Die Versammlung des lebendigen Gottes
4. Schriftgemäße Beziehungen zwischen Versammlungen
Das vierte Kapitel befasst sich mit den schriftgemäßen Beziehungen zwischen Versammlungen. Dabei werden folgende Themen behandelt:
4.1 Unabhängigkeit oder Einheit
4.2 Die Einheit der Versammlungen des Neuen Testaments
4.3 Binden auf der Erde
4.4 Die sieben Versammlungen von Kleinasien
4.5 Beispiele der Einheit aus dem Volk Israel
4.6 „Ein Kreis der Gemeinschaft“
4.7 Auf praktische Weise die Einheit bewahren
4.1 Unabhängigkeit oder Einheit
Im Blick auf die Beziehungen von Versammlungen untereinander gibt es zwei Möglichkeiten: Versammlungen können, wie manche lehren, voneinander unabhängig bestehen, als Vereinigung von Einzelpersonen, die allein Christus, dem Haupt im Himmel verantwortlich sind; oder sie können, wie es wieder von anderen gelehrt und praktiziert wird, in Einheit untereinander funktionieren, und sowohl gemeinsame als auch örtliche Verantwortlichkeiten ausüben. Die Frage ist daher kurz gesagt die, welche dieser beiden möglichen Handlungsweisen, die ja unterschiedliche Grundsätze bedeuten und mit sich bringen, schriftgemäß ist. Welchen Weg hat Gott für uns in Seinem Wort niedergelegt? Welchen Weg haben die neutestamentlichen Versammlungen eingeschlagen? Das ist die Frage, die durch die Schriften entschieden werden muss, denn gerade in diesem Punkt haben sich zwei unterschiedliche Lehrmeinungen und Handlungsweisen unter solchen entwickelt, die beide für sich beanspruchen, sich schriftgemäß zu versammeln.
Ein Leib
Zuerst wollen wir bemerken, dass von dem Zeitpunkt an, seitdem der eine Leib – zusammengesetzt aus allen wahren Gläubigen – besteht, jede örtliche Versammlung an ihrem Ort die Darstellung oder der Ausdruck der ganzen Versammlung Gottes ist. Sie ist ein Teil einer großen Einheit – „der Versammlung des lebendigen Gottes“ – und allein unter diesem Gesichtspunkt kann es daher gar keinen Gedanken von unabhängigen Versammlungen geben. Wenn jede örtliche Versammlung ein lebendiger Teil dieses großen Leibes Christi auf der Erde ist, dann muss es auch unter allen örtlichen Darstellungen dieses einen Leibes eine praktische Einheit und ein gemeinsames, gemeinschaftliches Handeln geben; andernfalls wird die Wahrheit von dem einen Leib dem Grundsatz nach und in der Praxis aufgehoben.
Betrachten wir diesen Gegenstand einmal von einem natürlichen Gesichtspunkt aus: Wenn ein großes, internationales Unternehmen an vielen Orten Filialen oder örtliche Vertretungen hat, dann müssen diese alle als eine Einheit und entsprechend einheitlicher Grundsätze mit örtlicher Anpassung zusammen arbeiten und funktionieren. Würde jede Filiale oder örtliche Niederlassung unabhängig von den anderen handeln, dann würden alle zusammen nicht als ein Unternehmen funktionieren. Um wirkungsvolle Teile dieses Unternehmens zu sein, bedarf es eines gemeinsamen und einheitlichen Handelns.
1. Korinther 12 belehrt uns über die wunderbare Einheit, die unter allen den vielfältigen und unterschiedlichen Gliedern des Leibes Christi besteht. „Denn sowie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: so auch der Christus (d.h. Christus und die Versammlung)“ (Vers 12). „Nun aber sind der Glieder zwar viele, der Leib aber ist einer. Das Auge aber kann nicht zu der Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht; … Gott hat den Leib zusammengefügt…sondern die Glieder dieselbe Sorge für einander haben möchten. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder im Einzelnen“ (Verse 20.21; 24–27).
Genauso, wie bei dem menschlichen Körper vollkommene Einheit, gemeinsames Funktionieren und gegenseitige Abhängigkeit der vielen und unterschiedlichen Glieder voneinander besteht, hat Gott es auch für den geistlichen Leib Christi bestimmt. So wie bei dem menschlichen Leib keine Unabhängigkeit, sondern völlige Abhängigkeit der Glieder voneinander besteht, so kann es auch keine Unabhängigkeit unter den Gliedern des Leibes Christi geben, wenn es ein richtiges Funktionieren entsprechend den Gedanken Gottes geben soll. Da kann es nicht sein, dass ein Glied zu einem anderen Glied sagt: „Ich brauche dich nicht“. In dem Leib Christi darf es keine Spaltung oder Parteiung geben. Die Gläubigen der Versammlung zu Korinth in jenen Tagen bildeten Christi Leib zu Korinth und einzeln Glieder des ganzen Leibes Christi, der Versammlung.
Nun, wenn das eben Gesagte für jedes einzelne Glied des Leibes Christi wahr ist, sollte dann nicht dieser Grundsatz auch auf örtliche Versammlungen anzuwenden sein, die doch nichts anderes als örtliche Gemeinschaften von einzelnen Gliedern des Leibes sind, die sich miteinander an einem Ort versammeln? Ganz gewiss ist das so! Die Wahrheit von dem einen Leib lässt keine Unabhängigkeiten zu, weder persönliche noch gemeinschaftliche Unabhängigkeiten.
Die Einheit des Geistes bewahren
Da ist nicht nur ein Leib, da ist auch ein Geist – und Epheser 4,3.4 ermahnt uns, „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens. Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung“. „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft worden … und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ (1. Kor 12,13). Dies ist die göttliche Einheit, die an dem Tag der Pfingsten durch den Heiligen Geist gebildet wurde und zu der alle Gläubigen gebracht worden sind. Wir sind alle dazu gebracht worden, von dem einen Geist zu trinken. Diese Einheit ist durch den Heiligen Geist gebildet worden und es ist sein tiefstes Anliegen, dass diese Einheit zur Erfüllung der Ratschlüsse des Vaters und zur Verherrlichung Seines Sohnes ausgelebt und aufrechterhalten wird.
Wir können diese Einheit des Leibes Christi, die durch den Geist Gottes gewirkt wurde, nicht zerstören, denn sie ist ein für allemal gebildet worden und Christus sieht seine Versammlung immer als eins – ungeachtet der Tatsache, wie zersplittert sie auch auf Erden sein mag. Aber wir können darin versagen, diese Einheit des Geistes zu bewahren. Deshalb werden wir ermahnt, uns zu befleißigen, sie in dem Band des Friedens zu bewahren.
Es hat einmal jemand gesagt: „Die Einheit des Geistes ist diese Kraft oder dieser Grundsatz, wodurch die Heiligen gehalten werden, in ihren eigentlichen Beziehungen in der Einheit des Leibes Christi gemeinsam voranzugehen. Es ist die moralische Verwirklichung dieser Einheit. Das Bestreben, sie zu bewahren, erhält unsere Beziehungen und Verbindungen mit allen Heiligen dem Geist Gottes gemäß aufrecht – und auch in der Wahrheit.
Wir kommen mit anderen in dem Namen des Herrn auf dem Grundsatz des einen Leibes und des einen Geistes zusammen. Auf diese Weise befleißigen wir uns, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens. So trachten wir danach, in der „Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (2. Kor 13,13) zu bleiben, denn Er ist es, der die Einheit des Leibes Christi aufrechterhält …
Was ist nun diese Einheit? Es ist die Kraft und der Grundsatz, wodurch die Heiligen befähigt sind, in ihren eigentlichen Beziehungen in dem Leib und als Glieder Christi gemeinsam voranzugehen. Das mag für mich zur Folge haben, dass ich mich von einem Glied absondern muss, weil dieses in praktischen oder religiösen Dingen mit etwas in Verbindung steht, was einer Prüfung durch das Wort Gottes nicht standhält. Es mag mich auch dazu berufen, mit einem anderen, der in Gottesfurcht und in der Wahrheit seinen Weg geht, gemeinsam voranzugehen.
Diese Einheit schließt auch Individualität völlig aus. Niemand kann da einen isolierten Platz einnehmen. Wenn jemand durch das Wort des Herrn berufen ist, an einem bestimmten Ort allein zu stehen, dann stellt ihn das doch in Gemeinschaft und auf den gleichen Boden mit allen denen, die an anderen Orten in dieser Wahrheit vorangehen wollen – auf der ganzen Welt. Es schließt aber auch dann Individualität aus, wenn man mit anderen zusammengeht. Es könnte jemand versucht sein, in Unabhängigkeit von anderen Gliedern Christi zu handeln – von sich aus aktiv zu werden und nicht in Gemeinschaft mit den übrigen. Dadurch werden wir auch außerhalb aller menschlichen Systeme gestellt, aber bewahrt in der Einheit, die in Übereinstimmung mit Gott ist!
… Sie ist weit genug für alle, weil sie in ihrer Breite alle umfasst, seien sie anwesend oder nicht. Aber sie schließt auch Böses aus ihrer Mitte aus, sofern es offenbar und anerkannt ist. Böses zuzulassen würde zur Folge haben, dass sie aufhört, die Einheit des Geistes zu sein. Es ist nicht nur die Einheit aller Christen – was zu erreichen das Bemühen von Vielen ist, häufig mit der Folge der Ablehnung der Wahrheit des Leibes Christi … Gott gliedert diese Einheit Christus an, und nicht Christus an eine Einheit! Dann muss sie auch in ihrem Wesen Ihm treu sein, dessen Leib sie ist. Sie muss praktischerweise heilig und wahrhaftig sein (Off 3,7)“ (F.G.Patterson).
