Botschafter des Heils in Christo 1860
Der Jünger des Herrn zur bösen Zeit
Die drei ersten Kapitel des Propheten Daniel geben uns eine sehr geeignete und wichtige Aufgabe für die jetzige Zeit, in welcher der Jünger in großer Gefahr steht, den umgebenden Einflüssen nachzugeben, und, um dem bestehenden Zustand der Dinge zu entsprechen, sein Zeugnis und seine Stellung zu erniedrigen.
Bei Eröffnung des ersten Kapitels finden wir ein sehr entmutigendes Bild von dem Zustand der Dinge in Betreff des sichtbaren Zeugnisses Gottes auf der Erde. „Im dritten Jahre des Reiches Jojakims, des Königs Juda, kam Nebukadnezar, der König zu Babel, vor Jerusalem und belagerte es. Und der Herr übergab ihm Jojakim, den König Juda, und etliche Gefäße aus dem Haus Gottes; die ließ er ins Land Sinear führen, in seines Gottes Haus, und tat die Gefäße in seines Gottes Schatzkasten,“ (Kap 1,1 2) – Hier also haben wir einen Anblick der Dinge, welche, natürlich betrachtet, geeignet sind, das Herz zu entmutigen, den Geist niederzuschlagen, und die Kräfte zu lähmen. Jerusalem in Ruin – der Tempel niedergerissen – die Gefäße des Herrn im Haus eines falschen Gottes – und Juda in die Gefangenschaft geführt – gewiss, das Herz möchte sich geneigt fühlen, zu sagen: „Es ist ganz umsonst, zu versuchen, die wahre Stellung eines Jüngers und die persönliche Ergebenheit länger aufrecht zu erhalten. Der Geist muss ermatten, das Herz schwach werden und die Hände müssen hinabsinken, wenn das der Zustand des Volkes Gottes ist.“ – Ja, man sollte es für die traurigste Vermessenheit halten, wenn einer der Söhne Judas in einer solchen Zeit daran denken will, den wahren Stand eines Nasiräers eines (Abgesonderten oder Geweihten) einzunehmen. So würde das Vernünfteln der Natur sein; aber nicht ist so die Sprache des Glaubens, – Gott sei gepriesen! – Es ist immer ein weiter Kreis vorhanden, worin der Geist der wahren Ergebenheit sich entwickeln und auch immer ein Weg, auf welchem der treue Jünger des Herrn fortschreiten kann, wenn er auch einsam auf demselben wandeln müsste. Auf den äußeren Zustand der Dinge kommt es nicht an. Es ist das Vorrecht des Glaubens, ebenso viel an Gott zu hängen, sich ebenso viel von Christus zu ernähren, und ebenso viel von der Himmelsluft einzuatmen, als wenn alles in der vollkommensten Ordnung wäre.
Dies ist für das gläubige Herz eine unaussprechliche Gnade. Jeder, welcher in Ergebenheit zu wandeln wünscht, kann immer einen Pfad finden, um es zu tun; sowie es jemand auch im Gegenteil nicht schwer werden wird, in den äußeren Umständen eine Entschuldigung für das Nachlassen seiner Energie zu finden; allein ein Solcher würde auch dann nicht mit Kraft wandeln, wenn er in den günstigsten Umständen wäre.
Wenn es je eine Zeit gab, in welcher man für den Mangel seiner Entschiedenheit eine Entschuldigung finden konnte, so war es die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Das ganze Gebäude des Judentums war niedergerissen – die königliche Macht war aus der Hand des Nachfolgers Davids in die Hand Nebukadnezars übergegangen – die Herrlichkeit war von Jerusalem entwichen – mit einem Wort, alles schien verdorrt und vernichtet zu sein, und den verbannten Kindern Judas blieb nichts anders übrig, als ihre Harfen an die Weiden zu hängen, und an den Wassern zu Babylon zu sitzen, und dort über die verschwundene Herrlichkeit, über das verblichene Licht, und über die hinabgesunkene Größe zu weinen.
Dies würde der Gedanke und das Gefühl der Natur sein; aber, Gott sei gepriesen! wenn alles zur niedrigsten Stuft hinab gesunken zu sein scheint, dann steigt der Glaube im heiligen Triumph empor. Und der Glaube ist, wie wir wissen, der einzig wahre Grund, worauf der treue Jünger des Herrn sich bewegt. Er sucht es nicht bei den Menschen noch bei den Dingen um ihn her; er findet „alle seine Quellen in Gott.“ Daher erscheint auch der Glaube nie so glänzend, als wenn alles umher finster ist. Wenn der Horizont der Natur mit den schwärzesten Wolken überzogen ist, dann sonnt sich der Glaube im Schein der göttlichen Gunst und Treue.
