Das Buch der Richter
Bleibe deinem Gott treu!
Kapitel 10
Tola und Jair
Die Regierung Abimelechs dauerte nur drei Jahre (Kap. 9,22), aber die Konsequenzen waren hart und dauerhaft. Nach ihm standen zwei weitere Richter auf. Durch sie gab Gott seinem Volk etwa ein halbes Jahrhundert lang Ruhe. Damit endete die Periode der dritten Erweckung in Israel.
Tola (V. 1.2)
„Und nach Abimelech stand Tola auf, um Israel zu retten, der Sohn Puas, des Sohnes Dodos, ein Mann aus Issaschar; und er wohnte in Schamir auf dem Gebirge Ephraim. Und er richtete Israel dreiundzwanzig Jahre; und er starb und wurde in Schamir begraben“ (10,1.2).
Der Name und die Herkunft dieses Richters sind lehrreich:
- Der Name Tola bedeutet «Wurm», was auf seine demütige Haltung hinweist. Es ist die Stellung, die der Herr der Herrlichkeit am Kreuz eingenommen hat (Ps 22,7).
- Er war der Sohn von Pua, was «Glanz» bedeutet, und der Enkel von Dodo, das ist «der Liebende».
- Er war ein Mann aus Issaschar. Dieser Name bedeutet: «Es gibt Lohn.» So wurde er von seiner Mutter Lea benannt (1. Mo 30,18). Leider war der Stamm Issaschar durch seine Trägheit und seinen Hang nach Bequemlichkeit in der Welt gekennzeichnet (1. Mo 49,14.15).
- Er wohnte in Schamir, was «Dorn» bedeutet. Der Weg unseres Heilands auf dieser Erde begann in der Wüste – wo nur Dornen wachsen – und endete am Kreuz, nachdem Er der Welt mit einer Dornenkrone dargestellt worden war (Joh 19,2.5).
- Schamir befand sich auf dem Gebirge Ephraim, was mit «doppelte Fruchtbarkeit» übersetzt wird.
Tola stellt uns also mehrere moralische Merkmale vor, die von Christus sprechen: Der Herr Jesus war der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und der Sohn Dessen, der die Liebe ist. Als Er kam, war sein Lohn bei Ihm (Jes 62,11). Tola ist der einzige Richter von dem gesagt wird, dass er «aufstand, um Israel zu retten» (V. 1). Das ist ein weiteres schönes Bild von unserem Heiland (Heb 7,14).
Drei Richter werden «Retter» genannt: Othniel, Ehud und Tola. Die ersten beiden wurden von Gott zu diesem Dienst erweckt. Tola dagegen stand dafür auf. Die Zeiten des Ruins verhindern die Entfaltung von Glaubensenergie also nicht. Im Gegenteil, sie ist dann umso notwendiger.
Am Ende seines Dienstes starb Tola an seinem Geburtsort (V. 2). Wahrscheinlich hatte er seinen Dienst hauptsächlich im Gebiet Ephraims ausgeübt.
Jair (V. 3–5)
„Und nach ihm stand Jair, der Gileaditer, auf; und er richtete Israel zweiundzwanzig Jahre. Und er hatte dreißig Söhne, die auf dreißig Eseln ritten, und sie hatten dreißig Städte; diese nennt man bis auf diesen Tag die Dörfer Jairs, die im Land Gilead sind. Und Jair starb und wurde in Kamon begraben“ (10,3–5).
Jair kam aus Gilead, das auf der gegenüberliegenden Seite des Jordan lag. Sein Name bedeutet «er erhellt» und erinnert uns an die Prophezeiung Simeons über den Herrn Jesus: «ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel» (Lk 2,32).
Jair zeichnete sich persönlich durch seinen Reichtum, durch seine grosse Familie – er hatte 30 Söhne –, durch sein Wohlergehen und durch seine Städte aus. Das Wohlergehen wird durch die Reittiere seiner Söhne hervorgehoben, die ein Kennzeichen von Würde sind (Kap. 5,10).
Sein Heimatland Gilead – was «steinig» bedeutet – war fruchtbar geworden (4. Mo 32,1). Es hatte viel Weideland, was für die Viehzucht attraktiv war. Genau das war für die zweieinhalb Stämme zu einer Falle geworden. Doch wir wollen nicht vergessen, dass sich in Gilead der Balsam zur Heilung der Wunden der «Tochter meines Volkes» befindet (Jer 8,22).
