Botschafter des Heils in Christo 1860
Leben durch den Tod Teil 2/5
Die Geschichte von Kain und Abel zeigt uns noch deutlicher, dass Leben und Gerechtigkeit nur auf einem Fundament ruhen können und dass dies Fundament auf den Tod gegründet ist. Dies ist immer wahr, wie wir auch diesen Gegenstand betrachten mögen. Sobald „die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod,“ so konnte auf keinem anderen Weg die Sünde hinweggenommen, auf keinem anderen Wege der Tod aufgehoben, und auf keinem anderen Wege Satan besiegt, auf keinem anderen Wege der Mensch befreit und auf keinem anderen Wege die Forderungen Gottes völlig befriedigt werden, als nur durch den Tod. In dem Tod des Kreuzes aber sind alle diese Dinge vollkommen erfüllt worden. Und wir können mit Recht fragen: Wenn die Forderungen Gottes völlig befriedigt – der Mensch befreit – Satan besiegt – der Tod aufgehoben – die Sünde hinweggenommen ist, was bedürfen wir denn noch mehr? Ist nicht durch das Blut Jesu der Grund vollkommen zubereitet, um das glorreiche Gebäude der Gnade zu tragen – das Gebäude, dessen Fundament auf Gerechtigkeit gegründet ist und dessen oberste Spitze in Herrlichkeit aufgerichtet werden wird? Ist der Weg nicht geöffnet, um jedem Glaubenden Gerechtigkeit zuzurechnen? Ist durch den Tod keine vollkommene Versöhnung geschehen? Ist etwas mehr nötig? Auf alle diese Fragen kann man nur eine Antwort geben. Doch wollen wir jetzt mit unserer Schriftforschung weiter fortfahren.
„Es begab sich aber nach der Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes; und Abel brachte auch von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an“ (1. Mo 4,3–5). Der Leser wird überzeugt sein, dass in Betreff der Geburt, der Natur und des moralischen Zustandes dieser zwei Männer nicht der geringste Unterschied war. Beide waren außerhalb Eden geboren, Beide waren Söhne des gefallenen Adams, Beide hatten die verdorbene Natur ihrer gefallenen Eltern geerbt, Beide waren „in Sünde und Übertretung“ geboren. Abels Opfer wurde nicht darum angenommen, weil er ein besserer Mann war wie Kain, und Kains Opfer nicht deshalb verworfen, weil er ein schlechterer Mann war wie Abel. Der Unterschied lag durchaus nicht in den Männern, sondern in den Opfern.
Und was war nun der Unterschied ihrer Opfer? Derselbe Unterschied, der, wie wir gesehen haben, zwischen Adams Schürze und dem ihm von Gott bereiteten Rock war. Jene war nicht auf Blut gegründet, wohl aber dieser; jene war eine menschliche Erfindung, dieser eine göttliche Vorsorge. Jene ließ den Sünder nackt und darum in Furcht, dieser bekleidete ihn und erfüllte ihn mit Vertrauen. Ebenso war es in Betreff des Opfers Kains und Abels. Es ist eine gewisse moralische Verbindung zwischen Adams Schürze und Kains Opfer, und ebenso zwischen Gottes Rock und Abels Opfer. Ersterer stellt den Weg bar, auf welchem der blinde, gefallene Mensch zu jeder Zeit vorwärts eilt; letzteres zeigt uns den heiligen Weg, auf welchem das Licht der Offenbarung leuchtet und auf welchem die Fußstapfen des Glaubens immer erkennbar sind.
