Die Briefe des Petrus
2. Petrus 1
In seinem zweiten Brief wendet sich der Apostel Petrus an dieselben Gläubigen wie im ersten Brief – an christliche Juden, die über Kleinasien hin zerstreut waren. Wir erfahren diese Tatsache nicht aus den einleitenden Versen, aber der erste Vers in Kapitel 3 macht dies deutlich. In der Anrede zu Beginn des Briefes beschreibt er sie einfach als solche, die „durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus“ einen gleich kostbaren Glauben wie er empfangen haben.
Sie hatten, genau so wie er selbst, dem Evangelium geglaubt, und ein solcher Glaube, wo immer er in einem Herzen gefunden wird, ist kostbar. Doch hier wird auf den Glauben des Christentums verwiesen, der unaussprechlich kostbar ist. Die jüdische Religion konnte nicht als Glaube bezeichnet werden. Sie begann mit einem Schauen am Berg Sinai. Sie bestand aus einem Gesetz strenger Forderungen, verbunden mit einem sichtbaren System – Satzungen des Gottesdienstes und einem weltlichen Heiligtum (Heb 9,1), – das ein Schatten zukünftiger Dinge war. Sie hatten sich abgewandt von dem, was wie die Wirklichkeit aussah, aber nur der Schatten war, um den Glauben an Christus in sich aufzunehmen, der für Ungläubige wie ein Schatten aussieht, der aber die Wirklichkeit ist.
Diesen kostbaren Glauben haben wir allein durch das Kommen des Herrn Jesus als Heiland empfangen, und Er kam als eine Kundgebung der Gerechtigkeit unseres Gottes. Wenn ein bekehrter Jude an bekehrte Juden schrieb, bedeutete „unser Gott“ „Israels Gott“, der Seine Gerechtigkeit in Seiner Treue zu den alten Verheißungen offenbart und um ihretwillen eingegriffen hatte, und auch um unsertwillen, durch die Sendung des Heilandes. Dadurch dürfen wir solch einen kostbaren Glauben unser eigen nennen.
Nun ist der Herr Jesus, der als unser Heiland kam (V. 1), auch der Offenbarer, durch den wir die wahre Erkenntnis Gottes haben (V. 2). Alle Gnade und den Frieden haben wir in dem Maß, wie wir wirklich Gott selbst und den Herrn Jesus erkennen. Uns ist alles betreffs des Lebens und der Gottseligkeit durch die Erkenntnis unseres Heiland-Gottes geschenkt.
Es wird zum Verständnis dieser Stelle hilfreich sein, auf folgendes zu achten:
- Vers 3 und der erste Teil von Vers 4 sprechen von Dingen, die allen Gläubigen durch Gottes Kraft gegeben sind.
- Der letztere Teil von Vers 4 zeigt uns, welchen Zweck Gott mit dem verfolgte, was Er gegeben hat.
- Die Verse 5–7 zeigen uns, daß wir verantwortlich sind, das Empfangene mit Eifer in die Praxis umzusetzen, damit Gottes Ziel erreicht wird. Was uns „seine göttliche Kraft“ (V. 3) gegeben hat (V. 5), soll unser „Fleiß“ anwenden.
Was hat Seine göttliche Kraft uns gegeben? Alles, was das Leben und die Gottseligkeit angeht. Wir haben nicht nur Leben empfangen, sondern damit auch alles, was nötig ist, daß das neue Leben sich auch in christlicher Praxis und gottesfürchtigem Verhalten offenbaren kann. Der Apostel hält nicht inne, um die Dinge im einzelnen zu erläutern, außer uns zu erinnern, daß außerordentlich große und kostbare Verheißungen uns zugefallen sind. Er gebraucht die Steigerungsform „größte“, denn die Hoffnungen des Christen, die sich auf das Kommen des Herrn richten, können von nichts übertroffen werden. Ein paar Augenblicke mögen der Erinnerung an einige dieser Gaben, die Gottes Kraft uns verliehen hat, gewidmet sein: der Heilige Geist, der in uns wohnt, das Wort Gottes, das für uns geschrieben ist, der Gnadenthron, der uns offensteht, um nur diese drei zu nennen. Dabei haben wir nicht nur einige, sondern ALLE Dinge empfangen, die mit dem Leben und der Gottseligkeit zu tun haben. Daher sind wir bestens ausgestattet. Nichts fehlt von Gottes Seite aus.
