Botschafter des Heils in Christo 1860
Das Manna
Obgleich die Sünden der Kinder Israel oft Gottes ernste Dazwischenkunft, als Richter zur Folge hatten, so hat Gott ihnen dennoch gewisse Segnungen zuerkannt, welche während ihrer ganzen Wanderschaft in der Wüste unveränderlich fortdauern, z. B. die Wolken– und Feuersäule, und das Manna (Siehe 2. Mo 13,2l–22; Jos 5,11–12).
Und warum haben die Segnungen unaufhörlich fortdauern können? Weil sie auf die Gnade gegründet waren. Der Mensch fehlt in allem, was irgendwie von ihm selbst abhängt. Das Gesetz Mose ist nicht während der Wolken– und Feuersäule und des Mannas gegeben. Die Barmherzigkeit und Güte Jehovas, welche die Kinder Israel durch das Blut des Lammes aus Ägypten erlöst hatte, strömte ihnen durch die Gabe dieser Segnungen und ihrer Fortdauer entgegen. Keine Verdienste von Seiten des Volkes hatten sie hervorgerufen oder ihre Fortdauer bewirkt. Gott, welcher reich an Barmherzigkeit ist, schenkte diese Gnadengabe während der ganzen Reise durch die Wüste. – Auch wir straucheln, ermatten und sündigen, aber unsere Segnungen dauern unaufhörlich fort. Die ewige Vorratskammer der Gnade bleibt immer gleich gefüllt. Der Strom der göttlichen Liebe ist immer gleich tief und rein und fließt so ungezwungen, als je; erscheint nur Heller, tiefer und breiter, je nachdem wir seine Wendungen und wundervollen Mündungen, die uns zu jeder Zeit von Ihm reden, mehr betrachten. „Jesus Christus ist gestern und heute und in die Zeitalter derselbe.“ Der Heilige Geist, der Tröster oder Sachwalter, ist uns gegeben, um für immer bei uns zu bleiben. Das Wort des Herrn bleibt ewig fest; es wird nicht vergehen, wenn auch Himmel und Erde vergehen. Die Ratschlüsse Gottes bestehen und müssen zu seiner Zeit erfüllt werden; alle die großen und teuren Verheißungen Gottes sind unveränderlich gewiss; denn sie sind „in Christus Ja und Amen“ zur Herrlichkeit Gottes durch uns. Das Priestertum Jesu ist ebenso fortdauernd; denn es steht geschrieben: „Der Herr schwur, und es wird ihn nicht gereuen: du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks“ (Chr 7,21). Und endlich ist auch die Gegenwart des Herrn beständig unter seinem Volk: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28,20).
Ist es nicht tröstlich, geliebte Brüder, am Tag des Strauchelns auf die nie fehlende Barmherzigkeit unseres getreuen Gottes rechnen zu können, und gibt uns dies nicht fortwährende Ursache zur Danksagung und Anbetung – fortwährende Ursache, um mit dem Apostel den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus zu preisen? (Eph 1,3) Wir sind nicht allein, wie Israel, durch das Blut des Lammes erkauft, sondern auch, wie Israel, durch Gott zu seinem Volk gemacht, und also sorgt er ebenso für uns, wie auch für Israel, auf dem Weg. Wir gehen nicht auf eigenen Lohn in den Krieg. Nie versäumt oder verlässt Er uns. Auf unserer ganzen Reife geben unsere Bedürfnisse Ihm Gelegenheit, uns Gutes zu erweisen. Und weil Er für uns sorgt, so will Er, dass wir alle unsere Sorge auf Ihn werfen, und uns durch nichts beunruhigen lassen. Wir beweisen zwar oft, dass wir der geringsten seiner Barmherzigkeiten unwürdig sind; aber Er überhäuft uns stets mit Wohltaten – leitet, unterweist und bewahrt uns wie seinen Augapfel. Ein Beispiel, wie gnädig der Herr seinem Volk begegnet, sehen wir nun auch hier in 2. Mose 16:
