Der Prophet Jeremia
Kapitel 5: Baruk
Die Ereignisse dieses Kapitels finden im vierten und fünften Jahr der Regierung Jojakims statt, des Sohnes Josias und Königs von Juda. Das Land ist durch Nebu kad nezars Armee schon eingenommen worden. Es hatte bereits eine erste Deportation stattgefunden, die auch Daniel und seine Landsleute betraf (Dan 1,1–4). Einige Tempel geräte wurden dabei ebenfalls weggebracht. Der König lebte aber noch immer in Jerusalem, und seine Regie rungszeit sollte noch einige Jahre andauern.
Jeremias Prophezeiungen, die seit dreiundzwanzig Jahren verkündigt worden waren, sind ignoriert worden. Der HERR befiehlt ihm: „Nimm dir eine Buchrolle und schreibe darauf alle Worte, die ich zu dir geredet habe über Israel und über Juda und über alle Nationen, von dem Tag an, als ich zu dir geredet habe, von den Tagen Josias an bis auf diesen Tag“ (Jer 36,2). Vielleicht würden die Juden den Worten endlich Beachtung schenken, wenn sie sie schwarz auf weiß lesen konnten.
Der Prophet diktierte seinem Freund Baruk alle Worte des HERRN und dieser schrieb sie auf eine Buchrolle. Offensichtlich nahm diese Arbeit viel Zeit in Anspruch, denn erst im neunten Monat des fünften Jahres Jojakims wurde diese Rolle öffentlich vorgelesen (Jer 36,9). Man kann sich die beiden Männer in Jeremias Haus gut vorstellen: Unter der Leitung des Geistes Gottes diktiert der Prophet sorgfältig die Worte des HERRN, während Baruk sich der Aufgabe des Niederschreibens widmet. Die ganze Zeit sind sich die Männer bewusst, dass es tatsächlich die Worte Gottes selbst sind, die sie an die Leser weitergeben.
Aufgrund des Ernstes der vorliegenden Umstände wird im neunten Monat des fünften Jahres der Regierung Jojakims ein Fasten vor dem HERRN ausgerufen. Viele Juden strömen nach Jerusalem und bevölkern die Stadt. Baruk nutzt die Gelegenheit und liest die Worte Jeremias „im Haus des HERRN, in der Zelle Gemarjas, des Sohnes Schaphans, des Schreibers, im oberen Vorhof, im Eingang des neuen Tores des Hauses des HERRN, vor den Ohren des ganzen Volkes“ (Jer 36,10). Schaphan hatte zur Zeit der Tempelausbesserung zusammen mit Hilkija das Buch des Gesetzes gefunden. Es scheint, dass Gemarja den Fußstapfen seines frommen Vaters nachgefolgt ist (Jer 36,25). Sein eigener Sohn Mikaja hört aus dem Buch all die Worte des HERRN, die von Baruk vorgelesen werden. Er ist davon so beeindruckt, dass er in das Zimmer des Schreibers geht und den dort versam melten Fürsten alle Worte berichtet, die er gehört hat (Jer 36,12.13). (Auf dieselbe Art mögen junge Leute, die in der Lage sind, die Versammlungsstunden zu besuchen, den Wunsch haben, das Wort, welches gelesen oder gesprochen worden ist, kranken oder alten Personen zu überbringen, die nicht mehr aus dem Haus gehen können. Solch ein verborgener Dienst ist sehr nützlich und wird von solchen, denen er erwiesen wird, sehr hoch geschätzt!) Die Fürsten lassen nun Baruk persönlich holen, mit der Bitte, die Rolle mitzubringen damit sie aus seinem eigenen Mund die Botschaft hören, die dem Volk gebracht wurde.
Wir mögen erstaunt sein, dass das Vorlesen der Weissagungen, die Jeremia so viele Male verkündet hatte, den Fürsten etwas gänzlich Neues zu sein scheint. Vielleicht hatten sie den Propheten selten persönlich gehört. Wie dem auch sei, auf jeden Fall illustriert diese Begebenheit die Kraft des geschriebenen Wortes Gottes. Auch beim Verkünden des Evangeliums ist es allein das Wort Gottes („der Same“, wie der Herr Jesus es nennt), das „lebendig und kraftvoll“ ist. Es ist dieses Wort, mit dem die Fürsten Judas an diesem Tag in Berührung kommen.