Und all dies haben wir erlangt durch die Erkenntnis Gottes, der uns berufen hat „durch Herrlichkeit und Tugend“. Wir sind natürlich zur Herrlichkeit berufen (siehe 1. Pet 5,10). Hier handelt es sich darum, daß beides, Herrlichkeit und Tugend, unsere Berufung kennzeichnen. Wir sind berufen, in der Kraft der Herrlichkeit zu leben, zu der wir bestimmt sind, wie auch in der Tugend oder der Entschiedenheit, die uns bis zum Ende hindurchtragen wird.
Diese Dinge sind alle zusammen unser Teil, damit wir durch sie „Teilhaber der göttlichen Natur“ würden. Jeder wahre Gläubige ist „aus Gott geboren“ und hat in diesem Sinn teil an der göttlichen Natur (siehe 1. Joh 3,9). Er tut daher Gerechtigkeit und wandelt in Liebe (siehe 1. Joh 2,29; 3,10). Unsere Schriftstelle bedeutet jedoch nicht, daß wir durch die uns geschenkten Dinge wiedergeboren werden, denn Petrus schrieb an solche, die schon „wiedergeboren“ waren (1. Pet 1,23). Hier ist vielmehr gemeint, daß wir durch diese Dinge zu einem praktischen und erfahrungsmäßigen Teilhaben an der göttlichen Natur geführt werden. Mit einem Wort, Liebe ist die göttliche Natur, und deshalb schildern die Verse 5–7 das Wachstum des Gläubigen, das in der Liebe seinen Höhepunkt erreicht. „Bruderliebe“ oder Liebe, die göttliche Natur, ist das Höchste. Der Gläubige, dessen Herz von der Liebe Gottes erfüllt ist, ist wahrhaft ein Teilhaber der göttlichen Natur im Sinn dieser Schriftstelle.
Alles Verderben in der Welt wird durch die Lust verursacht. „Lust“ umfaßt alle Begierden, die von der gefallenen Natur des Menschen ausgehen. Das Gesetz Moses kam daneben ein und legte den Begierden der gefallenen Natur des Menschen Beschränkungen auf. Aber anstatt daß der Zwang des Gesetzes die Lust wirklich zähmte, durchbrachen die Lüste des Menschen die Gesetzeszwänge und breiteten nach wie vor das Verderben aus. Alle Verderbnisse der Welt haben ihren Ursprung in der gefallenen Natur des Menschen. Wir haben als Gläubige teil an der göttlichen Natur, aus der Heiligkeit entspringt, und von daher werden wir aus dem Verderben herausgenommen und entrinnen. In der Kraft dessen, was göttlich ist, werden wir herausgenommen aus dem, was uns als Sündern natürlich ist, und einen anderen Weg, dem zu entrinnen, gibt es nicht.
Achten wir nun auf den Anfang von Vers 5: „Ebendeshalb reichet aber auch dar, ...“ Das soll heißen, außer alledem, was uns durch „seine göttliche Kraft“ umsonst verliehen wird, ist auf unserer Seite noch etwas erforderlich. Und das ist „aller Fleiß“.
Alles Werk ist Gottes Werk, selbst das in unseren Herzen und in unserem Leben, doch deswegen dürfen nicht in eine Art Fatalismus verfallen, als ob für uns nichts mehr zu tun bliebe. Eher sollten wir daran denken, daß es Gott gefällt, menschliche Mittel in Verbindung mit Seinem Werk zu gebrauchen. So ist nach Seiner Anordnung das geistliche Wohlergehen jedes einzelnen Gläubigen mit seinem eigenen geistlichen Fleiß verknüpft. Das überrascht nicht, denn es steht völlig in Einklang mit dem natürlichen Leben. Im Buch der Sprüche finden wir göttliche Weisheit, angewandt auf die natürlichen Dinge, und dort lesen wir: „Siehst du einen Mann, der gewandt ist in seinem Geschäft – vor Königen wird er stehen, er wird nicht vor Niedrigen stehen“ (Spr 22,29).
