Botschafter des Heils in Christo 1854
Gedanken zu Matthäus 16,24
Dann sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach (Mt 16,24).
Alles Fleisch ist vor Gott verdorben (vgl. 1. Mo 6,12); es geht seinen eigenen Weg und Willen und sucht seine Befriedigung im Vergänglichen. Der natürliche Mensch sieht wohl täglich um sich her die Geringfügigkeit alles Irdischen, aber dennoch jagt er ihm nach, als wäre es ein ewig bleibendes Gut. Es ist ihm nicht verborgen, dass mancher so plötzlich entschläft und dass es auch ihn mal treffen wird, aber es helfen weder Bitten noch Ermahnungen, weder Warnungen noch Erfahrungen. Er sucht, was des Fleisches ist; er folgt denen, deren Unglück und Verderben er sieht. Er folgt ihnen, bis der Tod auch seinem Lauf hier auf Erden ein Ende setzt, und dann – folgt er ihnen ins Gericht. Welch schreckliche Blindheit, welch entsetzliches Los! Dahin hat der Fall Adams das ganze Menschengeschlecht gebracht.
Doch Jesus ist als „der zweite Mensch“ auf die Erde gekommen (vgl. 1. Kor 15,47). Er kam vom Vater und ging später auch wieder zu Ihm zurück. Sein Wandel war nicht vor Gott verdorben, sondern sein Blick, seine Gesinnung und sein Tun waren nur zu Ihm gerichtet. Er ist im Fleisch gekommen, aber Er lebte nicht nach dem Fleisch. Er lebte in der Welt, aber blieb unberührt von den Dingen dieser Welt. Die Welt kannte Ihn nicht und nahm Ihn nicht auf (Joh 1,10.11), sondern sie verschmähte und verwarf Ihn, weil Er ihre Gesinnung nicht teilte und ihrem Wesen nicht folgte. Er verherrlichte Gott in dieser Welt, was sonst kein Mensch getan hat, und darum hat Gott Ihn auch zu seiner Rechten in dem Himmel verherrlicht. „Christus Jesus, der … sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist“ (Phil 2,8.9).
Die Welt sah Jesus in seiner Niedrigkeit, sie sah, wie Er verspottet, verschmäht, verworfen wurde und wie Er sein Leben am Fluchholz zwischen Mördern hingab. Sie hielt Ihn für den, der gestraft und von Gott geschlagen und verachtet war; sie erkannte nicht, dass Er unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen auf sich geladen hat. Sie glaubte nicht, dass Er um unserer Übertretungen willen verwundet und um unserer Ungerechtigkeit willen zerschlagen war, und dass die Strafe zu unserem Frieden auf Ihm lag, und durch seine Striemen uns Heilung geworden ist (vgl. Jes 53,4.5). Da war nichts, was ihr gefallen hätte, wie konnte sie daran denken Ihm nachzufolgen? Doch geliebte Freunde, es ist unser Vorrecht hinter den Vorhang dieses großen Geheimnisses zu schauen. Der Geist Gottes hat uns durch die heiligen Schriften unaussprechliche Offenbarungen mitgeteilt, sodass die törichte Predigt von dem gekreuzigten Christus uns zur köstlichsten Botschaft geworden ist (vgl. 1. Kor 1,18). Sie enthüllt uns eine unerschöpfliche Quelle von Liebe und Gnade, von Heil, Leben und Herrlichkeit. Unsere Blicke folgen dem Gekreuzigten nach oben, denn Er ist auferstanden und zur Rechten Gottes erhöht, und Leben und Segen strömt hernieder auf alle Glaubenden.