Die Kinder Israel waren in großer Gefahr. Sie hatten kein Brot. Ihre Bedürfnisse waren sehr dringend. Da sündigten sie gegen Gott und sagten: „Ach, dass wir in Ägypten gestorben wären durch die Hand des Herrn!“ (V 3) Und was antwortete der Herr darauf? Rottete Er sie in einem gerechten Gericht aus? Warf Er ihnen etwas vor? Bedrohte Er sie? Nein, das Volk war noch nicht unter dem Gesetz. Sie waren nach der Verheißung, welche Gott dem Abraham gegeben, aus Ägypten geführt. Daher kam auch die Antwort von dem Gott Abrahams: „Siehe, ich Witt euch Brot vom Himmel regnen lassen. Ihr sollt mit Brot gesättigt werden und sollt wissen, dass ich der Herr, euer Gott, bin“ (V 4–12). – Welch eine köstliche und herzerquickende Offenbarung von der Überschwänglichkeit der Gnade Gottes! Als das Volk unter dem Gesetz war, da wurden die Murrenden durch den Verderber umgebracht; aber als es noch nicht unter dem Gesetz war – sei es, dass wir es zu Mara, oder in der Wüste Sin oder in Raphidim betrachten (Kap 15-16-17) – wir sehen immer die Gnade herrschen und überwinden; „wo die Sünde überströmend war, da war die Gnade noch viel überschwänglicher.“ O wie glücklich würden wir sein, teure Brüder, wenn wir besser das Zeugnis des Heiligen Geistes verständen: „Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14).
Welchen Abschnitt der Geschichte des Volkes Gottes wir auch betrachten mögen, immer sehen wir, dass die Bemühungen Gottes dahin gerichtet waren, dasselbe in einen Zustand der Abhängigkeit von Ihm zu bringen, und es ist leicht einzusehen, dass nur eine solche Stellung uns geziemt oder des allerhöchsten würdig ist. Das Fleisch aber sträubt sich stets dagegen. Selbst Gott zu sein ist mit dem natürlichen Menschen mehr in Übereinstimmung, als Gehorsam, weil „die fleischliche Gesinnung Feindschaft Wider Gott ist; denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan; denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Die erneuerte Seele dagegen erkennt leicht, wie recht und billig es ist, von Ihm, der uns durch das Blut seines geliebten Sohnes erlöst und welcher über und durch und in allem ist, abhängig ist. Dem Wiedergeboren ist es ganz natürlich, sich auf diesen Grund zu stellen; und wie sehr es auch den menschlichen Gedanken entgegen sein mag – er findet immer, je mehr er mit Gott wandelt, dass „alle seine Quellen in Ihm sind;“ und darum ist er stets in Übereinstimmung mit den Worten des Apostels: „Als Nichts habend, und alles besitzend.“ Wer am meisten in der Abhängigkeit von Gott lebt, befindet sich am wenigsten in der Abhängigkeit von Menschen; denn weil er weiß, dass der Herr sein Helfer ist, wird er sich nicht vor dem fürchten, was ihm ein Mensch tun wird (Ps 118,6). das Leben des Glaubens oder der völligen Abhängigkeit seines Volkes von Ihm, ließ den Herrn sagen: „Außer mir könnt ihr nichts tun;“ (Joh 15,5) und wiederum: „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat, und ich lebe des Vaters wegen, so wird auch, wer mich isst, leben meinetwegen“ (Joh 6,57).
