Der Prophet Daniel
Kapitel 7
In den vorhergehenden sechs Kapiteln sahen wir die äußeren Kennzeichen der heidnischen Mächte. Heiden, wie Nebukadnezar, empfingen Gesichte, obwohl Daniel von Gott gebraucht wurde, sie zu deuten. In den letzten sechs Kapiteln haben wir Mitteilungen, die Daniel selbst empfängt. Sie beziehen sich auf das Volk Gottes, die Juden, besonders aber auf das, was sie noch erwartet. In diesen Kapiteln haben wir dieselben Mächte vor uns wie auch vorher, aber es werden mehr Einzelheiten gezeigt, die die Juden betreffen oder in besonderer Weise den treuen jüdischen Überrest im Land Palästina.
Nachdem die Juden in Gefangenschaft gekommen waren, hatte Gott einen Thron nicht länger in Jerusalem, sondern Er hatte die Regierungsgewalt den Händen der Nationen übertragen. Als der Gott des Himmels regierte Er noch über das Königtum der Menschen, aber nicht als der Gott der Erde. Doch wird die Zeit kommen, wo Gott seine Ansprüche an die Erde wieder geltend machen wird, aber in dem Herrn Jesus Christus und durch Ihn. In dem zweiten Teil des Buches Daniel werden die Nationen von Gott alle als Tiere betrachtet, als solche, die die wahre Erkenntnis Gottes verloren haben und zu Bedrückern und Verfolgern des Volkes Gottes geworden sind. Es ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass in Daniel und auch in dem prophetischen Teil der Offenbarung sich nichts findet, was sich direkt an das Volk Gottes als solches wendet, aber zu gleicher Zeit gibt Gott seinen Knechten Offenbarungen, die einen bestimmten Bezug auf dieses Volk haben.
Wie Kapitel 1 eine Einführung in die ersten sechs Kapitel bildete, so gibt Kapitel 7 eine Einführung in die letzten sechs. In diesem Kapitel empfängt Daniel drei Gesichte. In Vers 1 von Kapitel 7 sehen wir, dass er das erste Gesicht im ersten Jahr Belsazars hatte. In diesem Gesicht werden uns vier Tiere gezeigt, obwohl von dreien von ihnen nur eine kurze Beschreibung gegeben wird. Diese Tiere werden als aus dem Meer aufsteigend gesehen, auf die die vier Winde des Himmels losbrachen. Die Winde sind zweifellos ein Bild von satanischen Mächten, während das Meer von ungeordneten Völkermassen redet. Alle diese Mächte standen inmitten der Erschütterungen der Völker ungefähr zu gleicher Zeit auf, aber die östlichen Völker gelangten schneller zu Machtstellungen als die Völker im Westen. Wenn es in Vers 17 heißt, dass es sich um Könige handelt, die von der Erde aufstehen werden, so bedeutet dies, dass sie irdischen und nicht himmlischen Ursprungs sind. Das erste Tier von Offenbarung 13 steigt aus dem Meer auf und wird durch die Umwälzungen unter den Völkern hervorgebracht. Aber das zweite Tier steigt von der Erde auf, wenn die Dinge mehr geordnet sein werden. Natürlich kann der Hinweis auf die Erde hier in besonderer Weise Bezug haben auf Palästina.
In Daniel 7 wird uns gezeigt, dass die Herrschaft der ersten drei Tiere nacheinander von ihnen weggenommen wird, dass ihnen aber Verlängerung des Lebens gegeben wird, das heißt, dass sie zu jener Zeit nicht ganz zerstört werden. „Das erste war gleich einem Löwen und hatte Adlerflügel; ich schaute, bis seine Flügel ausgerissen wurden und es von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt und ihm ein Menschenherz gegeben wurde“ (V. 4). Hier haben wir die Herrschaft Babels vor uns. In seiner Art, wie es die Nationen überschattete, war es edel und majestätisch; aber mit dem höchsten und schnellsten Flug stürzte es sich auf seine Beute. Doch lesen wir hier, dass seine Flügel ausgerissen wurden. Dies hat Bezug auf den zweiten Angriff auf Babel, bei dem es besiegt und zum zweiten Mal eingenommen wurde und dabei seine Vorherrschaft verlor. Es wurde von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt, und es wurde ihm ein Menschenherz gegeben. Babel wurde erniedrigt und unterdrückt. Es hatte keine Kraft mehr, die Nationen zu plündern, wie es vorher getan hatte. Es wurde eine Provinz und war nicht länger Herrin der Welt, über die es ungefähr siebzig Jahre regiert hatte.