Dies sehen wir bei Daniel und seinen Gefährten, welche durch Glauben die großen und besonderen Schwierigkeiten ihrer Zeit überwanden. Ihr Urteil war, dass auch in Babylon nichts sie verhindern könnte, in wahrer Absonderung, als Jünger des Herrn zu wandeln, wie sie es auch in Jerusalem getan hatten. Und sie urteilten recht; ihre Überzeugung war die eines reinen und festgegründeten Glaubens. Es war dieselbe Überzeugung, wonach auch Barack, Gideon, Jeftah, Simson usw. handelten. Es war die Überzeugung, welche Jonathan äußerte, als er sagte: „Es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder wenig zu helfen“ (1. Sam 14,6). Es war die Überzeugung Davids, im Tal Elah, als er die arme zitternde Heerschar Israels, „den Zeug des lebendigen Gottes“ nannte (1. Sam 17,45). Es war die Überzeugung des Elias auf dem Berg Karmel, als er mit „zwölf Steinen, nach der Zahl der Stämme der Kinder Jakobs, einen Altar baute“ (1. Kön 18,31). Es war die Überzeugung Daniels selbst, als er im weiteren Fortgang seiner Geschichte seine Fenster öffnete und gegen Jerusalem anbetete (Dan 6,10). Es war die Überzeugung des Paulus, als er angesichts der überströmenden Fluch des Abfalls und des Verderbens, welches hereinzubrechen drohte, seinen Sohn Timotheus ermahnte, „das Bild gesunder Worte festzuhalten“ (2. Tim 1,13). Es war die Überzeugung des Petrus, als er, im Blick auf die Auflösung des ganzen Gebäudes der Schöpfung, die Gläubigen ermutigte, „sich zu befleißigen, ohne Flecken und tadellos vor Ihm im Frieden erfunden zu werden“ (2. Pet 3,14). Es war die Überzeugung des Johannes, als er unter dem wirklichen Verfall der Versammlung seinen viel geliebten Gajus ermahnt, „nicht das Böse, sondern das Gute nachzuahmen“ (3. Joh 11). Und es war die Überzeugung des Apostels Judas, als er, in der Gegenwart der schrecklichsten Bosheit, einen geliebten Überrest ermahnt, „sich auf ihren allerheiligsten Glauben zu erbauen, betend in dem Heiligen Geist, sich in der Liebe Gottes zu erhalten, erwartend das Erbarmen unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben“ (Jud 20,21). – Mit einem Wort, es war die Überzeugung des Heiligen Geistes, und darum war es die Überzeugung des Glaubens.
Alles gibt der Entscheidung Daniels, wie wir es im ersten Kapitel dieses Buches ausgedrückt finden, einen unermesslichen Wert und ein besonderes Interesse. „Aber Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, dass er sich mit des Königs Speise, und mit dem Wein, den er selbst trank, nicht verunreinigen wollte, und tat dem obersten Kämmerer kund, dass er sich nicht verunreinigen müsste“ (V 8). Er hätte sich auch ganz natürlich sagen können: „Es nicht nichts, dass ein armer, schwacher Gefangener einen Platz der Absonderung aufrecht zu erhalten sucht. Alles ist zerstört. Und es ist unmöglich, unter solch einer hoffnungslosen Zerstörung und Erniedrigung den wahren Geist eines Nasiräers zu behaupten; es ist besser, dass ich mich in die Lage der Dinge um mich herschicke.“
Aber nein, Daniel stand ans dem Grund des Glaubens. Er wusste, dass es sein Vorrecht war, in dem Palast Nebukadnezars Gott ebenso nahe zu sein, als innerhalb der Tore Jerusalems; – er wusste, dass, was auch der äußere Zustand des Volkes Gottes sein mochte, dem einzelnen Heiligen dennoch ein Pfad der Reinheit und Ergebenheit geöffnet war, welchen er, unabhängig von allen Dingen, verfolgen konnte. Und dürfen wir nicht sagen, dass die Absonderung für den Herrn in Babel ebenso starke Reize und Anziehungspunkte, hatte, als in Kanaan? O gewiss, es ist unaussprechlich schön und lieblich, in Babylon einen Gefangenen zu sehen, der, in völliger Verleugnung seiner selbst, die erhabene Stellung der Absonderung erwählt und darin wandelt. Daniel gibt jedem Zeitalter eine lehrreich? Aufgabe; er stellt dem Auge der Gläubigen aller Zeiten ein sehr ermutigendes und ermunterndes Beispiel dar; er beweist, dass ein ergebenes Herz, selbst unter den dunkelsten Schatten, sich eines Pfades des wolkenlosen Sonnenscheins erfreuen kann.
