Die Offenbarung
Kapitel 4
Der erste Vers von Kapitel 4 ist besonders wichtig. Er leitet über zu dem, was „nach diesem geschehen muß“ (Kap. 1,19), also zum dritten Teil dieses Buches. Was Johannes jetzt sieht, geht in eine neue Richtung: Er sieht im Himmel eine Tür geöffnet und hört eine vollmächtige Stimme, die ihm gebietet, heraufzukommen auf den himmlischen Schauplatz. Da er „im Geist“ war, wie er berichtet, empfand er sein Erleben und Schauen als lebendige Realität, und obwohl es ein Gesicht war, vermittelt es uns prophetische Wirklichkeiten.
Damit wechselte zuerst einmal der Standort des Johannes. Er vertauschte die irdischen Szenen mit himmlischen, so daß er von dort aus das Handeln Gottes im Gericht hinsichtlich der Erde beobachten konnte. Dieser Wechsel hat nach unserer Überzeugung eine symbolische Bedeutung. Kapitel 3 endet mit „den Versammlungen“, und dieser Ausdruck kommt nicht mehr vor bis Kapitel 22,16; das heißt, daß die Versammlungen bei der Entfaltung dessen, „was nach diesem geschehen muß“, nicht in Erscheinung treten. Die Kirche als Ganzes wird in Kapitel 19,7 wie auch in 21,9 symbolisch dargestellt als „das Weib des Lammes“, aber offenbar befindet sie sich dann an ihrem himmlischen Platz. Die Aufnahme des Johannes in den Himmel steht symbolisch für die Entrückung der Versammlung, die in 1. Thessalonicher 4,17 im einzelnen beschrieben wird, und was Johannes sieht, sind die Ereignisse, die von diesem Zeitpunkt an, nachdem die Versammlung aufgenommen ist, auf der Erde stattfinden.
Als nächstes stellen wir fest, daß, bevor es Johannes gestattet wird, die aus den Regierungswegen Gottes hervorgehenden Gerichte über die Erde zu beobachten, ihm deren geheime Quelle gezeigt wird. An dem kommenden Tag des Herrn müssen die Menschen die Gerichte sehen und fühlen, aber sie sind im Dunkel darüber, woher sie kommen. Wir nun sollen darüber nicht unwissend sein, deshalb beschäftigen sich dieses und auch das nächste Kapitel mit dem Gesicht des Johannes, in dem er himmlische Szenen sieht und auch den, dem das ganze Gericht übertragen ist. Der Bericht über das, was er sah, liefert uns das Gemälde einer feierlichen Gerichtssitzung im Himmel, die den Vollzug auf der Erde vorbereitet.
Ein Thron in der Mitte und der, der darauf saß, zogen zuerst die Aufmerksamkeit des Johannes auf sich. Er sah den Himmel nicht als das Vaterhaus (Joh 14,2), die ewige Heimat der Gläubigen, sondern als den Sitz der Autorität und Herrschaft, und die göttliche Herrlichkeit erschien ihm gleich den Strahlen kostbarer Steine. Solche Steine reflektieren das Licht – die Herrlichkeit Gottes, die in sich selbst ein Licht ist, dessen Glanz sterbliche Augen blendet. Der Gerichtsthron war jedoch von einem Regenbogen umgeben, ein Zeichen dafür, daß Gott sich auch in den Gerichten noch der Verheißung Seiner Barmherzigkeit erinnert, wie wir es in 1. Mose 9,13 finden. Doch der Regenbogen war von übernatürlicher Art, einfarbig, und zwar in einer Farbe, die in den Regenbogenfarben heutzutage nicht vorkommt.