Als sie sich darüber vergewissern wollen, wie die Rolle geschrieben wurde, versichert Baruk ihnen ausdrücklich: „Aus seinem Mund sagte er mir alle diese Worte vor, und ich schrieb sie mit Tinte in das Buch“ (Jer 36,18).
Weil die Fürsten die Unberechenbarkeit des Königs kennen, raten sie Jeremia und Baruk, sich zu verstecken. Dann begeben sie sich sofort an den Königshof, um Jojakim die Worte des Propheten zu berichten; die Rolle lassen sie in der Kammer Elischamas, des Schreibers. Der König möchte die Worte des Propheten gerne aus erster Hand erfahren und beauftragt Jehudi, die Rolle zu holen. Dann liest der Bote sie „vor den Ohren des Königs und vor den Ohren aller Fürsten, die um den König standen.Der König aber saß im Winterhaus, im neunten Monat, und das Kohlenbecken war vor ihm angezündet“ (Jer 36,21.22). Eine gewisse Erhabenheit bestimmt die Szene. Auf den Gesichtern der Männer erscheint ein Ausdruck des Entsetzens. Aus Erfahrung kennen sie die schreckliche Macht des babylonischen Königs, der sich auf ihr Land stürzen wollte.
Kaum hat Jehudi drei oder vier Spalten gelesen, wird der König von seiner Erregung gepackt. Mit dem Schreibermesser zerschneidet er die Rolle und wirft sie ins Feuer, bis sie von den Flammen verzehrt ist. Drei Männer, unter ihnen Gemarja, der Sohn Schaphans, drängen den König, die Rolle nicht zu zerstören, doch er hört nicht auf sie. Im Gegenteil – er will Jeremia und Baruk verhaften lassen, „aber der HERR hatte sie verborgen“ (Jer 36,26).
Jojakim hatte nicht auf Jeremia gehört, als er bei verschiedenen Gelegenheiten zu ihm sprach. Nun weist er das inspirierte Wort Gottes, geschrieben auf einer Rolle, zurück und vernichtet es – was für eine schwerwiegende Verantwortung! Doch noch schlimmer ist es, wenn ein Mensch das Evangelium der Gnade freiwillig zurückweist, nachdem er es gehört hat: „Wie viel schlimmerer Strafe, meint ihr, wird der wert geachtet werden, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt worden ist, für gemein erachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?“ (Heb 10,29).
Durch die Jahrhunderte hindurch hat Satan unnachgiebig, doch vergeblich, versucht, die Bibel zu zerstören. Gott hat dafür gesorgt, dass sein Wort bis in unsere Tage sicher aufbewahrt wurde. Durch Israels Zerstreuung in alle Welt seit der Zerstörung Jerusalems wurden die alttestamentlichen Schriften sorgfältigst verwahrt, wieder und wieder abgeschrieben und überliefert. Und auch in den ersten Jahren der Christenheit brachte man es während der erbit terten Christenverfolgung nicht zustande, die verviel fältigten Schriften zu vernichten. Während eines jeden Jahrhunderts schrieben treue Schreiber die existie renden Texte mit größter Sorgfalt ab. Zur Zeit der Reformation erlaubte es die Erfindung des Buchdrucks, die Schriften, die bis dahin nur privilegierte Leute in Händen halten konnten, in Massen herzustellen. Kurze Zeit später nahm die Verfolgung derer, die eine Bibel besaßen, stark zu. Wie hartnäckig waren die An stren gungen, sowohl die Schriften als auch ihre Leser zu zerstören! Selbst heute gibt es noch riesige Gebiete in der Welt, die Bibeln und Neue Testamente immer nur in kleiner Stückzahl erhalten können.
Trotz allem ist das Wort Gottes „nicht gebunden“. Durch die Möglichkeit des Buchdrucks und durch alle Mittel, die Gott benutzt, um sein Wort weiterzugeben, ist die Bibel heute weiter verbreitet als jemals zuvor. Sie wurde ganz oder teilweise in Tausende von Sprachen und Dialekten übersetzt. Hingebungsvolle Männer und Frauen widmen sich auch heute beharrlich dieser Aufgabe. Gott benutzt die vorhandene Technologie, um sein Wort überall zu verbreiten und ermöglicht es so einer stetig wachsenden Anzahl von Menschen, damit in Berührung zu kommen.