Wir sollten zudem beachten, dass uns durch den Geist Gottes eine göttliche Einheit in der Lehre und der Praxis im ersten Brief an die Korinther niedergelegt worden ist. Und dies geschah nicht nur für die Versammlung in Korinth, sondern für alle Versammlungen (vgl. 1. Kor 1,2). Um also die Einheit des Geistes bewahren zu können, muss unter den einzelnen Versammlungen Einheitlichkeit in der Lehre und den allgemeinen Handlungen bestehen. Auch müssen sie einander anerkennen als in dieser göttlichen Einheit stehend. Die Einheit des Geistes kann nicht verwirklicht werden, wenn Versammlungen in Unabhängigkeit voneinander für sich selbst stehen und handeln. Die Wahrheit von dem einen Leib und dem einen Geist verlangt also, dass Versammlungen auf dem Boden dieser göttlichen Einheit stehen und dass sie diese Beziehung der Einheit untereinander auch anerkennen und sich bemühen, sie zu verwirklichen. Das Prinzip unabhängiger Versammlungen steht also in schärfstem Gegensatz und Widerspruch zu dieser göttlichen Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens. Dieser Grundsatz ist schriftwidrig und schafft Uneinigkeit und Trennungen.
4.2 Die Einheit der Versammlungen des Neuen Testaments
Die Lehre in den Korinther-Briefen
Der erste Brief an die Korinther ist in erster Linie der Brief der Versammlungsordnung. Hinsichtlich der Frage, welche Beziehungen zwischen Versammlungen von Gläubigen bestehen sollten, werden wir uns daher zu unserer Unterweisung diesem Brief zuwenden.
In Kapitel 1,2 sehen wir, dass schon ganz am Anfang dieses Briefes der Grundsatz der Einheit der Versammlungen gelehrt wird, denn Paulus richtet diesen Brief an die „Versammlung Gottes, die in Korinth ist … samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, sowohl ihres als unseres Herrn“. Er betrachtet die Versammlung in Korinth nicht so, als würde sie unabhängig von anderen Versammlungen an anderen Orten dastehen, sondern er verbindet sie mit „allen, die an jedem Orte den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“. Und noch mehr: es lag in seiner Absicht, dass dieser wichtige Brief über die Versammlungsordnung nicht nur für die Gläubigen in Korinth gelten sollte, sondern für alle Gläubigen überall.
In Kapitel 4,17 sagt der Apostel, dass er Timotheus zu ihnen gesandt hatte, „der wird euch an meine Wege erinnern, die in Christus sind, wie ich überall in jeder Versammlung lehre“. In der Lehre und dem Wandel des Apostels war Einheitlichkeit und Gleichheit. Er handelte in der gleichen Weise und lehrte in jeder Versammlung das gleiche, und dadurch stellte er den Gläubigen ein Beispiel der Einheit vor, die in Lehre und Praxis unter den Versammlungen bestehen sollte.
Wenn wir zu Kapitel 7 weitergehen, wo die Frage des Heiratens aufgegriffen wird, sagt der Apostel dort in Vers 17: „Doch wie der Herr einem jeden zugeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat, so wandle er; und so ordne ich es in allen Versammlungen an“. Auch hinsichtlich der ehelichen Beziehungen sollte es in allen Versammlungen nur eine Lehre und Praxis geben.
In Kapitel 11,3–16 dann, wo es um den Gegenstand des Bedeckens des Hauptes der Frau geht, wenn sie betet oder weissagt, sagt Paulus in Vers 16: „Wenn es aber jemand für gut hält, streitsüchtig zu sein, so haben wir solch eine Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes“. Unter allen Versammlungen gab es nur eine Praxis und Ordnung im Blick auf das Tragen von Kopfbedeckungen bei Frauen.
In Kapitel 14,33 schreibt der Apostel: „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Versammlungen der Heiligen“. In allen Versammlungen sollte alles „anständig und in Ordnung“ (Vers 40) und in Frieden geschehen.
Eine weitere Bemerkung über die Einheit sehen wir in Kapitel 16,1+2: „Was aber die Sammlung für die Heiligen betrifft: Wie ich den Versammlungen von Galatien angeordnet habe, so tut auch ihr. An jedem ersten Wochentag lege ein jeder von euch bei sich zurück und sammle auf, je nachdem er Gedeihen hat...“. Sogar im Blick auf diese gewöhnliche Angelegenheit der Sammlungen sollte es unter den Versammlungen von Galatien und unter allen anderen eine einheitliche Handhabung geben: dass die Gläubigen an dem ersten Tag der Woche etwas bei sich zurückgelegt hatten, je nachdem Gott ihnen Gedeihen gegeben hatte.
In Kapitel 16,19 lesen wir: „Es grüßen euch die Versammlungen Asiens“ – hier ist es wieder der kollektive Gesichtspunkt.
Wenn wir zu dem zweiten Brief an die Korinther übergehen, finden wir, dass er an die „Versammlung Gottes, die in Korinth ist, samt allen Heiligen, die in ganz Achaja sind“, gerichtet ist (Kap 1,1). Paulus verbindet hier die Versammlung von Korinth mit allen Heiligen der Provinz Achajas, zu der Korinth auch gehörte. Er sah sie nicht als unabhängige Versammlungen an, sondern als eins in ganz Achaja.
In 2. Korinther 11,28 haben wir eine weitere Anspielung auf die Einheit. Wenn Paulus dort von seinem Weg der Leiden spricht, sagt er: „... außer dem, was außergewöhnlich ist, noch das, was täglich auf mich andringt: die Sorge um alle Versammlungen“. In dem Herzen dieses teuren Knechtes Gottes waren die Versammlungen alle eins, und er trug Sorge für sie alle.
Reden diese vielen Stellen nicht überzeugend davon, dass der inspirierte Apostel den Grundsatz der Einheit der Versammlungen lehrte und praktizierte? Wer das aus den eben angeführten Versen dieser zwei Briefe nicht sehen kann, der muss seine Augen vorsätzlich davor verschlossen haben.
Wir ersehen also aus diesen beiden Briefen, wie jemand treffend gesagt hat, „erstens die örtliche Versammlung, den wesentlichen Bereich aller praktischen Gemeinschaft mit seinen Verantwortlichkeiten wie Zucht und ähnlichem; zweitens die umliegenden Versammlungen dieses Gebietes, die als erste davon berührt werden, wenn in einer örtlichen Versammlung ein Schaden eintritt; und drittens die ganze Versammlung überall, die äußerste Begrenzung, bis zu der sich die Auswirkungen eines solchen Schadens ausbreiten mögen“ (F. B. Hole). Zuallererst besteht die örtliche Verantwortlichkeit – und erst dann eine gemeinsame Verantwortlichkeit der Versammlungen eines Gebietes oder Landes und mit allen Versammlungen an allen Orten – ein allgemeines und einheitliches Zeugnis für Christus aufrechtzuerhalten.
Die Versammlungen von Galatien
Wir finden dann auch, dass der Brief an die Galater nicht an eine Versammlung gerichtet war, sondern „den Versammlungen von Galatien“ (Kap 1,2) galt. Für Paulus waren sie alle ein einheitliches Zeugnis für Christus, das Satan von der Hoffnung des Evangeliums abzuziehen trachtete, und der Apostel schrieb seinen Brief ihnen allen.
Römer 16
In den vielen Grüßen dieses Kapitels sehen wir die herzliche Verbundenheit zwischen den Arbeitern in Griechenland und den Heiligen in Rom. Und in Vers 16 haben wir dann in dem Ausdruck „Es grüßen euch alle Versammlungen des Christus“ den gleichen gemeinschaftlichen Gesichtspunkt der Versammlungen, wie wir ihn schon in den Korinther-Briefen und im Galater-Brief gefunden haben.
Die Apostelgeschichte
In Kapitel 8 sehen wir, wie die Gläubigen von Samaria durch das Hinabkommen von Petrus und Johannes und dadurch, dass sie nun durch das Hände-Auflegen der Apostel den Heiligen Geist empfingen, in eine glückliche Gemeinschaft mit den Gläubigen von Jerusalem gebracht wurden. Von jeher bestand zwischen Jerusalem und Samaria eine Rivalität. Und diese Rivalität wäre wohl größer denn je zuvor geworden, wenn die Gläubigen an diesen Orten gesondert und voneinander unabhängig gesegnet worden wären. Samaria und Jerusalem mussten einen gemeinsamen Weg gehen. Es durfte kein Raum für Unabhängigkeit gelassen werden.
In Kapitel 9,31, nach der Bekehrung des Saulus von Tarsus, lesen wir: „So hatte denn die Versammlung durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurde erbaut und wandelte in der Furcht des Herrn und mehrte sich durch die Ermunterung des Heiligen Geistes“. Zeigt das nicht eine Einheit der Versammlungen in allen diesen Gegenden? Wie könnte das auch anders sein, wenn man in der Furcht des Herrn und in dem Trost des Heiligen Geistes wandelt!
Wenn wir dann weitergehen zu Kapitel 15, finden wir dort ein anschauliches Beispiel dafür, wie die neutestamentlichen Versammlungen in Einheit handelten und was sie taten, wenn diese Einheit bedroht wurde. Aus Judäa hatten etliche darauf bestanden, dass die Gläubigen aus den Nationen beschnitten werden und so das Gesetz Moses halten sollten. Nachdem Paulus und Barnabas viel Wortwechsel mit ihnen gehabt hatten, wurde beschlossen, dass diese beiden Brüder mit einigen anderen aus Antiochien zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten, um ihnen diese Frage vorzulegen. Dort wurde auf einer gemeinsamen Besprechung diese Angelegenheit entschieden und sowohl für die Gläubigen aus den Juden als auch aus den Nationen der Wille des Herrn darüber in Erfahrung gebracht. Briefe wurden geschrieben und durch Männer, die von den Aposteln und Ältesten und der ganzen Versammlung zu Jerusalem auserwählt wurden, den Brüdern aus den Nationen in Antiochien und Syrien und Cilicien übersandt. Als dieser Brief den Gläubigen in Antiochien vorgelesen wurde, „freuten sie sich über den Trost“ (Vers 31). Eine Trennung zwischen den Versammlungen war durch gemeinsames Beraten und gemeinsames Handeln verhindert worden, und das Ergebnis war Freude und Trost.