Aber woher kommt dies? Weil „Jesus Christus gestern und heute und in die Zeitalter derselbe ist“ (Heb 13). Haushaltungen wechseln und vergehen – kirchliche Einsetzungen zerbröckeln und fallen dahin – menschliche Systeme wanken und verschwinden, aber „der Name Jehovas währt ewiglich und sein Gedächtnis für und für.“ Auf dieser heiligen Höhe stellt der Glaube seinen Fuß. Er erhebt sich über alle Wechsel und erfreut sich, in süßer Unterhaltung mit der unveränderlichen Quelle, alles wahren Guten. Und daher auch kam es, dass der Glaube in den Tagen der Richter herrlichere Triumphe feierte, als je in den Tagen Josuas geschehen War, dass der Altar des Elias auf dem Berg Karmel mit einem ebenso hellen Glanz umgeben war, als der Altar Salomons.
Dies ist wirklich ermutigend. Das arme Herz ist so geneigt, auf das Fehlen und die Untreue der Menschen, anstatt auf die unfehlbare Treue Gottes, hinzuschauen; und die Folge davon ist, dass es sich selbst schwächt und mutlos macht. „Der feste Grund Gottes steht, und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die, welche sein sind, und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit“ (2. Tim 2,19–20). Was kann jemals diese bleibende Wahrheit berühren? Nichts. Und darum kann auch nichts den Glauben, welcher sie ergreift, oder die praktische Ergebenheit, welche auf dem Grund dieses Glaubens ruht, berühren.
Lasst uns jetzt auch auf die herrlichen Resultate der Ergebenheit und der Absonderung Daniels schauen. In den drei ersten Kapiteln bemerken wir drei verschiedene Dinge, welche auf die von Daniel und seinen Gefährten angenommene Stellung in Betreff „der Speise des Königs“ folgen. 1. Sie wurden in das Geheimnis „des Traumes Nebukadnezars“ eingeweiht; 2. sie widerstanden den Verführungen „des Bildes des Königs“, und 3. wurden sie unversehrt durch „den feurigen Ofen des Königs“ geführt.
1.: „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die Ihn fürchten“ (Ps 25,14). Dies wird in dem uns vorliegenden Fall als Beispiel so deutlich gezeigt. „Die Sternseher und Weisen und Zauberer und Chaldäer,“ welche die Atmosphäre der königlichen Gegenwart atmeten, waren in Bezug auf den königlichen Traum alle in Dunkelheit. „Es ist kein Mensch auf Erden,“ bekennen sie, „der sagen könne, was der König fordert.“ – Sehr wahr; aber es gab einen Gott im Himmel, der es alles wusste, und welcher es auch denjenigen bekannt machen konnte, welche Glauben, Ergebenheit und Selbstverleugnung genug besaßen, um sich von der Verderbnis in Babel abzusondern, obgleich sie in die babylonische Gefangenschaft verwickelt waren. Alle die Verwirrungen, die Labyrinthe und die Rätsel der menschlichen Geschicke sind Gott nicht verborgen, und Er kann sie denen aufschließen, welche mit Ihm in seiner heiligen Gegenwart wandeln, und Er tut es auch. Die Geweihten Gottes haben eine größere Einsicht in die menschlichen Angelegenheiten als die tiefsten Philosophen der Welt. Und woher kommt dies? Wie können sie die Geheimnisse der Welt so leicht enträtseln? Weil sie über dem Übel der Welt sind. Sie sind von den Bestechungen der Welt entfernt; sie sind auf dem Platz der Absonderung, der Abhängigkeit und der Gemeinschaft. „Und Daniel ging Heim und zeigte solches an seinen Gesellen, Hananja, Misael und Asaria, dass sie Gott vom Himmel um Gnade bäten, solchen verborgenen Dinges halber“ (Kap 2,17–18). Hier haben wir ihren Platz der Kraft und der Einsicht. – Sie hatten nur gen Himmel aufzuschauen, um mit einem klaren Verständnis über alle Schicksale der Erde ausgerüstet zu werden.
