Das Buch der Richter
Bleibe deinem Gott treu!
Kapitel 20
Zucht im Volk Gottes
Alle Stämme Israels antworteten auf die Botschaft des Leviten. Das natürliche Gewissen empörte sich über die Ungeheuerlichkeit der Sünde von Gibea. Diese Reaktion war gut. Aber wir fragen uns: Warum hatte es über den Götzendienst Michas nicht eine solche Entrüstung aller Stämme gegeben? Diese Abgötterei hatte doch viel schlimmere Folgen in der Geschichte des Volkes! Wir lernen daraus: Lehrmässig Böses ist heimtückischer und darum gefährlicher als moralisch Böses. Es trifft das Gewissen weniger direkt.
Israel in Mizpa (V. 1-11)
„Und alle Kinder Israel zogen aus, und die Gemeinde, von Dan bis Beerseba, und das Land Gilead versammelte sich wie ein Mann vor dem Herrn nach Mizpa. Und die Häupter des ganzen Volkes, aller Stämme Israels, traten in der Versammlung des Volkes Gottes zusammen: 400000 Mann Fußvolk, die das Schwert zogen. Und die Kinder Benjamin hörten, dass die Kinder Israel nach Mizpa hinaufgezogen waren. Und die Kinder Israel sprachen: Redet, wie ist dieses Böse geschehen? Da antwortete der levitische Mann, der Mann der ermordeten Frau, und sprach: Ich war nach Gibea gekommen, das Benjamin gehört, ich und meine Nebenfrau, um dort zu übernachten. Da machten sich die Bürger von Gibea gegen mich auf und umringten meinetwegen nachts das Haus. Mich beabsichtigten sie umzubringen, und meine Nebenfrau haben sie entehrt, dass sie starb. Da ergriff ich meine Nebenfrau und zerstückelte sie und sandte sie in das ganze Gebiet des Erbteils Israels; denn sie haben ein Verbrechen und eine Schandtat begangen in Israel. Siehe, hier seid ihr allesamt, Kinder Israel: Gebt hier eure Meinung und euren Rat! Und das ganze Volk stand auf wie ein Mann und sprach: Wir wollen nicht gehen, jeder zu seinem Zelt, und nicht einkehren, jeder in sein Haus; sondern dies ist die Sache, die wir jetzt an Gibea tun wollen: Ziehen wir gegen diese Stadt nach dem Los; und nehmen wir zehn Männer von hundert, von allen Stämmen Israels, und hundert von tausend und tausend von zehntausend, um Wegzehrung für das Volk zu holen, damit, wenn sie nach Gibea-Benjamin kommen, man an ihm tue nach all der Schandtat, die es in Israel begangen hat. Und alle Männer von Israel versammelten sich gegen die Stadt, wie ein Mann verbündet“ (20,1-11).
Das Volk versammelte sich wie ein Mann vor dem HERRN in Mizpa, um den Bericht des Leviten zu hören (V. 4-7).
Doch Israel befragte den HERRN nicht. Das Böse hatte sein geistliches Urteilsvermögen getrübt. In der Praxis war es weit von Gott entfernt. Darum entschied das Volk ganz allein über sein Handeln, anstatt sich an Gott zu wenden und seinen Willen zu suchen.
Die Schmach, die diese grosse Schandtat auf das Volk Israel gebracht hatte, und die Schädigung ihres Rufs waren in ihren Augen schwerwiegender als die Verunehrung Gottes.
Zwei wesentliche Dinge fehlten in Israel: Die Sorge um die Ehre Gottes und die Liebe zu ihren Brüdern, die die Summe des Gesetzes ist (Röm 13,10). Mose war einst in beiden Stücken ein Beispiel gewesen (2. Mo 32,11-13; 4. Mo 14,17-19). Echte Liebe, die die Triebfeder jeder Zucht sein muss, hätte Israel dahin geführt die Sünde Gibeas gemeinsam auf sich zu nehmen. Doch weil diese Liebe fehlte, entschied es sich in einem rachsüchtigen Geist, gegen die Stadt in den Krieg zu ziehen (V. 11).
Die völlige Einmütigkeit der Stämme darf uns nicht täuschen: Sie ging hier weder aus der Führung Gottes noch aus dem Bewusstsein der Einheit seines Volkes hervor. Es war ein parteiischer Geist, der elf Stämme gegen den zwölften aufhetzte.
