Die ersten Jahrzehnte des Christentums
Kommentar zur Apostelgeschichte
Kapitel 7
Verse 1-7
Nach dem Anhören der gegen Stephanus vorgebrachten Anklagen fragte ihn der Hohepriester: „Ist dies so?“ Darauf begann Stephanus dem Synedrium in der Kraft des Heiligen Geistes mit Gnade und Weisheit die Geschichte des Volkes Israel von der Berufung Abrahams an in Erinnerung zu rufen. Er wies darauf hin, wie Gott die Umstände dazu benutzt hatte, seine dem Patriarchen gegebenen Verheißungen zu erfüllen: Das Volk gelangte in den Besitz des Landes Kanaan, und schließlich kam der durch die Propheten verheißene Messias. Aber in dieser Geschichte beleuchtete er nicht nur die Treue Gottes, sondern auch den fortlaufenden Widerstand der Väter, der parallel daneben herlief. Der Geist der Empörung zeigte sich schon bei den Brüdern Josephs, als an ihm im Vorbild die Wesenszüge Christi offenbar wurden. Dieser Geist der Rebellion in Israel trat auch Mose gegenüber zutage, als er seine Brüder befreien wollte und überhaupt während der ganzen Wüstenwanderung. Im verheißenen Land gaben sie sich dem Götzendienst hin, verfolgten und töteten die Propheten, die die Ankunft des Messias zuvor verkündigten. Die natürliche Folge dieses Widerstandes, der sich eigentlich gegen Gott richtete, war die Verwerfung seines Gesalbten, ihres Befreiers. Auch ihre Weigerung, über diese schreckliche Sünde Buße zu tun, lag in dieser Linie. Diese Buße wäre ja die Voraussetzung für die Rückkehr des Herrn gewesen, der vom Himmel herabgekommen wäre, um die „Zeiten der Erquickung“ einzuleiten, von denen die Propheten geredet hatten und auf die auch Petrus hinwies (Kap. 3). Wie ihre Väter dem Heiligen Geist widerstritten hatten, so widerstanden auch sie Ihm, indem sie sein Zeugnis über Jesus, den Verherrlichten, nicht annahmen. Im Grunde kam das einer Verwerfung des Gottes der Herrlichkeit gleich, der einst Abraham erschienen war und dann das Volk bis zur Sendung seines Sohnes in Langmut ertragen hatte.
Die Juden erkannten sich in dem deutlichen Spiegel, den ihnen Stephanus vor die Augen hielt. Sie bebten vor Wut und steinigten ihn! Von da an war jede Verbindung zwischen Gott und dem verantwortlichen Volk unterbrochen. Wohl wirkte die Gnade noch in den Einzelnen, um sie zu erretten und der Versammlung hinzuzufügen. Aber das Volk sollte künftig unter die Nationen zerstreut werden, aus deren Mitte es einst herausgerufen worden war. Dieser Zustand wird bis zu dem Tag dauern, an dem Gott die den Vätern gegebenen, bedingungslosen Verheißungen erfüllen wird und an dem dieses Volk sagen wird: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Stephanus, dem die Juden widerstanden, schaute voll Heiligen Geistes unverwandt zum Himmel und rief in bewundernswerter Ähnlichkeit mit dem Herrn ähnliche Worte aus wie Er: „Nimm meinen Geist auf“ und: „Rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ Aber er konnte nicht wie sein Meister hinzufügen: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Tatsächlich war dem Volk durch den Dienst des Petrus und des Stephanus klar geworden, dass sie den Herrn endgültig verworfen hatten. Und da der Mensch den treuen Zeugen Jesu auf der Erde nicht dulden wollte, öffnete sich ihm der Himmel und der Herr nahm seinen Geist auf bis zur Auferstehung aus den Toten, die das Teil aller entschlafenen Gläubigen sein wird.
Nun konnte die himmlische Stellung der Versammlung offenbart werden! Dies geschah durch den Dienst eines Mannes, der einst als Jüngling die Kleider derer verwahrte, die Stephanus steinigten.
Aber kommen wir noch einmal auf die Rede des Stephanus zurück!
Es war der Gott der Herrlichkeit, der Abraham vom Götzendienst, in den der Mensch seit der Flut abgesunken war, abgesonderte (Vgl. Jos 24,2-3). Die Menschheit war bei der Sprachenverwirrung zu Babel in verschiedene Nationen aufgeteilt worden. Um dem Ruf Gottes im Glauben zu folgen, musste er nun alles, Volk und Verwandtschaft, verlassen und jede natürliche und politische Bindung lösen. Denn Gott wollte ein Volk haben, das Ihm gehört. Es sollte von einem Zustand der Dinge, in dem die Dämonen den Platz Gottes einnahmen, abgesondert sein. Die Kraft einer solchen Berufung war in dem Gott der Herrlichkeit zu finden, den alle die Vollkommenheiten kennzeichnen, in denen Er sich in seinem Sohn gezeigt hat. Er rief Abraham zu: „Komm in das Land, das ich dir zeigen werde.“ Die Kraft der Berufung eines solchen Gottes und auch ein durch Ihn mitgeteilter Glaube waren für Abraham erforderlich, um sich auf den Weg zu machen und alles zurückzulassen, ohne zu wissen, wohin es ging. Aber wenn Gott sagte: „Komm!“ dann bedeutete dies, dass Er selbst mit ihm sein würde. Er sagte nicht: „Geh!“, obwohl auch das dem Glauben genügen sollte. Aber in Gemeinschaft mit dem Gott der Herrlichkeit ist es ein Leichtes, alles aufzugeben, um seinem Ruf zu folgen.