Hier will ich nicht weiter von all den herrlichen Beziehungen reden, wodurch uns das Opfer Christi Ihm und Gott dem Vater so ganz nahe gebracht hat; vielmehr will ich einige Worte von unserem Leben hier auf der Erde in seiner Nachfolge reden. Er ist uns darum in Allem gleichgeworden, ausgenommen die Sünde, um sich als Sohn Gottes, uns in allen Rechten und Beziehungen gleich zu machen. Denn gleich wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt (vgl. 1. Joh 4,17). Sein Geist ist uns geschenkt, seine Liebe ist ausgegossen in unser Herz, so können wir vor Gott auch nur einhergehen als geliebte Kinder und in den Fußstapfen Jesu Christi unseren Weg gehen. Die Welt wird danach gegen uns gesinnt sein, wie gegen Ihn; sie wird uns schmähen, verfolgen und allerlei Drangsal bereiten, wie sie es Ihm getan hat (Joh 15,20). Doch fassen wir den Ausgang unseres Lebens fest ins Auge, die Kostbarkeit der himmlischen Berufung; halten wir fest an der Hoffnung der Herrlichkeit (vgl. Eph 1,18 und an dem Gesandten und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesus Christus fest (Heb 3,1), so werden wir Ihm mit Freuden folgen. Und die wir hier mit Ihm leiden, sollen dort mit Ihm zur Herrlichkeit erhoben werden. Wenn wir unsere innigen Beziehungen zu Ihm und unsere so überaus nahe Stellung zu Gott verstanden haben, so ist es uns klar, dass wir auch, in Gesinnung und Wandel, nur Ihm ähnlich sein können. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war“ (Phil 2,5). „Wer sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt ist“ (1. Joh 2, 6).
Lasst uns Gott preisen, dass Er unsere Füße auf den Weg des Friedens gestellt und unser Herz von all dem Zeitlichen und darum Vergänglichen zu Ihm gerichtet hat; der Ausgang ist herrlich. Wir gehen hinter Jesus her, und wo Er ist, werden auch wir hinkommen, und allezeit bei Ihm sein. Das Leben auf dieser Erde ist mit steter Verleugnung begleitet. Es ist nicht eine Verleugnung, wie die des ersten Adams, der sich vor Gott in dieser Welt zu verbergen suchte, sondern eine Verleugnung der Welt und ein Verbergen in Gott. Der Glaube hält uns verborgen in Christus Jesus und ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (1. Joh 5,4). Er besitzt die Dinge, die man hofft, und hält sich an dem fest, was man nicht sieht (Heb 11,1) und verleugnet alles Sichtbare. Er versteht die Worte: Wir sind samt Christus gekreuzigt, gestorben, begraben, auferstanden und in den Himmel versetzt. Er ist's allein, der uns in der Gemeinschaft Gottes und Christus Jesus wandeln und das herrliche Vorrecht des Dienstes Gottes genießen lässt; ja durch den Glauben erfahren wir die reichen Segnungen des Kreuzes des Christus und die verborgene Kraft seiner Auferstehung, um einen guten Kampf zu kämpfen und darin bis ans Ende festzuhalten. Wir tragen an uns eine zerbrechliche Hütte, das Sichtbare umringt uns, aber das ist nichts, worauf der Glaube sich stützen kann, was ihm Kraft und Überwindung gibt. Alles Sichtbare ist zwar geeignet für uns ein Gegenstand der Versuchung zu werden und uns Kampf zu bereiten; aber ist nicht geeignet, uns Frieden und Sieg zu verschaffen. Satan und sein ganzes Reich ist beschäftigt, den Glauben zu schwächen und dem Unglauben Nahrung zu geben und wendet alle List und Bosheit an, verderbend auf uns einzuwirken. Wie viele Versuchungen begegnen uns an einem einzigen Tag und wie bestehen doch mancherlei Bindungen, die verlockend versuchen auf uns einzuwirken! Wir bedürfen ihnen gegenüber der Kraft Gottes und der Macht seiner Stärke und nur der Glaube, der alles Sichtbare verleugnet und in Jesus Christus ruht, hat die Kraft. So lasst uns dem Herrn Jesus folgen, indem wir uns selbst verleugnen, in der Gewissheit, dass wir bald am Ziel sein werden, wo es dann nichts Sichtbares mehr zu verleugnen gibt, denn was wir schauen werden wird die Herrlichkeit Gottes selbst sein.