Es könnte nun gefragt werden: Wie vermochte Abel die Strahlen des himmlischen Lichtes der Offenbarung – des Lichtes der ewigen Wahrheit – zu entdecken? Die Antwort ist einfach. Verkündigte nicht der Herr Gott mit eigenen Lippen das Evangelium vor den Ohren des Sünders, wenn Er erklärte, dass „der Samen des Weibes der Schlange den Kopf zertreten sollte?“ Und stellte Er nicht dasselbe Evangelium vor den Augen des Sünders dar, als Er mit eigener Hand von toten Schlachtopfern den Stoff nahm, um für nackte Sünder ein Kleid zu bereiten? So war es; und hierin lag für Abels Glauben ein Zeugnis. Gott unterwies ihn in dieser großen Wahrheit, dass ein gefallener, verderbter, schuldiger Sünder nur durch Blut die göttliche Gegenwart erreichen kann. Die schönsten und seltsamsten Früchte des Paradieses – die wohlriechendsten Blumen, des Gartens Eden – die kostbarsten Produkte der Oberfläche der Erde – ja alle Reichtümer des Weltalls waren nicht im Stand, auch nur den geringsten Flecken von Schuld aus dem Gewissen zu vertilgen. Warum nicht? Ein Opfer ohne Blut ist eitel und wertlos. Wo kein Blut ist, da ist keine Versöhnung, kein Leben, keine Vergebung, kein Frieden, keine Gerechtigkeit, kein Himmel, keine Herrlichkeit. Wo Blut ist – das Blut Jesu, und Glauben an dieses Blut, da haben wir alle diese gegenwärtigen und ewigen Dinge in Wirklichkeit.
Diese Grundwahrheiten wurden durch Kain verworfen. Er glaubte nicht, dass ein geopfertes Leben nötig sei, um ihn fähig zu machen, in die Nähe Gottes zu kommen. Er glaubte nicht, dass das Leben nur durch den Tod zu erlangen sei, und dass die Frucht des Feldes nimmer den Grund der Gerechtigkeit in der Gegenwart Gottes bilden konnte. Er brachte ein Opfer ohne Blut und darum blieb seine Sünde; denn „ohne Blutvergießung ist keine Vergebung.“ Er mochte für die Erlangung seiner „Frucht“ gearbeitet und sich abgemüht – sein „Opfer“ mochte ihm viele Schweißtropfen gekostet haben; aber dies alles war vergebens. Weder der Schweiß seines Angesichts, noch die Arbeit seiner Hände konnte sein Gewissen reinigen, noch das Urteil abwenden, welches mit dem „einen Ungehorsam“ verbunden war, nämlich: „welches Tages du davon isst, wirst du des Todes sterben.“ Nur das Blut eines tadellosen Opfers konnte von dem Horizont des Sünders die finsteren und undurchdringlichen Nebel „des Todes und des Gerichts“ verscheuchen.
Dies alles war bei Abel die Sache eines einfachen Glaubens. Er erlangte aber nicht deshalb etwas, weil er besser war, wie Kam, der die Vorzüge des Erstgeburtsrechtes besaß. Wir können, in der Auffassung dieses Punktes nicht zu einfach und zu klar sein. Wer von der göttlichen Gnade, von der Wirkung des Blutes, von dem Wert des Glaubens ein richtiges Gefühl haben will, muss, notwendig erkennen, dass von dem göttlichen Gesichtspunkt aus zwischen Kam und Abel kein Unterschied war. Der Unterschied lag, wie schon gesagt, nicht in den Männern, sondern in ihren Opfern; und der Unterschied in ihren Opfern lag nicht in dem äußeren Werte derselben; nein, der Unterschied – der einzige und wesentliche Unterschied lag in dieser höchst wichtigen Tatsache, dass Abel Blut opferte und kam nicht. Abel fand seinen Zufluchtsort in einem geopferten Leben; Kam verließ sich auf die Werke seiner Hände. „Durch den Glauben brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar als Kam, durch welches er Zeugnis erlangt hat, dass er gerecht war, indem Gott Zeugnis gab zu seinen Gaben; und durch diesen, obgleich er gestorben ist, redet er noch“ (Heb 11,4).