Stephanus geht mehr in die Einzelheiten über den Aufenthalt Abrahams in Haran, als es in 1. Mose 11,31-12,5 geschieht. Er macht deutlich, dass die Berufung und die Verheißungen in Mesopotamien erfolgt waren. Dadurch, dass Abraham seinen Vater mitnahm, wurde seine Ankunft in Kanaan verzögert. Auch dass Lot mitgegangen war, machte später seinen Weg schwierig. Aber durch solche Schwierigkeiten lehrt Gott die Berufenen, den Segen eines unbedingten Gehorsams besser zu verwirklichen.
Abraham hatte kein Kind. Das war eine Prüfung für seinen Glauben, obwohl er die Verheißung einer Nachkommenschaft besaß, die das Land, in dem er als Fremder wohnte, besitzen sollte. Aber das würde erst 400 Jahre später sein. In diesem ganzen Zeitraum sollten seine Nachkommen hier Fremdling sein und dann einem Volk unterworfen bleiben, das Gott zur bestimmten Zeit richten wollte. Stephanus bemerkte mit Genauigkeit, dass diese Nachkommenschaft befreit werden sollte, um Gott „an diesem Ort“ zu dienen (V. 7). Er erinnerte die Juden, die ihm zuhörten, dadurch an den Zweck ihres Wohnens in diesem Land und in Jerusalem.
Vers 8
Hier weist Stephanus auf den Bund der Beschneidung hin, den Gott mit den Vätern geschlossen hatte, um ihre eigene Absonderung für Gott auf ihr Gewissen zu legen.
Verse 9-16
Das Betragen der Brüder Josephs stellte im Vorbild den verworfenen Christus vor die Zuhörer hin. Voller Neid gegen ihn verkauften ihn seine Brüder und übergaben ihn den Händen der Nationen. Aber Gott war mit ihm. Seine Verwerfung führte nach einer Zeit des Leidens zu seiner Erhöhung als Herr in höchster Herrlichkeit. Unterdessen lebten seine Brüder ohne ihn bis zum Augenblick, da die Hungersnot sie zu ihm führte. In dieser Herrlichkeit wurde er von ihnen erkannt, wie auch Christus in der Zukunft vom leidenden Überrest erkannt werden wird.
Die Zeit der Verheißung, an die in den Versen 6-7 erinnert wurde, nahte heran. Das Volk, das dazu ausersehen war, eine große Nation zu werden, wuchs und vermehrte sich in Ägypten. Ein anderer König war aufgestanden, der Joseph nicht kannte. Beunruhigt über das Wachstum des Volkes, suchte er Wege, um es zu vernichten. Das Volk Gottes kann sich auf dem Gebiet des Feindes nicht vermehren, ohne dessen Hass und Widerstand hervorzurufen. Gleichzeitig treten auch die Anstrengungen Satans zutage, den Samen der Frau, der seine Macht zermalmen soll, zu vernichten. Diese Anstrengungen hat er im Lauf der Geschichte des irdischen Volkes Gottes immer wieder erneuert. Bei seinem letzten Anlauf aber hat Christus „durch den Tod den zunichte gemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel“.
Der Fürst dieser Welt greift nicht immer offen als Löwe an. Gegen das Geschlecht Israels handelte er „mit List“ (V. 19). Dadurch wird er nur umso gefährlicher. So tritt er auch am Ende der gegenwärtigen Haushaltung auf: Satan widersteht den Gläubigen mit äußerster List, indem er das Böse in ihre Mitte einführt, um so - wenn möglich - das Zeugnis des Herrn zu zerstören.
Verse 20-22
Aber Gott wacht über sein Volk und gibt ihm zur rechten Zeit den Retter. „In dieser Zeit wurde Mose geboren.“ Gott, der ihn erwählt hatte, gab ihm ein göttliches Merkmal, das nur der Glaube seiner Eltern zu entdecken vermochte: Er war bemerkenswert schön, „schön für Gott“. „Durch Glauben“, heißt es in Hebräer 11, „sahen sie, dass das Kind schön war; und sie fürchteten das Gebot des Königs nicht.“ Der Glaube handelt nach den Gedanken Gottes und fürchtet sich nicht vor den widerstreitenden Mächten.