Wie wahr und einfach ist dies alles! „Gott ist Licht und in Ihm ist keine Finsternis.“ Wenn wir Licht nötig haben, können wir es nur in seiner Gegenwart finden; und nur dann, wenn wir den Platz der Absonderung von all den moralischen Bestechungen der Erde praktisch einnehmen, sind wir fähig, die Kraft seiner Gegenwart kennen zu lernen. Lasst uns jetzt ein weiteres Resultat der heiligen Absonderung Daniels betrachten. „Da fiel der König Nebukadnezar auf sein Angesicht, und betete an vor dem Daniel, und befahl, man sollte ihm Speisopfer und Rauchopfer tun.“ – Hier sehen wir den stolzesten und gewaltigsten Monarchen der Erde zu den Füßen eines gefangenen Verbannten. Herrliche Frucht der Treue! Köstliche Bestätigung der Wahrheit, dass Gott den Glauben, welcher sich in irgendeinem Maß zu der Höhe seiner Gedanken emporschwingen kann, immer ehren wird! Er kann und wird den Wechsel, den das Vertrauen auf seine unerschöpfliche Schatzkammer ausstellt, nicht zurückweisen. Bei dieser bemerkenswerten Gelegenheit verwirklichte Daniel in seiner Person so völlig, wie es nie vorher geschehen war, die Verheißung Gottes in Betreff seines Volkes von alters her, „ ... dass alle Völker auf Erden sehen werden, dass du nach dem Namen des Herrn genannt bist, und werden sich vor dir fürchten. ... Und der Herr wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und wirst oben schweben und nicht unten liegen“ (5. Mo 28,10–13). Gewiss war Daniel in dieser Szene „das Haupt“, und Nebukadnezar „der Schwanz“. Ebenso ist auch das Verhalten dieses Gott geweihten Mannes in der Gegenwart des gottlosen Belsazars sehr beachtenswert (Siehe Dan 5,17–19). Haben wir hier nicht ein ebenso schönes Zeugnis der vorher bestimmten Hoheit des Samens Abrahams, als wenn wir die siegenden Anführer Josuas „mit Füßen auf die Hälse der Könige Kanaans treten“ sehen, (Jos 10,24) oder „wenn alle Welt begehrte, Salomo zu sehen, auf dass sie die Weisheit hörten, welche ihm Gott in sein Herz gegeben hatte?“ (1. Kön 10,24) Sicher; und in einem gewissen Sinne ist es sogar noch ein herrlicheres Zeugnis. Eine solche Szene konnte in der Geschichte Josuas oder Salomos noch wohl erwartet werden; aber den stolzen König Babylons vor einem seiner Gefangenen niederfallen zu sehen, ist etwas, was alle Vorstellungen des menschlichen Geistes weit übertrifft.
Der schlagendste Beweis von der Macht des Glaubens ist, über alle Arten von Schwierigkeiten zu triumphieren, und die außergewöhnlichsten Resultate hervorzubringen. Der Glaube ist immer derselbe mächtige Grundsatz – ob er in den Ebenen Palästinas, auf der Spitze Karmels, an den Flüssen Babylons oder unter den Trümmern der bekennenden Kirche handelt. Keine Fesseln vermögen ihn zu binden, keine Schwierigkeiten ihn zu hindern, kein Druck ihn zu dämpfen, und keine Wechsel ihn zu berühren. Er erhebt sich immer zu dem ihm angemessenen Gegenstand, und dieser Gegenstand ist Gott selbst, und seine ewige Offenbarung. Die Haushaltungen mögen sich ändern, und der Zeitlauf auf seiner Bahn dahinschreiten, – die Räder der Zeit mögen fortrollen, und die süßesten Hoffnungen des armen menschlichen Herzens unter ihrem schweren Gewicht zertrümmern; aber der Glaube steht da – diese unsterbliche, göttliche, ewige Wirklichkeit – und trinkt aus dem Brunnen der reinen Wahrheit und findet alle seine Quellen in Ihm, welcher „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist.
In diesem „köstlichen Glauben“ handelt Daniel während er als ein armer Gefangener in Babylon weilte. Wohl konnte er nicht länger hingehen zu dem schönen und heiligen Haus, in welchem seine Väter anbeteten. Der raue Fuß eines fremden Feindes hatte die heilige Stadt zertreten. Das Feuer brannte nicht mehr auf dem Altar des Gottes Israels; der goldene Leuchter mit den sieben Lampen erleuchtete nicht mehr den heiligen Ort; aber in Daniels Herzen war der Glaube; und dieser Glaube erhob ihn über jeden ihn umgebenden Einfluss, und befähigte ihn, sich alle die Verheißungen Gottes, welche in Jesu Christi Ja und Amen sind, zuzueignen, und in Kraft derselben zu handeln. Der Glaube wird durch den zertrümmerten Tempel, durch die verfallenen Städte, durch die erloschenen Lichter und durch die entschwundene Herrlichkeit nicht erschüttert. Warum nicht? Weil Gott nicht dadurch erschüttert wird. Gott kann zu jeder Zeit gefunden werden, und der Glaube ist zu jeder Zeit gewiss, Ihn zu finden.