Die Antwort Benjamins (V. 12-17)
„Und die Stämme Israels sandten Männer zu allen Geschlechtern Benjamins und sprachen: Was ist das für Böses, das unter euch geschehen ist! So gebt nun die Männer, die Söhne Belials, heraus, die in Gibea sind, dass wir sie töten und das Böse aus Israel wegschaffen! Aber die Kinder Benjamin wollten nicht auf die Stimme ihrer Brüder, der Kinder Israel, hören; und die Kinder Benjamin versammelten sich aus den Städten nach Gibea, um auszuziehen zum Kampf mit den Kindern Israel. Und die Kinder Benjamin wurden an diesem Tag aus den Städten gemustert: 26000 Mann, die das Schwert zogen; außer den Bewohnern von Gibea, die gemustert wurden: 700 auserlesene Männer. Unter all diesem Volk waren 700 auserlesene Männer, die linkshändig waren; diese alle schleuderten mit dem Stein auf das Haar und verfehlten nicht. Und die Männer von Israel wurden gemustert, außer Benjamin: 400000 Mann, die das Schwert zogen; diese alle waren Kriegsmänner“ (20,12-17).
Die elf Stämme stellten Benjamin ein Ultimatum: «Was ist das für Böses, das unter euch geschehen ist!» (V. 12). Das Volk hatte noch kein Bewusstsein seiner gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Sonst hätten sie gesagt: «Was ist das für Böses, das unter uns geschehen ist?»
Benjamin dagegen entschuldigte das Böse und verdeckte es, indem er sich weigerte, auf seine Brüder zu hören. Dieser Stamm ergriff also Partei für das Böse, gegen Gott und gegen sein Volk. Schliesslich zog er in den Kampf gegen seine Brüder aus (V. 14). Er weigerte sich, das Böse zu richten. Das ist ebenso schlimm, wie das Böse zu tun. So machte der Heilige Geist der Versammlung in Thyatira den Vorwurf: «Ich habe gegen dich, dass du die Frau Jesabel duldest» (Off 2,20).
Im Heer der Kinder Benjamin befanden sich 700 auserlesene Männer von Gibea und 700 Elitesoldaten, die Linkshänder waren (V. 15.16). Ihre Geschicklichkeit stand nun im Dienst des Bösen. Bald würde der Bürgerkrieg beginnen - ein schrecklicher Bruderkrieg.
Die Weissagung Jakobs über seinen jüngsten Sohn erfüllte sich hier: «Benjamin ist ein Wolf, der zerreisst» (1. Mo 49,27). Aber nach einem schmerzlichen Weg der Wiederherstellung wird ihm dennoch der Segen Moses zugesichert: «Von Benjamin sprach er: Der Liebling des HERRN! In Sicherheit wird er bei ihm wohnen» (5.Mo 33,12).
Die beiden Niederlagen Israels (V. 18-28)
„Und die Kinder Israel machten sich auf und zogen hinauf nach Bethel und befragten Gott und sprachen: Wer von uns soll zuerst hinaufziehen zum Kampf mit den Kindern Benjamin? Und der Herr sprach: Juda zuerst. Und die Kinder Israel machten sich am Morgen auf und lagerten sich gegen Gibea. Und die Männer von Israel zogen aus zum Kampf mit Benjamin, und die Männer von Israel stellten sich gegen sie in Schlachtordnung auf bei Gibea. Und die Kinder Benjamin zogen aus Gibea heraus, und sie streckten unter Israel an diesem Tag 22000 Mann zu Boden. Und das Volk fasste Mut, die Männer von Israel, und sie stellten sich wieder in Schlachtordnung auf an dem Ort, wo sie sich am ersten Tag aufgestellt hatten. Und die Kinder Israel zogen hinauf und weinten vor dem Herrn bis zum Abend; und sie befragten den Herrn und sprachen: Soll ich wieder ausrücken zum Kampf mit den Kindern meines Bruders Benjamin? Und der Herr sprach: Zieht gegen ihn hinauf. Und die Kinder Israel näherten sich den Kindern Benjamin am zweiten Tag. Und Benjamin zog am zweiten Tag aus Gibea heraus, ihnen entgegen, und sie streckten wiederum unter den Kindern Israel 18000 Mann zu Boden; diese alle zogen das Schwert. Da zogen alle Kinder Israel und das ganze Volk hinauf und kamen nach Bethel, und sie weinten und blieben dort vor dem Herrn und fasteten an jenem Tag bis zum Abend; und sie opferten Brandopfer und Friedensopfer vor dem Herrn. Und die Kinder Israel befragten den Herrn - denn die Lade des Bundes Gottes war dort in jenen Tagen, und Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, stand vor ihr in jenen Tagen - und sprachen: Soll ich wieder ausziehen zum Kampf mit den Kindern meines Bruders Benjamin, oder soll ich aufhören? Und der Herr sprach: Zieht hinauf, denn morgen werde ich ihn in deine Hand geben“ (20,18-28).