Die Tochter des Pharao nahm ihn zu sich und zog ihn auf, sich zum Sohn. In Wirklichkeit aber zog sie ihn, ohne es zu wissen, für Gott auf, und das sogar im Haus dessen, der ihn vernichten wollte. Die Wege Gottes nehmen trotz des Feindes ihren Lauf, der sich durch seine Machenschaften nur selbst betrügt. Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen: „Er war aber mächtig in seinen Worten und Werken.“ Man beachte, dass die Worte hier vor die Werke gestellt werden. Das ist die Weise des natürlichen Menschen. Bei denen, die von Gott belehrt sind, ist es anders. Unser Herr ist der beste Beweis dafür. In Lukas 24,19 lesen wir: „Jesus... der ein Prophet war, mächtig im Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk.“ In 2. Thessalonicher 2,17 heißt es: Gott aber „tröste eure Herzen und befestige euch in jedem guten Werk und Wort“. In 1. Johohannes 3,18 sagt der Apostel: „Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit.“ Am Saum des hohenpriesterlichen Kleides hatte es ebenso viele Granatäpfel wie Schellen von Gold. Bei uns aber gibt es leider oft mehr Gerede als Früchte! Nachdem Mose in der Schule Gottes gewesen war, wollte er nicht mehr reden. Gott musste ihn dazu zwingen.
Verse 23-28
Die Menschen und die Reichtümer am Hof des Pharao vermochten Moses nicht daran zu hindern, an sein Volk zu denken. „Als er aber ein Alter von vierzig Jahren erreicht hatte, kam es in seinem Herzen auf, sich nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, umzusehen.“ Er hatte sie nicht aus den Augen verloren. Mit dem Herzen und durch Glauben mit ihnen verbunden, mochte er gedacht haben, Gott habe ihn an diesen Platz gesetzt, damit er ihnen von seiner hohen Stellung aus zu Hilfe eilen und sie befreien könne. Aber sein Glaube musste von jeder menschlichen Stütze befreit werden, damit er lernte sich völlig auf die Hand Gottes zu stützen. Daher hatte sein fleischliches Eingreifen, das zwar aus dem Glauben hervorging, nur zur Folge, dass er in die Wüste floh, wo alle Energie des Fleisches vernichtet werden musste. Um einen seiner unterdrückten Brüder zu befreien, tötete er einen Ägypter. Er meinte, seine Brüder würden verstehen, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung gebe. Das beweist uns, dass er tatsächlich der Überzeugung war, Gott werde ihn zu diesem Zweck gebrauchen. Als er aber zwei sich streitende Israeliten zum Frieden treiben wollte, stieß ihn der Schuldige zurück und sagte: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt? Willst du mich etwa umbringen, wie du gestern den Ägypter umgebracht hast?“ Durch die Erwähnung dieser Tatsachen zeigte der Heilige Geist dem Synedrium die Übereinstimmung der Gesinnung der Israeliten in Ägypten gegenüber Mose mit dem Verhalten der Juden in Jerusalem gegenüber Christus, ihrem großen Befreier.
In der Rede des Stephanus lassen sich sieben große Tatsachen feststellen, die das eigentliche Wesen des Volkes und seine Schuld kennzeichnen:
- Joseph wurde durch seine Brüder verkauft - ein Vorbild von Christus, der in die Hände der Nationen überliefert worden ist.
- Mose wurde zugerufen: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt?“ Er ist darin ein Vorbild von Christus, dem die Autorität und die Rechte mit den Worten abgesprochen worden sind: „In welchem Recht tust du diese Dinge?“ und: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!“ Der Geist Gottes beweist durch diese Beispiele, dass ihre eigene Geschichte im Voraus von der Gesinnung Zeugnis gab, in der sie ihren Messias verworfen haben.
- Sie waren Götzendiener.
- Sie widerstritten allezeit dem Heiligen Geist.
- Sie haben die Propheten, die die Ankunft des Gerechten zuvor verkündigten, verfolgt und getötet.
- Sie waren Verräter und Mörder dieses Gerechten geworden.
- Sie haben das Gesetz nicht beobachtet.
Der Zustand der Israeliten in Ägypten ist zudem ein Bild jedes Menschen unter der Macht Satans. Misshandelt von den Ägyptern sind sie auch mit sich selber im Streit: „einander hassend“. Ist es nicht auffallend, dass der, der seinem Bruder Unrecht tat, Mose mit den Worten zurückstieß: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt?“ Und war das nicht auch das Verhalten der schuldbeladenen Juden gegenüber dem Herrn? Als Mose seinen Bruder vor dem Ägypter verteidigte, wurde seine Hilfe nicht abgewiesen. Aber als die Israeliten sich stritten, da begehrte der Schuldige laut auf und stieß Mose zurück. Die Juden hätten den Herrn wohl aufgenommen, wenn Er sich damit begnügt hätte, sie vom Joch der Römer zu befreien. Sobald Er aber ihren verderbten Zustand ans Licht brachte, verwarfen sie Ihn.
Vers 29
Als Mose erkannte, dass der Tod des Ägypters bekannt geworden war, floh er in das Land Midian. Hier wird seine Flucht als eine Folge der Tötung des Ägypters dargestellt. In Hebräer 11 jedoch schreibt Gott seine Handlungen dem Glauben zu. Da wo der oberflächliche Blick nur Beweggründe und Werke des Fleisches wahrnimmt, kennt Gott die Beweggründe und misst sie nach seinem Maß. Mose weigerte sich, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, und wählte, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden. Er hielt die Schmach des Christus für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens, denn er schaute auf die Belohnung. Das alles erblickte Gott in Mose, als es in dessen Herzen aufkam, nach seinen Brüdern zu sehen. Welche Gnade ist es doch, dass Gott selbst unsere Handlungen und die unserer Brüder nach ihrem wahren Wert einschätzt! Mose gab sich über den Wert seiner Handlungen keine Rechenschaft, aber Gott wusste sie zu schätzen. Er setzte die Erziehung seines Knechtes im Land Midian fort, damit dieser bis zum letzten Augenblick seiner Berufung im Glauben vorangehen konnte.