Es gab gar keinen Gedanken daran, dass Antiochien auf der einen Seite so handeln könnte, dass dort nach der freien Gnade Gottes die Nationen aufgenommen würden, und auf der anderen Seite Jerusalem anders handeln würde, dass dort die Nationen nicht aufgenommen würden. Wir finden nichts von einer solchen Unabhängigkeit. Die ganze Heilige Schrift hindurch finden wir keine Spur einer derartigen Unordnung und Unabhängigkeit, sondern im tatsächlichen Handeln und in der Lehre wird auf jedem denkbaren Beweis beharrt, dass da ein Leib auf Erden ist, dessen Einheit die Grundlage jedes Segens ist, und dass es die Aufgabe jedes Gläubigen ist, diese Einheit aufrechtzuerhalten.
Wenn wir auch heute keine Apostel mehr haben und auch kein „Jerusalem“, wie in Apostelgeschichte 15, so finden wir doch in dieser Begebenheit einen wichtigen Grundsatz niedergelegt, den wir durch alle Zeiten hindurch beachten und befolgen sollten. Es ist der Punkt, dass solche Fragen, die die Versammlung als Ganzes berühren, in einer gemeinsamen Zusammenkunft unter beauftragten Brüdern der einzelnen Versammlungen, die gemeinsam in Gebet und Beratung die Führung des Herrn in dieser Sache suchen, besprochen werden sollten. Versammlungen oder einzelne Gläubige haben kein Recht, in solchen Dingen, die die Versammlung als Ganzes berühren, unabhängig zu handeln. Wir müssen uns befleißigen, „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“, und das „mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe“ (Eph 4,2+3). „Wo keine Führung ist, verfällt ein Volk; aber Rettung ist bei der Menge der Ratgeber“ (Spr 11,14)1.
Wir meinen, dass wir das Obengenannte aus Apostelgeschichte 15 lernen sollten. Der Leser möge selbst urteilen, ob der folgende Kommentar über dieses Kapitel schriftgemäß ist: „Die Beratung zu Jerusalem (Apg 15), wo die Apostel und Ältesten eine Angelegenheit der christlichen Freiheit für die Gläubigen aus den Nationen entschieden, findet in unseren Tagen kein Gegenstück mehr, denn die neutestamentlichen Schriften sind nun vollständig und wir besitzen sie als unsere Führung in allen Fragen“ (Die Versammlung Gottes, F. Ferguson). Der gleiche Schreiber sagt: „Jede örtliche Versammlung steht für sich selbst … und es gibt auch keine,verbündeten Versammlungen‘ eines Landes, eines Gebietes oder einer Gegend.“ Diese Gedanken zeigen doch, wie viel von der Heiligen Schrift von solchen, die den Grundsatz unabhängiger Versammlungen angenommen haben, abgelehnt und einfach übergangen wird. Ein anderer Diener des Herrn, der auch an der Unabhängigkeit von Versammlungen festhält, hat dem Schreiber einmal gesagt, er glaube nicht, dass die Apostel und Ältesten in Apostelgeschichte 15 durch den Heiligen Geist geleitet gewesen seien, als sie so zur Beratung zusammengekommen sind. Was für eine Dreistigkeit und Ablehnung des Wortes Gottes, nur um einen Grundsatz des Eigenwillens aufrechtzuerhalten! Die Apostel und Ältesten konnten doch sagen: „Denn es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen…“ (Vers 28).
Zusammenfassung
Wir sehen also, dass in der Zeit des Neuen Testaments unter den Versammlungen ein praktisches Band aktiver Gemeinschaft in der Wahrheit bestand, erhalten und gestärkt durch die wirksame Kraft des Heiligen Geistes. Es bestand dort ein Kreis von Versammlungen von Kindern Gottes in Gemeinschaft untereinander, wovon alles das ausgeschlossen war, was nicht zu der Gemeinschaft des einen Leibes gehörte. Sie lebten nicht nur in der Anerkennung der Wahrheit des einen Leibes, sondern in dem tatsächlichen Ausfließen der Liebe und Zuneigung in dem einen Geist. Wir finden bei den neutestamentlichen Versammlungen weder in der Lehre noch in der Praxis Hinweise auf Unabhängigkeit, auch nicht irgendeine Andeutung der heutigen Lehren, dass jede örtliche Versammlung für sich selbst stehe. Diese Lehre der Unabhängigkeit hat sich also der Mensch erdacht; sie muss als nicht von Gott kommend abgelehnt werden.
4.3 Binden auf der Erde
Der Grundsatz von der Einheit des Handelns ist auch in den Worten unseres Herrn in Matthäus 18,18 angedeutet: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“. Christus hatte in den vorangehenden Versen von Zucht gesprochen und von jemandem, der nicht auf die Versammlung hören und seine Sünde gegen seinen Bruder bereuen würde. Ein solcher musste aus der Versammlung hinaus getan und seine Sünde als Zuchtmaßnahme an ihn gebunden werden.
Die Allgemeingültigkeit der Zucht
Dieses verwaltungsmäßige Handeln des Bindens oder Lösens von Sünden durch solche, die sich in dem Namen des Herrn Jesus Christus versammeln, ist entsprechend den Worten des Herrn ein Binden auf der Erde und im Himmel. Beachten wir, dass der Herr nicht sagt: „Was irgend ihr in der Versammlung binden werdet, wird im Himmel gebunden sein“, sondern: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein“. Der Ausdruck „auf der Erde“ umfasst gewiss mehr als die örtliche Versammlung, in der die Zucht ausgeübt wird. Diese Worte Christi zeigen vielmehr, dass eine Zuchthandlung einer Versammlung, die in dem Namen des Herrn geschieht, für alle anderen Versammlungen auf der Erde verbindlich ist. Was in einer Versammlung in Übereinstimmung mit Seinem Wort gebunden wird, ist auf der ganzen Erde gebunden und im Himmel anerkannt und muss daher als solches von allen Versammlungen akzeptiert werden. Das nicht zu tun, würde bedeuten, die Einheit des Leibes Christi zu leugnen und im Widerspruch zu den Worten des Herrn, dass das Handeln einer örtlichen Versammlung ein Binden auf der Erde und im Himmel ist, als unabhängige Versammlungen zu handeln.
Wenn jemand von einer örtlichen Versammlung ausgeschlossen worden ist, so befindet er sich außerhalb der Versammlung Gottes auf Erden und muss als einer angesehen werden, der von jeder Versammlung anderswo ausgeschlossen ist. Wie wir schon vorher herausgestellt haben, stellt die örtliche Versammlung die allgemeine Kirche Gottes dar und handelt für die Kirche als solche und nicht nur für den eigenen örtlichen Ausdruck der Versammlung. Durch die Worte des Herrn in Matthäus 18,18 wird also die Einheit der Versammlungen untereinander im Handeln in Zuchtfragen gelehrt.
J.N. Darby hat einmal zutreffend Folgendes geschrieben: „Stellt euch vor, wir würden hier am Ort eine Person ausschließen und ihr nehmt diese an eurem Ort auf. Es wäre offenkundig, dass ihr uns absprechen würdet, als Christi Leib zusammenzukommen und in seiner Autorität zu handeln – und gerade davon hängt eine Zuchthandlung ab. Weiterhin würde dadurch auch die Einheit des Leibes vollständig geleugnet werden. Es ist doch klar, dass ich nicht hier am Ort in Treue gegen Christus daran beteiligt sein kann, eine Person auszuschließen, und dann an einem anderen Ort gemeinsam mit diesem das Brot brechen kann. Geschwister, die in dem Namen des Herrn vereint sind, sind nicht unfehlbar und Einsprüche mögen berechtigt und angebracht sein. Aber wenn eine Person an einem Ort aufgenommen wird, die an einem anderen Ort hinausgetan wurde, dann hat die Einheit und das gemeinsame Handeln offensichtlich aufgehört. Wie kann ich denn dafür sein, hier am Ort eine Person hinauszutun und diese an einem anderen Ort aufzunehmen? So etwas bewusst und mit Absicht tun zu können, ist eine offenbare Unmöglichkeit. Wenn ich hier am Ort mit einer Person nicht in Gemeinschaft bin, an einem anderen Ort aber wohl, dann gibt es die Einheit des Leibes nicht mehr. Und wo ist da die Autorität des Herrn?“
Fehlerhaftes Ausüben der Zucht
Es ist möglich, dass eine Versammlung in ihren Zuchthandlungen versagt und verkehrte Entscheidungen trifft. Ein niedriger moralischer Zustand mag dazu führen, dass man die Gedanken Gottes verkennt und die daraus resultierenden Handlungen korrigieren muss. Trotzdem jedoch sollte das Handeln einer Versammlung, wenn es auch fragwürdig sein mag, zuerst einmal von anderen Versammlungen respektiert werden. Keine Versammlung hat das Recht, sofort das Urteil einer anderen Versammlung beiseite zu setzen, nur weil sie es für ungerechtfertigt erachtet. Das würde bedeuten, unabhängig zu handeln. Es wäre sicher ein Leugnen der Wahrheit von dem einen Leib in der Praxis und ausgesprochene Unabhängigkeit, wenn eine örtliche Versammlung den Anspruch erheben würde, dazu fähig und auch zuständig zu sein, das Handeln anderer Versammlungen zu beurteilen und zu entscheiden, ob deren Entscheidungen anerkannt werden oder nicht.