Denselben Grundsatz finden wir auch in dem Manna, welches Gott täglich seinem Volk in der Wüste gab. Dies gab ihnen Gelegenheit, tiefe und teure Belehrungen von Jehovas Treue und Macht zu erhalten, und zu erfahren, dass es nicht vergeblich sei, sich auf seine Verheißungen zu verlassen, wie Er auch auf eine so schöne Weise sagt: „Ihr sollt innewerden, dass ich der Herr, euer Gott bin.“ Zugleich sollte dies auch ein Zeugnis von ihrer Treue gegen ihren Erlöser an den Tag legen (V 4). Auch jetzt beweist ein Leben in ungeheuchelter Abhängigkeit von Gott ein gehorsames Herz, sowie auch die treue Liebe dessen, „in welchem keine Veränderung noch Schatten von Wechsel ist.“ Welch ein köstliches Vorbild haben wir hiervon in Jesu, „welcher sich selbst zu nichts machte, und Knechtsgestalt annahm ... und bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz gehorsam ward! Deswegen hat Ihn auch Gott hoch erhoben. ..“ (Phil 2,7–10).
Wir wissen, dass, als der Herr Jesus in seiner Predigt zu Kapernaum des Mannas in der Wüste erwähnte, Er von sich selbst, als dem „wahren Brote“ sprach – dem lebengebenden, seelenerhaltenden Brot des Himmels. „Ich bin das lebendige Brot. ..“ (Joh 6,51–57). Hieraus sehen wir deutlich, dass wir durch den Tod Christi nicht allein die Erlösung haben, sondern auch, dass Er selbst unser tägliches Brot ist oder mit anderen Worten, die fortwährende Kraft und Nahrung unserer Seelen; denn obgleich wir, auf ewig durch Ihn erlöst sind, so bedürfen wir doch der täglichen, persönlichen Gemeinschaft mit dem Herrn, sowohl zur Freude und Kraft im Innern, als auch zum Dienst im Äußeren.
Das Volk hatte Befehl, Manna – keinen Staub – sondern Manna – Brot aus dem Himmel zu sammeln. Nichts anders hatten sie, um dieses zu ersetzen. Gott ließ es jedes Mal vom Himmel regnen, und sie mussten es einsammeln. Er ließ es nimmer fehlen. – Ebenso ist es jetzt mit uns. Christus ist für uns das Brot aus dem Himmel. Nichts als die Gemeinschaft mit Christus vermag unsere Seelen zu stärken. Fehlt diese – nichts vermag sie zu ersetzen. Keine Satzungen, kein buchstäbliches Wissen, keine trocknen Lehrsätze, keine gottesdienstlichen Übungen – wie nötig und schriftgemäß diese auch an und für sich sein mögen – sondern Christus. Er allein kann unsere Seelen ernähren. Er allein ist das wahre Brot!
das Manna musste eingesammelt werden. Es regnete nicht geradezu in ihre Zelte, sondern auf die Lagerstätte, auf den Sand der Wüste. Zeit und Geduld (und wahrscheinlich auch gebeugte Knie und ausgestreckte Hände) waren nötig, um es einzusammeln. Ein jeglicher musste nicht nur für seine eignen Bedürfnisse, sondern auch für die Bedürfnisse derer, welche in seinem Zelt waren, einsammeln. Er sammelte aber das ein, was Gott gab. Vernachlässigte er das Einsammeln, dann litten die Anderen ebenso sehr, wie er selbst. – Ach, wie ist es doch so wichtig, unsere Zelte zu verlassen, um für uns und andere aus der Fülle Christi Segnungen einsammeln. Der Geist Gottes zeugt von Christus, das geschriebene Wort zeugt von Christus; deshalb müssen wir, um das wahre Brot einzusammeln, in Abhängigkeit von dem Geist, die Schriften erforschen.
Sie mussten das Manna jeden Morgen einsammeln, ausgenommen an dem siebenten Tage oder dem Ruhetag; und was unsere Ruhe betrifft – sie ist nahe, und dann wird der Lauf durch die Wüste aufhören, und „das Lamm in der Mitte des Thrones wird uns weiden, und wird uns zu Brunnen der Wasser des Lebens leiten“ (Off 7,17). Jetzt wird „der innerliche Mensch von Tag zu Tag erneuert.“ Lasst uns, wie unser geliebter Herr, Tag und Nacht über dem Gesetz sinnen, welches von Ihm zeugt. Wir sind gleich leerem Gefäß und haben fortwährende Erneuerung nötig. Und wenn wir in unseren täglichen Umständen und Berufsgeschäften mit Gott zu wandeln wünschen, gibt es dann wohl einen passenderen Augenblick, als die Morgenstunde, um himmlischen Vorrat einzusammeln?