Stephanus erklärte, Mose sei in Midian ein Fremder geworden und habe dort zwei Söhne gezeugt. Von Joseph, dem in Ägypten ebenfalls zwei Söhne geboren wurden, wird das nicht gesagt. Der eine hieß Manasse (= der vergessen macht), der andere: Ephraim (= doppelte Fruchtbarkeit). Die Umstände Josephs und Moses, die beide Vorbilder von Christus sind, waren nicht dieselben. Mose war nicht in einer Stellung der Herrlichkeit wie Joseph. Die Namen, die Mose seinen beiden Söhnen gab, lassen seine Empfindungen erkennen: Er fühlte sich in einem fremden Land, dachte mitfühlend an die Bedrückung seiner Brüder in Ägypten und hatte den Wunsch, sie zu befreien. Die Zeit verstrich, und er wurde alt, ohne dass irgendeine Veränderung der Umstände eingetreten wäre. Seinen ersten Sohn nannte er Gersom (= Fremdling daselbst), den andern Elieser (= mein Gott ist Hilfe). Er bedurfte der Hilfe Gottes, um sich in Erwartung der Erfüllung seiner Verheißungen in diesem Land aufzuhalten. Sein Glaube wurde während dieser vierzig Jahre auf die Probe gestellt, damit er in der Hand Gottes der Befreier seines Volkes werde, frei von dem, was er am Hof des Pharao erworben hatte. Dieser Grundsatz gilt für alle, die Gott in seinem Dienst verwenden will. Jeder muss in der Zurückgezogenheit und Stille seine Schule durchlaufen, vielleicht von allen unbeachtet, um im Verborgenen der Gegenwart Gottes zu lernen, dass dem Fleisch in seinem Werk kein anderes Teil zukommt als der Tod. Jeder muss lernen, mit gebrochenem Willen von Gott allein abhängig zu dienen.
In 4. Mose 12,3 finden wir das Ergebnis der Erziehungswege Gottes mit Mose: „Der Mann Mose aber war sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren.“
Verse 30-33
„Und als vierzig Jahre verflossen waren, erschien ihm in der Wüste des Berges Sinai ein Engel in einer Feuerflamme eines Dornbusches.“ Dieser Strauch, der in 2. Mose 3 als „Dornbusch, der nicht verzehrt wurde,“ bezeichnet wird, ist ein Bild vom Volk Israel in der Glut der Bedrückung Ägyptens. Das Volk glich in seinem natürlichen Zustand einem solchen Strauch, der zu nichts anderem taugt, als nur zur Nahrung für das Feuer. Der Prophet Micha ruft aus: „Der Beste unter ihnen ist wie ein Dornstrauch, der Rechtschaffenste schlimmer als eine Dornhecke“ (Mich 7,4; siehe auch Hes 2,6 und 2. Sam 23,6-7).
Trotz des glühenden Feuers wurde aber der Strauch nicht verzehrt, weil er das Volk des Herrn darstellte. Sein Engel war mit diesem Volk. Schon in der symbolischen Szene in 1. Mose 15 wurde die Feuerflamme, durch die die Nachkommen Abrahams später hindurchgehen mussten, vorgebildet. Nachdem Gott Abraham versichert hatte, dass er einen Erben, der das Land besitzen sollte, haben würde, fiel Schrecken und dichte Finsternis über ihn. Er sah einen „rauchenden Ofen“ und eine „Feuerflamme“ (1. Mo 15,17). Diese Zeichen brachten nicht nur zum Ausdruck, dass Gott mit Abraham einen einseitigen Bund einging (Jer 34,18). Sie zeigten auch, dass die Nachkommen Abrahams vor ihrem Eintritt in das Land, das sie aufgrund der Treue Gottes gegenüber seinen Verheißungen einst besitzen würden, durch schmerzliche Umstände werden gehen müssen.
Gott handelt auch uns gegenüber nach demselben Grundsatz. Wenn wir durch Prüfungen mancher Art zu gehen haben, so ist es zu unserer geistlichen Erziehung. Wir wissen, dass der Herr seinem Wort gegenüber treu bleibt. Er wird alles zum guten Ende führen und seine Verheißungen erfüllen. Das Ziel Gottes mit uns ist die Ruhe und die Herrlichkeit. Er wird es kraft seiner Treue und der Vollkommenheit des Werkes Christi erreichen.