Wir denken, dass die folgenden Auszüge aus den Schriften des geschätzten Knechtes Christi, J. N. Darby, den Weg zeigen, den wir im Blick auf das Urteilen der Versammlungen und die Versammlungsbeziehungen gehen sollten: „Ich habe immer gefunden, dass es der Weg der Weisheit ist und auch das ist, was Gott anerkennt, wenn das Handeln einer Versammlung erst einmal anerkannt wird … Selbst wenn ich das Urteil einer Versammlung für falsch halte, sollte ich es zunächst einmal akzeptieren und danach handeln. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es der Weg Gottes ist, das Urteil einer Versammlung Gottes zu respektieren bis man die Freiheit hat, Einwendungen zu erheben und darum zu bitten, das Urteil zu überdenken“.2
„Aber obwohl für eine örtliche Versammlung tatsächlich eine Verantwortlichkeit für sich selbst besteht, und obwohl ihre Handlungen – wenn sie von Gott sind – hinsichtlich der Einheit des einen Leibes die anderen Versammlungen binden, so wird doch durch diese Tatsache nicht eine andere Tatsache von höchster Wichtigkeit beiseite gesetzt, die scheinbar von vielen vergessen worden ist: nämlich die Tatsache, dass Brüder aus anderen Orten ebenso die Freiheit haben wie die Brüder der örtlichen Versammlung, ihre Stimme hören zu lassen, wenn Angelegenheiten einer Versammlung der Heiligen besprochen werden, obwohl sie nicht zu dieser örtlichen Versammlung gehören mögen. Dieses abzulehnen würde in der Tat ein schwerwiegendes Leugnen der Einheit des Leibes Christi bedeuten …
... Und weiterhin kann das Gewissen und der moralische Zustand einer örtlichen Versammlung derart sein, dass er Unwissenheit oder zumindest ein unvollkommenes Verständnis über das verrät, was Christus und seiner Ehre angemessen ist. All dies schwächt das Verständnis derart, dass keine geistliche Kraft zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen mehr bleibt. Es ist auch möglich, dass in einer Versammlung Vorurteile, Hast oder sogar vorgefasste Meinungen und der Einfluss einzelner oder mehrerer das Urteil der Versammlung fehlleiten können und der Anlass dazu werden, dass ungerechtfertigte Zucht ausgeübt und dadurch einem Bruder schwerwiegendes Unrecht zugefügt wird …
... Wenn das der Fall ist, dann ist es ein echter Segen, wenn geistliche und weise Männer aus anderen Versammlungen einschreiten und versuchen, das Gewissen der Versammlung wachzurütteln; und das auch, wenn sie auf das Ersuchen dieser Versammlung oder solcher, denen die Angelegenheit zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich Schwierigkeiten bereitet, hinzukommen. In einem solchen Fall sollte ihr Eingreifen absolut nicht als Einmischung angesehen, sondern im Namen des Herrn angenommen und anerkannt werden. Auf andere Art zu handeln, würde bedeuten, der Unabhängigkeit zuzustimmen und die Einheit des Leibes Christi zu leugnen …
... Trotzdem sollten solche, die auf diese Weise hinzugekommen sind und so vorgehen, nicht ohne die übrigen Geschwister dieser Versammlung handeln, sondern indem sie das Gewissen aller erreichen …
... Wenn eine örtliche Versammlung jede Einwendung verworfen hat und es ablehnt, die Hilfe und das Urteil anderer Brüder anzunehmen, wenn die Geduld erschöpft ist, dann ist eine andere Versammlung, die mit dieser in Gemeinschaft gewesen ist, berechtigt, ihre verkehrte Handlung als ungültig zu erachten und die Person aufzunehmen, die fälschlicherweise hinausgetan worden ist. Aber wenn wir bis zu diesem äußersten Punkt getrieben worden sind, dann ergibt sich aus dieser Schwierigkeit die Frage, ob die Gemeinschaft mit der Versammlung, die verkehrt gehandelt hat und dadurch von sich aus die Gemeinschaft mit den übrigen derer, die in der Einheit des Leibes handeln wollen, gebrochen hat, noch aufrechterhalten werden kann. Solche Maßnahmen können jedoch nur unter großer Sorgfalt und Geduld ergriffen werden, damit die Gewissen aller darin zustimmen können, dass ein solches Handeln von Gott ist …
... Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand lenken, weil die Neigung bestehen mag, Unabhängigkeit im Handeln einer jeden örtlichen Versammlung zuzugestehen, indem man es ablehnt, das Einschreiten von Brüdern zuzulassen, die zwar in Gemeinschaft sind, aber aus anderen Orten kommen“.3
Gott gemäßes Vorgehen
Als Zusammenfassung dessen, was nach unserem Verständnis im Blick auf das Binden oder Lösen sowie evtl. fehlerhafter Handlungen dabei der Weg des Gott gemäßen Vorgehens ist, stellen wir noch einmal die folgenden Grundsätze fest:
Grundsätzlich wird das, was die Versammlung auf der Erde bindet, gemäß Matthäus 18,18 von Gott im Himmel gebunden. Wenn jemand nicht auf die Versammlung – die für Gott handelt – hören will, so offenbart er Widerspenstigkeit, was in den Augen Gottes Götzendienst ist (1. Sam 15,23).
Bei Versammlungsbeschlüssen ist es notwendig, dass wir einander und dem Herrn unterwürfig sind (1. Pet 5,5). Wenn eine Versammlung in ihrem Urteil nicht einmütig ist, dann sollte die eine Gruppe ihr Urteil nicht gegen den Einwand der anderen durchdrücken. Wenn eine Versammlung aber andererseits größtenteils eines Sinnes ist, dann ist es für die übrigen schriftgemäß, sich diesem Urteil unterzuordnen, selbst wenn sie es als falsch ansehen, soweit nicht schwerwiegende Dinge davon berührt sind.
Wenn jedoch ein Urteil einer Versammlung definitiv ungerechtfertigt ist und nicht als schriftgemäß aufrechterhalten werden kann, dann können wir nicht glauben, dass der Richter der ganzen Erde, der doch Recht übt (1. Mo 18,25), irgendjemand verpflichtet, sich unter etwas Ungerechtfertigtes und Schriftwidriges zu beugen.
Die Worte des Herrn: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein“, sind nicht bedingungslos und absolut und auch nicht gleichbedeutend damit, dass alles im Himmel immer gutgeheißen wird. Vor dem Thron im Himmel kann nur das anerkannt und gutgeheißen werden, was gerecht und mit dem Wort Gottes und seinem Geist in Übereinstimmung steht. Das Handeln einer Versammlung mag als ein Binden im Himmel angesehen werden. Wenn es aber nicht mit dem Wort und dem Willen Gottes übereinstimmt, dann wird es zu einer notvollen Fessel, die Kummer und Verwirrung mit sich bringt, statt dass es ein vereinigendes Band des Friedens ist, durch das die Herzen miteinander verknüpft werden in glücklicher, heiliger und freimütiger Gemeinschaft in dem Heiligen Geist.
In solchen Fällen fehlerhaften und ungerechtfertigten Urteilens einer Versammlung sollte es ein geordnetes, Gott gemäßes Vorgehen geben. Wenn jeder das tut, was Recht ist in seinen Augen, dann wird, wie es in den Tagen der Richter in Israel der Fall war (Ri 17,6; 21,25), Durcheinander und Unordnung das Ergebnis sein; und jede Autorität wird aufgehoben und zerschlagen. „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1. Kor 14,33).
Das geordnete Vorgehen sollte für Einzelne oder für Versammlungen, die über dieses verkehrte Handeln in Übungen gekommen sind, darin bestehen, dass sie in Güte den Grund ihrer Übungen der Versammlung vorstellen und sich bemühen, „einen weit vortrefflicheren Weg“ (1. Kor 12,31) aufzuzeigen. Wenn unser Auge einfältig ist, dann werden wir darin die Ehre Gottes suchen, und nicht unsere eigene Rechtfertigung. Dieser Grundsatz der Gnade und Güte in der Regierung ist also sowohl auf Versammlungen als auch auf Einzelne anzuwenden.
In einem solchen Fall muss die Versammlung auch dazu bereit sein, ihr Urteil und Handeln noch einmal zu überdenken, wenn dieses Urteil für die Brüder im allgemeinen nicht die Empfehlung hat, dass es von Gott ist und mit seinem Wort übereinstimmt. Gottes Wort ist neben anderen Zielen auch zur Zurechtweisung gegeben (2. Tim 3,16). Sowohl Versammlungen als auch jeder persönlich müssen diesem Wort unterworfen sein.
Letzten Endes aber ist Unterordnung unter höhere Autoritäten vorrangig vor Unterordnung unter niedrigere Autoritäten; und der Aufruf, das zu hören, „was der Geist den Versammlungen sagt“ (Off 2,7.11.17.29) hat Vorrang vor der Aufforderung, auf die Versammlung zu hören (Mt 18,17). Dies steht in Übereinstimmung mit dem Grundsatz, dass man Gott mehr gehorchen muss als Menschen (Apg 5,29). Wenn eine Versammlung in Eigenwillen oder fehlerhaft handelt, dann handelt sie nach Menschenweise (1. Kor 3,3). Christus bleibt immer das Haupt der Versammlung und alles muss Ihm unterworfen sein.
Wenn also eine Versammlung fest auf einem Urteil beharrt, das allgemein von ihren Brüdern für ungerecht und schriftwidrig erachtet wird, dann offenbart diese Versammlung durch ihr Abweisen der Korrektur durch das Wort Gottes, dass sie dem Herrn, dem Haupt der Versammlung, nicht mehr unterworfen ist, und sie verliert dadurch ihren eigentlichen Charakter als Versammlung. Im Blick auf eine solche Versammlung muss letztendlich mitgeteilt werden, dass sie nicht mehr in Gemeinschaft mit den anderen Versammlungen handelt. Dies wäre jedoch das äußerste Mittel. Eine solche Mitteilung sollte nur erfolgen, nachdem alle Bemühungen der Gnade, diese Versammlung zu gewinnen, fehlgeschlagen sind.
Wir hoffen, dass diese Gedanken unseren Lesern helfen mögen, deutlicher zu erkennen, was der göttliche Weg im Blick auf die Zucht in der Versammlung und im Blick auf die eigentlichen Beziehungen, die zwischen den Versammlungen bestehen sollten, ist – ganz besonders dann, wenn Versagen und Schwierigkeiten aufkommen.
