Botschafter des Heils in Christo 1854
Lasst uns hinzutreten mit Freimütigkeit
Der Ratschluss Gottes vor Grundlegung der Welt hat uns in Christus Jesus, als Mitgenossen seiner Herrlichkeit, zur Freiheit berufen; wir haben nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, dass wir uns wiederum fürchten müssten, sondern den Geist der Kindschaft, durch welchen wir rufen: „Abba, lieber Vater“ (Röm 8,15). Wir dürfen als Kinder mit aller Freimütigkeit zu Gott nahen. Wo aber diese Freiheit und Freimütigkeit mangelt, da ist die Wahrheit nicht völlig; da wird das Opfer Christi nicht nach seinem ganzen Werte erkannt. Der Mensch ist zu nichts weniger geneigt, als von sich abzusehen, und allein auf die Gnade Gottes zu trauen, selbst wenn er fühlt, wie ihn dies stets gefangen hält. Zuerst gefällt er sich in seinen Werken und zuletzt in seinem Nichts. Aber beides macht ihn nicht freier. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.
Mag uns die Welt, die Sünde oder das Gesetz gefangen halten, wir stehen immer unter dem Fluch und dem Gericht. Die Erlösung liegt nicht in unserer Hand, weder in unseren Werken, noch in unserer Traurigkeit, sondern in Christus. Der Mensch ist dem Gericht übergeben, entweder in Christus, oder durch Ihn. Jesus hatte den Vater auf Erden verherrlicht und blieb ohne Sünde; aber weil Er unsere Sünde auf sich genommen, wurde Er am Fluchholz dem Fluch und Tod preisgegeben. So handelt die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes mit Sündern; ihr Los ist der Tod und danach das Gericht. Dies gilt von allen, die von dem ersten Adam sind und der ersten Schöpfung angehören. Sie bedürfen das Leben aus dem zweiten Adam, um in eine neue Schöpfung versetzt zu werden. Mag der Mensch auch in seinen Augen noch etwas gelten; seine Gerechtigkeit hat vor Gott keinen Wert. Das sollte genug sein, sich selbst keines Blickes mehr zu würdigen und sich ganz zu verlassen. Solange sich aber der Mensch noch damit beschäftigt, was er kann und nicht kann, was er ist und nicht ist, denkt er an sich und hat sich nicht ganz aufgegeben. Wenn ihm nichts anders bleibt, so findet er noch darin seinen Ruhm, dass er sagt: Ich bin ein „armer, ja der ärmste Sünder!“
Es handelt sich jetzt nicht mehr vor Gott um eine Gerechtigkeit von Seiten der Menschen, – sie ist verworfen; – vielmehr handelt es sich jetzt darum, wie weit die göttliche Gnade und Liebe reicht. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). In der Hingabe Jesu für unsere Sünden sehen wir die Erfüllung des unaussprechlichen Gnadenratschlusses und die alleinige Quelle unseres Heils. Sein Blut hat eine ewige Erlösung erfunden, hat die Gerechtigkeit Gottes für uns erworben und unseren Frieden mit Gott für immer festgestellt. Er ist der Mittler des neuen Bundes, eins mit dem Vater und wir durch den Glauben eins mit Ihm. Zwischen Gott und uns steht jetzt unaufhörlich der Sohn als Hohepriester mit seinem eigenen Blut und vertritt uns und bittet für uns. Der Christ darf im Allerheiligsten Gott ohne Furcht und Zittern nahen, weil die Sünden alle vor Gott getilgt und hinweg getan sind. Der Israelit durfte nicht ins Heiligtum treten, oder er musste des Todes sterben. Der Vorhang, der den heiligen und gerechten Gott und seine Herrlichkeit den Sündern verhüllte, war noch nicht zerrissen. Der Sünder konnte nicht vor Ihm stehen noch leben. Die Furcht des Todes kam in der Nähe Gottes über ihn, weil sein Gewissen nicht von Sünden gereinigt war. Wir aber haben volle Freimütigkeit zum Eingang in das Heiligtum. Durch sein Fleisch ist uns ein neuer und lebendiger Weg durch den Vorhang eröffnet (Heb 10,19–20). Wir stehen unter der Besprengung seines wertvollen Blutes, und nahen Gott in seiner uns durch Christus erworbenen Gerechtigkeit. Das durch unseren treuen Hohepriester ins Heiligtum droben getragene Blut lässt uns zu jeder Zeit als Versöhnte und Begnadigte, und darum als Geliebte und stets Willkommene vor Gott erscheinen. Es ist gut, wenn wir immer dies Bewusstsein haben; es gibt uns volle Freimütigkeit.