Deshalb sollen wir mit allem Fleiß unserem Glauben die Tugend hinzufügen wie auch alle anderen Dinge, die in den Versen 5–7 aufgezählt werden. Man könnte vergleichsweise an den Bau eines Hauses denken, an dem Ziegelstein auf Ziegelstein aufgeschichtet wird. Oder auch an einen lebenden Baum, an dem alles Wachstum auf die Bildung der Frucht angelegt ist. Die Blüte am Apfelbaum birgt im Frühling keimhaft den köstlichen Apfel in sich, der im Herbst an derselben Stelle hängt. Doch an der Bildung des reifen Apfels sind viele Dinge beteiligt: Sonnenschein und Regen, die Lebenskräfte des Baumes, die ihn befähigen, die erforderliche Feuchtigkeit und andere Nährstoffe aus dem Boden zu saugen. Ohne die Lebenskraft des Baumes würde alles andere vergeblich sein, es würde keine wohlschmeckenden Früchte geben.
So sollte uns nach diesem Muster eifrige Tatkraft auszeichnen. Die schönen Wesenszüge des christlichen Charakters, die keimhaft in jedem Christen angelegt sind, entfalten sich dann in uns, und unser Glaube wird durch Tugend und Entschiedenheit geprägt sein. Wenn wir keine Kraft haben, uns klar und deutlich von der Welt abzusetzen, dann steht es schwach um unseren Glauben.
In der Tugend sollen wir die Erkenntnis haben. Die Tugend verleiht jemandes Charakter große Kraft, doch erst dann, wenn die Kraft entsprechend der Erkenntnis eingesetzt wird, und zwar der höchsten und besten Erkenntnis, der Erkenntnis Gottes und Seines Willen. Sonst kann sie sogar zu einer Gefahr werden.
In der Erkenntnis sollten wir uns Enthaltsamkeit oder Mäßigung auferlegen. Wenn uns nur Erkenntnis beherrscht, können wir leicht in Extreme geraten. Ein Gläubiger, der mit seinem Intellekt sehr klar erfaßt, kann sich leicht so verhalten, daß er das Wohlergehen seiner Brüder gefährdet. Römer 14 und 1. Korinther 8 zeigen das. Deshalb ist Enthaltsamkeit nötig.
Damit sollten wir Ausharren oder Geduld verbinden. Es kommen sicher Versuchungen und Prüfungen. Der Gläubige, der über Ausharren verfügt, ringt sich hindurch.
Aus dem Ausharren ergibt sich Gottseligkeit oder Frömmigkeit. Wir lernen, im Bewußtsein der Gegenwart Gottes zu leben. Wir erkennen Gott in unseren Umständen und handeln unter Seinem Auge.
In der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, denn wir sind nun fähig, uns in der rechten Weise unseren Mitgeschwistern gegenüber zu verhalten. Wir betrachten sie auch in der Beziehung zu Christus und als aus Gott geboren, nicht mehr nach Laune und persönlichem Geschmack, oder nach Abneigung oder parteilicher Einstellung.
In der Bruderliebe sollen wir die Liebe haben. Das ist die göttliche Liebe, die Liebe, die fortfährt, natürlicherweise Unliebenswürdige zu lieben. Sie entspringt jetzt einer inneren Quelle. Deshalb wartet sie nicht darauf, erst von außen angeregt und persönlich angesprochen zu werden. Ein Gläubiger, der, angefacht durch fleißiges geistliches Wachstum, in dieser Weise liebt, offenbart nun auch praktisch sein Teilhaben an der göttlichen Natur. Er ist dann fruchtbar, wie Vers 8 erklärt.
Diese Dinge sollten in uns und reichlich vorhanden sein. Sie sind nicht wie Kleider, die man anzieht, denn dann könnten sie bei Gelegenheit ausgezogen werden. Wie eine Frucht sind sie das Ergebnis und die Entfaltung des innerlichen göttlichen Lebens, und, wenn sie reichlich in uns vorhanden sind, beweisen sie, daß wir weder „träge“ noch „fruchtleer“ sind „bezüglich der Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus“.