4.4 Die sieben Versammlungen von Kleinasien
Immer wieder wird von solchen, die den Grundsatz unabhängiger Versammlungen vertreten, auf die Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien (Off 2.3) als Bestätigung der Richtigkeit ihres Handelns verwiesen. Sie argumentieren damit, dass der Herr jede Versammlung einzeln und persönlich anspricht und z.B. die Versammlung von Ephesus nicht für die Fehler und die Untreue der Versammlung von Pergamus oder Thyatira tadelt, oder umgekehrt. Daher schließen sie daraus, dass wir nicht für das verantwortlich sind, was in anderen Versammlungen vor sich geht, sondern dass jede Versammlung nur Christus, dem Haupt, für ihre eigenen Angelegenheiten verantwortlich ist. Wir wollen diese Aussagen untersuchen und sehen, ob sie mit der Wahrheit der ganzen Heiligen Schrift in Übereinstimmung stehen.
Als erstes müssen wir sagen, dass das Buch der Offenbarung uns keine Kirchenregeln lehrt oder Versammlungsgrundsätze darlegt. Das ist nicht das Ziel dieses Buches. Wenn wir auch aus diesen ersten drei Kapiteln der Offenbarung, die uns ja tatsächlich einen Überblick über die prophetische Geschichte der bekennenden Kirche geben, gewiss viel nützliche Wahrheiten über den Weg oder die Entwicklung der Versammlung lernen können, so müssen wir doch zu der Apostelgeschichte und den Briefen des Paulus gehen, um die vollen Unterweisungen über die Versammlung und ihre Ordnungen und die Grundsätze ihres Verhaltens und Handelns zu empfangen. Wir haben dies schon in den vorhergehenden Abschnitten betrachtet und haben dabei festgestellt, dass an keiner Stelle Unabhängigkeit im Handeln gelehrt oder praktiziert wurde. Vielmehr haben wir die Lehre der Einheit und der gemeinschaftlichen Verantwortlichkeit sowie des gemeinsamen Handelns darin gefunden.
Örtliche Verantwortlichkeit
Nun ist es natürlich ganz bestimmt wahr, dass jede Versammlung für das, was in ihrer Mitte geschieht, in erster Linie Christus, ihrem Haupt, verantwortlich ist. Zuallererst besteht eine örtliche Verantwortung jeder einzelnen Versammlung, die Heiligkeit des Herrn und die schriftgemäße Ordnung in ihrem eigenen Verantwortungsbereich aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es ganz natürlich, dass wir hier finden, wie der Herr die sieben Versammlungen von Kleinasien gesondert anspricht und jeder einzelnen gegenüber das hervorhebt, was Er bei ihr gutheißen kann und was mit seiner Heiligkeit und seinen Wünschen nicht in Übereinstimmung steht. Und doch ist die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit die, dass die Verantwortlichkeit nicht mit dem örtlichen Bereich der Versammlung aufhört.
Gemeinsame Verantwortung
Genauso, wie es eine örtliche Verantwortung gibt, so besteht auch eine gemeinsame Verantwortung darin, die Wahrheit des Wortes Gottes aufrechtzuerhalten. Dies ergibt sich daraus, dass wir alle Glieder des einen Leibes Christi sind. Versammlungen sind ein Teil dieses einen Leibes, daher können sie nicht als viele örtliche, voneinander unabhängige Leiber bestehen. Sie sind örtliche Darstellungen des einen Leibes Christi auf Erden, und die Interessen des ganzen Leibes sollten auch das Interesse und die Sorge und das Anliegen jeder örtlichen Versammlung sein.
Wenn wir nun direkt auf die Botschaften an die sieben Versammlungen Kleinasiens eingehen, so finden wir, dass der Herr nicht nur jede einzelne Versammlung für ihren eigenen, inneren Zustand verantwortlich hält, sondern dass Er auch am Ende jeder Botschaft hinzufügt: „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt“. Beachten wir, dass Er nicht sagt: „…was der Geist zu euch sagt“, oder: „…was der Geist dieser Versammlung sagt“, sondern: „was der Geist den Versammlungen sagt“. Es ist hier die Mehrzahl – das weist auf die gemeinsame Verantwortung und die Einheit der Versammlungen hin.
Ephesus hatte nicht nur auf das zu achten, was der Herr der Versammlung an diesem Ort zu sagen hatte, sondern was durch den Geist allen Versammlungen Kleinasiens gesagt wurde. Auch für die übrigen Versammlungen galt das; sie hatten genauso auf das zu hören, was der Geist den anderen Versammlungen zu sagen hatte, wie auf das, was Er ihnen selbst zu sagen hatte. Sie sollten weder unwissend noch gleichgültig über den Zustand jeder anderen Versammlung sein. Jede Versammlung sollte wissen, was der Geist Gottes über das Verkehrte oder Böse in jeder Versammlung zu sagen hatte, und sie hatten eine gemeinsame Verantwortung für diese Zustände.
Wenn in Thyatira das dort bestehende Böse, auf das der Herr hingewiesen hatte, nicht beseitigt werden würde, könnte dann Smyrna oder Philadelphia Einzelne aus dieser Versammlung bei sich aufnehmen oder Heilige dorthin empfehlen? Ganz gewiss nicht, denn das zu tun wäre der Ausdruck von Gemeinschaft und würde bedeuten, sich mit dem zu verbinden, was der Herr als böse verurteilt hatte. Verbindung mit Bösem verunreinigt. „Wisset ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert“ (1. Kor 5,6)?
Der Appell an die Überwinder
In jedem Sendschreiben an die verschiedenen Versammlungen in Kleinasien werden die Überwinder aufgefordert, das zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt. Solche würden auf die Botschaft des Geistes Acht geben und das Böse hinaus tun; andere wieder würden sich selbst von dem Bösen reinigen. Wenn die Versammlung sich nicht selbst richtet und das Böse hinaus tut, dann sind die abgesonderten Überwinder die einzigen, auf die sich die Gemeinschaft in Gerechtigkeit und Heiligkeit erstrecken kann.
Konnte die Versammlung von Ephesus noch als Versammlung anerkannt oder Einzelne dorthin empfohlen werden, nachdem der Herr ihren Leuchter weggerückt hatte – wie Er es angekündigt hatte, falls sie nicht Buße tun würden? Ganz gewiss nicht! Nur die abgesonderten Überwinder konnten von den Überwindern der anderen Versammlungen anerkannt und in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Dies würde die Zustimmung des Herrn finden.
Wir finden also in den Sendschreiben an die sieben Versammlungen nichts, was den Gedanken unabhängiger Versammlungen unterstützen würde. Vielmehr sehen wir auch hier die einheitliche Lehre der Schrift von der Einheit und der gemeinsamen Verantwortlichkeit von Versammlungen.
4.5 Beispiele der Einheit aus dem Volk Israel
Im Alten Testament hatte Gott das Volk Israel als sein Volk anerkannt. Sie waren seine Auserwählten und Er war ihr Gott und wohnte in ihrer Mitte. Im Neuen Testament bildet Gott eine Versammlung aus allen Nationen und erkennt diese Versammlung als sein Volk und seinen Wohnort an. Wir haben schon zuvor herausgestellt, dass die neutestamentliche Versammlung dem Grundsatz nach und auch im praktischen Handeln durch Einheit gekennzeichnet ist. Wir werden ebenso finden, dass dieser Grundsatz der Einheit auch die Absicht Gottes für das Volk Israel war, und dass immer wieder im Alten Testament die Einheit der zwölf Stämme nachdrücklich betont wird.
Da uns im Neuen Testament gesagt wird, dass „alles, was zuvor geschrieben ist, zu unserer Belehrung geschrieben ist“, und dass „alle diese Dinge“ in Israel Vorbilder zu unserer Ermahnung und „Schatten der zukünftigen Güter“ sind (Röm 15,4; 1. Kor 10,11; Heb 10,1), ist es von Bedeutung, dass wir diesen Grundsatz der Einheit in Israel beachten. Denn wenn schon Israel als Nation eins war, wie viel mehr ist dann der Leib Christi, die Versammlung, eins! Und wenn schon in Israel Unabhängigkeit verkehrt war, wie viel mehr muss es dann in der Versammlung Gottes verkehrt sein!
Das Volk war eins
Dieser Abschnitt über die Einheit des Volkes Israel ist von C. H. Mackintosh4 trefflich zusammengestellt worden:
„Die einzelnen Städte und Stämme waren nicht unabhängig voneinander; sie waren verbunden durch das heilige Band nationaler Einheit – einer Einheit, die ihren Mittelpunkt in dem Ort der Gegenwart Gottes hatte. Die zwölf Stämme Israels waren untrennbar miteinander verbunden. Die zwölf Schaubrote auf dem goldenen Tisch im Heiligtum stellten das wunderbare Bild dieser Einheit dar, und jeder wahre Israelit erkannte diese Einheit an und erfreute sich daran. Die zwölf Steine im Jordan, die zwölf Steine auf der anderen Seite des Jordan, die zwölf Steine Elias auf dem Berg Karmel – sie alle stellen die gleiche großartige Wahrheit von der untrennbaren Einheit der zwölf Stämme Israels vor.
Der gottesfürchtige König Hiskia erkannte diese Wahrheit ebenfalls an, als er anordnete, dass das Brandopfer und das Sündopfer für ganz Israel gebracht werden sollte (2. Chr 29,24). Der treue Josia erkannte dies an und handelte danach, als er seine Bestrebungen der Erneuerung auf alle Länder, die den Kindern Israel gehörten, ausdehnte (2. Chr 34,33). Paulus gab in seiner großartigen Rede vor dem König Agrippa ebenfalls Zeugnis von der gleichen Wahrheit, als er sagte: „... zu der (Verheißung) unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft“ (Apg 26,7).
Und wenn wir vorausblicken in die strahlende Zukunft, dann finden wir in Offenbarung 7 die gleiche wunderbare Wahrheit in himmlischem Glanz erscheinen. Dort sehen wir – in Verbindung mit einer zahllosen Menge aus den Nationen – die zwölf Stämme versiegelt und geborgen für die ewige Segnung und Herrlichkeit. Und schließlich sehen wir in Offenbarung 21 die Namen der zwölf Stämme eingeschrieben auf die Tore des heiligen Jerusalems, dem Sitz und Mittelpunkt der Herrlichkeit Gottes und des Lammes.