Es übersteigt alle menschlichen Begriffe von Gnade, wenn wir hören, dass Gott Gottlose rechtfertigt und ihnen keine Sünde zurechnet. Diese Gnade ist allein gegründet auf die alles übertreffende Liebe Gottes und das vollgültige Opfer Christi. Doch noch mehr werden wir zum Lob und zur Anbetung hingerissen, wenn uns der unausforschliche Reichtum Christi verkündigt wird, wenn uns die Höhe und die Tiefe, die Breite und die Länge des unaussprechlichen Geheimnisses, was vor Grundlegung der Welt in Gott verborgen war, offenbart wird, und wenn wir unsere Gemeinschaft daran erkennen (Eph 3,8–9). Wer halte es nur wagen können, daran zu denken, dass der Hohe und Erhabene, der Gott des Himmels und der Erde, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, auch unser Gott und Vater würde?! Welch eine Fülle von Weisheit, Gnade und Liebe offenbart sich hier. Er hat uns von seinem Geist gegeben; wir sind seine Kinder, darum sind wir auch seine Erben und Miterben Christi. Es gibt kein innigeres Verhältnis, als das des Bräutigams und der Braut, keine festere Vereinigung, als des Hauptes und des Leibes, und in diesem Verhältnis und in dieser Vereinigung stehen Christus und die Gemeinde. Aber dieses alles ist die alleinige Frucht des wertvollen Opfers Jesu Christi. Durch dieses Opfer sind wir in eine Gemeinschaft mit Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus gekommen, wie sie nicht inniger und fester sein kann, und wo diese Gemeinschaft lebendig erkannt wird, da ist Freiheit und Frieden, Kraft und Seligkeit.
Unsere nahen und innigen Beziehungen zu Gott dem Vater und Christus Jesus versichern uns der köstlichsten Vorrechte. Solange Jesus der treue Hohepriester mit seinem Blut für uns im Heiligtum vor Gott steht, dürfen wir mit aller Freimütigkeit nahen, und solange sein Volk im Fleisch und in der Fremde waltet, wird Er dort verweilen. Haben wir die Kraft und die Wirksamkeit dieses Blutes erkannt, so wissen wir, dass wir stets los vom bösen Gewissen sind, und zu jeder Zeit als von allen Sünden Gereinigte und Geheiligte erscheinen. Wo diese Erkenntnis fehlt, da ist Furcht und Ungewissheit. Wir dürfen aber in keinem anderen Bewusstsein zu Gott nahen, als dass unsere Sünder für immer vor Ihm hinweggetan sind und nur so haben wir volle Freimütigkeit. Das Volk Israel durfte nicht also nahen, weil es dies Bewusstsein nicht haben konnte. Kein Mensch darf es, und wenn er es meint zu dürfen, so ist dies Unwissenheit und Blindheit. Nur solche haben dies hohe Vorrecht, die durch den Glauben unter die Besprengung des teuren Blutes Christi gekommen sind. Dieses Blut allein hat einen solchen Wert vor den Augen Gottes, dass wir stets ohne Sünden nahen können. Es ist ein Beweis, dass wir dies selige Vorrecht schätzen, wenn wir recht nahe hinzutreten, und stets in der Gemeinschaft und Gegenwart Gottes wandeln. Wo es nicht geschieht, da ist Unkenntnis und Undank. Wandeln wir aber in der Gemeinschaft Gottes, so werden wir immer mehr die Kraft der Auferstehung und den unaussprechlichen Reichtum Christi erkennen. Dies ist es, was unsere Herzen mit Lob und Anbetung erfüllt. Es gibt alsdann nichts Köstlicheres für uns, als unseren Gott preisen und seinen Namen verherrlichen. Da ist nichts Gezwungenes oder Gesetzliches, sondern die Wirksamkeit einer freien und wahrhaftigen Liebe.
