Das Evangelium nach Markus
Kapitel 5
Wenn der Glaube verstanden hat, wer der Herr Jesus ist, so gewinnt er damit zugleich die Gewißheit, daß Er jeder eintretenden Notlage zu begegnen vermag. Doch auch dann ist es dem Jünger nützlich, weiterhin mitzuerleben, wie der Herr sich der Menschen und ihrer durch die Sünde verursachten Nöte annimmt, um in Seinem Erbarmen Befreiung zu wirken. In diesem Kapitel sehen wir, wie Er Seine Macht entfaltet und dadurch auch Seine Jünger zunehmend zubereitet. Möge solche Zubereitung auch uns zuteil werden, wenn wir nun diesen Bericht näher betrachten.
Während der Überfahrt über den See war die Macht Satans am Werk gewesen, hinter dem Ungestüm des Sturmes verborgen. Als sie am anderen Ufer anlegten, zeigte sich seine Macht in dem Menschen mit dem unreinen Geist. Nachdem er in seinen mehr hintergründigen Anstrengungen geschlagen war, bringt der Widersacher jetzt ohne Zögern eine für alle erkennbare Herausforderung an, denn dieser Mensch begegnete Ihm im selben Augenblick, als sie an Land gingen. Es war wirklich ein Testfall. Der Teufel hatte den unglücklichen Menschen in eine Festung verwandelt, die er, koste es, was es wolle, zu behaupten hoffte; in diese Festung hatte er gleich eine ganze Legion Dämonen eingeschleust. Wenn jemals ein Mensch von den Mächten der Finsternis hoffnungslos gefangen war, so war er es. Seine Geschichte spiegelt den schlimmen Zustand wieder, in den die Menschheit unter der Macht Satans gesunken ist.
Er „hatte seine Wohnung in den Grabstätten“: Lebt die Menschheit heute nicht in einer Welt, die mehr und mehr zu einem gewaltigen Friedhof wird, da Geschlecht um Geschlecht vom Tod ereilt wird? Und dann: „Keiner konnte ihn binden“; Fesseln und Ketten waren ihm oft vergeblich angelegt worden. Er konnte nicht bezwungen werden. Auch heute fehlt es nicht an Bemühungen und Methoden, die üblen Triebkräfte von Menschen zu zähmen, ihre immer gewalttätigeren Handlungen unter Kontrolle zu bringen, um der Welt ein Leben in Annehmlichkeit und Ordnung zu sichern. Aber es ist alles umsonst.
Noch etwas hatte man bei dem Besessenen versucht. Konnte man nicht auf seine Wesensart einwirken und sie verändern? Doch es heißt: „Niemand vermochte ihn zu bändigen“, so daß auch ein solcher Versuch sich als nutzlos erwies. Der Mensch verfügt ebensowenig über die Kraft, seine Natur zu ändern, als sie zu zügeln und zu unterdrücken, so daß sie nicht tätig wird. Es war nie anders. „Die Gesinnung des Fleisches ... ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7), sie widersetzt sich jedem Zwang. Und wiederum steht geschrieben: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch“ (Joh 3,6), gleichgültig, was für Versuche zu seiner Besserung unternommen werden. Es kann nicht geändert oder verbessert werden.
„Und allezeit, Nacht und Tag, war er in den Grabstätten und auf den Bergen“ – äußerst ruhelos – „schreiend“ – furchtbar elend – „und zerschlug sich mit Steinen“ – selbstzerstörerisch in seinem Wahnsinn. Was für ein Bild!
Und wir müssen hinzufügen, was für ein charakteristisches Bild des Menschen unter der Macht Satans. Zugegeben, dies war ein Ausnahmefall. Satans Griff nach der Mehrheit der Menschen ist von sanfterer Art, und die Anzeichen werden weniger laut ausgerufen, aber vorhanden sind sie. Der Aufschrei der Menschheit kann da gehört werden, wo Menschen sich durch ihre Sünde selbst beschädigen.