Es ist auch bemerkenswert, dass man, wenn man nicht bei Zeiten da war, kein Manna sammeln konnte; denn „wenn die Sonne heiß schien, zerschmolz es!“ (V 21) Und haben auch die Kinder Gottes in der Jetztzeit nicht genug erfahren, dass, wenn sie am Morgen keine verborgene Gemeinschaft mit Gott durch Christus ausübten, sie die schwächenden Folgen dieser Vernachlässigung den ganzen Tag hindurch verspürten? (Siehe Mk 1,35; Ps 63,1)
Nur um gegessen zu werden, musste man das Manna einsammeln. Hieraus, denke ich, ist vieles zu lernen. Es scheinen dort etliche gewesen zu sein, welche das Manna einsammelten und nicht aßen, und „es wuchsen Würmer darin und wurde stinkend“ (V 20). Aus der Geschichte des Manna lernen wir, uns an Christus genügen zu lassen. – sein Fleisch und Blut essen, persönliche Gemeinschaft mit Ihm Pflegen und aus seiner Fülle Vorrat für die Seele schöpfen. Alle – Väter, Jünglinge und Kinder – haben Nahrung nötig und das Manna ward ihnen zugesandt. – alle Kinder Gottes haben auch jetzt Nahrung nötig. „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer,“ sagte unser hochgelobter Herr; und zu dem Ende haben wir nicht allein nötig, die Worte Jesu einzusammeln, sondern auch, gleich wie der Prophet, sie zu essen, um die Freude unserer Herzen zu unterhalten und wir werden sie süßer finden als Honig und Honigseim. Die Priester waren nicht allein berufen, um in ihrem hohen Beruf zu dienen, sondern hatten auch Befehl, die Dinge, womit die Versöhnung geschah, zu essen, um ihre Hand zu füllen und sie zu heiligen. Der verlorene Sohn wurde nicht allein in den Armen des Vaters willkommen geheißen, sondern musste auch „essen und fröhlich sein.“ Dies sind seine eitle, leere Worte, keine Phantasie, sondern es betrifft etwas sehr ernstes und höchst wichtiges, nämlich die Nahrung unserer Seelen durch die lebendige, persönliche Gemeinschaft mit Gott. Wir sind berufen, stets das Brot an des Königs Tafel zu essen (2. Sam 9). Ein geringerer Platz ist für den Gläubigen nicht da. Es gibt für seine Seele keine andere Nahrung, als das Fleisch und Blut Jesu. Wer sich nur der äußeren Form nach zu Christus bekennt, der ernährt sich mit Staub – ernährt sich wie der verlorene Sohn mit den Trabern der Schweine. Lasst uns nicht vergessen, dass im Haus des Vaters Brot genug ist, nicht allein für uns selbst, sondern auch, um andere damit zu erquicken.
Nicht Kenntnis des Buchstabens der Schrift, nicht Erklärung schwieriger Stellen, nicht Scharfsinn, um die tiefen Geheimnisse zu erforschen, können unsere Bedürfnisse befriedigen, oder unsere hungrigen Seelen sättigen. Wir haben Nahrung nötig; keine Erkenntnis ist nötig, welche aufbläht, sondern die Erkenntnis, welche den innerlichen Menschen ernährt. – Haben nicht viele unter uns auf eine traurige Weise gefehlt? Und wenn dies ist, können wir uns dann verwundern, dass wir so schwach und matt sind? O hätten wir mehr Kraft, um durch den Glauben an den Sohn Gottes zu leben, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat! (Gal 2,20)