Satan nutzt jedoch noch andere Wege, um die Schrift in Verruf zu bringen. Er sät Zweifel („Hat Gott wirklich gesagt …?“, 1. Mo 3) oder fördert die Vorstellung, dass die Bibel zwar Gottes Worte enthalte, aber nicht das Wort Gottes ist, wie manche Theologen erklären. Andere ge brau chen menschliche Argumentation, angeblich um die Bibel zu erklären. Manche streichen Teile aus ihr heraus, andere fügen Inhalte hinzu, und wieder andere verwerfen sie ganz oder geben vor, sie zu verbessern. Aber Gott wacht über sein Wort. Dieses lebendige Wort bewirkt die Erlösung derer, die es im Glauben annehmen, und es versorgt Gottes Auserwählte mit Nahrung und Erbauung. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit … Predige das Wort, halte darauf zu gelegener und ungelegener Zeit; überführe, weise ernstlich zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre“ (2. Tim 3,16; 4,2) Zu jeder Zeit, an jedem Ort und unter jeder Bedingung ist das Wort Gottes für uns verfügbar. Es wirkt in den Seelen der Menschen als das Schwert des Geistes, als Feuer und Hammer, als die Quelle des Lebens, als Freude und Licht.
Jeremia war tief bewegt, als er von der Zerstörung der Rolle erfuhr, die zu schreiben so viel Mühe gekostet hatte. Einmal mehr wurde sein Dienst verworfen. Da erreicht ihn das Wort des HERRN: „Nimm dir wieder eine andere Rolle und schreibe darauf alle vorigen Worte, die auf der vorigen Rolle waren, die Jojakim, der König von Juda, verbrannt hat“ (Jer 36,28).
Jeremia und sein Freund machen sich wieder an die Arbeit, um die zerstörte Rolle noch einmal zu schreiben. „Und es wurden noch viele Worte gleichen Inhalts hinzugefügt“ (Jer 36,32). Der Herr Jesus selbst sagt: „Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“ (Mk 13,31).
Baruk nimmt sich das, was er aufschreibt, tief zu Herzen. Von Angst bedrückt kann er nicht schlafen und wird matt durch seinen Kummer (Jer 45,3). Eines Tages, als er gerade die Worte des Propheten niederschreibt, unterbricht Jeremia sein Diktieren und sagt seinem Freund, dass der HERR, der Gott Israels, eine besondere Botschaft für ihn habe. Alles im ganzen Land wird gestürzt werden, Unglück wird über alles Fleisch gebracht werden, „aber ich gebe dir deine Seele zur Beute an allen Orten, wohin du ziehen wirst“ (Jer 45,5). So erhält Baruk die Zusicherung, dass sein Leben verschont wird. Auf der Grundlage dieses Versprechens kann er sich die Ermahnung zu Herzen nehmen: „Und du trachtest nach großen Dingen für dich? Trachte nicht danach!“ (Jer 45,5).
Auch wir wissen, dass schreckliche Gerichte über diese Erde kommen werden. Aber wir leben in der Gewissheit, dass der Herr Jesus wiederkommen und die Seinen zu sich holen wird, bevor die Gerichte losbrechen werden. Das ist ein noch größerer Trost als der, den Baruk bekam.
Deutlich klingt das Wort von oben:
„Ja, ich komme bald.“
Bald schon sind wir bei dir droben.
„Komm, Herr Jesus, komme bald!“
Zum Nachdenken
1
- Welche Lektionen für dein eigenes Leben kannst du aus der engen Beziehung lernen, die Jeremia und Baruk als Freunde und Mitarbeiter hatten?
2
- Stell dir Baruks Gefühle vor, als der König die Schriftrolle, die Baruk während vieler Tage und Monate so gewissenhaft angefertigt hatte, in ein paar Sekunden vernichtete. Wie veranschaulicht diese Tat des Königs die seit Jahrhunderten andauernden Bemühungen Satans, Gottes Wort zu zerstören?
3
- Beachte die Worte an einen entmutigten Baruk: „Und du, du trachtest nach großen Dingen für dich? Trachte nicht danach!“ Vergleiche sie mit den Worten des Herrn Jesus über Nachfolge in Lukas 9,23–26.