, von denen die Menschen geblendet und fasziniert werden und für die sie ihre Seelen verkaufen und ihren Gott verleugnen, hatte keinen Reiz für den Herrn. Palmerston, der berühmte Premierminister, konnte als ausgezeichneter Menschenkenner sagen: „Jeder Mann hat seinen Preis“; aber hier war Einer, den nichts von seinem Vorsatz abbringen konnte. Seine Augen waren auf Gott gerichtet, und Er widerstand der Versuchung mit der vortrefflichen Antwort: „Es steht geschrieben: ‚Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen‘“ (Lk 4,8). Ein wahrer Anbeter Gottes ist einer, dessen Herz mit seiner Herrlichkeit gefüllt ist. Bei dem Herrn war das immer der Fall, und in einem solchen Herzen war kein Platz für die Welt; ihr leerer Glanz zog Ihn nicht in ihren Bann.
Gott war also wiederum seine Antwort auf die zweite Versuchung.
Noch einmal wagte der Teufel einen Angriff, indem er den Vorschlag machte, der Herr sollte sich von der Zinne des Tempels hinabstürzen, um so zu beweisen, dass Er der Sohn Gottes sei, dem Gott seinem Wort gemäß besonderen Schutz zukommen lassen würde. Aber die Falle wurde vergeblich gestellt, denn der Herr wollte Gottes Zeit abwarten, um sich und seine Herrlichkeit offenbar werden zu lassen. Er wollte Gott nicht versuchen, indem Er irgendetwas in seine eigenen Hände genommen und für sich beansprucht hätte, und so antwortete Er: „Es ist gesagt: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen‘“ (Lk 4,12).
Wieder ist Gott die Antwort dieses wahrhaftig abhängigen und deshalb immer siegreichen Menschen. Er war unüberwindlich, weil Er Gott, den Herrn, immer vor sich stellte. Er erwartete von Gott seinen Lebensunterhalt; Gott füllte sein Herz, und für alles andere war kein Platz; Gott war seine Zuversicht, so dass Er seine Zeit vollständig in Gottes Hände lassen und nicht beunruhigt werden konnte.
Satan wiederholte den Angriff, als die dunklen Schatten des Kreuzes auf den Weg des Herrn fielen. Es war immer noch die Absicht des Feindes, Ihn von dem Weg des Gehorsams abzubringen. Mit den Reizen und Angeboten der Welt war es ihm nicht gelungen, und so versuchte er es mit ihren Schrecken und Ängsten (Mt 16,21). Der Herr begann seinen Jüngern zu zeigen, was Er von den Händen der Menschen erleiden musste, und all das Schreckliche, das Ihm bevorstand, bedrängte Ihn. Satan benutzte diese Gelegenheit, um durch Petrus zu sagen: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren!“ (D.h.: Habe doch Mitleid mit Dir.) Aber der Herr entdeckte den Feind sofort in seiner neuen Verkleidung als scheinbarer Freund, und Er begegnete seiner Heimtücke mit dem strengen Verweis: „Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist“ (Mt 16,22.23).
Wieder stand Gott vor seiner Seele, der Einzige, für den Er hier lebte. Er wollte sein Leben nicht erretten – darin bestand sein Auftrag nicht – und so waren alle Waffen Satans, die er mobilisiert hatte, um Ihn zu besiegen, nutzlos: Aus allen Kämpfen ging Er siegreich hervor. Der Fürst dieser Welt kam, aber fand keinen wunden Punkt und wurde völlig besiegt. Es konnte auch nicht anders sein, wenn er sich mit dem Einen messen wollte, dessen erste überlieferte Worte waren: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49), und der nur für seinen Vater lebte und sich niemals zur Rechten oder zur Linken wandte, bis Er sagen konnte: „Es ist vollbracht.”
Er überwand die Welt. Ihre Reize und Schlingen wurden vergebens für Ihn ausgelegt. Sein Herz war befriedigt in Gott allein, und jede Regung seiner Seele stand unter der Führung seines Gottes. Er ist unser Vorbild und Führer, und in Ihm ist jede Gnade und Kraft, die wir brauchen, so dass wir gewiss und freudig in seinen Fußstapfen gehen können.
Der Hingabe und Liebe des Herrn Jesus Christus verdanken wir alles, und Gott hat unsere Herzen unterwiesen, Ihn, in dem wir solch überragende Schönheiten finden, über alles zu schätzen. Aber wie behandelte Ihn die Welt, als Er sich offenbarte? Sie sahen seine wunderbaren Werke und mussten ausrufen: „Er hat alles wohl gemacht.“ Sie hörten die Worte seines Mundes und anerkannten: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch.“ Und doch, am Ende, spien sie Ihm ins Angesicht, krönten Ihn mit Dornen und kreuzigten Ihn zwischen zwei Mördern. Die Welt hatte für diesen einsamen und doch so huldreichen Mann von Nazareth keinen Platz. Er wurde von ihr gehasst und verworfen. Denken wir daran, alle, die wir Ihm gehören. Erinnern wir uns auch daran, dass die Welt sich nie in tiefer Reue vor Gott gebeugt hat, um damit ihre Betrübnis über diese furchtbare Tat auszudrücken; sie ist noch immer des Blutes des geliebten Sohnes Gottes schuldig. Angesichts dessen müssen wir uns die Frage stellen, welche Haltung wir dieser Welt gegenüber einnehmen. Paulus konnte sagen: „Von mir aber sei es fern, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6,14); ebenso steht zu unserer Belehrung und Mahnung geschrieben: „Wisst ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“ (Jak 4,4).