Sein ganzes Leben und sein ganzer Dienst als Richter spielten sich in Gilead ab. Begraben wurde Jair in Kamon. Die Bedeutung dieses Namens ist «überströmende Schritte». Sein Beispiel und sein Gedächtnis bleiben durch die Dörfer Jairs bestehen, die von seinen Söhnen bewohnt wurden. So ist «das Andenken an den Gerechten zum Segen» (Spr 10,7).
Zur Zeit dieser beiden Richter Tola und Jair lebte das Volk Israel in Frieden und Ruhe.
Der Zustand des Volkes (10,6–18)
„Und die Kinder Israel taten wieder, was böse war in den Augen des Herrn, und sie dienten den Baalim und den Astarot und den Göttern Syriens und den Göttern Sidons und den Göttern Moabs und den Göttern der Kinder Ammon und den Göttern der Philister; und sie verließen den Herrn und dienten ihm nicht“ (10,6).
Zwischen der dritten und vierten Erweckung des Volkes weist uns der Geist auf die tiefen Ursachen des Elends Israels hin: Sie hatten den HERRN verlassen und dienten fremden Göttern und ihren Götzen. Die geistliche Lektion ist für uns von grösster Wichtigkeit.
Das Ausmass des Götzendienstes (V. 6)
Hier wird uns das einzige Mal im Buch der Richter der Götzendienst in seinem ganzen Umfang vorgestellt. Sieben falsche Götter werden aufgeführt (V. 6):
- Die Baalim. Die Bezeichnung Baal bedeutet Gebieter oder Besitzer. Es handelte sich um eine männliche Gottheit, die die Sonne und ihre Licht und Wärme gebende Macht darstellte.
- Die Astarot. Astarte stellte den Mond dar und war eine weibliche Gottheit der Phönizier, Philister und Sidonier.
- Die Götter von Syrien (oder von Aram). Rimmon war der Götze der Könige und Vornehmen in Syrien (2. Kön 5,18). Tammus – möglicherweise ein Bild der untergehenden Sonne – war ein weiterer Gott Syriens, der zur Zeit Hesekiels sogar im Tempel von Jerusalem verehrt wurde (Hes 8,14).
- Die Götter Sidons. Die Sidonier beteten auch die Astarot an (1. Kön 11,5). Später entstand daraus Aphrodite, eine Göttin der Griechen als das Sinnbild eines verdorbenen Lebenswandels. Religiöse Untreue führt früher oder später zu Unmoral.
- Die Götter Moabs. Kamos war ein Gott der Moabiter und der Kinder Ammon (Kap. 11,24).
- Die Götter der Kinder Ammon. Molech (oder Milkom) – Sinnbild des Feuers – war die wichtigste Gottheit der Ammoniter (1. Kön 11,5.7). Sogar in Israel wurden entgegen den ausdrücklichen Anweisungen des Gesetzes diesem schrecklichen Götzen menschliche Opfer dargebracht (3. Mo 18,21; 2. Kön 23,10).
- Die Götter der Philister. Dagon war ihr nationaler Götze. Die götzendienerische Anbetung fand hauptsächlich in Gaza und Asdod statt (Kap. 16,23; 1. Sam 5,2).
Die götzendienerischen Nationen
Das waren alles falsche Götter von Völkern, die das Land Israel umgaben oder durch das Verschulden des Volkes Gottes mitten unter ihm wohnten. Jede Nation illustriert für uns Christen eine besondere Gefahr:
- Ägypten, wovon Israel befreit worden war, stellt die Welt in ihrem ureigenen Charakter dar.
- Moab und die Kinder Ammon, die Nachkommen Lots, sind ein Bild der Feinde des Gläubigen, insbesondere der alten Natur, dem Fleisch, das in ihm wohnt.
- Amalek stammte von Esau, dem unerbittlichen Feind seines Bruders Jakob, ab und ist ein anderes Symbol der Feinde. Amalek stellt besonders Satan dar, der durch das Fleisch wirkt.
- Babylon, in der Ebene von Sinear, ist der Sitz des religiösen Götzendienstes.
- Sodom, fortgerissen durch seine sittliche Verdorbenheit, ist auch durch Ungerechtigkeit gekennzeichnet: «Stolz, Fülle von Brot und sorglose Ruhe, aber die Hand des Elenden und des Armen stärkte sie nicht» (Hes 16,49).