„Und siehe, ein anderes, zweites Tier glich einem Bären; und es richtete sich auf einer Seite auf, und es hatte drei Rippen in seinem Maul zwischen seinen Zähnen; und man sprach zu ihm so: Steh auf, friss viel Fleisch“ (V. 5) – Hier handelt es sich um das Medo-Persische Reich, eine harte und grausame Macht, die mehr danach strebte, sich andere Königreiche anzueignen, als ein neues Reich zu schaffen. Dass das Tier sich auf einer Seite aufrichtete, hat Bezug auf die Erhebung der Perser über die Meder unter Kores (Cyrus). Er war der Mann, der zum Teil von Gott gebraucht wurde, sein Volk wieder in ihr Land zurückzubringen. Dass Er eine solche Macht brauchte, die im Allgemeinen so streng und hart war, zeigt die überwältigende Macht Gottes in seiner Vorsehung.
„Nach diesem schaute ich, und siehe, ein anderes, gleich einem Leoparden; und es hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken; und das Tier hatte vier Köpfe, und Herrschaft wurde ihm gegeben“ (V. 6). Hier sehen wir Griechenland und seine Macht vor uns. Zuerst unter Alexander und dann, in seiner letzten Stufe, unter vier seiner Heerobersten. Der Leopard ist bekannt wegen seiner lebhaften und schnellen Bewegungen, daher wird er hier als ein Bild der schnellen Eroberung der Welt unter Alexander dem Großen benutzt. Obwohl er noch ein so junger Mann war, denn er starb im Alter von zweiunddreißig Jahren, gingen seine Eroberungen so schnell vor sich. Es wird erzählt, dass er sich niedersetzte und weinte, weil kein Königreich mehr zu erobern war. Der Geist Gottes lenkt unsere Aufmerksamkeit dann aber mehr auf die letzte Form des Reiches, in der wir vier Regenten sehen, die durch die vier Flügel eines Vogels dargestellt werden. Diese vier Heerobersten wirkten mit Alexander während seines Lebens zusammen; als er aber starb, wurden sie die Herrscher und regierten in den verschiedenen Teilen seines Reiches.
Zwei dieser Herrscher hatten mehr mit den Juden und ihrem Land zu tun, als es Alexander jemals gehabt hatte. Wir kennen sie aus der Schrift als den König des Nordens und als den König des Südens. Sie haben schon vieles von dem erfüllt, was in Bezug auf sie geschrieben ist, aber sie sind noch dazu bestimmt, ihren Anteil zu haben an dem, was in noch kommenden Tagen geschehen wird.
„Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: Und siehe, ein viertes Tier, schrecklich und furchtbar und sehr stark, und es hatte große, eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und das Übriggebliebene zertrat es mit seinen Füßen; … und es hatte zehn Hörner“ (V. 7). Die Geschichte des vierten Tieres bildet den Hauptgegenstand dieses Kapitels. Seine Bedeutung wird durch die Tatsache hervorgehoben, dass in Verbindung mit ihm ein zweites Gesicht gegeben wird, in dem viel mehr Einzelheiten in Bezug auf seine Macht gegeben werden, besonders im Hinblick auf das, was es in den letzten Tagen kennzeichnen wird. Hier wird kein Wohlstand gesehen wie bei den vorigen Mächten, aber es wird als außergewöhnlich stark gezeigt, mit der Gewalt, alles zu vernichten, was sich ihm widersetzte. Dieses Tier war von den anderen verschieden, besonders in den Zügen, die es in seinem Zustand am Ende zeigen würde; denn es hatte zehn Hörner, von denen später gezeigt wird, dass es sich hier um zehn Könige handelt. Nichts Ähnliches ist in den drei vorigen Mächten gesehen worden. Diese hatten nur einen Herrscher, der mit Oberhoheit regierte, ausgenommen in dem Griechischen Reich in seiner Phase mit vier Herrschern, aber hier haben wir zehn Könige, die einen Teil der römischen Macht zum Ende hin bilden.