Wir haben also von dem goldenen Tisch im Heiligtum bis hin zu der goldenen Stadt, die aus dem Himmel herabkommt von Gott, eine wunderbare, ununterbrochene Kette von Beweisen für die große Wahrheit der unauflöslichen Einheit der zwölf Stämme Israels.
Wenn nun die Frage aufkommt, wo diese Einheit zu sehen ist, oder wie Elia, Hiskia, Josia oder Paulus sie erkennen konnten, so gibt es darauf nur eine einfache Antwort: Sie sahen sie durch den Glauben! Sie blickten in das Heiligtum und sahen dort auf dem goldenen Tisch die zwölf Brote, die die vollkommene Verschiedenheit aber auch die vollkommene Einheit der zwölf Stämme vorstellten. Nichts könnte schöner sein. Die Wahrheit Gottes besteht in Ewigkeit. Die Einheit Israels wurde in der Vergangenheit gesehen und sie wird in der Zukunft gesehen werden. Und wenn diese Einheit auch jetzt – gleich der höheren Einheit der Versammlung – nicht zu sehen ist, so hält doch der Glaube an ihr fest und bekennt sich auch angesichts zehntausend feindlicher Einflüsse zu ihr.“
Vor Jericho
Wir sehen in der Angelegenheit der Sünde Achans bei Jericho, wie Gott in Zucht mit Israel handelt auf der Grundlage ihrer nationalen Einheit. Als Achan aus dem Stamm Juda das Gebot übertrat und von dem Verbannten aus Jericho nahm, entbrannte der Zorn des Herrn wider die Kinder Israel und Er veranlasste, dass sie in dem Kampf um Ai eine Niederlage erlitten. Als Josua dann darüber zu dem Herrn rief, antwortete Er: „Israel hat gesündigt, und auch haben sie meinen Bund übertreten…und auch haben sie von dem Verbannten genommen…“ (Jos 7,11).
Das aufgetretene Böse war nicht nur eine Sache, die Achan oder sein Haus oder seinen Stamm betraf, sondern es berührte ganz Israel. Gott hielt ganz Israel dafür verantwortlich, denn alle Stämme waren eine Nation. In seinen Augen hatte sich die ganze Nation mit der Sünde Achans eins gemacht und war dadurch verunreinigt worden. Nicht das Haus Achans oder der Stamm Juda waren es, die sich verunreinigt hatten und dafür verantwortlich gemacht wurden, sondern ganz Israel. Deshalb steinigte ganz Israel ihn (Jos 7,25) und so wurde das Böse hinweg getan. Danach wandte sich der Herr von der Glut seines Zornes und war wieder mit Israel.
Der gleiche Grundsatz ist heute auf die Versammlung Gottes und auf einzelne örtliche Versammlungen anzuwenden. Wenn eine einzelne Person in einer Versammlung gesündigt hat, dann ist die ganze Versammlung dadurch verunreinigt und dafür verantwortlich, sich damit zu beschäftigen – sonst kann Gott nicht weiter mit dieser Versammlung vorangehen. Genauso ist es auch, wenn in einer Versammlung Böses geduldet wird. Alle Versammlungen, die mit dieser Versammlung in Gemeinschaft sind, werden dadurch verunreinigt und müssen das Böse bekennen und richten. Wie Israel eins war, so ist auch die Versammlung eins, und so besteht auch eine entsprechende Verantwortlichkeit. Gottes Grundsätze ändern sich nie. Die Lektion, die Gott Israel bei Jericho lernen ließ, ist auch eine Lektion für die Versammlung und sie wird durch die Belehrungen des Neuen Testaments bestätigt.
Böses in einer Stadt
In 5. Mose 13,13–16 wurde Israel darüber unterwiesen, wie es handeln sollte, wenn es von Götzendienst in einer der Städte hören würde. Es musste genau untersucht werden und wenn sich der Bericht als wahr erwies und die Sache feststand, so mussten die Bewohner jener Stadt mit der Schärfe des Schwertes geschlagen und die Stadt gänzlich zerstört werden. Es durfte beispielsweise niemand irgendwo aus dem Süden Israels sagen: „Was haben wir mit dem Bösen zu schaffen, das dort im Norden oder in dieser oder jener Stadt geschehen ist? In unserer Mitte ist dieses Böse nicht gelehrt worden. Jede Stadt ist für das Aufrechterhalten der Wahrheit in ihrem eigenen Bereich selbst verantwortlich. Das ist eine örtliche Angelegenheit; wir fühlen uns nicht dafür verantwortlich, uns in ihre Angelegenheiten einzumischen.“
Eine solche Sprache wäre eine Leugnung der Einheit Israels. Dieses Böse war in einer Stadt Israels aufgetreten und wenn eine andere Stadt ebenfalls zu Israel gehörte, dann musste das Böse so gesehen werden, als wäre es auch unter deren Bewohnern aufgetreten. Außerdem war es die ausdrückliche Anweisung Gottes, dass sie genau untersuchen und nachforschen und fragen sollten, wenn sie so etwas hören würden. Sie waren also auf zweifache Weise verpflichtet, einem Bericht über aufgetretenes Böses nachzugehen und sich damit zu beschäftigen: auf der einen Seite wegen ihrer Einheit als Nation, und auf der anderen Seite wegen des klaren Gebotes Gottes. Sie sollten aufklären, ob „dieser Gräuel in deiner Mitte verübt worden“ ist (Vers 15). Es ging nicht nur darum, ob in einer bestimmten Stadt Böses aufgetreten war, sondern „in deiner Mitte“ – Böses in Israel. Böses in einer Stadt war nach den Gedanken Gottes die Angelegenheit des ganzen Volkes Israel.
Wenn jede Stadt und jeder Stamm einen unabhängigen Standpunkt eingenommen hätte, dann hätte der Hohepriester die zwölf Schaubrote von dem goldenen Tisch vor dem Herrn wegnehmen und sie hier und da verstreuen können, denn die Einheit Israels wäre dahin gewesen. Aber eine solche Unabhängigkeit durfte in Israel nicht zugelassen werden – und für die Versammlung ist das noch viel weniger nach den Gedanken Gottes.
So betonen auch die Unterweisungen an das Volk Israel den Grundsatz der Einheit und der gemeinsamen Verantwortlichkeit und des gemeinsamen Handelns; und sie verbinden sich mit dem, was wir im Neuen Testament als den Weg Gottes für die Versammlung und für die Beziehungen zwischen Versammlungen gefunden haben.
4.6 „Ein Kreis der Gemeinschaft“
Wir haben herausgestellt, dass unter den neutestamentlichen Versammlungen in Lehre und Praxis eine Einheit bestand, und wir haben gesehen, dass an keiner Stelle in der Heiligen Schrift auch nur eine Spur der Theorie von unabhängigen Versammlungen zu finden ist. Gottes Wort lehrt uns deutlich den Grundsatz der Einheit der Versammlungen. Dies wird manchmal mit dem Ausdruck „Kreis der Gemeinschaft“ beschrieben. Mit diesem Ausdruck ist ein Kreis von Versammlungen gemeint, die alle die gleiche Wahrheit festhalten, nach denselben Grundsätzen handeln, gemeinsame Verantwortung wahren und in praktischer Gemeinschaft und Einheit untereinander gemeinsam vorangehen, um die Grundsätze auszuüben, durch die sie untereinander verbunden sind.
Bis jetzt haben alle Schriftstellen, die wir hinsichtlich des gewöhnlichen Lebens und der Ordnung der Versammlungen betrachtet haben, den Gedanken eines „Kreises von Versammlungen“ gerechtfertigt. Wenn dieser Ausdruck auch nicht in der Heiligen Schrift zu finden ist, so drückt er doch eine Wahrheit aus, die im Wort deutlich gelehrt wird. Natürlich umfasst ein solcher Kreis der Gemeinschaft in erster Linie alle Heiligen, die nicht schriftgemäß davon ausgeschlossen sind. Doch in dem gegenwärtigen Zustand des Verfalls und Durcheinanders in der bekennenden Kirche ist dieser Ausdruck auf solche zu beschränken, die sich der Wahrheit Gottes, die seine Versammlung regiert, unterwerfen.
Wenn es für eine einzelne Versammlung eine schriftgemäße Ermächtigung gibt, sich abgesondert von allem, was im Widerspruch zu Gottes Wort steht, zu versammeln – und das ist ganz sicher so –, dann haben wir einen örtlichen Kreis der Gemeinschaft und dieser Kreis umschließt auch völlig zu Recht alle Versammlungen, die sich genauso schriftgemäß an anderen Orten versammeln.
Notwendigkeit von Ordnung und Zucht
Ein Kreis der Gemeinschaft ist eine Notwendigkeit und wir müssen sowohl dies als auch die damit verbundenen Zuchthandlungen anerkennen, wenn wir uns nicht dem Vorwurf der Unabhängigkeit aussetzen wollen. Auf welche Weise kann denn die durch den Apostel Paulus für das Haus Gottes, die Versammlung, überlieferte Ordnung und Zucht ausgeübt werden? Wir müssen auf dem gleichen Grundsatz, auf dem wir eine örtliche Gemeinschaft von Gläubigen, die sich in Absonderung vom Bösen versammeln, anerkennen, auch eine allgemeine Gemeinschaft von Gläubigen – einen Kreis der Gemeinschaft – anerkennen.
Das bedeutet nicht das Bilden einer Vereinigung oder das Einrichten eines zentralen Vorstandes. In dem Anerkennen eines Kreises von Versammlungen werden keine Bedingungen gestellt oder Einigungen verabredet, sondern es wird einfach angestrebt, in Einfalt und Gehorsam unter das Wort Gottes gemeinsam voranzugehen. Ein Kreis der Gemeinschaft ist eine praktische Einheit der Gemeinschaft, die der Geist Gottes durch den Gehorsam den Schriften gegenüber hervorbringt. Es ist die einzige praktische Darstellung des Leibes Christi. Die einzig mögliche Alternative dazu ist, unabhängige Versammlungen anzuerkennen – dies wäre eine Leugnung der Wahrheit von dem einen Leib, der aus allen Gläubigen besteht. Über den Gedanken der Unabhängigkeit ist zutreffend gesagt worden: „Der Grundsatz unabhängiger Versammlungen führt zu Freizügigkeit; dem Wille jedes einzelnen wird Raum gegeben und keinerlei Gewissen wird mehr geübt“.