Trägheit ist das Gegenteil von Fleiß. Was sind wir, träge oder fleißig? Manche Christen sind sehr fleißig im Geldmachen und sogar fleißig auf der Suche nach Vergnügungen, aber träge in göttlichen Dingen. Wundert es, wenn sie geistlich verschmachten? Andere, die sehr wohl ihrem Geschäft oder ihrer Arbeit die nötige Aufmerksamkeit widmen, sind dennoch fleißig in den Dingen, die Gott angehen. Da braucht niemand überrascht zu sein, daß sie geistlich gedeihen.
Die Verse 8 und 9 dieses Kapitels zeigen uns einen scharfen Gegensatz. Der fleißige Gläubige, der im geistlichen Leben wächst und in dem folglich die Frucht des Geistes reichlich gefunden wird, ist weder träge noch fruchtleer in der Erkenntnis unseres Herrn Jesus. Anderseits ist es leider für einen Gläubigen möglich, zumindest zeitweise, sowohl träge als fruchtleer zu sein und damit in dem traurigen Zustand, den Vers 9 beschreibt. Solche sind blind und kurzsichtig, ihr geistliches Gedächtnis hat gelitten.
Der Zurückgebliebene in Vers 9 ist offensichtlich ein wirklicher Gläubiger. Es heißt nicht, daß er niemals von seinen alten Sünden gereinigt wurde, und noch weniger, daß, nachdem er einmal errettet worden ist, er jetzt nicht länger von seinen Sünden gereinigt sei. Nein, er hat die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen. Gereinigt war er, aber er hat es vergessen. Wir müssen deshalb unterscheiden zwischen dem Zurückbleiben in diesem Vers und dem Zurückbleiben in Hebräer 6 und in dem Gleichnis vom Sämann (s. Lk 8,13).
In Hebräer 6 ist der Zurückgebliebene ein Abtrünniger, der vom christlichen Glauben abgefallen ist, ja, ihn so heftig zurückweist, daß er für sich selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigt; sein Fall ist ganz und gar hoffnungslos.
Im Gleichnis vom Sämann ist der Zurückgebliebene jemand, der das Wort gedanklich und gefühlsmäßig aufnimmt, ohne daß es je sein Gewissen durchdringt. Solche bekennen ihre Bekehrung, die aber nicht wirklich geschehen ist, und bald darauf fallen sie ab. Ihr Fall ist schwierig, aber nicht hoffnungslos, denn sie können sich in der Folgezeit doch noch wahrhaftig zu Gott bekehren.
Hier geht es jedoch um den wahren Gläubigen, und wenn jemand fragen möchte, ob so etwas denn jemals bei einem solchen vorkommen könnte, so verweisen wir auf die Episode in Petrus' eigener Geschichte, die das hier Gesagte veranschaulicht. Hätten wir gesehen, wie blind sich Petrus gegenüber seiner eigenen Schwachheit in jener Nacht des Verrats verhielt oder mit welcher Kurzsichtigkeit er in die schlimmste Gefahr hineintappte, als er sich bei den Feinden des Herrn am Feuer wärmte, und dann, als die Magd ihn erkannte, wieder in seine früheren Sünden verfiel, sich verfluchend und schwörend, so würden wir, zumindest in diesem Augenblick, auch gesehen haben, daß er die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen hatte.
Und wir sind sicher nicht besser oder stärker als Petrus. Wie oft mag jeder von uns diesen neunten Vers in trauriger Weise illustriert haben?
Daß wir davor bewahrt bleiben, hat natürlich mit dem Fleiß zu tun, zu dem Petrus uns auffordert. Um nicht rückwärts zu gehen, müssen wir vorangehen. Sind diese Dinge reichlich in uns vorhanden (V. 8) und tun wir sie (V. 10), werden wir vor einem Fall bewahrt bleiben, und so wird es sich zeigen, daß wir tatsächlich von Gott berufen und auserwählt sind.
Aber was mochten die anderen Jünger von Petrus nach diesem schlimmen Abgleiten denken? Wahrscheinlich befürchteten sie für den Augenblick, daß er sich als ein zweiter Judas erweisen könnte. Offensichtlich fragten sie sich, ob er wirklich einer von ihnen sei. Deshalb die besondere Botschaft am Auferstehungsmorgen: „Saget seinen Jüngern und Petrus“ (Mk 16,7). Sie waren sich seiner „Berufung und Auserwählung“ durchaus nicht sicher.