In der Nachfolge unseres Herrn finden wir aber auch das Kreuz. Das fällt uns oft schwer, und darum seufzen wir auch und sehnen uns nach der Erlösung unseres Leibes. Diese stete Verleugnung alles Sichtbaren ist ein Kreuz für uns (Mt 16,24). Alles was uns in der Welt nahe stand, ist jetzt weit von Ihm entfernt; was uns liebte und ehrte, hasst und verachtet uns; was dem Fleisch angenehm war, wird ihm entzogen; worin es seine Befriedigung suchte und seine Lust und sein Leben hatte, wird ihm jetzt zum Kreuz. Unser Fleisch findet in der Nachfolge des Herrn Jesus nichts, was ihm gefallen könnte. Der Apostel sagt: Wir müssen durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen, und alle, die gottselig leben wollen, müssen Verfolgung erleiden (vgl. Apg 14,22). Je einfältiger und lauterer wir dem Herrn Jesus folgen, desto mehr sind die Drangsale. Das Kreuz wird uns begleiten auf allen unseren Wegen. Wir sollen es auf uns nehmen und in Geduld tragen, wie Er es getragen hat. Er ist vorangegangen, der Weg ist gebahnt und in Ihm findet der Glaube, was er bedarf, um Ihm zu folgen und das Kreuz zu tragen. Nirgends sind wir aufgefordert es abzuwerfen, sondern auf uns zu nehmen (vgl. Mt 11,29). Der Herr vermag es zu erleichtern und wird es tun, wo wir es bedürfen. Es ist dem Herrn ein Geringes, uns aus allen Drangsalen zu erretten, aber es ist Ihm auch ein Geringes, seinen Namen in den Drangsalen zu verherrlichen, und uns zu trösten und zu stärken. Und sein Trost im Kreuz macht auch uns tüchtig, Andere mit demselben Trost zu trösten. Er ist uns immer nahe, und was namentlich unsere Freudigkeit und unseren Mut erhält, ist die Hoffnung der Herrlichkeit. Werden wir seinen Leiden und seinem Tod ähnlich, so werden wir auch der ersten seligen Auferstehung teilhaftig werden. Die hier mit Ihm gestorben sind, sollen dort mit Ihm leben und die mit Ihm ausharren, sollen dort mit Ihm herrschen.
So lasst uns Geliebte, ermahnt sein, alles Zeitliche zu verleugnen, das Kreuz auf uns zu nehmen und unserem Herrn Jesus zu folgen. Bald kommt der Herr und alle Verleugnung hört auf und jedes Kreuz wird niedergelegt. Lasst uns mit Ausdauer den guten Kampf des Glaubens kämpfen (1. Tim 6,12), darin verharren und zu Jesus aufblicken. Er erduldete das Kreuz für die Ihm bevorstehende Freude und achtete der Schande nicht (Heb 12,2). Auch unsere Freude wird groß sein, wenn Er kommen wird, um uns in seine Herrlichkeit als Miterben einzuführen. Der Kampf des Gläubigen wird oft heiß sein, die Verleugnung schwer und der Drangsale viel; aber um Des willen, der uns geliebt hat, überwinden wir in Allem weit (Röm 8,37); und seiner Herrlichkeit gegenüber, die an uns geoffenbart werden soll, sind alle unsere Trübsale zeitlich und vergleichsweise leicht. So lasst uns wachend und nüchtern sein in allem Anhalten mit Bitten und Flehen in dem Geist, für uns und alle Heiligen (vgl. Eph 6,18). Lasst uns mit dem Herrn stets einen innigen und verborgenen Umgang haben und uns allezeit in Ihm freuen. Zu jeder Zeit dürfen wir mit aller Freimütigkeit Ihm nahen; ja in seiner steten Gemeinschaft können wir hier auf der Erde unseren Weg gehen. Es sind wir nur noch wenige Tage, darum: wer Ihm nachfolgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge Ihm nach! Bald sind wir am herrlichen Ziel!