Nichtsektiererische Gemeinschaft
Viele haben den Vorwurf erhoben, die Lehre von einem Kreis der Gemeinschaft sei sektiererisch und nicht von Gott, und haben sich darüber entrüstet. Wenn jedoch alle Gläubigen, bei denen kein schriftgemäßer Hinderungsgrund für ihre Aufnahme vorliegt, überall als Glieder des Leibes Christi anerkannt und in die Gemeinschaft aufgenommen werden und wenn kein sektiererischer Name oder eine bestimmte Lehre als Merkmal einer Parteiung angenommen worden ist, sondern sich die Heiligen in Einfalt allein zu dem Namen Christi hin versammeln, dann ist eine solche Versammlung von Gläubigen keine Partei oder Sekte – obwohl sie Gedanken der Unabhängigkeit verwerfen und nach außen hin einen Kreis von Versammlungen, mit denen sie Gemeinschaft ausüben, darstellen.
„Je mehr wir über die bestehende Sektiererei klagen und sie verwerfen, umso mehr sind wir gezwungen, den Leib Christi, wo immer es möglich ist, anzuerkennen und uns daran zu erfreuen. Und dieser Kreis der Gemeinschaft, wenn es auch nicht der Leib selbst ist, liefert uns die Möglichkeit, die Wahrheit von dem einen Leib in wahrhaftiger und heiliger Weise anzuerkennen – soweit das bei dem bestehenden verderbten Zustand der Kirche noch möglich ist. Wenn Liebe zu allen, die Christus angehören, vorhanden ist, wenn eine offene Tür zur Aufnahme für alle, die den Bedingungen der Wahrheit und Heiligkeit entsprechen, vorhanden ist, dann ist ein solcher Kreis nicht sektiererisch, sondern geradezu ein Protest dagegen, wohingegen ein Zusammenkommen, das eine Verbindung mit einem solchen Kreis der Gemeinschaft ablehnt, in vollster Wirklichkeit sektiererisch ist“ (F. W. Grant).
Wir müssen den ganzen Leib Christi anerkennen, nicht jedoch die schriftwidrigen Gruppierungen von Gläubigen. Im Interesse des Leibes Christi weisen wir Denominationen als nicht von Gott ab, aber in diesem gleichen Interesse sind wir gehalten, den Kreis nichtsektiererischer Gemeinschaft anzuerkennen. In gewisser Weise hat jeder wahre Christ ein Recht, an dem Tisch des Herrn teilzuhaben, aber es wird ihm nicht in jedem Fall gestattet werden können – seine Wege, seine Verbindungen oder der Zustand seiner Seele mögen ein Hindernis dafür sein, denn es geht um den Tisch des Heiligen und Wahrhaftigen.
Das gemeinsame Brechen des Brotes am Tisch des Herrn ist der höchste Ausdruck von Gemeinschaft; und Gemeinschaft bedeutet, gemeinsame Interessen und Meinungen oder Urteile zu haben. Wo das nicht gefunden wird, kann es keine wahre Gemeinschaft geben, sie ist dann unmöglich. Wir können nicht Gemeinschaft mit solchen ausüben, die Grundsätze, die Gott uns als eine Richtschnur gegeben hat, ablehnen und bekämpfen. Gemeinschaft von einer Versammlung an einem Ort kann sich nur zu solchen Versammlungen an anderen Orten erstrecken, die in einem Wandel in Heiligkeit, Wahrhaftigkeit und Einheit ihre Vorrechte erkannt und ergriffen haben und ihre Verantwortungen in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes ausüben.
Wir haben nun die Wahrheit von einem Kreis der Gemeinschaft besprochen und sind dafür eingetreten, dass dies ein schriftgemäßer Grundsatz ist. Trauernd und beschämt müssen wir jedoch zugeben, dass solche, deren Wunsch es war, diesen Grundsatz festzuhalten und zu verwirklichen, sehr versagt haben und in die verschiedensten Kreise auseinander gebrochen sind – das gibt uns Anlass zur Demütigung und zum Bekenntnis vor Gott. Aber das ist noch nicht der Beweis dafür, dass dieser Grundsatz von einem Kreis der Gemeinschaft verkehrt wäre. Das Versagen des Menschen im Verwirklichen der göttlichen Wahrheit verändert keineswegs diese Grundsätze Gottes und befreit uns auch nicht vom Beachten und Ausleben davon. Vielmehr ist es ein Grund zur Demütigung vor Gott für uns, indem wir uns mit allem Verderben und dem Versagen unserer Väter und unser eigenes Versagen eins machen und das zum Anlass nehmen, sein Angesicht zu suchen und um Gnade und Kraft zu flehen, sein Wort zu bewahren und nach seinen Gedanken zu leben.
Solchen, die die Unabhängigkeit von Versammlungen praktizieren und die Lehre von der Einheit der Versammlungen als das abstempeln, was diese Trennungen hervorruft, ist es jedoch keineswegs besser ergangen – eher noch schlimmer. Die unseligen Früchte der Unabhängigkeit sind deutlich zu sehen.
4.7 Auf praktische Weise die Einheit bewahren
Die Wahrheit von dem einen Leib, der aus allen wahren Gläubigen besteht, und dem einen Geist, durch den diese göttliche „Einheit des Geistes“ gebildet wurde, macht es erforderlich, dass auch eine praktische Beziehung der Einheit zwischen örtlichen Versammlungen von Christen besteht. Das ist die Beziehung, die das Wort Gottes für Versammlungen bestimmt, und es ist die einzige schriftgemäße Beziehung. In dem ersten Brief an die Korinther, der alle die umfasst, „die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ (Kap 1,2), schreibt der Apostel: „Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung vollendet seiet“ (Kap 1,10).
Die Bemühungen Satans sind immer darauf gerichtet, diese praktische Einheit im Beurteilen der Dinge und die glückliche Gemeinschaft zwischen Gläubigen und zwischen Versammlungen zu zerstören und unabhängigem Handeln und Trennungen unter dem Volk Gottes Vorschub zu leisten. Deshalb werden wir ermahnt, uns zu befleißigen, „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,3). Wir müssen ernste Bemühungen unternehmen, Einheit und Gemeinschaft unter Gläubigen in einer örtlichen Versammlung und unter Versammlungen an verschiedenen Orten, in verschiedenen Gegenden und Ländern zu fördern. Wir wollen nun einige Dinge betrachten, die uns helfen können, praktische Einheit zwischen Versammlungen von Gläubigen zu pflegen und aufrecht zu halten.
Beispiele aus der Heiligen Schrift
Wir brauchen nur dem Beispiel zu folgen, das uns in dem göttlichen Bericht über die Versammlung in der Zeit der Apostel in dieser Angelegenheit vorgestellt wird. In den Briefen von Paulus, Petrus und Johannes bemerken wir, dass jeweils am Ende der Briefe durch die Apostel Grüße übersandt werden von allen Heiligen einer Versammlung an alle Heiligen der bestimmten Versammlung (oder an die einzelne Person), an die der Brief gerichtet war. Paulus sandte den Korinthern Grüße von den Versammlungen Asiens und von Aquila und Priscilla und der Versammlung, die sich dort in Ephesus in ihrem Haus befand (1. Kor 16,19).
Der Apostel Paulus berichtete auch den Heiligen in Rom von dem, was die Heiligen in Mazedonien und Achaja für die bedürftigen Heiligen in Jerusalem getan hatten (Röm 15,26). Und er wollte die Korinther und alle Heiligen in Achaja damit aufrütteln, dass er ihnen von der hingebungsvollen und aufopfernden Gabe der Versammlungen Mazedoniens für das Werk des Dienstes und für die bedürftigen Heiligen berichtete (2. Kor 8,1–5). Ebenso berichtete er den Korinthern von der großen und wirkungsvollen geöffneten Tür für das Evangelium, die ihm gewährt worden war, und von den vielen Widersachern, die dort waren (1. Kor 16,9). Wir weisen auch noch darauf hin, dass er die Versammlung in Kolossä bat, dass der ihnen übersandte Brief auch in der Versammlung der Laodizäer gelesen würde, und dass sie selbst den Brief aus Laodizäa lesen würden (Kol 4,16).
In dem göttlichen Bericht über die erste Zeit der Versammlung beobachten wir auch, wie die Apostel, wie Titus, Timotheus, Apollos und andere Knechte des Herrn, die Versammlungen besuchten und auf ihren Reisen von einem Ort zum anderen den Heiligen erfreuliche und auch traurige Nachrichten überbrachten und dadurch auf praktische Weise die Versammlungen untereinander zusammenfügten. Petrus „zog überall hindurch“ und Barnabas zählte der Versammlung von Antiochien gegenüber alles das auf, was Gott auf ihrer ersten Missionsreise mit ihnen getan hatte und wie den Nationen die Tür des Glaubens aufgetan und Versammlungen gebildet wurden (Apg 9,32; 14,26.27). Als sie später durch die Brüder von Antiochien nach Jerusalem gesandt wurden, zogen sie durch Phönizien und Samaria „und erzählten die Bekehrung derer aus den Nationen; und sie machten allen Brüdern große Freude“. Als sie dann zu der Versammlung in Jerusalem kamen, berichteten sie „alles, was Gott mit ihnen getan hatte“ (Apg 15,2–4).
Diese angeführten Beispiele aus dem inspirierten Bericht über die Versammlung zur Zeit der Apostel machen das gemeinsame Leben, die göttlichen Zuneigungen und gemeinsamen Interessen offenbar, die in den Versammlungen und der ganzen Kirche pulsierten. Es bestand eine praktische Darstellung von der Wahrheit von dem einen Leib. Durch den Austausch liebevoller Grüße, durch Besuche von Dienern des Herrn unter den Versammlungen und durch die Mitteilungen bezüglich des Wohlergehens sowie der Betätigungen der Einzelnen wurden die Heiligen und die Versammlungen noch enger untereinander verbunden und in der praktischen Liebe, Gemeinschaft und Einheit aufrechterhalten.