2.: Kapitel 3
Derselbe Glaube aber, welcher diese heiligen Männer von alters her befähigte, die seine Speise des Königs zu verweigern, befähigte sie auch, das Bild des Königs, welches angebetet werden sollte, zu verachten. Sie hatten sich von der Befleckung abgesondert, damit sie fähig wären, sich einer innigeren Gemeinschaft mit dem wahren Gott zu erfreuen; und sie konnten sich auch deshalb vor dem goldenen Bilde nicht niederbeugen, wenn es auch noch so hoch war. Sie wussten, dass Gott kein Bild, sondern eine Wirklichkeit war. Sie konnten nur Ihm Anbetung darbringen, weil Er der alleinige, würdige Gegenstand derselben war. Es kümmerte sie auch nicht, dass die ganze Welt wider sie war, – sie hatten nur für Gott zu leben und zu handeln. – Es könnte scheinen, als ob sie hätten besser sein wollen, als ihre Nächsten, als ob es Anmaßung gewesen sei, gegen den gewaltigen Strom der öffentlichen Meinung anzuschwimmen. Einige mögen sich auch veranlasst fühlen, zu fragen, ob nur ihnen die Wahrheit bekannt gewesen sei? Waren denn die „Fürsten, Herrn, Landpfleger, Richter, Vögte, Rat, Amtsleute und alle die Gewaltigen im Land“ in Dunkelheit und Irrtum versunken? Könnte es möglich sein, dass so viele Leute vom Rang, mit Verstand und Weisheit begabt, Unrecht, und nur wenige Fremden von der Gefangenschaft Recht hatten?
Mit solchen Fragen befassten sich aber unsere Nasiräer nicht. Ihr Weg war gerade aus. Sollten sie sich vor einem Bild niederbeugen und es anbeten, nur um den Schein zu vermeiden, andere zu richten? Gewiss nicht. Und dennoch, wie oft werden diejenigen, welche wünschen, allezeit von Gott ein Gewissen ohne Anstoß zu haben, verurteilt, dass sie sich selbst erheben und andere richten! Unzweifelhaft wurde Luther von vielen verurteilt, weil er gegen die Doktoren, Kardinäle und selbst gegen den Papst auftrat. Sollte er nun, um diese Verurteilung zu vermeiden, nicht besser getan haben, im Irrtum zu leben und zu sterben? Wer wollte das behaupten?
„Aber“, werden Einige erwidern, „Luther hatte es auch mit handgreiflichem Irrtum zu tun.“ Das wusste Luther auch; aber Tausende von gelehrten und berühmten Männern dachten anders. Ebenso war es auch mit Schadrach, Meschach und Abed–Nego. Sie wussten, dass sie es mit wirklichem Götzendienst zu tun hatten, aber die ganze Welt dachte anders. Was nun? „Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen.“ Mögen andere tun, was sie wollen, „ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen.“ Wenn wir im Irrtum blieben, und das, was wir als Unrecht erkannten, fortführen zu tun, bloß um den Schein zu vermeiden, andere zu richten, wo würden wir uns befinden?
Deshalb, meine geliebten Brüder, lasst uns den sicheren, aufwärts und vorwärts gerichteten Pfad, welcher einem wahren und ergebenen Jünger geziemt, zu wandeln suchen. Ob wir andere dadurch richten oder nicht, darf uns nicht kümmern. – „Höre auf, Böses zu tun.“ Dies ist das Erste, was der Jünger des Herrn zu tun hat. Sobald er diesem goldenen Gebot gehorcht, kann er erwarten, zu „lernen, Gutes zu tun.“ „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird auch dein ganzer Leib licht sein.“ Wenn Gott spricht, so darf ich nicht umherschauen, um zu sehen, wie mein Gehorsam gegen seine Stimme meinen Nächsten berühren wird, oder überlegen, was die Leute von mir denken werden. – Als die Stimme des auferstandenen und verherrlichten Jesus in das Ohr des niedergeworfenen Saulus von Tarsus drang, da fing er nicht an zu überlegen, was wohl die Hohenpriester und Pharisäer von ihm denken würden, wenn er gehorchte. Gewiss nicht. Er sagt selbst: „Alsbald ging ich nicht mit Fleisch und Blut zu Rache“ (Gal 1.16). „Und daher König Agrippa, ward ich dem himmlischen Gesicht nicht ungehorsam“ (Apg 26,19). das ist der wahre Geist und Grundsatz in einem treuen Jünger. „Gebt dem Herrn eurem Gott, die Ehre, ehe denn es finster wird, und ehe eure Füße sich an den dunklen Bergen stoßen“ (Jer 13,16). Nichts kann gefährlicher sein, als zu zögern, wenn das göttliche Licht auf unserem Pfad scheint. Wenn wir nicht nach dem Licht wandeln, während wir es haben, so werden wir gewiss in tiefe Dunkelheit versinken.