Als Mose hinzutrat, um „dieses große Gesicht“ zu sehen, rief ihm die Stimme des Herrn zu: „Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs.“ Durch diesen Namen erinnerte ihn Gott an seine Treue in Bezug auf die den Vätern gegebenen Verheißungen. Er war der Gott ihres Glaubens. Seine Beziehung zum Volk hatte sich durch die Zeit der Prüfung nicht verändert. Als Mose erzitterte und nicht mehr hinzuschauen wagte, gebot ihm der Herr: „Löse die Sandale von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land.“ Mose sollte verstehen lernen, was sich für die geziemt, mit denen Gott in Beziehung steht. So wie die Glut des Feuers verzehrend ist, so verzehrt auch Gott in seiner Heiligkeit alles, was seiner Natur entgegen ist. Diese Heiligkeit muss alle kennzeichnen, die mit Ihm in Verbindung stehen, besonders aber seine Diener. Sie sollen im Selbstgericht vorangehen und in der Absonderung von allem, was mit der Gegenwart Gottes unvereinbar ist. „Seid heilig, denn ich bin heilig!“, hat Er seinem Volk eingeschärft. Darin besteht das Geheimnis des Segens und des fruchtbaren Dienstes. Als der Herr in der Herberge Mose anfiel und ihn zu töten suchte (2. Mo 4,24), da machte er die ernste Erfahrung, dass nicht nur er persönlich, sondern auch sein ganzes Haus der Heiligkeit Gottes zu entsprechen hatte.
Vers 34
„Gesehen habe ich die Misshandlung meines Volkes, das in Ägypten ist“, sagte der Herr, „und ihr Seufzen habe ich gehört, und ich bin herabgekommen, um sie herauszureißen.“ Wie sind doch diese Worte so voller Güte! Gott hat Augen um zu sehen und Ohren, um alles zu hören, was sein Volk zu ertragen hat. Aber Er hat auch die Macht, um es zu befreien. Die Zeit der Trübsal war nun abgelaufen und die Befreiung stand vor der Tür.
So wird es auch dem künftigen Überrest ergehen. Gott wird seinen Leiden nicht gleichgültig gegenüberstehen, sondern ihn im gegebenen Augenblick befreien. Für alle, die durch Schwierigkeiten zu gehen haben, gibt es einen von Gott festgesetzten Zeitpunkt, an dem Er der Leidenszeit ein Ende bereitet.
Diese herzbewegenden Worte des Herrn hätten Mose genügen sollen, um ohne Widerrede zu gehorchen. Er sollte der Gesandte dessen, der gegenüber seinem Volk von Mitleid erfüllt und herabgekommen war, um es zu befreien. Stephanus blieb nicht bei den Schwachheiten Moses stehen, sondern hob im Gegenteil den Wert dieses Mannes Gottes hervor, den das Volk verworfen hatte.
Vers 35
Stephanus erinnert daran, dass Mose, den sie mit den Worten: „Wer hat dich zum Obersten und Richter gesetzt?“ verworfen hatten, der war, den Gott als Obersten und Retter gesandt hatte „mit der Hand des Engels, der ihm in dem Dornbusch erschienen war“. Diese beiden Titel „Oberster und Retter“ erinnern an zwei Herrlichkeiten Christi: einerseits an seine Rechte und seine Autorität, die in seiner Herrschaft völlig offenbar werden und andererseits an die Macht, in der Er das Volk aus Leiden und Knechtschaft befreien wird. Durch die Verwerfung des Herrn hatten die Juden auch die ihnen angebotenen Segnungen ausgeschlagen. Doch diese werden später durch den, den Gott zum Herrn und Christus gemacht hat, dem leidenden Überrest gebracht werden.
Verse 36-37
Stephanus beharrt auf der Tatsache, dass dieser Moses, den sie verworfen hatten, es war, der das Volk aus Ägypten führte und der während mehr als vierzig Jahren sowohl Zeichen als auch Wunder tat, und zwar im Land, am Roten Meer und in der Wüste. In diesen drei verschiedenen Bereichen hatte sich durch ihn die Macht Gottes entfaltet. Diese Macht ist durch das Kreuz auch für uns wirksam geworden: Sie hat uns von der Welt und vom Gericht befreit und begleitet uns durch die Wüste. Nur verwirklichen wir diese drei Dinge nicht nacheinander, sondern miteinander. Wenn wir aber am Ziel angelangt sind, bedürfen wir keiner Entfaltung der Macht mehr. Unsere Befreiung ist dann vollständig. „Dieser ist der Mose, der zu den Söhnen Israels sprach: 'Einen Propheten wird euch Gott aus euren Brüdern erwecken, gleich mir; ihn sollt ihr hören.'“ Diese Worte waren ein Appell an das Gewissen des Volkes, das sich geweigert hatte, auf den Herrn, also auf den durch Moses angekündigten Propheten zu hören. Die Zuhörer wurden dadurch vor den Ernst ihrer Sünde gestellt. Der Prophet „gleich mir“ ist ein Hinweis auf die Menschheit Jesu, in der Er erschien, um den Dienst eines Propheten in der Mitte des Volkes zu erfüllen.
Verse 38-40
Dieser Mose „ist es, der in der Versammlung in der Wüste mit dem Engel, der auf dem Berg Sinai zu ihm redete, und mit unseren Vätern gewesen ist; der lebendige Aussprüche empfing, um sie uns zu geben; dem unsere Väter nicht gehorsam sein wollten“. Die Aussprüche werden hier als lebendig bezeichnet; sie waren der Ausdruck der Gedanken des lebendigen Gottes. Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam. Diese Aussprüche waren dem Willen der Väter entgegengesetzt. Sie wollten sich ihnen nicht unterwerfen, denn der Wille des Menschen ist dem Willen Gottes nicht untertan. Der Herr sagte zu den Juden: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt.“ Wie oft hört man heute den Ausspruch: „Ich kann nicht glauben!“ Aber es wäre aufrichtiger, zu sagen: „Ich will nicht glauben!“ Wie die Väter sich den Aussprüchen Gottes durch Mose nicht unterworfen haben, so waren auch diese Juden nicht gewillt, auf Christus, den ihnen durch Gott erweckten Propheten zu hören. Jesus sagte ihnen deshalb: „Wenn ihr Moses glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben“ (Joh 5,46).