Es ist ein großes Vorrecht, Gott sowohl einzeln als gemeinsam, durch Preis und Anbetung verehren zu können. Die Welt tut und kann es nicht und wer nicht ganz in dem freien Erbarmen ruht, tut es nur mit Furcht. Es ist gut und köstlich, wenn wir erkannt haben, dass nichts mehr da ist, was uns hindern könnte, unseren Gott mit aufrichtigem und fröhlichem Herzen zu loben. Es ist Gott wohlgefällig und angenehm, wenn wir seiner Gnade ein Lob bereiten, wenn wir Ihn erkennen, wie Er ist und was Er für uns ist. Und je mehr wir in die unergründlichen Tiefen seiner Gnade und Liebe hineinschauen, weiden wir Ihm unsere Lobopfer darbringen. Der Herr wolle uns nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit an dem inwendigen Menschen durch seinen Geist kräftigen, dass Jesus Christus durch den Glauben in uns wohne und wir durch die Liebe fest gewurzelt und gegründet werden (Eph 5,17).
Haben wir die große Liebe erkannt, welche uns der Vater erzeigt hat, dass wir Gottes Kinder heißen, so werden wir uns auch stets der Segnungen teilhaftig machen, welche in dieser so nahen Beziehung liegen. Jesus ruhte im Schoß des Vaters, obgleich Er auf Erden wandelte. In der Welt halte Er keine bleibende Statte, sie kannte Ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf. Wenn wir Ihn, solange Er unter uns wohnte, begleiten, leuchtet überall sein steter und kindlicher Umgang mit Gott dem Vater hindurch. Hier nur wurde Er erkannt und geliebt. Jesus suchte in allem des Vaters Wohlgefallen und Willen zu erfüllen. Er verherrlichte seinen Namen auf Erden. Wir sind auch aus Gott geboren; wir sind Gottes Kinder, also kann auch unser Wesen nur himmlisch und auf Gott den Vater gerichtet sein. Wir verleugnen diesen Charakter, wenn wir fleischlich sind und mit der Welt Gemeinschaft haben. Als Kinder sind wir nur für den Vater da; Ihm gehört unser Leben. Des Vaters Willen und Wohlgefallen soll den Kindern stets heilig sein. Er nimmt ja auch die herzlichste Teilnahme an allem, was dem Kind begegnet. Sein Herz ist voll Sorge und Liebe für dasselbe; ja Gottes Liebe für uns ist unergründlich, wie seine Gnade und sein Erbarmen. Könnten wir außer Ihm noch etwas finden, was mehr unsere Verehrung und Liebe in Anspruch nähme? Wäre das, so hätten wir eine geringe Erkenntnis der Gnade und Liebe Gottes. Wo sie aber völlig ist, da dringt sie uns immer zu einem innigen und kindlichen Umgang mit Ihm. Diese Gemeinschaft ist unsere grüßte Lust und Freude. Sie übt auf unser Herz den segensreichsten Einfluss aus, sie erweckt und belebt in uns die Neigungen, die unsere Sinne immer mehr auf die himmlischen Dinge gerichtet halten. Verstehen wir die Liebe des Vaters und alles das, was Gott für uns ist, so gibt dies unseren Herzen den süßesten Trost und ausharrende Kraft und Mut in allen Drangsalen dieses Lebens. Nichts kann uns erschrecken, wenn wir in seiner Liebe ruhen; nichts wird uns zu schwer, wenn wir uns in seiner seligen Gemeinschaft wissen, wo wir mit aller Gottesfülle erfüllt werden, und wir werden es nicht lassen können, uns gegenseitig zu diesem vertrauten und einfältigen Umgang mit Gott als Kinder zu ermahnen und ermuntern, damit wir dieses so hohe Vorrecht, welches uns das teure Opfer Christi gebracht, recht genießen und all der köstlichen Segnungen wahrhaft teilhaftig werden. Durch diesen Umgang wird auch Gott durch uns verherrlicht, und Ihm allein gebührt ja alles Lob. Wir mögen hinschauen, wohin wir wollen, überall begegnen wir seinen Gnadenerweisungen und den Strömen seiner erbarmenden Liebe in Christus Jesus.