Möchte das Volk Gottes doch auch heute noch diese Dinge tun. Möchten doch auch heute noch zwischen den Versammlungen liebevolle Grüße ausgetauscht und Besuche gemacht werden. Möchten doch auch heute noch die Diener des Herrn und auch die Brüder örtlicher Versammlungen sich eifrig im Besuchen und Dienen unter den Versammlungen bemühen und die Heiligen mit den Betätigungen, Freuden, Betrübnissen und Nöten der verschiedenen Versammlungen vertraut machen. Und dann lasst uns auch alle diese Freuden oder Lasten mitempfinden und teilen sowie füreinander im Gebet eintreten. Das Werk solcher, die sich dem Herrn in seinem Dienst zur Verfügung gestellt haben und die unter den Versammlungen umherreisen und am Wort dienen, ist außerordentlich wichtig und notwendig im Blick auf das Aufrechterhalten der Einheit sowie das Fördern der Gemeinschaft unter den Versammlungen. Satan wird immer bemüht sein, sie zum Säen von Uneinigkeit zu gebrauchen. Davor müssen sie wachsam sein.
Zusammenkünfte zur Belebung der Gemeinschaft und Konferenzen
Eine große Hilfe zur Förderung praktischer Liebe, Gemeinschaft und Einheit unter den Versammlungen ist das Einberufen besonderer Zusammenkünfte zur Belebung der Gemeinschaft, zur Betrachtung des Wortes, zum Gebet, oder auch Konferenzen. Solche Zusammenkünfte führen die Heiligen enger zusammen und wecken wieder neu Interesse, Energie und Eifer für das Werk des Herrn. Im Gebet, durch den Dienst am Wort und durch geistlichen Gedankenaustausch mit anderen Gläubigen werden die Herzen erfrischt und dadurch Versammlungen gekräftigt und neu belebt – ganz besonders kleinere Versammlungen. Ebenso werden die Heiligen ermuntert, die sonst ganz allein stehen. Das gemeinsame Nachdenken und Unterreden über das Wort Gottes auf Konferenzen bewirkt auch, dass die Einheit in der Lehre und in der Praxis eher aufrechterhalten wird und dass das Band der Gemeinschaft unter den Versammlungen dadurch fester wird.
Die Versammlungen sollten sich also ermuntern lassen, solche besonderen Zusammenkünfte zur Belebung der Gemeinschaft und Konferenzen abzuhalten. Je nach den Gelegenheiten und Möglichkeiten können sie von kurzer Dauer oder auch einige Tage lang sein. Oftmals sind schon die Ferienzeiten zum Abhalten solcher allgemeinen Zusammenkünfte genutzt worden und das Ergebnis war immer großer Segen für die Heiligen.
Briefe und periodische Schriften
Oftmals sind das Ausüben persönlicher Gemeinschaft oder Besuche von Heiligen und auch Versammlungen wegen zu großer Entfernungen, wegen Mangels an Zeit oder wegen anderer Pflichten nicht so leicht zu verwirklichen. In solchen Fällen ist das Schreiben von Briefen brüderlicher Gemeinschaft zur Ermunterung eine große Hilfe, die praktische Einheit, gemeinsame Interessen und auch die Gemeinschaft unter den Heiligen zu fördern. Eine weitere Hilfe für dieses Ziel ist das Veröffentlichen und Verbreiten von periodischen Schriften, die sowohl geistliche Belehrungen enthalten können wie auch Berichte von allgemeinem Interesse über die Heiligen und die Versammlungen im Inland und im Ausland.
Bildung neuer Versammlungen
Wenn an einem Ort eine Versammlung entsteht oder sich bildet, dann ist es gut, wenn darin die Gemeinschaft einer oder mehrerer der umliegenden Versammlungen oder zumindest der diesem Ort nächstgelegenen Versammlung gesucht wird. Dies fördert die Einheit und vermehrt die Freude und verhütet einen Geist der Unabhängigkeit. Wenn dann alles in schriftgemäßer Weise geschehen ist, können die Nachbarversammlungen den übrigen Versammlungen das Vorhandensein dieser neuen Versammlung mitteilen und sie ihrer Fürbitte und Gemeinschaft empfehlen. Eine oder mehrere Nachbarversammlungen sollten in der Anfangszeit dieser neu gebildeten Versammlung – diesem frischen Zeugnis für den Herrn auf der Grundlage des einen Leibes – praktische Gemeinschaft beweisen und sollten den Geschwistern durch Besuche und Dienste von Zeit zu Zeit Hilfestellung geben.
Wenn auf diese Weise in Gemeinschaft mit einer anderen Versammlung gehandelt wird, lernt die neu gebildete Versammlung dadurch ganz praktisch, was es heißt, auf der Grundlage des einen Leibes und des einen Geistes zu handeln. Ebenso lernt sie gleich in ihrer Anfangszeit, dass sie keine unabhängige Vereinigung ist und nicht unabhängig von der übrigen Versammlung handeln kann.
In diesem Zusammenhang möchten wir die folgenden Gedanken der Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen: „Wenn zwei oder drei versammelt sind, dann ist völlig klar, dass es sich um eine Versammlung handelt, und wenn diese zwei oder drei schriftgemäß versammelt sind, dass es dann eine Versammlung Gottes ist … Aber wenn es nun eine solche örtliche Versammlung gibt und eine andere Versammlung wird durch menschliche Bestrebungen unabhängig von der ersten errichtet, dann ist in den Augen Gottes nur die erste moralisch die Versammlung Gottes und die andere ist es nicht, weil sie in Unabhängigkeit von der Einheit des einen Leibes aufgerichtet worden ist“ (J.N. Darby).
Wenn sich eine neue Versammlung bildet, müssen wir also sicher sein, dass dies kein unabhängiger Akt ist, sondern dass in Übereinstimmung mit der Einheit des Leibes Christi gehandelt wird. Wenn natürlich eine Versammlung, weil sie einen bösen und eigenwilligen Weg eingeschlagen hat und weiterverfolgt, schließlich von anderen Versammlungen als ein aussätziges Haus (3. Mo 14) gemieden werden muss, dann kann sie nicht länger als eine Versammlung angesehen werden, die sich schriftgemäß versammelt. Das Errichten eines neuen Zusammenkommens an einem solchen Ort, wenn es in Gemeinschaft mit den übrigen Versammlungen geschieht, ist kein Akt der Unabhängigkeit, sondern steht in Übereinstimmung mit der Heiligkeit und Wahrheit von dem Haus Gottes, wo Absonderung vom Bösen gefordert wird (2. Kor 6,17; 2. Tim 2,20.21). Zu sagen, dass es keine schriftgemäße Berechtigung gibt, die praktische Gemeinschaft mit einer örtlichen Versammlung zu beenden – wie es von manchen behauptet wird –, würde bedeuten, dass es auch keine schriftgemäße Berechtigung für die Absonderung vom Bösen gibt.
Empfehlungsbriefe
Wir lernen aus Schriftstellen wie Apostelgeschichte 18,27; Römer 16,1; 2. Korinther 3,1 und Kolosser 4,10, dass es unter den ersten Christen üblich war, Gläubigen Empfehlungsbriefe mitzugeben, die aus ihrer Mitte zu anderen Versammlungen, wo sie unbekannt waren, gingen. Ebenso forderten sie von Fremden, die zu ihnen kamen und in die Gemeinschaft aufgenommen werden wollten, solche Empfehlungsbriefe. Solche Briefe weisen den Überbringer als einen treuen Gläubigen aus, der seinen Weg in Gottesfurcht geht. Diese Briefe sind eine wertvolle Möglichkeit, einen Gläubigen in einer Versammlung einzuführen und ihn einer herzlichen Aufnahme sicher sein zu lassen. Genauso sind sie auch ein Bewahrungsmittel davor, falsche Brüder aufzunehmen. Gewöhnlich fördern sie das Vertrauen und die Gemeinschaft unter den Versammlungen und sind eine große Hilfe im Blick auf das Bewahren der Gott gemäßen Ordnung und Einheit. Ein solcher Brief sollte von der örtlichen Versammlung sein und an die Versammlung gerichtet sein, die den Gläubigen aufnehmen soll.
Wir müssen mit großer Sorgfalt darauf achten, dass solche Empfehlungsbriefe nicht weggelassen werden, wenn jemand zu einer Versammlung geht, wo er unbekannt ist. Aus 2. Korinther 3,1 ist jedoch auch klar, dass solche Briefe nicht erforderlich sind, wenn jemand einer Anzahl von Gläubigen der Versammlung, wo er aufgenommen werden möchte, bekannt ist.
Möge der Herr uns als Einzelnen und als Versammlungen helfen, in praktischer Einheit als Glieder des Leibes Christi voranzugehen und „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,3). Mögen die wahren und schriftgemäßen Beziehungen der Einheit und gemeinsamen Verantwortung und Gemeinschaft zwischen den Versammlungen aufrechterhalten bleiben.
Fußnoten
- 1 Doch müssen wir dabei bedenken, dass nur einer örtlichen Versammlung, die sich zu Seinem Namen hin versammelt, die Autorität gegeben ist, für den Herrn entsprechend Seinem Wort zu handeln. Wenn es auch notwendig ist, dass Brüder sich in gemeinsamen Besprechungen beraten, so ist ihnen als Brüder jedoch nicht die Autorität verliehen, Entscheidungen zu treffen, an die alle gebunden sind. Das ist allein das Vorrecht einer örtlichen Versammlung, die in dem Namen des Herrn und in Übereinstimmung mit Seinem Wort handelt.
- 2 J. N. Darby: Letters, Vol. 2, S. 399, 132 (New Edition)
- 3 Übersetzt aus 'Messager Evangelique' (1872)
- 4 Notes on Deuteronomy, Vol. 2, pages 165, 166; deutsch: Gedanken zum fünften Buch Mose, 12. Auflage 1974, Seite 238, 239.