Als der Mann redete, wurden die Worte wohl von seinen Lippen geformt, doch die darin enthaltene denkende Kraft stammte von den Dämonen, die ihn beherrschten. Sie wußten, was für ein Mensch der Herr Jesus war, selbst wenn es andere nicht wußten. Andererseits kannten sie nicht die Art Seines Dienstes. Es wird in der Tat eine Stunde kommen, wo der Herr diese Dämonen zusammen mit Satan, ihrem Meister, der Qual übergeben wird, aber das war nicht sein Werk in jenem Augenblick. Und noch viel weniger war das zu jener Zeit die Art Seines Dienstes im Blick auf die Menschen. Dem Besessenen kam der Herr entgegen, nicht um ihm Qual, sondern Befreiung zu bringen.
Der Herr hatte den Dämonen geboten auszufahren, und sie wußten, daß sie Ihm nicht widerstehen konnten. Sie waren in der Gegenwart der Allmacht, und sie hatten zu tun, wie ihnen befohlen wurde. Sie mußten sogar um Erlaubnis bitten, in die Schweineherde zu fahren, die nicht weit ab weidete. Diese Schweine durften dort eigentlich gar nicht sein, weil sie nach dem Gesetz unreine Tiere waren. Weil auch die Geister unrein waren, bestand zwischen ihnen und den Schweinen eine Verwandtschaft, die den Tieren hier zum Verhängnis wurde. Die Dämonen hatten den Mann zur Selbstzerstörung mit Hilfe scharfer Steine angestachelt; die Schweine trieben sie in den sofortigen und völligen Untergang. Der Mann wurde befreit, die Schweine kamen um.
Wie konnte sich dieser Mann jetzt freuen! Sein ruheloses Umherirren war vorüber, denn er „saß“ zu den Füßen Jesu. Vordem „zog er sich keine Kleider an“, wie Lukas erwähnt, jetzt ist er „bekleidet“. Seine Wahnvorstellungen haben aufgehört, denn er verhält sich „vernünftig“. Die geistliche Anwendung in Verbindung mit dem Evangelium ist klar ersichtlich.
Die Reaktion der Leute jener Gegend war sehr tragisch. Sie bekundeten eine Einstellung, die alles andere als recht war, obwohl keine Dämonen in sie gefahren waren. Sie brachten dem Herrn Jesus kein Verständnis und keine Wertschätzung entgegen. Andererseits aber schätzten sie Schweine und verstanden sie. Wenn die Gegenwart des Herrn sich mit Schweinen nicht vertrug, dann wünschten auch sie Seine Gegenwart nicht, selbst wenn diese auch keinen rasenden Besessenen zuließ. Sie baten Ihn, ihre Gegend zu verlassen.
Der Herr kam ihrem Wunsch nach und verließ sie. Es war eine große Tragödie, die sie aber zu dieser Zeit nicht erkannten. Ihr folgte die noch weit größere Tragödie des Sohnes Gottes, den diese Welt von sich stieß; seitdem überschauen wir, als eine Folge davon, neunzehn Jahrhunderte, angefüllt mit aller Art von Bosheit. Indem der Herr wegging, ergab sich für den Menschen, der gerade von den Dämonen befreit worden war, eine neue Lage. Er wünschte natürlich, bei dem Herrn als seinem Befreier zu bleiben, doch er sollte vorerst ohne den Herrn dort bleiben und von Ihm zeugen, besonders im Kreis seiner Familie.
Wir sind heute in ähnlicher Lage. Wir werden einmal bei Ihm sein, aber in der gegenwärtigen Zeit ist es unsere Aufgabe, für Ihn hier zu zeugen, wo Er abwesend ist. Auch wir dürfen unserer Umgebung erzählen, wie viel der Herr an uns getan hat.
Nachdem sie den See wiederum überquert hatten, sah der Herr sich sogleich weiteren Fällen menschlicher Not gegenüber. Auf Seinem Weg zum Haus des Jairus, wo dessen Tochter im Sterben lag, wurde Er von der blutflüssigen Frau aufgehalten. Sie war schon zwölf Jahre krank, und alle Kunst der Ärzte hatte ihr nichts geholfen. Ihr Fall war hoffnungslos, ebenso wie der des Besessenen. Er war hilflos einer großen Menge von Dämonen ausgeliefert, sie hatte eine unheilbaren Krankheit.
