Botschafter des Heils in Christo 1854
Gedanken zu Römer 4,5
„Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm 4,5).
Sobald der Mensch um seine Seligkeit bekümmert wird, denkt er zuerst an „Werke tun“. Er sieht bald ein, dass Er Gnade bedarf; aber er wünscht vorher, sich dieser Gnade selbst würdig zu machen. Er sucht ein besseres Leben zu führen, vor Gott wohlgefälliger zu wandeln, und dann will er Gnade haben. Das scheint Ihm der rechte Weg in den Himmel zu sein. Gott urteilt aber anders und macht die Weisheit der Menschen überall zunichte.
Solang der Mensch noch vor Gott mit Werken umgeht, tappt er im Dunklen. Dringt aber das Licht des Heiligen Geistes in sein Herz, so sieht er, dass auch diese Werke nichts vor Gott taugen, und dass sein eigenes Bestreben, besser zu werden, umsonst gewesen ist. Er steht da als ein Gottloser in jeder Beziehung. Vergeblich sieht er sich nach dem rechten Weg auf Erden oder bei sich selbst um, aber er findet ihn nicht. Er sucht so lange, bis er jeden Weg und jede Hilfe versperrt sieht, und nun ganz gottlos und hilflos dasteht. Jetzt wünscht er Gnade ohne Verdienst.
Es ist gut, wenn der Mensch dahin gekommen ist, sein Heil nicht mehr auf der Erde und nicht mehr bei sich selbst zu suchen. Er richtet dann seinen Blick nach oben und sehnt sich nach einer völligen Gnade und die gute Botschaft dringt von dort in sein Herz. Gott spricht Gottlose gerecht. Er macht Sünder und Feinde zu Seinen Kindern und rechnet ihnen die Sünden nicht zu. An diese Predigt hatte der Pharisäer Simon nicht gedacht, als Jesus in seinem Haus die Sünderin rechtfertigte und ihre Liebe pries, die doch alle Welt für gottlos hielt. Und ihn, den Simon, der ohne Liebe war, nicht rechtfertigte, obwohl ihn vielleicht viele Menschen gerecht sprechen würden (Lk 7,36–50). In keinem Menschenherz finden solche Gedanken Raum, dass der Heilige Gott Gottlose rechtfertigt, aber diese Gedanken finden Platz in Gott. Alles verdammt den Sünder. Er muss über sich selbst das Urteil sprechen, und der, von dem er vor allen Dingen Gericht erwarten müsste, rechtfertigt Ihn. Gegen Gott hat er allezeit gesündigt. Als ein Gottloser und Feind hat er stets vor Ihm gewandelt, und Gott ist es allein, der seiner Übertretung gar nicht gedenkt (vgl. Jes 43,25). Der verlorene Sohn hatte Alles vergeudet und kehrte in Lumpen gehüllt zu seinem Vater zurück, aber er ist noch nicht zuhause, da fällt ihn der Vater um den Hals und ihn küsste ihn sehr. Er lässt ihn kleiden, wie es seinem geliebten Kind zusteht, und ruft allen entgegen: „Freut euch mit mir!“ (vgl. Lk 15,11–32). Dementsprechend ist das Herz Gottes. Mit schwerer Schuld beladen blickt der Sünder zitternd nach oben und siehe da, es sind unaussprechlich liebende Vaterarme für ihn geöffnet und in sein Herz dringt die frohe Botschaft: „Sei getrost; deiner Sünden wird nie mehr gedacht; deine Schuld ist getilgt. Du bist mein geliebtes Kind, mein Erbe und der Miterbe meines Eingebornen. Ich liebe dich, wie meinen Geliebten und die Herrlichkeit, die ich Ihm gegeben habe, ist auch dein“ (vgl. Heb 8,12, Röm 8,17; Joh 17,22.23). Der Sünder nähert sich und denkt nur an seine großen Sünden und Gott denkt nur an Seine Liebe und Gnade. Ach, wenn Er noch mit einem kleinen Vorwurf der Übertretungen und Missetaten gedächte! Aber Er spricht kein Wort davon. Sie sind getilgt, der eingeborene Sohn hat sie an das Fluchholz getragen (vgl. Gal 3,13). Er ist um unserer Sünden willen dahin gegeben worden. Der Gerechtigkeit Gottes wurde im Opfer Christi auf Golgatha, stellvertretend für uns, völlig genüge getan, sodass Gott jetzt Seiner vollkommenen Gnade und Liebe über uns freien Lauf lassen kann. Das allein ist es, weshalb der Gottlose, der sich zu Ihm wendet, nichts als Gnade und Liebe zu erwarten hat. Es ist kein Wunder, Geliebte, dass der Sünder diese Gedanken nicht gleich erfasst, dass das Gewicht einer solchen Gnade und Liebe ihn zunächst zu Boden drückt. Wie überaus herrlich und köstlich sind doch die Gedanken Gottes über den Gottlosen! Der Gottlose hört diese Gedanken, glaubt sie und ist gerettet. Nicht Werke, sondern sein Glaube wird ihm zur Gerechtigkeit gerechnet (vgl. Röm 3,28). Ja die Gerechtigkeit Gottes selbst wird ihm geschenkt, sie ist das Kleid, worin der Glaubende vor Gott wandelt (vgl. Off 19,8). Der Friede Gottes, der höher ist als alles und erfüllt sein Herz. Der Geist Gottes und Christi überzeugt ihn der seligen Kindschaft und versiegelt und versichert ihm alle Rechte und Beziehungen dieser Kindschaft.
Was unsere Rechtfertigung betrifft, so haben wir uns nur mit den Gedanken Gottes und dem Werk Christi zu beschäftigen, nicht mit unseren eigenen Herzen. Unser Herz denkt immer zu gering von dem Herzen Gottes. Wir werden immer finden, dass die Seelen, welche die Gedanken Gottes über den Gottlosen erforschen und ohne Zweifel annehmen, Friede und Freude haben und Ihn durch Lob und Dank verherrlichen. Die Seelen aber, die selbst mit ihrem eigenen Herzen beschäftigt sind, gehen gedrückt einher und haben wenig zu preisen. Sie bleiben immer als Sünder ferne stehen und nahen nicht wie die geliebten Kinder, die sich im Schoß des Vaters wissen. Unser Friede besteht darin, dass wir Gott glauben, und nicht uns. Abraham setzte seine Hoffnung auf den Gott, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre, der gegen Hoffnung auf Hoffnung geglaubt hat. „Und nicht schwach im Glauben, sah er [nicht] seinen eigenen, schon erstorbenen Leib an, da er fast hundert Jahre alt war, und das Absterben des Mutterleibes der Sara, und zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend, und war der vollen Gewissheit, dass er, was er verheißen hatte, auch zu tun vermag. Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden“ (Röm 4,16–22). Nun sind wir durch den Glauben gerecht geworden und haben so Frieden mit Gott.