Betrachtung über Jakobus (Synopsis)
Kapitel 2
Der Apostel kommt jetzt auf die zu sprechen, welche zu glauben bekannten, dass Jesus der Christus, der Herr, sei. Im 1. Kapitel hatte er von der neuen Natur in Verbindung mit Gott geredet; hier wird derselbe Prüfstein an das Bekenntnis des Glaubens an Christus gelegt: die Wirklichkeit der durch dasselbe hervorgebrachten Früchte, im Gegensatz zu dieser Welt, wird untersucht. Alle diese Grundsätze, der Wert des Namens Jesu, das Wesen des Gesetzes, so wie Christus es dargestellt hat, das Gesetz der Freiheit – alles wird aufgeführt, um die Wirklichkeit des dem Bekenntnis nach vorhandenen Glaubens zu erproben, oder den Bekenner zu überzeugen, dass er keinen Glauben besitze. Zwei Dinge werden getadelt. Das Ansehen der Person wegen ihrer äußeren Erscheinung und das Fehlen guter Werke zum Beweise der Echtheit des Bekenntnisses.
Zuerst also tadelt Jakobus das Rücksichtnehmen auf das äußere Ansehen der Personen: man bekennt den Glauben an den Herrn Jesus, hält es aber mit dem Geist der Welt. Er antwortet darauf, dass Gott die Armen auserwählt habe, indem Er sie reich im Glauben und zu Erben des Reiches gemacht hat. Jene Bekenner aber hatten die Armen verachtet. Reich an irdischen Gütern, lästerten sie den Namen Christi und verfolgten die Christen.
An zweiter Stelle redet Jakobus von der praktischen Summe des Gesetzes, von der Jesus gesprochen hatte, von dem „königlichen“ Gesetz (V. 8). Man brach das Gesetz selbst, indem man die Reichen begünstigte. Das Gesetz erlaubte aber keine Verletzung irgendeines seiner Gebote, weil dadurch die Autorität des Gesetzgebers in Frage gestellt wurde. Nun, wenn man den Armen verachtete, liebte man sicherlich den Nächsten nicht wie sich selbst.
Drittens sollten die Gläubigen als solche wandeln, deren Verantwortlichkeit in dem Gesetz der Freiheit ihren Maßstab fand. Als Besitzer einer Natur, die das, was von Gott war, genoss und liebte, waren sie frei gemacht von allem, was Gott entgegen war; sie hatten also keine Entschuldigung, wenn sie Grundsätze zuließen, die nicht die Grundsätze Gottes selbst waren. Diese Einführung der göttlichen Natur veranlasst den Apostel, von der Barmherzigkeit zu reden, durch die Gott sich verherrlicht. Der Mensch, der keine Barmherzigkeit übt, wird die Erfahrung machen, dass er selbst dem Gericht verfällt, das er geliebt hat.
Der zweite Teil des Kapitels steht hiermit in Verbindung, indem der Apostel seine Ausführungen über die Werke (als Beweise des Glaubens) damit beginnt, dass er von jener Barmherzigkeit redet, die der Natur und dem Charakter Gottes entspricht. Der wahre Christ, als aus Gott geboren, ist dieser Natur und dieses Charakters teilhaftig geworden. Das Bekenntnis, Glauben zu haben, ohne dieses Leben, dessen Vorhandensein durch die Werke bewiesen wird, kann keinem Menschen etwas nützen. Das ist klar genug. Ich sage: das Bekenntnis, Glauben zu haben; denn der Brief drückt es so aus. „Wenn jemand sagt, er habe Glauben.“ Das ist der Schlüssel zu diesem Teil des Briefes. Man sagt, man habe Glauben. Aber wo ist der Beweis davon? Die Werke sind der Beweis; in dieser Weise benutzt der Apostel sie hier. Ein Mensch sagt, er habe Glauben. Nun, der Glaube ist nicht eine Sache, die man sehen kann. Deswegen sage ich mit Recht: „Zeige mir deinen Glauben.“ Die Werke sind der für den Menschen erforderliche Beweis des Glaubens; denn nur durch seine Früchte können wir das Vorhandensein des Glaubens den Menschen ersichtlich machen. Der Glaube selbst ist etwas Unsichtbares. Wenn ich jene Früchte hervorbringe, so muss sicherlich auch die Wurzel vorhanden sein, denn ohne sie könnte es keine Früchte geben. So kann denn der Glaube ohne Werke sich anderen nicht zeigen, noch kann ich ihn erkennen. Werke aber, die Frucht des Glaubens, beweisen sein Vorhandensein.
Das Folgende zeigt, dass Jakobus von dem Bekennen einer Lehre spricht, die an und für sich durchaus wahr sein mag, von dem Bekennen gewisser bekannter Wahrheiten, denn was die Gewissheit der Erkenntnis und der Überzeugung anbetrifft, so haben die Dämonen einen wirklichen Glauben an die Einheit Gottes. Sie zweifeln gar nicht daran. Dennoch besteht nicht das schwächste Bindeglied zwischen ihrem Herzen und Gott mittels einer neuen Natur – weit davon entfernt!