An die ernsten und schlichten Christen in Thessalonich schrieb der Apostel Paulus: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung.“ Wie konnten sie so vertrauensvoll darum wissen? Lies das erste Kapitel des ersten Briefes und sieh, was für erstaunliche Fortschritte sie in der kurzen Zeit seit ihrer Bekehrung gemacht hatten. Es war deshalb unmöglich, an ihrer Auserwählung zu zweifeln. Sie hatten sie sicher gemacht.
Die Lebendigkeit und Fruchtbarkeit, die den fleißigen Gläubigen auszeichnen, sind nicht nur ein Beweis seiner Berufung und Auserwählung in der gegenwärtigen Zeit, sie sind auch voller Verheißung für die Zukunft. Vor uns liegt „das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“, und obwohl jeder Christ in dieses Reich eingehen wird, so wird doch dem Christen, der Frucht bringt, der Eingang „reichlich dargereicht“ werden, wie Vers 11 klarmacht.
Das „ewige Reich“ ist nicht der Himmel. Niemand gewinnt den Himmel als Lohn seines Fleißes oder seiner Fruchtbarkeit. Noch gewinnen einige einen weiten und andere einen schmalen Eingang dort. Es gibt keinen Eingang in den Himmel ohne das Werk Christi – ein gleichermaßen vollkommenes und für alle vollbrachtes Werk, wenn sie glauben –, so daß alle, die eingehen, dies unterschiedslos in der gleichen Weise und auf demselben Grundsatz tun.
Das ewige Reich wird aufgerichtet werden, wenn Jesus wiederkommt, und in Verbindung damit wird Lohn ausgeteilt werden, wie das Gleichnis von Lukas 19,12–27 uns belehrt. Folglich wird es hinsichtlich der Plätze, die Gläubige im Reich einnehmen werden, große Unterschiede geben, und unser Eingang mag reichlich sein oder das Gegenteil. Alles wird von unserem Fleiß und unserer Treue abhängen. Daran zu denken, wird uns sicher zu Eifer und Hingebung antreiben.
Petrus weiß dies, und er weiß auch, wie leicht und schnell wir selbst Dinge vergessen, die uns sehr wohl vertraut sind, deshalb erinnert er uns wieder und wieder als ein fleißig bemühter Hirte der Seelen. Sie kannten diese Dinge. Sie waren tatsächlich befestigt in der Wahrheit, die in Christus ans Licht getreten war – die gegenwärtige Wahrheit –, doch sie hatten es nötig, „durch Erinnerung“ aufgeweckt zu werden. Haben wir das weniger nötig?
Beachten wir diese! Wir mögen Ansprachen zuhören oder Aufsätze lesen, die uns keine neuen Wahrheiten mitteilen. Laßt uns sie deshalb nicht verachten. Die Hauptaufgabe eines Lehrers mag es sein, in der Wahrheit des Christentums zu unterweisen, die an sich alt ist, jedoch weitgehend neu für die, die er belehrt. Die Hauptaufgabe eines Hirten ist es, Herzen und Gewissen der Gläubigen zu erreichen, Gelerntes auf sie anzuwenden, sie anzufachen und sie wachsam zu erhalten. Brauchen die meisten von uns letzteres nicht mehr als ersteres? Das, was wir wissen, mehr in die Tat umzusetzen, ist für uns wahrscheinlich eine dringendere Notwendigkeit, als unser Wissen zu erweitern.
Jetzt denkt Petrus an die Stunde seines Todes. Der Herr Jesus hatte auf seinen Tod und dessen Art angespielt, wie es Johannes 21,18.19 berichtet. Nun wußte er, daß das Ablegen seiner Hütte nahe bevorstand. Überrascht es uns nicht, daß Petrus eine Mitteilung darüber brauchte, daß er sterben würde? Was für ein Zeugnis von der Tatsache, daß nicht der Tod, sondern das Kommen des Herrn in Wirklichkeit die Hoffnung des Christen ist!