- Tyrus und Sidon (Phönizien) sind ein Bild von der vorgetäuschten Herrlichkeit der Welt und von der Macht der Geschäfte und des Handels.
- Äthiopien spricht symbolisch vom moralischen Elend.
- Assyrien ist der letzte öffentliche Feind Gottes und seines Volkes.
- Die Philister stellen die inneren Feinde dar: das Fleisch im Gläubigen und die blossen Bekenner in der Christenheit. Ihre Macht begann sich in der Zeit von Jephta zu entwickeln und fand ihren Höhepunkt zur Zeit Simsons und Samuels, als sie sogar die Bundeslade wegnahmen (Kap. 15,11; 1. Sam 4,11). David, der ein Bild von Christus ist, errettete Israel aus ihrer Hand.
Die geistliche Belehrung für uns Christen
Israel wäre vor dem Fallstrick des Götzendienstes bewahrt geblieben, wenn es den HERRN mit ungeteiltem Herzen geliebt und seine Gebote gehalten hätte (5. Mo 6,5). Es hätte sich vor allem von jedem Bündnis mit den Nationen fernhalten sollen (5. Mo 7,1-6).
Dasselbe gilt auch für die Versammlung Gottes auf der Erde. In der Frische des Anfangs waren die Gläubigen «ein Herz und eine Seele» für Christus und vollständig von der Welt getrennt (Apg 4,32; 5,13). Die Sendschreiben an die sieben Versammlungen zeigen aber, dass das Aufgeben der ersten Liebe zu Christus (Ephesus) unweigerlich die Liebe zur Welt zur Folge hatte (Pergamus). Damit öffneten sich die Türen für falsche Lehren. Die Werke und Lehre der Nikolaiten traten auf, die in der Versammlung den Klerikalismus einführten und damit dem sittlichen Verfall Tür und Tor öffneten (Thyatira, siehe auch Off 2,4.13.15).
Der Gnostizismus tastete die Herrlichkeiten von Jesus Christus an. Diese böse Lehre richtete eine grosse Verwüstung an, indem sie Lehren von Dämonen, die Verehrung von Engeln und moralisches Verderben propagierte (1. Tim 4,1-3).
Der Arianismus leugnete die Gottheit des Herrn Jesus. Diese Irrlehre wurde von der politischen Welt unterstützt, die eine Kirche schützte, die insgesamt untreu geworden war. Treue Zeugen von Christus, wie Antipas und andere, wurden zum Schweigen gebracht.
Die allgemeine Geschichte der Christenheit nach der Reformation – prophetisch angekündigt durch die Sendschreiben an Sardes, Philadelphia und Laodizea – ist genauso traurig gewesen. Viele Christen haben sich von Christus entfernt, um den Schutz der Welt zu suchen.
Das Buch der Richter bildet diese Folgen der Untreue in der Christenheit vor. Am Ende der Geschichte der bekennenden Kirche auf der Erde werden sie ihren Höhepunkt erreichen. Wenn Christus die Seinen aus dieser Welt genommen haben wird, wird «Babylon, die grosse, eine Behausung von Dämonen und ein Gewahrsam jedes unreinen Geistes» genannt (Off 18,2).
Hinter jedem Götzendienst – tatsächlicher oder geistlicher Art – lauern Satan und seine Dämonen (1. Kor 10,19.20). Um diesen grossen Gefahren zu entgehen, müssen wir Christus, das Haupt, festhalten. Dazu wurden die Kolosser ermahnt, die durch die Philosophen der Welt verwirrt worden waren (Kol 2,19). Diese Ermahnung ist für uns heute genau so aktuell wie damals vor 2'000 Jahren.
Das Gericht des HERRN über Israel (V. 7–9)
„Da entbrannte der Zorn des Herrn gegen Israel, und er verkaufte sie in die Hand der Philister und in die Hand der Kinder Ammon. Und sie bedrückten und plagten die Kinder Israel in jenem Jahr; achtzehn Jahre bedrückten sie alle Kinder Israel, die jenseits des Jordan waren im Land der Amoriter, das in Gilead ist. Und die Kinder Ammon zogen über den Jordan, um auch gegen Juda und gegen Benjamin und gegen das Haus Ephraim zu kämpfen; und Israel wurde sehr bedrängt“ (10,7–9).