Wir müssen hier besonders beachten, dass Abel durch die Blutvergießung weit mehr empfing als die bloße Vergebung seiner Sünden. „Durch den Glauben hat er Zeugnis erlangt, dass er gerecht war.“ Von wem? Von dem Einzigen, welcher es geben konnte. – Gott gab ihm Zeugnis. Wozu? Zu seinen Werken? seiner Aufrichtigkeit? seinen Gefühlen? oder seinem Glauben? Nein; sondern „zu seinen Gaben.“ Und was war in seinen Gaben, um den Titel: „ein besseres Opfer“ zu erhalten. Die Antwort ist: das Blut! Abel erlangte durch Blut nicht allein Vergebung, sondern auch Gerechtigkeit. Er war durch Blut nicht allein vom Satan befreit, sondern auch zu Gott gebracht; nicht allein war er der Hölle entronnen, sondern hatte auch den Himmel erreicht. Es war dem Kam nicht gesagt, dass er die Tilgung seiner Sünden durch Blut erlange, dass er aber seine Gerechtigkeit auf einem anderen Weg finden müsse. Eine solche Lehre kannte er nicht. Er erblickte die ersten Strahlen des Lichtes, welches vom Thron Gottes die Gnade hernieder scheinen ließ, und dadurch erkannte er diese köstliche, ewige, göttliche und herrliche Wahrheit, dass ein schuldiger Sünder, der in sich selbst nur Tod und Gericht verdient hat, durch den Glauben an das Blut Leben und Gerechtigkeit erlangen kann.
Lasst uns ferner bemerken, dass nicht gesagt ist, dass Abel sich selbst als gerecht erkannte obwohl er dies „durch den Glauben“ sicher tat. Es war nicht das Zeugnis seines eigenen Gewissens, oder seiner Gefühle, sondern das Zeugnis Gottes, welcher bezeugte, dass er durch den Glauben an das Blut gerecht war. Wir wissen nun aber, dass Gott sein Siegel nicht ans etwas setzen kann, was nicht vollkommen ist; und darum, wenn Gott bezeugte, dass Abel „gerecht“ war, so ist es klar, dass er nichts mehr bedurfte. Er war nicht allein ein erretteter und lebendiger Mensch, der Vergebung seiner Sünden empfangen hatte und von der Hölle erlöst war, sondern auch ein gerechter und angenommener Mensch, der für den Himmel ganz passend war; und dies alles „durch den Glauben an das Blut.“
Jetzt wollen wir noch ein Zeugnis für die Wahrheit unseres Gegenstandes aus den Zeiten Noahs folgen lassen. Wir wollen aber nur eine Stelle anführen. „Noah baute dem Herrn einen Altar und nahm von allerlei reinem Vieh und von allerlei reinem Gevögel und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch“ (1. Mo 8,20–21). Hier sehen wir dieselbe Wahrheit. Die neue Schöpfung muss notwendig auf Blut gegründet sein. Nichts mehr und nichts weniger war nötig. Alle Arten der gefallenen Wesen konnten in Gesundheit und Kraft ans der Tür der Arche herausgehen; ehe aber irgendwie ein Wohlgeruch von der Erde zum Himmel Und ein Wohlgeruch der wohlgefälligen Anbetung zu dem Throne Gottes aufsteigen konnte, musste ein Altar errichtet und Blut vergossen werden; und dies vergossene Blut bildete nicht allein die Grundlage der Anbetung Noahs, sondern auch des Bundes Gottes mit der ganzen Schöpfung.
Und nun, mein lieber Leser, lege dir jetzt diese Frage vor: „Was hat das köstliche Blut Christi für mich getan?“ Hat es dein Gewissen von aller Sünde gereinigt, und dir alle die tiefen Geheimnisse von des Vaters Liebe offenbart? Mache dies für dich zu einer persönlichen Frage. Du musst jetzt auf diesem Blut ruhen. Wenn das Auge des Gewissens den Lauf deines ganzen Lebens überschaut, und du nichts anders siehst als Sünde! Sünde! Sünde! dann schaue durch den Glauben in das unveränderliche Herz Gottes, und höre die lieblichen Töne, welche von da erschallen. Und welche sind diese? Liebe und Blut!