Doch sieh, wie Petrus dieses Wissen nutzte und wie er selbst den Fleiß praktizierte, den er in diesem Kapitel anderen so sehr ans Herz gelegt hat. Er war eifrig bemüht, daß sie auch zu jeder Zeit nach seinem Abschied in der Lage wären, sich diese Dinge ins Gedächtnis zu rufen. Danach schärft er nachdrücklich die Wirklichkeit und Gewißheit des kommenden Reiches ein, von dem er bereits in Vers 11 gesprochen hatte. Es ist offensichtlich, daß er es sich vorsetzte und unter der Leitung und Eingebung des Heiligen Geistes auch ausführte, den Brief, den wir jetzt lesen, zu schreiben. Dadurch können wir uns nun jederzeit diese Dinge ins Gedächtnis zurückrufen, obwohl die Stimme des Apostels längst verstummt ist.
Beachte, daß hier vom Aufkommen eines weiteren Geschlechts von Aposteln oder inspirierten Männern keine Rede ist, noch von apostolischer Nachfolge. Angezeigt wird jedoch, daß an die Stelle der Apostel die Schrift treten wird – besonders die Schriften der Apostel, mit anderen Worten, das Neue Testament. Kein Lehrer kann mit der inspirierten Autorität der Schrift reden. Wenn wir unsere Bibel vernachlässigen, bringt es nichts, dem Besten der Menschen zuzuhören.
Wir sind soeben durch die Tatsache aufgerüttelt worden, daß unser Fleiß an dem Tag belohnt, wenn das ewige Reich unseres Herrn gekommen ist. Petrus schrieb jedoch an Leute, die von ihren Vätern her die Hoffnung auf das Reich des Messias gehegt, nun aber erlebt hatten, wie Er verworfen und gekreuzigt worden war. Drängte sich ihnen jetzt nicht die Frage auf, ob schließlich die Weissagungen über das herrliche, wirklich Himmel und Erde umfassende Reich nur als ein sprachliches Bild zu verstehen waren – als eine glühende poetische Schilderung von etwas, das am Ende doch nur einen geistlichen, unsichtbaren Zustand im Himmel ausmachte? Es mag sehr wohl so gewesen sein, denn von Natur aus neigen wir zu Extremen. Menschen, die einst alles von der öffentlichen Herrlichkeit der Ankunft des Messias und nichts von dessen Erniedrigung erwarteten, werden wahrscheinlich, wenn sie einmal überzeugt sind, daß Er kam, um zu leiden, nunmehr alles von dieser Erniedrigung erwarten und nichts mehr von Seinem Reich und Seiner Herrlichkeit.
Die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus, die durch prophetisches Zeugnis so lange vorhergesagt worden war, ist aber keine „künstlich erdichtete Fabel“, und Petrus ist in der Lage, die tatsächliche Wirklichkeit beweiskräftig zu bezeugen. In den Versen 16–18 sagt er uns gewissermaßen: „Das prophetische Zeugnis ist wahr, und das geweissagte Reich ist eine echte Wirklichkeit, die zu ihrer Zeit erscheinen wird, denn wir haben bereits eine Probe davon gesehen. Er spielt natürlich auf die Verklärungsszene an, die in drei der vier Evangelien berichtet und von ihm selbst, Jakobus und Johannes bezeugt wird.
Vor einigen Jahren begannen ein paar Männer über ein neuartiges Seidengewebe zu sprechen, das nicht aus dem Kokons der Seidenraupe, sondern aus Holz hergestellt worden war – bei allen Stoffen in der Welt sage und schreibe aus Holz! Ungläubiges Erstaunen der Leute, das hörte sich wie eine Fabel an. Dennoch war der Beweis bald erbracht, und zwar in sehr überzeugender Form. Der Stoff wurde als Muster produziert, nicht gleich tonnenweise, sondern in einigen Gramm. Die stoffliche Wirklichkeit künstlicher Seide war durch diese Muster ebenso schlüssig bewiesen, wie es jetzt durch zahllose Tausende von Strümpfen der Fall ist, die in Schaufenstern über die ganze Welt hin ausgelegt sind.