3.: Unsere Nasiräer nun, da sie sich weigerten, vor dem Bild des Königs niederzufallen, mussten dem Zorn und dem feurigen Ofen des Königs begegnen. – Auf alles dies aber wurden sie durch die Gnade Gottes vorbereitet. Ihr Nasiräerstand war eine Wirklichkeit. Zur Aufrechthaltung der wahren Anbetung des Gottes Israels waren sie bereit, den Verlust aller Dinge, ja selbst ihres eignen Lebens zu erdulden. Sie dienten Gott und beteten Ihn an, – nicht nur unter dem friedlichen Weinstock und Feigenbaum im Land Kanaan, sondern auch selbst im Angesicht eines „brennenden, feurigen Ofens.“ Sie erkannten Jehova nicht nur inmitten einer Versammlung von wahren Anbetern, sondern auch in Gegenwart einer entgegenstehenden Welt. Sie behaupteten und bezeugten einen wahren Jüngerstand in der bösen Zeit. Sie liebten den Herrn, und um seinetwillen enthielten sie sich von dem Luxus des Königs, widerstanden seinem Zorn und erduldeten seinen feurigen Ofen. „Da fingen an Schadrach, Meschach und Abed–Nego und sprachen zum König Nebukadnezar: Es ist nicht Not, dass wir dir darauf antworten; siehe! unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl ans dem glühenden Ofen, dazu auch von deiner Hand erretten. Und wo er es nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deine Götter nicht ehren, noch das goldene Bild, das du hast setzen lassen, anbeten wollen“ (V 16–18). Dies war die Sprache der Männer, welche wussten, wessen sie waren und wo sie waren – Männer, welche die Kosten ruhig und bedachtsam berechnet hatten – Männer, denen der Herr alles und die Welt nichts war. Alles, Was die Welt darbieten konnte, das eigene Leben selbst stand auf dem Spiel; aber was war das für sie? „Sie hielten standhaft aus, als sähen sie den Unsichtbaren.“ – Die ewige Herrlichkeit lag vor ihnen; und sie waren ganz bereit zu dieser Herrlichkeit selbst auf einem feurigen Pfad hinzugehen. Gott kann seine Diener auf einem feurigen Wagen oder durch einen feurigen Ofen gen Himmel führen, wie es Ihm gefällt; doch wie auch immer die Art des Weges dahin sein mag – es ist gut, dahin zu kommen.
Aber konnte nicht der Herr seine geliebten Diener bewahren, dass sie nicht in den glühenden Ofen gestürzt wurden? Ohne Zweifel; dies würde Ihm ganz leicht gewesen sein. Dennoch tat Er es nicht; es war sein Wille, dass der Glaube seiner Diener bewährt werde – dass er im Feuer erprobt, dass er durch den heißesten Schmelztiegel gehe, damit er „zu Lob und Ehre und Herrlichkeit erfunden werde.“ Wirft der Goldschmied darum einen Klumpen Gold in den Schmelzofen, weil er keinen Wert für ihn hat? O nein, sondern gerade deshalb, weil er es hat. Seine Absicht ist nicht nur, die Schlacken zu entfernen, sondern auch das Metall glänzend und lauter zu machen.