Aber es wird uns auch gezeigt, dass zwischen den zehn Hörnern ein anderes, kleines Horn emporstieg, vor dem drei von den ersten Hörnern ausgerissen wurden: „Und siehe, an diesem Horn waren Augen gleich Menschenaugen, und ein Mund, der große Dinge redete“ (V. 8). Auf die Einzelheiten können wir später in Verbindung mit den weiteren Offenbarungen eingehen, die Daniel empfing. „Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte: Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle; sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer“ (V. 9). Der Alte an Tagen spricht von Gottes richterlicher Oberhoheit über alles; alle werden ihm Rechenschaft zu geben haben. Er erinnert uns an Hebräer 12,28.29: Gott ist ein verzehrendes Feuer, und wir sollten Ihm dienen in Frömmigkeit und Furcht. In Hebräer 10,31 wird uns gesagt, dass es furchtbar ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Das wird in den Versen Daniel 7,9–11 deutlich gezeigt. Er ist der Eine, den wir in Jesaja 6 dargestellt sehen, dem Tausende der himmlischen Heerscharen dienen, während Myriaden vor Ihm stehen.
Hier wird der Thron zum Gericht aufgestellt, und Bücher werden aufgetan, denn Gott hat von allem Kenntnis genommen, was stattgefunden hat. Hier wird das besondere Gericht über das Tier dargestellt. Mit den großen Worten, die das Tier geredet hat, hat es den Becher der Ungerechtigkeit gefüllt, und Gott kann nicht länger mit ihm Geduld haben. Das Tier wird getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben. Der Herr Jesus sagt uns, dass wir den fürchten sollen, der sowohl den Leib als auch die Seele in der Hölle zu zerstören vermag. In Offenbarung 19 sehen wir, wie das Tier und der falsche Prophet ergriffen und lebendig in den Feuersee geworfen werden.
Hier wird uns wieder gezeigt, dass die letzte Macht von den drei übrigen, deren Herrschaft weggenommen wurde, verschieden ist, denn ihr Leben wurde auf Zeit und Stunde verlängert. Auch mit diesen Mächten wird zur gegebenen Zeit gehandelt werden, aber dies geschieht erst, nachdem der Herr Jesus seinen Thron eingenommen hat.
Dann haben wir in Vers 13 das dritte Gesicht, in dem wir einen wie eines Menschen Sohn sehen, der mit den Wolken des Himmels kommt. „Und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor ihn gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (V. 14). Wie lebhaft werden wir hier an Offenbarung 5 erinnert, wo wir sehen, dass der Herr Jesus seine Ansprüche an das Reich geltend macht, obwohl wir sein tatsächliches Kommen, um mit Macht an seinen Feinden zu handeln, erst im 19. Kapitel sehen. Dann wird Er sein Reich aufrichten.
„Mir, Daniel, wurde mein Geist in mir tief ergriffen, und die Gesichte meines Hauptes ängstigten mich“ (V. 15). Daniel scheint durch die Offenbarungen, die er auf solche Weise empfing, bestürzt worden zu sein und erbittet Gewissheit über das alles, und Gott lässt ihm durch einen seiner Boten die Deutung der Sache mitteilen. Diese vier großen Tiere sind vier Könige, die von der Erde aufstehen werden. Wie wir schon sagten, ist ihr Ursprung irdisch. Ihre Reiche sollten alle hinweggetan werden, aber Gott zeigt seine Gedanken in Bezug auf sein Volk sowie ihren endlichen Sieg und ihre Segnung. „Aber die Heiligen der höchsten Örter werden das Reich empfangen und werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten“ (V. 18). Dies zeigt deutlich, dass, die Heiligen Gottes mit Ihm regieren werden, wenn der Herr Jesus sein Reich nimmt und herrscht. Alle, die im Glauben gestorben sind, werden auferweckt werden und in verherrlichten Körpern mit Christus über die Erde herrschen. Es werden auch Heilige auf der Erde sein, wenn Christus zur Aufrichtung seines Reiches erscheint. Auch sie werden ihren Platz in dem ewigen Reich haben, aber im Gegensatz zu solchen, die aus den Toten auferweckt sind und einen Teil des himmlischen Reiches bilden, in dem sie mit Christus über die Erde herrschen werden, wird ihr Teil irdisch sein.