Das herrliche Reich unseres Herrn Jesus ist vor langer Zeit von auserwählten Zeugen in Musterform gesehen worden. Und nicht nur ihre Augen, auch ihre Ohren hatten es wahrgenommen. Sie waren „Augenzeugen seiner herrlichen Größe“, und „diese Stimme hörten wir vom Himmel her erlassen“ – die Stimme, die von der „prachtvollen Herrlichkeit“ an Ihn erging: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe.“
Einige fragen sich vielleicht, wieso denn die Verklärungsszene eine Probe der „Macht und Ankunft“ des Herrn war und deshalb eine Bestätigung Seines herrlichen Reiches. Sie war dies, weil Er die zentrale und verherrlichte Person in dieser Szene war. Gläubige, die sich eines himmlischen Teils erfreuen, wurden dargestellt durch Mose und Elia. Gläubige auf der Erde wurden dargestellt durch Petrus, Jakobus und Johannes. Die himmlischen Gläubigen erscheinen mit Ihm verbunden und treten, einsichtsvoll in Seine Gedanken, in eine Unterredung mit Ihm ein. Die irdischen Gläubigen sind gesegnet durch Seine Gegenwart, obwohl Seine Herrlichkeit sie blendet. Es war der Anblick „des Sohnes des Menschen“, kommend „in seinem Reiche“ (Mt 16,28); es war der Anblick des Reiches Gottes, „in Macht gekommen“ (Mk 9,1), der Anblick des „Reiches Gottes“ (Lk 9,27).
Das herrliche und ewige Reich unseres Herrn Jesus ist somit eine herrliche und wesenhafte Wirklichkeit. Und sicher kommt es. Wir werden darin eingehen, berufen von Gott zu dessen „himmlischem“ Reich (2. Tim 4,18). Doch wie werden wir eingehen? Diese Frage bedarf der Klärung. Werden du und ich einen weiten Eingang haben? Werden wir gleich einem schmucken, wohlausgerüsteten Schiff mit vollen Segeln in den Hafen einlaufen? Oder werden wir eher wie ein beschädigtes, zerfetztes Wrack sein? Die Antwort darauf müssen wir selbst geben, jeder für sich bei geistlichem Fleiß oder bei geistlicher Trägheit und Sorglosigkeit, je nachdem was uns Tag für Tag kennzeichnet.
Die Verklärung des Herrn Jesus war nicht nur eine besondere, gezielte Bestätigung der Wirklichkeit Seines kommenden Reiches, sie war zugleich in allgemeiner Form eine Bestätigung des gesamten prophetischen Zeugnisses im Alten Testament. Dies besagt der erste Satz von Vers 19: „Und so besitzen wir das prophetische Wort befestigt.“ Das ist dann nicht schwer zu verstehen, wenn wir das Alte Testament erforschen und feststellen, wie alle seine leuchtenden Voraussagen sich auf das irdische messianische Reich konzentrieren, so daß eine Bestätigung der Wirklichkeit dieses kommenden herrlichen Reiches zugleich die Bestätigung des gesamten prophetischen Zeugnisses im Alten Testament war.
Diese frühen jüdischen Christen waren vielleicht geneigt, die alttestamentliche Prophezeiung als von der Entwicklung überholt zu betrachten, wegen der Leiden Christi, die für sie unerwartet eingetreten waren. Der Apostel Petrus bestätigt ihnen ihren Wert und ihre Bedeutung als eine Lampe, die „an einem dunklen Ort leuchtet“. Das mit „dunkel“ übersetzte Wort bedeutet ursprünglich „schmutzig“ oder „unflätig“. Diese Welt mit all ihren klugen Erfindungen und ihrer schillernden Pracht ist nach Gottes Urteil ein schmutziger Ort, und so auch in der Bewertung eines Christen, der von Gott belehrt ist. Das einzig wahre Licht über diesem Schmutz verbreitet die Lampe der Prophetie. Menschen schwelgen in eitlen Phantasien über das „tausendjährige Reich“, das sie aus dem gegenwärtigen Schmutz entwickeln wollen. Solche Einbildungen sind nichts anderes als illusionäre Wunschträume. Das prophetische Wort bringt uns in das Licht des göttlichen Ratschlusses und des künftigen göttlichen Werkes in Gericht und Errettung, und es befähigt uns, sowohl den Schmutz der gegenwärtigen Welt zu sehen als auch die Herrlichkeit des künftigen Zeitalters.