Es ist ganz augenscheinlich, dass es, wenn der Herr durch eine Handlung der Macht seine Diener vor dem Feuerofen bewahrt haben würde, weniger Herrlichkeit für Ihn und folglich auch weniger Segen für sie gewesen wäre. Es war viel besser, seine Gegenwart und sein Mitgefühl in dem Feuerofen zu haben, als seine Macht, um davor zu bewahren. Welch eine große Herrlichkeit war es für Ihn, und welch ein unaussprechliches Vorrecht für sie! Der Herr kam hernieder und wandelte mit seinen Nasiräern in dem Feuerofen, in welchen ihre Glaubenstreue sie gebracht hatte. Sie hatten mit Gott in dem Palast des Königs gewandelt, und Gott wandelte mit ihnen in dem Feuerofen des Königs. Dies war der erhabenste Augenblick in der ganzen Laufbahn des Schadrach, Meschach und Abed–Nego. Wie wenig dachte der König daran, in welch eine erhabene Stellung er die Gegenstände seines Zornes und seiner Wut brachte! Alle Augen wandten sich von dem großen goldenen Bilde, um mit Erstaunen die drei Gefangenen zu betrachten. Was konnte das bedeuten? „Drei Männer gebunden“ – „vier Männer los“! Konnte dies Wirklichkeit sein?
War wirklich Feuer in dem Ofen? Ach! „die besten Kriegsleute, die in des Königs Herr waren“ hatten erfahren, dass wirklich Feuer darin war, denn „die Feuerflamme hatte sie gelobtet.“ Und wäre das Bild Nebukadnezars hineingeworfen, so würde es sicher auch seine Wirklichkeit erfahren haben. Hier fand der Zweifler und der Ungläubige keinen Raum mehr. Es war ein wirklicher Feuerofen und eine wirkliche Flamme, und die „drei Männer wurden in ihren Mänteln, Schuhen, Hüten und anderen Kleidern gebunden und hineingeworfen.“ Alles war Wirklichkeit. Aber es gab noch eine tiefere Wirklichkeit. Gott war da, und dies veränderte alles; es veränderte des Königs Wort – es verwandelte den feurigen Ofen in einen Ort hoher und heiliger Gemeinschaft – es machte die Sklaven Nebukadnezars zu Befreiten Gottes.
Gott war da! Er war da in seiner Macht, um den Stempel der Verachtung auf alle Widersetzlichkeit des Menschen zu drücken, – Er war da in seinem tiefen und zärtlichen Mitgefühl für seine geprüften und treuen Diener, – Er war da in seiner unvergleichlichen Gnade, um die Gefangenen frei zu machen, und die Herzen seiner Nasiräer in die tiefe Gemeinschaft mit sich selbst, nach welcher sie so heiß dürsteten, einzuführen.
Und, meine geliebten Brüder, ist es nicht des Hindurchgehens durch einen feurigen Ofen wert, um auch nur ein wenig die Gegenwart Christi und des Mitgefühls seines liebenden Herzens zu genießen? Sind nicht die Banden mit Christus besser, als die kostbarsten Kleider ohne Ihn? Ist nicht ein feuriger Ofen, wo Er ist, besser, als ein Palast, wo Er nicht ist? Die Natur sagt: „Nein!“ der Glaube aber sagt: „Ja!“
Es ist gut, daran zu denken, dass dies nicht der Tag der Macht Christi, sondern der Tag seines Mitgefühls ist. Wenn wir durch die tiefen Wasser der Trübsal gehen, so kann das Herz sich oft geneigt fühlen, zu fragen: „Warum offenbart der Herr nicht seine Macht, um mich zu retten?“ Die Antwort ist: Dies ist nicht der Tag seiner Macht. Er konnte diese Krankheit abwehren, diese Schwierigkeit aufheben, diesen Druck abnehmen, diesem Unglück vorbeugen, jenen innig und zärtlich geliebten Gegenstand vor der kalten Hand des Todes schützen, – aber anstatt seine Macht zu offenbaren, um zu retten, lässt Er den Dingen ihren Lauf, und gießt sein eigenes, süßes Mitgefühl in einer solchen Weise in das niedergebeugte und verwundete Herz, dass Er den, welchen es trifft, zu dem Bekenntnis bringt, dass er wegen der Fülle des Trostes diese Prüfung nicht für Welten entbehrt haben möchte.
Dieses, meine Brüder, ist jetzt die Art unseres geliebten Jesu. Nachher wird Er seine Macht entfalten – als Reiter „des weißen Pferdes“ erscheinen – sein Schwert ziehen – seinen Arm entblößen – sein Volk rächen – das ihnen getane Unrecht für immer ahnden; – aber jetzt ist sein Schwert in der Scheide, und sein Arm bedeckt. Dies ist die Zeit, um uns die tiefe Liebe seines Herzens und nicht, um uns die Macht seines Armes und die Schärfe seines Schwertes empfinden zu lassen. Genügt es dir, dass es so ist? Ist das Mitgefühl Christi für dein Herz genug? Ist es dir selbst unter den schwersten Sorgen und größten Trübsalen genug. Das ruhelose Herz, der ungeduldige Geist und der ungebrochene Wille würden uns veranlassen, zum Herrn zu seufzen, dass er uns vor Trübsal, vor Schwierigkeiten und jeglichem Druck bewahren möge; allein dies wird nimmer geschehen. Es würde aber auch ein unberechenbarer Verlust für uns sein. Wir müssen in der Schule von einer Bank zur anderen fortrücken; aber der Herr geht mit uns, und das Licht seines Antlitzes, und das zärtliche Mitgefühl seines Herzens werden uns unter den schwersten Prüfungen aufrechterhalten.