Sie stießen Mose von sich und wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten zurück, indem sie zu Aaron sagten: „Mache uns Götter, die vor uns herziehen sollen; denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat - wir wissen nicht, was ihm geschehen ist.“ Dieses Verlangen des Volkes zeugte von einer unerhörten Leichtfertigkeit. Nachdem sie Zeugen der Majestät Gottes geworden waren, die sich am Sinai in so furchtbarer Weise kundgetan hatte, und nachdem sie gesehen hatten, wie Gott aus dem Feuer heraus mit Mose geredet hatte, kehrten ihre Herzen zu den Götzen zurück! Ihre Zuneigungen galten den sichtbaren Göttern. Ägypten, dem sie unterjocht gewesen waren, hatte Götzen, die dem natürlichen Herzen entsprachen.
Und so hat auch die durch Satan beherrschte heutige Welt eine Religion. Sobald man sich einen Götzen formt, kehrt das Herz zur Welt zurück; denn der Gegenstand des Glaubens kann dem natürlichen Herzen keineswegs genügen.
Vers 41
„Und sie machten ein Kalb in jenen Tagen und brachten dem Götzenbild ein Schlachtopfer dar und erfreuten sich an den Werken ihrer Hände.“ Das ist es, was den Gottesdienst des natürlichen Menschen, der Gott verwirft, kennzeichnet. Statt sich des Werkes Gottes zu freuen, erfreut er sich an dem Werk seiner Hände. Nach der Entrückung der Versammlung Gottes wird diese Tatsache in der Christenheit in vollem Maß erkennbar sein. Der natürliche Mensch formt sich den Gegenstand seines Gottesdienstes selbst und weiß nicht, dass die Dämonen dahinter stehen. Darum wird sie Gott dem Dienst der Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern ausliefern. Wie schrecklich!
Verse 42-43
Die Gestirne wurden in der Vergangenheit unter der Wirksamkeit Satans zum Ausgangspunkt des Götzentums (siehe u. a. 2. Kö 23,5-11; Jer 7,18). Stephanus führte eine Stelle aus Amos 5,25-27 an, die von diesem Götzendienst spricht: „Habt ihr etwa mir vierzig Jahre in der Wüste Opfertiere und Schlachtopfer dargebracht, Haus Israel? Ja, ihr habt die Hütte des Moloch getragen und das Gestirn eures Gottes Raiphan, die Bilder, die ihr gemacht hattet, um sie anzubeten; und ich werde euch verpflanzen über Babylon hinaus.“ Der Prophet kündigte ihnen als Folge ihres Götzendienstes, dem sie sich in all den Jahren ihrer Geschichte hingegeben hatten, die Wegführung durch Nebukadnezar an. In der Anführung des Propheten Amos in der Apostelgeschichte ändert der Geist Gottes einige Worte. Im Propheten Amos heißt es: „So werde ich euch jenseits Damaskus wegführen“, und diese Prophezeiung hat sich in der Wegführung des Volkes nach Babel erfüllt. Jetzt aber kündigte der Geist Gottes mit den Worten: „über Babylon hinaus“ ein ausgedehnteres Gericht an. Denn das Volk sollte nun als Folge seiner Verwerfung des Messias unter alle Völker zerstreut werden (5. Mo 28,64; 30,4). Es ist bemerkenswert, dass Gott mit dem Gericht, das über die Juden kommen sollte, den Götzendienst des Volkes vom Anfang seiner Geschichte an in Verbindung bringt.
Der Platz, den Stephanus Mose einräumt ist beachtenswert. Er wollte wohl zeigen, wie in Verbindung mit ihm und seinem Dienst von Anfang an ein böser Zustand offenbar wurde. Der Dienst Christi schloss sich an den von Mose an und hatte keinen anderen Erfolg. Gott hatte sein Volk durch Mose befreit und ihm dann durch diesen Knecht sein Gesetz gegeben. Dieses wurde vom Anfang bis zum Ende übertreten, trotz des Dienstes der Propheten, die das Volk ständig an die Beobachtung der Vorschriften erinnerten. Mose war es, der die Ankunft Christi, des Propheten, ankündigte. Aber das war ihnen gleichgültig. Sie kehrten immer wieder zum Götzendienst zurück und werden sich ihm in den letzten Tagen in noch viel schrecklicherer Weise hingeben.
Stephanus fasst ihre ganze Geschichte in den Versen 51-53 noch einmal zusammen.
Verse 44-50
Die Väter trugen einerseits als trauriges Merkmal ihrer sittlichen Verdorbenheit die „Hütte des Moloch“, hatten daneben aber auch die Hütte des Herrn. Sie war das sichtbare und materielle Zeugnis, das Gott ihnen durch Mose gegeben hatte. Stephanus erinnert die Juden daran, dass die Hütte des Herrn durch Josua ins verheißene Land eingeführt wurde und David eine Wohnstätte für den Gott Jakobs zu finden wünschte. Diesen Wunsch verwirklichte Solomo durch den Bau des Hauses Gottes. Trotz dieser sichtbaren Zeichen der Gegenwart Gottes, diente das Volk fremden Göttern.