Der HERR verkaufte Israel an seine Feinde. Es ist ein Gericht, das der Prophet Hosea später folgendermassen beschreibt: «Ephraim ist mit Götzen verbündet; lass ihn gewähren!» (Hos 4,17).
Die Philister und die Kinder Ammon bedrängten und plagten zuerst die Israeliten jenseits des Jordan in Gilead während 18 Jahren (V. 8). Feige wie der Feind ist, schlägt er immer zuerst die Schwächsten. Hier sind es im Bild solche, die durch die Verbindung mit der Welt ihre geistliche Kraft eingebüsst haben. Unser Schutz besteht darin, dass wir «uns selbst von der Welt unbefleckt erhalten» (Jak 1,27). Doch dann zogen die Feinde über den Jordan und bekämpften Israel auch im Land. Nun war das ganze Volk in grosser Bedrängnis (V. 9).
Die Busse des Volkes und die Verheissung einer Rettung (V. 10–18)
„Da schrien die Kinder Israel zu dem Herrn und sprachen: Wir haben gegen dich gesündigt, und zwar weil wir unseren Gott verlassen und den Baalim gedient haben. Und der Herr sprach zu den Kindern Israel: Habe ich euch nicht von den Ägyptern und von den Amoritern, von den Kindern Ammon und von den Philistern gerettet, und als die Sidonier und Amalekiter und Maoniter euch bedrückten und ihr zu mir geschrien habt, euch aus ihrer Hand gerettet? Ihr aber habt mich verlassen und habt anderen Göttern gedient; darum werde ich euch fortan nicht mehr retten. Geht hin und schreit zu den Göttern, die ihr erwählt habt: Sie mögen euch retten zur Zeit eurer Bedrängnis! Und die Kinder Israel sprachen zu dem Herrn: Wir haben gesündigt. Tu du uns nach allem, was gut ist in deinen Augen; nur errette uns doch an diesem Tag! Und sie taten die fremden Götter aus ihrer Mitte weg und dienten dem Herrn; und seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal Israels. Und die Kinder Ammon wurden zusammengerufen und lagerten in Gilead; und die Kinder Israel kamen zusammen und lagerten in Mizpa. Da sprach das Volk, die Obersten von Gilead, einer zum anderen: Wer ist der Mann, der anfängt, gegen die Kinder Ammon zu kämpfen? Er soll allen Bewohnern Gileads zum Haupt sein“ (10,10–18).
Dies war wohl der traurigste aber auch zu Herzen gehendste Moment in der Geschichte des Volkes. So gross wie die Untreue und das Elend des Volkes Israel war, so tief war auch das Wirken der Gnade Gottes im Gewissen. Das erste Merkmal davon war das Bekenntnis: Sie hatten gegen Gott gesündigt, indem sie Ihn zugunsten der Götzen verlassen hatten (V. 10).
Der HERR antwortete ihnen in den Versen 11–14 und erinnerte sie an die früheren Errettungen, indem Er die gleichen Worte wie in Bochim gebrauchte (Kap. 2,1–3).
In aufrichtiger Buße anerkannte das Volk die Gerechtigkeit Gottes in der Züchtigung, die sie getroffen hatte (V. 15). Gleichzeitig entfernten sie das Böse, das die Ursache davon war (V. 16).
Wie konnte Gott angesichts dieser Not gleichgültig bleiben? «Seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal Israels» (V. 16). Ist das nicht eine wunderbare Bestätigung von dem, was der Prophet Jeremia sagte: «Wenn er betrübt hat, erbarmt er sich nach der Menge seiner Gütigkeiten» (Klgl 3,32).
Israel war jetzt in seinem Gewissen wiederhergestellt. Aber es verwirklichte seine Beziehungen zu Gott als sein Volk noch nicht völlig. Die Leute von Gilead, die als erste von der Bedrückung des Feindes betroffen waren (V. 8), suchten eine menschliche Stütze. Sie wollten einen Führer für den Kampf bestimmen und vergaßen dabei die Souveränität Gottes. Jephta, der Gileaditer, entsprach den Anforderungen der Obersten von Gilead (Kap. 11,9–11). Das war bei weitem nicht wie zur Zeit der letzten Erweckung, als der göttliche Ruf an Gideon erging! Dabei fand diese Handlung in Mizpa statt, an dem Ort, wo das Volk später mit Samuel die Gunst Gottes wieder erlangte (1. Sam 7,5.6). Trotz dieser Schwachheit wurde Israel auch jetzt befreit.