Dann erbittet Daniel mehr über das vierte Tier und die zehn Hörner zu erfahren und über das andere Horn, das emporstieg, das stärker schien als die übrigen. Im ersten Fall handelte es sich nicht um Macht, die unter dem Einfluss von Leidenschaften in Tätigkeit trat; auch nicht um einen Eroberer, der zu rauben suchte. Dies kleine Horn unterdrückt, wie wir gesehen haben, drei dieser Könige, dann steigt es in Macht empor und gewinnt Oberhoheit über das Ganze der zehn Reiche, denn sie geben ohne Weiteres ihre Macht dem Tier. Dieses empfängt die Macht, indem es alles seiner Kontrolle unterwirft, und in Vers 26 lesen wir, wie das Horn Krieg gegen die Heiligen führt und sie besiegt. Das wird in der letzten Hälfte der letzten Jahrwoche sein, dreieinhalb Jahre lang, und am Ende wird Gott eingreifen und als der Alte an Tagen die Heiligen der höchsten Örter mit sich in diesem Gericht vereinigen.
Der Alte an Tagen in Daniel ist nicht der Sohn des Menschen, obwohl wir in Offenbarung 1 sehen, dass der Sohn des Menschen alle Kennzeichen des Alten an Tagen trägt. Christus wird sowohl als Messias als auch als Sohn des Menschen gesehen. Als Messias wurde Er dem Volk der Juden angeboten und ist verworfen worden, aber als Sohn des Menschen erbt Er die Rechte des Menschen vonseiten Gottes in dieser Welt. Wenn Er also wiederkommt, erscheint Er nicht nur als Messias, sondern auch als Sohn des Menschen. In diesem Charakter empfängt Er das Reich aus der Hand des Alten an Tagen, und alle Herrschaften werden Ihm dienen und gehorchen.
Gewalttat und Grausamkeit haben die Tiere stets gekennzeichnet, aber die Zeit wird kommen, wo sie selbst vernichtet werden. Das Tier mag Zeiten und Gesetze zu verändern suchen, und für eine Zeit wird es ihm erlaubt werden, alle Anbetung im Tempel aufhören zu lassen; aber seine Tage sind gezählt, denn es spricht die großen Worte der Lästerung gegen den Höchsten, der am Ende eingreifen wird. Solche, die sich selbst erhöht hatten, werden niedergeworfen werden, während solche, die demütig vor Gott gewandelt haben, erhöht werden. Was für ein Gegenstand war es für Daniel, um dabei zu verweilen. Er mochte einen bitteren Beigeschmack haben, wenn er an den Pfad der Leiden seines Volkes dachte, aber das herrliche Ende war gesichert. Wir lesen, dass Daniel die Sache in seinem Herzen bewahrte.
Bezüglich des Tieres, das durch das kleine Horn dargestellt wird, müssen wir weiter auf das achten, was in Daniel 9 in Verbindung mit der Eroberung Jerusalems und der Einnahme des Tempels gesagt wird. Dort lesen wir auch, dass die jüdische Anbetung in der Mitte der letzten Woche aufhören wird. Ebenso sehen wir dies in Daniel 11, 36–39, in Verbindung mit den Aktionen des Tieres in Palästina und weiter auch in 2. Thessalonicher 2 im Hinblick auf den großen Abfall.
Das kleine Horn in Daniel 8 ist eine ganz andere Person. Dieses Horn hat mit dem griechischen Reich zu tun, und die Tätigkeit dieses Hornes hat hauptsächlich Dinge zum Gegenstand, die in der Vergangenheit erfüllt worden sind. Sie warteten aber noch auf ihre Erfüllung, als sie hier angekündigt wurden. Doch mag es erlaubt sein, den Spuren hiervon in einem späteren Kapitel zu folgen.