Wir sollen auf das prophetische Licht achthaben als auf eine Lampe, die an dunklem Ort leuchtet, „bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen“. „Der Tag“ ist natürlich „der Tag Christi“ – der Tag Seiner Herrlichkeit – dann wird die Lampe nicht länger benötigt. Bevor der Tag jedoch anbricht, geht der Morgenstern auf, und bevor er wirklich aufgeht, muß er in unseren Herzen aufgehen.
Der „Morgenstern“ ist eine Anspielung auf das Kommen des Herrn für die Seinen, die Ihn erwarten, bevor Er öffentlich der Welt als „die Sonne der Gerechtigkeit“ erscheint. Der Morgenstern ist ganz besonders die Hoffnung des Christen, und wenn er im Herzen eines Gläubigen aufgeht, so steht er in der freudigen Erwartung seines himmlischen Heilandes. Deshalb sollen wir achthaben auf das prophetische Wort, bis der Tag der Herrlichkeit Christi anbricht und bis wir kraft dieses Wortes in den vollen Genuß unserer eigentlichen christlichen Hoffnung gelangen, denn die Prophezeiung des Neuen Testaments gewährt uns Ausblicke, die im Alten Testament noch völlig verborgen waren. Um es mit anderen Worten zu sagen, der Zweck der Prophezeiung ist ein zweifacher: erstens erhellen ihre Strahlen die Finsternis bis zum tatsächlichen Anbruch des Tages der Herrlichkeit Christi, zweitens läßt sie in der Zwischenzeit das Herz des Gläubigen seine eigentliche Hoffnung völlig wahrnehmen und genießen.
Tatsächlich aber scheuen viele Christen vor der Prophetie zurück, weil sie, so sagt man, zu einem bloßen Schlachtfeld rivalisierender Auslegungsschulen unter Christen geworden sei oder auch viel zu oft zu einer Art Jagdrevier von Führern falscher religiöser Systeme, wo sie ihre ketzerischen Vorstellungen verfolgen. Das ist allzu sehr wahr, aber das Heilmittel besteht nicht darin, die Prophetie zu verwerfen, sondern sie sehr wohl zu beachten, dabei aber alle Aufmerksamkeit auf die erste Regel eines angemessenen Umgangs mit ihr zu richten, die uns in Vers 20 gegeben wird.
„Keine Weissagung der Schrift ist von eigener Auslegung.“ Das bedeutet nicht, wie die römischen Katholiken behaupten, daß keine private Person irgendein Recht habe, sich mit Schriftauslegung zu befassen, sondern nur vertrauensvoll annehmen soll, was die römische „Kirche“, dargestellt durch Papst oder Konzil, als Auslegung erklärt. Vielmehr ist es eine Warnung davor, jeden einzelnen prophetischen Ausspruch zu behandeln, als ob er in sich selbst eine abgeschlossene Mitteilung wäre und abseits der Fülle prophetischer Belehrung gedeutet werden könnte. Alle Weissagung ist wechselseitig aufeinander bezogen und nur im Zusammenhang des Ganzen zu verstehen. Sie wurde niemals durch den Willen des Menschen hervorgebracht, sondern durch die Inspiration des Geistes Gottes. Er benutzte verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten. Jeder individuelle prophetische Ausspruch kann deshalb nur richtig verstanden und ausgelegt werden, wenn er als Teil in seiner Beziehung zum Ganzen gesehen wird.
Wenn ein Möbeldesigner einen außergewöhnlich feinen Kleiderschrank entwirft und sein Werk in zwölf Teilen zwölf verschiedenen Schreinern zur Ausführung anvertraut, so würde jemand, der versuchen wollte, eines der sich ergebenden Teilstücke von ihm allein aus zu interpretieren, sicher zu merkwürdigen Schlußfolgerungen kommen. Keine zuverlässige und befriedigende Darstellung käme zustande, bevor nicht das Teilstück in seiner Beziehung zu dem ganzen Entwurf betrachtet wird. So ist es mit jeder Weissagung der Schrift, und hier liegt der Grund für die vielen Meinungen und auch die Irrlehren, die wir zu beklagen haben.
Beachte, wie Vers 21 über Inspiration spricht. „Heilige Männer Gottes“ redeten und schrieben, „getrieben vom“ Heiligen Geist. Sie setzten ihre Feder aufs Papier unter Seiner Vollmacht. Deshalb ist Er der wahre Autor dessen, was sie schrieben.