Nachdem Israel sich entschieden hatte, mit Gewalt auf die Schandtat zu antworten, zog es von Mizpa nach Bethel (= Haus Gottes) hinauf, um den HERRN zu befragen (V. 18). Juda bekam die Anweisung, als Erster hinaufzuziehen. Dieser königliche Stamm hatte die Vorrangstellung unter seinen Brüdern (1. Chr 5,2).
Die Anweisung Gottes war die Antwort auf die Frage, die das Volk Ihm gestellt hatte. Doch sie führte dazu, dass Israel eine schwere Niederlage erlitt. Warum?
Weil das Volk bereits vor der Befragung des HERRN entschieden hatte, was es tun wollte. In Wirklichkeit schwieg Gott. Er teilte seine Gedanken nicht mit, bis das Volk aufhörte, seinen eigenen Willen zu tun.
Am ersten Tag starben 22'000 Männer in der Schlacht, am zweiten Tag 18'000 (V. 21.25). Das Weinen des Volkes am ersten Abend ist verständlich. Am zweiten Tag weinten und fasteten sie vor dem HERRN. Israel musste - wie wir auch - lernen, dass es im Kampf zwischen Brüdern nur Verlierer gibt. Alle müssen sich in Demütigung vor Gott beugen, um wieder aufgerichtet zu werden. Diese wichtige Lektion ist heute noch aktuell.
Die zweifache Züchtigung, die Israel traf, trug Früchte. Die Tränen machten deutlich: Der menschlichen Entrüstung hatte eine Gott gemässe Betrübnis Platz gemacht, die mit Busse verbunden war (2. Kor 7,10). Das Fasten bewies ihre Demütigung. Endlich hatte sich die Einstellung des Volkes gegenüber Benjamin geändert. Er war nicht mehr ein Feind, gegen den man in den Krieg zog, sondern ein Bruder (V. 20.23).
Zudem opferte das Volk dem HERRN Brand- und Friedensopfer in der Gegenwart der Bundeslade, die der Sitz der göttlichen Autorität war. Der Wohlgeruch des Opfers Christi und die Gemeinschaft mit Ihm werden in der Gegenwart Gottes gefunden.
Das Sündopfer wird zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt. Es musste im Hinblick auf die Busse an einem heiligen Ort gegessen werden als Zeichen einer gemeinsamen Einsmachung mit der Schuld des Volkes (3. Mo 6,19; 10,17). Dieses Werk des Bekenntnisses und der Reinigung hatte in den Herzen der Israeliten bereits stattgefunden.
Pinehas übte in jenen Tagen den Priesterdienst vor der Bundeslade aus. Einst hatte er in seinem Eifer für Gott das Gericht wegen Baal-Peor ausgeführt (4. Mo 25,11; Ps 106,30.31). Gott belohnte seine Treue, indem Er ihm und seinen Nachkommen den Bund eines ewigen Priestertums zusicherte. Obwohl Pinehas dem Bösen gegenüber unerbittlich war, schritt er später in grosser Gnade ein, nachdem die zweieinhalb Stämme in Gilead einen Altar gebaut hatten (Jos 22,19). Er ist ein schönes Beispiel für Ausgewogenheit zwischen der Treue für Christus und dem Vorrecht, Gnade zu üben. Jetzt stand er vor der Lade in der Nähe Gottes und schwieg wie einst Aaron (3. Mo 10,3). Was hätte er anderes tun können, als den Schmerz dieses Volkes, das er zutiefst liebte, zu teilen?
«Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist» (Ps 51,19). Zerbrochen durch das Leid gab das Volk endlich seinen Eigenwillen auf und kehrte an den Ausgangspunkt zurück. Es war nun bereit, aufrichtig das Wort Gottes zu empfangen und Ihm zu gehorchen: «Soll ich wieder ausziehen ... oder soll ich aufhören?» (V. 28). Israel war nun ein Werkzeug in der Hand Gottes, um den Stamm Benjamin zu züchtigen und ihn durch einen Weg der Leiden zum HERRN zurückzuführen. Diese letzte göttliche Anweisung rechtfertigte nicht, was die elf Stämme zu Beginn unternommen hatten. Sie war in diesem Moment die notwendige Folge des vorherigen Verhaltens von Benjamin und den elf Stämmen.
