Botschafter des Heils in Christo 1860
Davids Flucht nach Ziklag
In 1. Samuel 27,1 lesen wir folgende Klage: „Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich schnell in das Land der Philister entkomme, und Saul wird von mir ablassen, mich weiterhin im ganzen Gebiet Israels zu suchen; und ich werde aus seiner Hand entkommen.“ Wüsste man nicht, wer hier spricht, so würde man glauben, die Klage eines Menschen zu hören, der aufs Ärgste verfolgt, ganz allein in der Welt steht und weder bei Gott noch bei Menschen irgend einen Ausweg zu finden wüsste. Ddie Klage eines Menschen, der nie das Glück empfunden hätte, durch die Hand Gottes bewahrt und errettet zu werden, der nicht wüsste, dass ein Gott im Himmel ist, der allen denen hilft, die auf Ihn vertrauen und der sich aus Verzweiflung den Händen der Feinde seines Vaterlandes übergeben wollte. Ja, so würden wir es sagen, wenn wir den, der hier redet, nicht kennen würden. Doch es ist David, aus dessen Herzen diese Klage hervordringt. David, der schon so oft und so augenscheinlich die beschirmende Hand Gottes erfahren hatte; David, der als ein junger Löwe dem Riesen Goliath gegenüberstand; David, der zum Könige über Israel gesalbt war, der also wusste, dass er an Sauls Stelle regieren sollte; David, der schon einmal erfahren hatte, wie gefährlich es war, sich außerhalb von Palästina aufzuhalten, indem er sich unverständig stellen musste, um sein Leben zu retten. Mit einem Wort, es war David, der „Mann nach dem Herzen Gottes“ (Apg 13,22), der selber schon gesungen hatte: „Du bist meine Hilfe gewesen, o Gott meines Heils!“ (Ps 27,9).
Hier haben wir das Herz des Menschen, sobald das Wort Gottes vergessen und die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen ist. Man kann als Gläubiger auf die unterschiedlichste und augenscheinlichste Weise Gottes Durchhilfe erfahren haben, aber man wird dennoch, sobald die Gemeinschaft zwischen Gott und der Seele unterbrochen ist, denken und handeln, als ob man ihn nie gekannt hätte. Die Umstände werden dann über Gott gestellt, und anstatt mit Gott, beschäftigen wir uns mit diesen Umständen. Wäre das Herz Davids in diesem Augenblick mit Gott in Gemeinschaft gewesen, so würde er, nach so vielen Beweisen der Hilfe und Treue Gottes, sicher nicht so gesprochen haben. Er hätte dann nicht vor dem König Achis, sondern vor Gott seine Sorgen und Beschwerden kund werden lassen. Die gegenwärtige Gefahr ließ ihn die frühere Hilfe des Herrn ganz vergessen. Er sah nur die Hand, die gegen ihn, und nicht die Hand, die für ihn war. Sein Blick war auf sich selbst und auf seine eigene Kraft gerichtet, und darum war er mutlos und machte sich auf und ging hinüber, samt den 600 Mann, die bei ihm waren, zu Achis, dem Sohne Maoch, dem König von Gath (Vers 2).
Eine ernste Lehre für uns! David, der uns in seinen früheren Wegen ein herrliches Vorbild des Glaubens vorstellte, wird hier zum Exempel einer ernsten Warnung. Ja, geliebte Brüder, wir können in vielen Versuchungen durch Glauben überwunden haben, sobald wir uns aber bei weiterem Vorangehen darauf stützen, sind wir schon auf einem verkehrten Weg. Nicht die gemachten Erfahrungen von der Durchhilfe Gottes geben uns Kraft, in den Schwierigkeiten dieses Lebens mutig voranzugehen, sondern allein eine fortwährende Gemeinschaft mit Gott. Wie oft hört man die Heiligen Gottes von dem reden, was sie vor Jahren erfahren haben, wie Gott ihnen ausgeholfen hatte und wie sie zu der Zeit so glücklich waren. Was aber hilft dies alles, wenn ich jetzt nicht glücklich bin. Es geht nicht darum, ob ich früher glücklich war, sondern ob ich es jetzt bin. Bin ich jetzt glücklich, dann können die früheren Erfahrungen der Hilfe Gottes mir zum Trost sein, sonst aber werden sie mich verurteilen. Unser Vertrauen auf Gott mag sehr stark gewesen sein, sobald aber die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen ist, gewinnt die alte Natur, die der Mensch mehr fürchtet als Gott, wieder die Oberhand und dann treten dieselben Neigungen und Begierden wieder in den Vordergrund.