Doch nicht allein ist die Gemeinschaft mit Gott und die Lobpreisung seines Namens Ihm angenehm, sondern auch unser Dienst. Ihm zu dienen, ist ebenso sehr unser Vorrecht geworden, als Ihn zu loben und innig mit Ihm zu verkehren. Der Dienst der Welt sind nur tote Werke vor Ihm. Wenn niemand Ihm nahen darf, als in dem Bewusstsein, dass er durch das Blut Christi gereinigt ist, so darf auch niemand daran denken, dass er ohne dies Bewusstsein Ihm dienen könne. Das wäre Vermessenheit. Jesus, der große Hohepriester, welcher uns im allerheiligsten kraft seines Blutes jeden Augenblick vor dem Angesicht Gottes vertritt und für uns bittet, damit wir immer ohne Sünde vor Gott erscheinen können, dessen Wirksamkeit ist es ja auch allein, welche unseren Dienst vor Ihm angenehm und wohlgefällig macht. Gott wird gepriesen, wenn wir mit Früchten der Gerechtigkeit erfüllt, und sein Name wird verherrlicht, wenn wir an guten Werken reich sind. „Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus, zu guten Werken welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir darinnen wandeln sollen“ (Eph 2,10). Unsere Werke dürfen keinen anderen Zweck haben, als die Verherrlichung Gottes, und keinen anderen Grund, als nur seine freie Liebe in uns. Um Gott recht nahe und mit Ihm in eine innige Gemeinschaft zu kommen, bedarf es unsererseits keiner Werke mehr. Hierzu genügt allein das vollkommene Werk Christi. Ja wir dürfen nicht einmal daran denken, gute Werke zu wirken, wenn wir nicht in dem Bewusstsein leben, dass wir ganz nahe hinzugekommen, und auf das innigste mit Gott verbunden sind. Wir haben diese herrlichen Beziehungen zu Gott nicht verstanden, wenn wir ohne dies Bewusstsein an den Dienst Gottes denken. Wenn wir aber als Kinder Gottes sagen, dass wir als solche Gott nicht dienen können, so haben wir ebenso wenig diese Beziehungen und ihre reiche Segnungen, welche für uns darin liegen, verstanden. In Christus ist uns alles geschenkt, was zum Leben und göttlichen Wandel dient (2. Pet 1,3). Geben wir uns nicht ganz und aus freier Liebe diesem Dienst hin, so beweisen wir, wie wenig wir dies selige Vorrecht erkennen. Haben wir uns seinem Diensthingegeben, bleibt unser Wandel stets auf Ihn gerichtet, so wird unser Herz mit großer Freude erfüllt sein. Wir gehören Gott; für Ihn sind wir durch den Heiligen Geist von der Welt abgesondert, darum kann auch Gott nur der einige Gegenstand unserer Liebe und unserer Verherrlichung sein. Dies köstliche Vorrecht werden wir im Himmel in vollem Maß genießen, und es wird unsere einzige Freude und Wonne sein. Allein durch den Glauben dürfen wir uns jetzt schon seiner erfreuen und reichlich teilhaftig werden.
So lasst uns denn mit aller Freimütigkeit, welche wir durch das Opfer Christi erlangt haben, hinzunahen, und die himmlischen Vorrechte jetzt schon durch den Glauben genießen. Es ist dies ja unsere Seligkeit und wir werden auch immerdar etwas sein, zum Lob und Preise unseres Gottes. Wir sehen, wie viele Christen den vollen Wert des Opfers Christi nicht erkennen und darum immer in der Entfernung und in Furcht bleiben, und Gottes Namen durch Wort und Wandel wenig preisen und verherrlichen. Ist uns nun in dieser Zeit der Verwirrung diese reiche Gnade zu Teil geworden, die hohen Vorrechte der Kinder Gottes zu erkennen, so lasst uns den schuldigen Dank dadurch beweisen, dass wir sie mit einfältigem Herzen genießen und darinnen Gott verherrlichen.