Die Bestrafung Benjamins (V. 29-48)
„Und Israel legte einen Hinterhalt gegen Gibea ringsum. Und die Kinder Israel zogen am dritten Tag hinauf gegen die Kinder Benjamin und stellten sich gegen Gibea auf, wie die anderen Male. Und die Kinder Benjamin zogen heraus, dem Volk entgegen, wurden von der Stadt abgerissen und fingen an, einige vom Volk zu erschlagen, wie die anderen Male, etwa 30 Mann unter Israel, auf den Landstraßen, von denen eine nach Bethel hinaufsteigt und eine durchs Feld nach Gibea führt. Und die Kinder Benjamin sprachen: Sie sind vor uns geschlagen wie im Anfang. Die Kinder Israel aber sprachen: Lasst uns fliehen, damit wir sie von der Stadt abreißen auf die Landstraßen! Und alle Männer von Israel machten sich auf von ihrem Ort und stellten sich bei Baal-Tamar auf, während der Hinterhalt Israels von seinem Ort hervorbrach aus der Lichtung von Gibea. Und 10000 auserlesene Männer aus ganz Israel kamen gegen Gibea, und der Kampf wurde heftig; jene aber wussten nicht, dass das Unglück sie erreichte. Und der Herr schlug Benjamin vor Israel, und die Kinder Israel streckten unter Benjamin an diesem Tag 25100 Mann nieder; diese alle zogen das Schwert. Und die Kinder Benjamin sahen, dass sie geschlagen waren. Und die Männer von Israel gaben Benjamin Raum, weil sie sich auf den Hinterhalt verließen, den sie gegen Gibea gelegt hatten. Und der Hinterhalt eilte herbei und überfiel Gibea; und der Hinterhalt zog hin und schlug die ganze Stadt mit der Schärfe des Schwertes. Männer von Israel hatten sich aber mit dem Hinterhalt verabredet, eine große Rauchsäule aus der Stadt aufsteigen zu lassen. Und die Männer von Israel wandten sich um im Kampf, und Benjamin hatte angefangen, unter den Männern von Israel einige zu erschlagen, etwa 30 Mann; denn sie sprachen: Sie sind ja ganz und gar vor uns geschlagen, wie im früheren Kampf. Und der Brand fing an, aus der Stadt aufzusteigen wie eine Rauchsäule; und Benjamin wandte sich zurück, und siehe, die ganze Stadt ging in Feuer auf zum Himmel. Da wandten sich die Männer von Israel um, und die Männer von Benjamin wurden bestürzt, denn sie sahen, dass das Unglück sie erreicht hatte. Und sie wandten sich vor den Männern von Israel auf den Weg zur Wüste; aber der Kampf ereilte sie; und die aus den Städten kamen, streckten sie in ihrer Mitte nieder. Sie umzingelten Benjamin, jagten ihm nach, traten ihn nieder, wo er ausruhen wollte, bis vor Gibea gegen Sonnenaufgang. Und es fielen von Benjamin 18000 Mann; diese alle waren tapfere Männer. Da wandten sie sich und flohen der Wüste zu, zum Felsen Rimmon; aber die Israeliten hielten unter ihnen auf den Landstraßen eine Nachlese von 5000 Mann und setzten ihnen nach bis Gideom und erschlugen von ihnen 2000 Mann. So waren alle von Benjamin an diesem Tag Gefallenen 25000 Mann, die das Schwert zogen; diese alle waren tapfere Männer. 600 Mann aber wandten sich und flohen der Wüste zu, zum Felsen Rimmon; und sie blieben am Felsen Rimmon vier Monate. Und die Männer von Israel kehrten zu den Kindern Benjamin zurück und schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes, von der männlichen Stadtbevölkerung bis zum Vieh, bis zu allem, was sich vorfand; auch alle Städte, die sich vorfanden, steckten sie in Brand“ (20,29-48).
Menschlich gesehen hatte Israel viel Kraft eingebüsst. Es brauchte nun eine ausgeklügelte Strategie für den nächsten Angriff. Diese Situation erinnert an die Einnahme von Ai nach der Angelegenheit mit Achan (Jos 8,3-8). Die Zucht soll nie in einem verurteilenden Geist, sondern im tiefen Empfinden der persönlichen Demütigung ausgeübt werden.
Schliesslich «schlug der HERR Benjamin vor Israel» (V. 35). Dieser Stamm verlor 25'000 Männer im Kampf (V. 44-46). Die anderen Stämme mussten 40'000 Menschenleben beklagen. Es gab in dieser schrecklichen Sache tatsächlich weder Sieger noch Besiegte.
Der Stamm Benjamin wurde vollständig ausgelöscht, mit Ausnahme der 600 Soldaten, die zum Felsen Rimmon flohen.
Das war der Preis, den Israel bezahlte, weil es nicht sofort in einer demütigen Haltung den HERRN befragt hatte!