Wäre nun das Herz nüchtern genug, nach einer solchen Abweichung sofort mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu Gott zurückzukehren, dann wären uns so viele schmerzliche Wege erspart geblieben sein. Doch ach! Hat man einmal, anstatt zu Gott, zu dem Menschen seine Zuflucht genommen, dann muss man auch die Folgen eines solchen Schrittes tragen. Gott ist barmherzig, aber der Mensch...? David hat das erfahren und darum sagt er bei einer späteren Gelegenheit: „Lass mich lieber in Deine Hand fallen, o HERR!“ (vgl. 1. Chr 21,13). Einmal im Land der Philister angekommen, musste er sich durch allerlei krumme Wege in einem guten Gerücht zu halten suchen. „Wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe“ (Vers 5), sagte er zu Achis. Welch eine Erniedrigung für den Gesalbten des Herrn. Er empfing Ziklag zu seinem Wohnplatz. Außerhalb der Gemeinschaft Gottes hörte David auf, ein Pilger zu sein. Es gab eine Zeit, wo er lieber mit Gott in der Wüste sein wollte, als in dem Palast des Königs. Es gab eine Zeit, wo seine Seele, um der Erlösung durch die Hand Gottes willen, in der Gefahr frohlockte. Jetzt suchte er einen Platz, um zu ruhen – einen Platz, wie ihn der Unglaube verlangt. Er blieb dort ein Jahr und vier Monate.
Es ist für das Fleisch angenehm, wenn wir uns den Schwierigkeiten unseres Weges entziehen und vergessen, das wir Hausgenossen Gottes sind (Eph 2,19). Aber durch nichts kann der Heilige Geist mehr betrübt werden, als wenn wir uns ruhig niedersetzen, um die Herrlichkeit dieser Erde und ihre Bewohner zu genießen. Und dennoch kann man in einem solchen Zustand sehr eifrig für den Herrn sein und scheinbar auf dem schmalen Weg gehen, aber es ist ein unheiliger Dienst – ein selbstsüchtiger und unehrlicher. Dies sehen wir bei David. Er bekämpfte von Ziklag aus die Feinde des Herrn. Doch musste er mit Lügen dasjenige zu bedecken suchen, was laut von den Dächern verkündigt worden wäre, wenn er in der rechten Stellung vor Gott gewesen wäre.
Dies war aber erst der Anfang der Schwierigkeiten. Die Philister zogen gegen Israel in den Kampf und David stand in ihren Schlachtreihen gegen sein eigenes Volk. Da sehen wir, wohin die Abweichung von Gott ihn gebracht hatte! Die Gefahr vor Saul war gegen die feindliche Stellung, in die er durch seine eigene Schuld gekommen war, in der Tat gering. So geht es immer, wenn wir die Schwierigkeiten mehr fürchten als Gott, dann kehren sich jene gegen uns. David war aber ein Mann nach dem Herzen Gottes und darum kam ihm auch Gott mit seiner rettenden Hand wieder zu Hilfe. Dies finden wir 1. Sam 29,6–11. Doch war die Gemeinschaft zwischen ihm und Gott noch nicht wieder hergestellt – und dies war es, was der Herr bezwecken wollte –, deshalb sehen wir die Züchtigung für David in Kapitel 30. Ziklag, wo er so ruhig zu wohnen gedachte, wurde verbrannt, alle die Güter geplündert und die Frauen und Kinder weggeführt! David war sehr betrübt. Er hatte sein Vertrauen nicht auf Gott gesetzt, und wo war er jetzt? Das Volk wollte ihn steinigen. O, Geliebte! Wie viele Schwierigkeiten bereiten wir uns selbst durch Unglauben und wie viel Entehrung bringen wir dadurch auf den Namen Gottes.
Durch diese Erfahrung wurde aber das Gewissen von David geweckt und es machte ihn traurig. O wie gut ist es, dass wir auch dies vernehmen. Die Gemeinschaft mit Gott war wieder hergestellt und in demselben Augenblick war auch alle Furcht verschwunden. Er geht auf Gottes Befehl in den Streit und überwindet. Welch ein köstlicher Trost für uns! Gott hilft wieder ebenso, wie vorher, obwohl Er so lange entehrt wurde. Der Herr bringt seine Kinder wieder zurecht. Das ist es, was wir hier sehen, so wie wir oben gesehen haben, wohin die Abweichung von Gott führt.
„Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt, und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9).