Aber dann wendet der Apostel diese Tatsache auf Menschen an, bei denen der Gegensatz zu der göttlichen Natur nicht so offenbar zutage tritt. Der Glaube, das ist die Erkenntnis der Wahrheit in Bezug auf Christus, ist ohne Werke tot; das will sagen, ein Glaube, der keine Werke hervorbringt, ist tot.
Im 16. Verse sieht man, dass der Glaube, von dem der Apostel redet, ein Bekenntnis ohne jede Wirklichkeit ist. Wohl mag, wie Vers 19 zeigt, eine ungeheuchelte Gewissheit vorhanden sein, dass das, was man glaubt, wahr ist, aber das durch das Wort gezeugte Leben, so dass eine Verbindung zwischen der Seele und Gott hergestellt ist, fehlt gänzlich. Eben weil dieses Leben durch das Wort hervorgebracht wird, ist es Glaube; von Gott gezeugt, besitzen wir ein neues Leben. Dieses Leben handelt, das will sagen, der Glaube handelt gemäß der Beziehung, in die er uns zu Gott gebracht hat, und zwar durch Werke, die naturgemäß aus ihm hervorgehen und die von dem Glauben, der sie gewirkt hat, Zeugnis geben.
Vom 20. Verse bis zum Ende des Kapitels erbringt Jakobus einen neuen Beweis für seinen Lehrsatz, der sich auf den letzterwähnten Grundsatz stützt. Nur haben diese Beweise nicht das geringste zu tun mit den Früchten (denn es gibt auch solche) einer liebenswürdigen Natur, wie sie uns als Geschöpf vielleicht zugehört, aber nicht jenem Leben, das zu seiner Quelle das Wort Gottes hat, durch das Er uns zeugt. Die Früchte, von denen der Apostel spricht, geben gerade durch ihren Charakter dem Glauben Zeugnis, der sie hervorgebracht hat. Abraham opferte seinen Sohn; Rahab nahm die israelitischen Boten auf, indem sie sich mit dem Volk Gottes einsmachte, als alles gegen dasselbe war, und indem sie sich aus Glauben von ihrem eigenen Volk trennte. Alles für Gott zu opfern, alles für sein Volk aufzugeben, noch ehe dieses einen einzigen Sieg errungen hat, und während die Welt noch alle Macht besitzt, das sind die Früchte des Glaubens. Abraham stellte alles Gott anheim und glaubte Ihm in der bestimmtesten Weise, allem zuwider, was in der Natur ist oder worauf die Natur rechnen kann. Rahab erkannte das Volk Gottes an, als alles wider es war. Aber keines von beiden war die Frucht einer liebenswürdigen Natur oder etwas natürlich Gutes, das was die Menschen ein gutes Werk nennen. In dem einen Fall stand ein Vater im Begriff, seinen Sohn zu töten, in dem anderen schickte eine schlechtes Frau sich an, ihr Land zu verraten. Sicherlich wurde die Schrift erfüllt, die da sagt, dass Abraham Gott glaubte. Wie hätte er tun können, was er tat, wenn er nicht Gott geglaubt hätte? Die Werke besiegelten seinen Glauben: ein Glaube ohne Werke ist nur wie ein Leib ohne Seele, eine äußere Gestalt ohne das Leben, das sie beseelt. Der Glaube handelt in den Werken (ohne ihn sind die Werke ein Nichts, sie sind nicht Werke des neuen Lebens), und die Werke „vollenden“ (V. 22) den Glauben, der in ihnen handelt; denn trotz der Prüfung und in der Prüfung ist der Glaube in Tätigkeit. Gesetzeswerke haben kein Teil daran. Das äußere Gesetz, das Forderungen stellt, ist nicht ein Leben, das (außerhalb der göttlichen Natur) jene heiligen und liebevollen Gesinnungen hervorbringt, für die, da sie Gott und sein Volk zu ihrem Gegenstand haben, sonst nichts Wert hat.
Beachten wir wohl, dass Jakobus niemals sagt, dass die Werke uns vor Gott rechtfertigen; denn Gott kann den Glauben auch ohne dessen Werke wahrnehmen. Er weiß, ob Leben vorhanden ist. Es tritt ja in Ausübung im Blick auf Ihn, für Ihn, im Vertrauen auf sein Wort und auf Ihn selbst, indem es sein Zeugnis annimmt trotz allem, was von innen oder außen dagegen sein mag. Gott sieht und weiß das. Aber wenn es sich um unsere Mitmenschen handelt, wenn gesagt werden muss: „Zeige mir“, dann zeigt sich der Glaube (das Leben) in den Werken.