Wieder erkennen wir eine Parallele zu dem geistlichen Zustand der Menschheit, und im besonderen zu den Anstrengungen einer erweckten Seele, wie sie in Römer 7 beschrieben sind. Da gibt es viele Kämpfe und viel ernstes Streben, aber im Ergebnis ist „nichts gebessert, sondern eher schlimmer geworden“. Mit genau diesen Worten läßt sich der dort geschilderte Fall beschreiben. Erst muß sie zum Ende all ihres Suchens kommen, erst „alle Habe verwandt“ haben, dann „hört sie von Jesus“. Dann hören alle Anstrengungen zur Selbstbesserung auf, und indem sie zu Jesus kommt, erweist Er sich als der große Befreier.
Im Fall des Mannes können wir kaum von Glauben sprechen, denn er war vollständig unter dämonischer Gewalt. Bei der Frau können wir nur von einem schwachen Glauben sprechen. Sie vertraute Seiner Macht, die ihr so groß schien, daß selbst Seine Kleider sie übertragen würden, aber sie war sich nicht sicher, ob Er sich ansprechen ließe. Die drängende Volksmenge hinderte sie, und sie nahm nicht wahr, wie gern und völlig Er, der vollkommene Diener, allen zur Verfügung stand, die Seiner bedurften. Doch ungeachtet dessen empfing sie die nötige Heilung. Es wurde ihr ermöglicht, Ihn zu berühren, und der Segen wurde ihr zuteil. Beglückt darüber, wollte sie sich davonschleichen.
Doch das sollte nicht geschehen. Auch sie sollte ein Zeugnis geben von dem, was Seine Macht an ihr bewirkt hatte, und darin war ihr selbst noch ein weiterer Segen zugedacht. Der Umgang des Herrn mit ihr beinhaltet eine Fülle geistlicher Belehrung.
Das vollkommene Wissen des Herrn tritt hier zutage. Er wußte, daß Kraft von Ihm ausgegangen war dadurch, daß jemand Seine Kleider berührt hatte. Er fragte wohl, wer es getan habe, doch Er wußte es auch, denn Er blickte umher, um „sie“ zu sehen, die Ihn berührt hatte.
Mit Seiner Frage wurde auch deutlich, daß viele Ihn auf die eine und andere Art flüchtig berührt hatten, aber dabei war keine Kraft von Ihm ausgegangen. Warum aber in diesem Fall? Weil diese eine Berührung im Unterschied zu allen anderen durch bewußte Not und Glauben veranlaßt war. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, hat die Berührung Erfolg.
Sehr viele von uns möchten es dieser Frau nachtun und wünschen einen Segen zu erlangen, ohne dem Segenspender öffentliche Anerkennung zu geben. Aber das darf nicht sein. Wir sind es Ihm schuldig, daß wir die Wahrheit bekennen und Seine rettende Gnade bekanntmachen. Sofort dann, wenn Kraft zu unserer Errettung von Ihm ausgegangen ist, ist für uns die Zeit da, davon Zeugnis abzulegen. Ebenso wie der Mann zu den Seinen nach Hause gehen sollte, sollte die Frau öffentlich zu Seinen Füßen niederknien. Beide bezeugten Ihn, und das, beachten wir es, in einer Weise, die dem, was wir erwartet hätten, entgegengesetzt ist. Die meisten Männer finden das Zeugnis zu Hause am schwierigsten, die meisten Frauen das Zeugnis in der Öffentlichkeit. Doch der Mann sollte es zu Hause verkünden, und die Frau vor der Volksmenge. Sie redete jedoch nicht zu den vielen Menschen, sondern zu Ihm.