Und siehe! welch eine Herrlichkeit wird auf den Namen des Herrn zurückgebracht, wenn sein Volk durch seine Gnade fähig gemacht wird, triumphierend durch jede Prüfung hindurch zu gehen! Lesen wir in Daniel 3,26–28, so werden wir bekennen müssen, dass wir nirgends reichere oder seltsamere Früchte eines treuen Jüngerstandes finden werden. Der König und alle seine Edlen, welche noch kurz vorher Von der bezaubernden Musik und dem falschen Gottesdienste ganz erfüllt waren, sind jetzt mit der erstaunenswerten Tatsache beschäftigt, dass das Feuer, welches die mächtigen Kriegsleute tötete, auf die Anbeter des wahren Gottes weiter keinen Einfluss ausübte, als dass es ihre Fesseln verschlang, um sie frei und ungehindert in der Begleitung des Sohnes Gottes wandeln zu lassen. „Und Nebukadnezar trat hinzu vor das Loch des glühenden Ofens und sprach: Sprach, Meschach und Abed–Nego, ihr Knechte Gottes des Höchsten, geht heraus, und kommt her. Da gingen Schadrach, Meschach und Abed–Nego heraus aus dem Feuer. Und die Fürsten, Herrn, Vögte und Rat des Königs kamen zusammen, und sahen, dass das Feuer keine Macht am Leib dieser Männer bewiesen hatte, und ihr Haupthaar nicht versengt, und ihre Mäntel nicht verzehrt wann, ja, man konnte keinen Brand an ihnen riechen.“
Hier nun war ein schönes Zeugnis – ein Zeugnis, wie es nie so schön hätte aufgewiesen werden können, wenn der Herr durch eine bloße Handlung der Macht seine Diener vor dein Werfen in den Feuerofen bewahrt hätte. Der Feind war ganz zu Schanden gemacht, Gott war verherrlicht, und seine teuren Diener gingen unbeschädigt aus dem brennenden, glühenden Ofen hervor. Das waren die köstlichen Früchte eines treuen Nasiräerstandes.
Lasst uns auch weiter die Ehre beachten, welche unseren Nasiräern zu Teil ward. „Da fing Nebukadnezar an und sprach: Gelobt sei der Gott Schadrachs, Meschachs und Abed–Negos“ – Ihre Namen sind mit dem Gott Israels innig verbunden. Dies war eine hohe Ehre. Sie hatten sich mit dem wahren Gott völlig eins gemacht, als es sich um Tod und Leben handelte, und darum machte sich auch der wahre Gott eins mit ihnen, und führte sie auf einen großen und reichen Platz. Er stellte ihre. Füße auf einen Felsen, und erhöhte ihre Häupter über ihre Feinde um sie her. Wie wahr ist es, dass „Die, welche mich ehren, werde ich auch ehren;“ aber ebenso wahr ist es, „dass die, welche mich verachten, die sollen wieder verachtet werden“ (1. Sam 2,30).
Es ist nun auch unsere Aufgabe hienieden, geliebte Brüder, nur für Christus zu leben. Wir sind für eine kleine Weile hier zurückgelassen, um für Ihn beschäftigt zu sein, und auf seine Erscheinung zu warten. O, lasst uns stets suchen, unserem geliebten Herrn treu zu sein. Lasst uns durch den verwirrten Zustand der Dinge um uns her nicht entmutigt werden, sondern durch die Geschichte Daniels Und seiner treuen Gefährten vielmehr ermuntert werden, auch als treue und ergebene Jünger zu wandeln. Es ist unser Vorrecht, jetzt ebenso viele Gemeinschaft mit dem teuren Herrn Jesus zu genießen, als ob Wir in den gabenreichen Tagen des apostolischen Zeugnisses lebten.
Möge denn der Heilige Geist uns alle befähigen, stets in den Fußstapfen des Herrn zu wandeln, die Gnade zu offenbaren und auf das Kommen des Herrn Jesus zu warten!