Im Zusammenhang mit dem Tempel Salomos führt Stephanus die Stelle aus Jesaja 66,1-2 an. Dort heißt es, dass der Höchste nicht in Wohnungen wohnt, die mit Händen gemacht sind, da ja der Himmel sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße ist. Der Prophet sagte dies im Hinblick auf den schlechten Zustand des Volkes, der in den nachfolgenden Versen beschrieben wird. Die Herrlichkeit des Herrn hatte sich im Augenblick der Wegführung des Volkes nach Babylon aus dem Tempel zurückgezogen. Gott wohnt im Himmel, dort erblickt Stephanus seine Herrlichkeit und dort sieht er Jesus zu seiner Rechten stehen. Es gab wohl eine Behausung Gottes auf der Erde, aber sie wurde aus denen gebildet, die das Volk verwarf und verachtete. Warum? Weil sie an Jesus glaubten, den sie gekreuzigt hatten und den Stephanus nun im Himmel erblickt. - Später war es der Dienst des Apostels Paulus, diese Wahrheit bekanntzumachen.
Verse 51-53
Nachdem Stephanus vor den Juden die ganze traurige Geschichte des Volkes, in der sie nur das Nachwort darstellten, aufgerollt hat, kommt er auf ihren eigenen bösen Zustand zu sprechen, in dem sie sich, ungeachtet der Langmut und der Güte Gottes, befanden. Diese Langmut nahte sich nun ihrem Ende. „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr.“ In seiner ganzen Rede sagt Stephanus „unsere Väter“. Jetzt aber, da sich ihre endgültige Auflehnung gegen Gott kundtut, sondert er sich von ihnen ab und sagt „eure Väter“. Sie, die Halsstarrigen, hatten sich nie dem Willen Gottes unterworfen. Das Herz dieser Unbeschnittenen an Herz und Ohren war nie berührt und ihre Zuneigungen nie für Ihn gewonnen worden. Ihre Ohren waren für seine Stimme nie offen gewesen und sowohl ihre Väter als auch sie hatten allezeit dem Heiligen Geist widerstritten. Anstatt auf die von Gott gesandten Propheten zu hören, die sie zum Gesetz zurückzuführen suchten, hatten sie diese Boten verfolgt. Sie haben die getötet, die die Ankunft Jesu verkündigten. Stephanus nennt Ihn hier im Gegensatz zu ihrer Untreue „den Gerechten“. Sie haben diesem unaufhörlichen Widerstand gegenüber dem Heiligen Geist die Krone aufgesetzt. Sie haben nicht nur Jesus verworfen, der in Gnade zu ihnen gekommen ist, sie verwerfen nun auch das Zeugnis des Heiligen Geistes über den verherrlichten Herrn Jesus. Damit haben sie auch das Gesetz, das sie durch Anordnung von Engeln empfangen haben, nicht beobachtet (siehe Gal 3,19; Heb 2,2).
Verse 54-56
Als sie solche Vorwürfe aus dem Mund eines griechischen Juden hörten, schäumten sie vor Wut und knirschten mit den Zähnen gegen Stephanus. Sie hatten sich doch seit der Rückkehr aus dem Exil nicht mehr dem Götzendienst hingegeben und behaupteten, das Gesetz zu halten! Diese satanische Wut wurde durch die Wahrheit hervorgerufen, die vor das verhärtete Gewissen dieser Gott widerstreitenden und Jesus hassenden Menschen hingestellt worden war. Diese Szene macht den Gegensatz zwischen dem Licht und der Finsternis offenbar: Auf der einen Seite die Juden in der Finsternis des Unglaubens, erfüllt von satanischer Wut und im Widerstreit mit dem Heiligen Geist - auf der anderen Seite dieser vom Geist erfüllte Stephanus, der die Augen zum Himmel emporhebt und die Herrlichkeit Jesu wiederstrahlt, den Er zur Rechten Gottes erblickt: „Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet, und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen!“
Nun war für die Juden alles verloren. Sie wurden von Gott beiseite gesetzt und bald kamen seine Gerichte über sie, die dem „hochgeborenen Mann, der in ein fernes Land zog, um ein Reich für sich zu empfangen“ in Stephanus eine Gesandtschaft hinterher geschickt hatten, um ihm zu sagen: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Lk 19,12-14).