Als Frucht ihres Bekenntnisses empfing die Frau selbst einen weiteren Segen. Sein Wort gab ihr die bestimmte Gewißheit, daß sie völlig geheilt war von ihrer Plage. Wenige Minuten vorher hatte sie „an ihrem Leibe gemerkt, daß sie geheilt war“, und dann bekannte sie, „wissend, was ihr geschehen war“. All dies war sehr gut, aber es war noch nicht genug. Wenn der Herr ihr erlaubt hätte, im Übermaß dieser beglückenden „Gefühle“ wegzugehen, und dem „Wissen“ um das, was „in ihr geschehen“ war, so blieb sie doch manchem Zweifel und der Furcht ausgesetzt, was ihr die Zukunft noch bringen könnte. Jede geringste Unpäßlichkeit hätte von neuem die Angst wachgerufen, ob das frühere Leiden nicht doch wiederkäme. Nun aber hatte sie Sein endgültiges Wort: „Sei gesund von deiner Plage.“ Damit war alles entschieden. Sein Wort war weit verläßlicher als ihre Gefühle.
Mit uns steht es auch so. In der Tat ist bei unserer Bekehrung durch den Geist Gottes etwas in uns geschehen, und wir wissen das auch und mögen darüber beglückende Gefühle haben. Doch selbst dann ist das keine sichere Grundlage, wenn unsere Gewißheit auf unseren Gefühlen oder dem, was in uns geschehen ist, ruht. Den festen Grund für unsere Gewißheit finden wir in dem Wort des Herrn. Nicht wenigen fehlt heuzutage diese Gewißheit eben deshalb, weil sie den Fehler begangen haben, den auch die Frau machen wollte. Sie haben Christus nie eigentlich bekannt, und ihre Verpflichtung Ihm gegenüber nicht wirklich ernstgenommen. Wenn sie diesen Fehler berichtigen, wie die Frau es tat, so werden sie die Gewißheit durch Sein Wort erhalten.
In dem Augenblick, als die Frau Heilung erfuhr, gab es in der Erkrankung der Tochter des Jairus eine schlimme Wendung. Die Nachricht von ihrem Sterben traf ein, und die sie überbrachten, meinten, daß es schon sinnvoll wäre, die Kraft des Herrn für eine Krankheit in Anspruch zu nehmen, daß Er aber bei einem Todesfall nicht mehr helfen könne. Wir haben gesehen, wie Er über Dämonen und Krankheiten triumphierte, auch da, wo ihre Opfer aller menschlichen Hilfe entblößt waren. Der Tod ist von allem die hoffnungloseste Sache. Vermag der Herr über ihn zu triumphieren? Er kann es, und Er tat es.
Die Art, wie der Herr den schwankenden Glauben des Vorstehers stützt, ist sehr schön. Jairus hatte darauf vertraut, daß Er heilen konnte; aber was jetzt, wo der Tod eingetreten war? – Das war eine schwere Probe für seinen Glauben wie auch für die Macht des Herrn. „Fürchte dich nicht; glaube nur“, war das Wort. Der Glaube an Christus wird die Furcht vor dem Tod wegnehmen, bei uns wie bei Jairus.
Für den Herrn Jesus war der Tod nur ein Schlaf, doch die anwesenden Trauergäste verspotteten Ihn in ihrem Unglauben. So trieb Er sie hinaus, und in Gegenwart der Eltern und der Ihn begleitenden Jünger rief Er das Kind ins Leben zurück. Es geschah zum drittenmal in diesem Kapitel, daß Er einem Menschen Rettung brachte, für den bei allen anderen jede Hoffnung verloren war.
Der Anfang von Vers 43 steht in scharfem Gegensatz zu den Versen 19 und 33. Diesmal soll es kein Zeugnis geben. Wir glauben, daß der Grund dafür in dem verächtlichen Unglauben liegt, der sich gerade vorher gezeigt hatte. Gleichzeitig ließ der Herr sorgfältige Rücksicht walten, indem Er ermahnte, dem Kind zu essen zu geben, gleichwie Er vorher das geistliche Bedürfnis des Jairus gestillt hatte. Er dachte an beides, an ihren Leib und an seinen Glauben.