Den Thron in der Mitte umgaben ferner vierundzwanzig geringere Throne, und auf diesen saßen Älteste in weißen Priesterkleidern, doch gekrönt wie Könige. Sogleich bemerken wir eine Ähnlichkeit mit dem, was Daniel etwa sechs Jahrhunderte früher sah, wenn er sagt: „Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte“ (Dan 7,9), und dann übernahm nicht nur jemand gleich dem Sohn des Menschen die Herrschaft, sondern „die Heiligen der höchsten Örter werden das Reich empfangen“ (7,18). So sehen wir hier nicht nur Gott als den höchsten Herrscher, sondern das gesamte Reich von Priestern, die nach 1. Korinther 6,2 bestimmt sind, die Welt zu richten. Wir erkennen in den Ältesten die Gläubigen, die in der ersten Auferstehung auferweckt worden sind, und ihre Zahl entspricht den vierundzwanzig Abteilungen, in die David die Nachkommen Aarons – die priesterliche Familie unter dem Gesetz – einteilte. Zwölf ist die Zahl der Verwaltung, und so paßt vierundzwanzig zu der priesterlichen Schar, die sich aus den Gläubigen des Alten und des Neuen Testaments zusammensetzt, die jetzt miteinander verherrlicht sind.
Vers 5 macht deutlich, daß nicht Gnade, sondern Gericht diesen Thron kennzeichnet, ein Gericht, das jedoch im vollen Licht des Geistes Gottes ausgeführt wird. In Kapitel 2 und 3 war jede einzelne Versammlung ein „Leuchter“, und der Herr hatte die sieben Geister Gottes. Jetzt brennen die sieben Geister Gottes gleich Fackeln vor dem Thron. Sie beleuchten den Ablauf der göttlichen Gerichte. Das „Meer“ ist dort, aber nicht gefüllt mit dem Wasser der Reinigung wie einst vor dem Tempel, sondern es ist von Glas und spricht somit von einem Zustand unveränderlicher Reinheit. „Inmitten“ des Thrones und „rings um“ ihn her waren, ihn gleichsam tragend, vier „lebendige Wesen“. Sie weisen eine starke Ähnlichkeit auf mit den lebendigen Wesen in Hesekiel 1, die dort später Cherubim genannt werden. Doch es gibt auch Unterschiede: z.B. werden dort nur vier Flügel erwähnt, während es hier sechs sind, was eher mit den Seraphim in Jesaja 6 übereinstimmt.
Die erste Erwähnung von Cherubim in 1. Mose 3,24 vermittelt sicherlich den Eindruck, daß sie eine Art engelhafter Wesen sind. Andererseits handelt es sich in Hesekiel 1 und Offenbarung 4 und 5 um Berichte von Gesichten, die Propheten gewährt wurden, und die lebendigen Wesen erscheinen hier eher als Symbole für das regierende Walten Gottes im Bereich der Schöpfung. Gottes Wege haben die Kraft des Löwen, die Ausdauer des Kalbes (oder: Stieres), die Intelligenz des Menschen, die Schnelligkeit und den erhabenen Höhenflug des Adlers. Die lebendigen Wesen sind auch „voller Augen“, nicht nur vorn und hinten, sondern auch inwendig – sie erforschen alles Zukünftige und alles Vergangene und die tiefsten Geheimnisse der Wege Gottes. Deshalb tragen sie zu Seinem Lobpreis bei. Sie geben Ihm beständig Herrlichkeit, Ehre und Danksagung, verkünden Ihn als den dreimal Heiligen, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dreifache Heiligkeit, beachten wir es wohl! Vater, Sohn und Heiliger Geist, der eine allmächtige Gott, der da war und der da ist und der da kommt.
Wenn die lebendigen Wesen Dank sagen, fallen die Ältesten nieder, um anzubeten, und sie werfen ihre Kronen nieder vor dem Thron. Alle Herrlichkeit, Ehre und Macht schreiben sie dem Herrn zu aufgrund Seines Schöpfungswerkes und Seiner Oberhoheit. Es ist sehr passend, daß sie dabei ihre eigenen Kronen ablegen. Da alle Dinge zu Seinem Wohlgefallen erschaffen wurden, müssen Seine Gerichte jetzt zur Ausführung kommen, um alles zu Seinem Wohlgefallen zu befreien, was durch die Sünde verdorben worden war. Aber mehr noch als erschaffende Macht und reinigendes Gericht ist nötig, nämlich das erlösende Blut Christi, das in Kapitel 5 vor uns tritt.