Auch für die Gläubigen ergab sich aus der endgültigen Verwerfung Jesu durch das Volk eine große Änderung. Bis dahin waren ihre Augen auf den Herrn gerichtet gewesen, in der Meinung, Er werde wiederkommen, um zu herrschen, sobald das Volk Ihn aufnehmen würde. Nun aber blieb Jesus, der Gegenstand ihres Glaubens, als himmlischer Christus im Himmel. Auf die Erfüllung der irdischen Verheißungen war während der Zeit der Versammlung nicht mehr zu hoffen. Stephanus ist die Verkörperung des Gläubigen, der sein Teil und den Gegenstand seines Glaubens in einem himmlischen Christus besitzt. Das macht ihn in dieser Welt zu einem Fremden, erhebt ihn über die sichtbaren Dinge und macht ihn fähig, auf der Erde die herrlichen Wesenszüge Jesu auszustrahlen. Er sieht den geöffneten Himmel, die Herrlichkeit Gottes und Jesus zu seiner Rechten. Er genießt diesen Anblick, gibt aber Zeugnis von dem Sohn des Menschen, der zur Rechten Gottes steht. Den Titel „Sohn des Menschen“ hat Jesus im Zusammenhang mit seiner Verwerfung angenommen. Stephanus sieht Ihn nicht als Messias, dessen Rechte sich nur auf Israel erstrecken. Das hätten die Juden noch anerkennen können. Nein, er schaut Ihn als den, dem nach Psalm 8 die ganze Welt unterworfen sein wird.
Er sieht Ihn stehen. Bis dahin war Er bereit gewesen, wiederzukommen und Petrus hatte Ihn auch so beschrieben (Kap. 3). Nach dem Empfang der Gesandtschaft aber setzte Er sich zur Rechten Gottes, „fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße“ (Heb 10,12-13). Inzwischen übt Er für die Seinen das Priestertum aus bis zum Augenblick, an dem Er sie bei sich im Himmel haben wird.
Verse 57-60
Dieses letzte für Jesus abgelegte Zeugnis ist für diese unbeschnittenen Ohren zu viel. Sie überschreien Stephanus, halten sich die Ohren zu und stürzen einmütig auf ihn los. Die Übereinstimmung ist hier ebenso völlig wie damals, als sie Pilatus zuriefen: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ Sie stoßen ihn zur Stadt hinaus, um ihn zu steinigen. In ihrer Verblendung begehen sie diesen Mord unter Beobachtung der Vorschriften des Gesetzes! Sie nehmen sich Zeugen, die ihre Kleider zu den Füßen des Jünglings Saulus niederlegen und die dann Stephanus nach 5. Mose 17,5-7 außerhalb der Stadt steinigen. Die religiösen Formen wurden dabei gewahrt, wie dies auch beim Tod Jesu der Fall war. Die schlimmsten Dinge können mit religiösen Formen in Einklang gebracht werden. „Sie steinigten Stephanus, der betete und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Und niederkniend rief er mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu! Und als er dies gesagt hatte, entschlief er.“ Stephanus beherrscht diese Szene in der Kraft des Heiligen Geistes. Er ist mehr als Überwinder durch den, der er in der Herrlichkeit schaut. Unter dem Hagel der Steine kniet er ruhig nieder und entschläft. Dieses Entschlafen ist charakteristisch für den Tod des Gläubigen. Der Herr sagte zu den Jungem: „Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen.“ Es ist nicht mehr der Tod mit seinen Schrecken, der Herr hat ihn überwunden. Solange Er noch nicht herabkommen kann, um auf der Erde sein Reich aufzurichten, gehen die Seinen zu Ihm, um dort mit Ihm auf den Augenblick seiner Wiederkehr zu warten. Der Heimgang des Stephanus kennzeichnet in dieser Hinsicht den Heimgang aller Erlösten der gegenwärtigen Haushaltung. Sie sind ausheimisch von dem Leib, aber einheimisch bei dem Herrn.
Saulus willigte in die Tötung des Stephanus mit ein. Er war ohne Zweifel ein junger Mann, der bei den Juden etwas galt und ein überzeugter Verfolger Christi zu werden schien. Der Geist Gottes erwähnt ihn in diesem Augenblick der Kirchengeschichte, weil er das von Gott auserwählte Gefäß war, um die himmlische Stellung der Versammlung, die mit einem verherrlichten Christus in Verbindung steht, zu offenbaren. Diese Offenbarung konnte nun, nachdem das Zeugnis des Heiligen Geistes an das Volk verworfen worden war, ihren Lauf nehmen. Fortan sollten alle Gläubigen durch den Dienst des Paulus die Wahrheiten über die Stellung des Herrn im Himmel als Haupt seines Leibes, über die Stellung der Seinen in Ihm, über das Hohepriestertum Christi und andere Tatsachen kennenlernen. Der Himmel ist von da an nach den Belehrungen des Hebräerbriefs für die Seinen offen geblieben.
Zu Beginn des Dienstes Jesu öffnete sich der Himmel und Gott rief sein Wohlgefallen über seinen geliebten Sohn aus. Der Himmel sah nun die erhabene Person, die von Ewigkeit her die Wonne Gottes war, auf der Erde. Dieser von den Menschen verkannte und verworfene Sohn ist nach seinem Tod und seiner Auferstehung in den Himmel aufgenommen worden. Und der Himmel öffnet sich jetzt, damit die Gläubigen von der Erde aus den Herrn als Gegenstand ihres Herzens betrachten können, bis sie bei Ihm sind. Der Himmel wird sich von neuem öffnen (Off 19) und der Herr wird ihn im Triumphzug als Sieger verlassen, gefolgt von allen Erlösten, um Gericht auszuüben über die, die nicht wollten, dass Er über sie herrsche und über alle jene, die nach Psalm 2 sich gegen Ihn erhoben haben.