Botschafter des Heils in Christo 1860
Ich habe den Herrn gesehen und dies hat Er zu mir gesagt
„Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Dies war die süße und gesegnete Botschaft, welche Maria Magdalena von der Grabstätte des Herrn Jesus mitbrachte. Und nie ist wohl ein Herz glücklicher von dem Grab eines treuen und geliebten Freundes zurückgekehrt, als ihres. Wir werden aber auch nicht fähig sein, ihren tiefen Schmerz, während der schrecklichen Tage der Verwerfung und Kreuzigung ihres geliebten Herrn, zu beschreiben. Die kalte Hand des Todes hatte die so süßen und gesegneten Bande der Gemeinschaft plötzlich durchschnitten. Alle ihre Gefühle und Neigungen knüpften sich jetzt nur noch an das Grab, welches seinen Leichnam verbarg. Und sie kam in aller Frühe, als es noch finster war, zur Gruft. Aber ach! Das Grab war leer. Auch der letzte Rest des Trostes war ihr genommen. Denn womit sollte das leere Grab ihr kummervolles Herz trösten können? Und dennoch verkündigte dies ohne Worte die gesegnetste und erfreulichste Botschaft. Es war ja darum leer, weil der, welcher darin gelegen hatte, auferstanden war. Dies aber war der Maria verborgen, und deshalb stand sie bei der Gruft draußen und weinte (vgl. Joh 20,11). Die Jünger waren nach Hause zurückgekehrt. Aber sie konnte unmöglich diesen Platz eher verlassen, bis sie ihren geliebten Herrn wieder hatte. Und wir lesen weiter: „Maria aber stand bei der Gruft draußen und weinte. Als sie nun weinte, bückte sie sich vornüber in die Gruft und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu dem Haupt und einen zu den Füßen, da, wo der Leib Jesu gelegen hatte“ (Joh 20,11.12). Dies aber erweckte weder Erstaunen noch Furcht bei ihr, denn ihr Herz war so voll von Kummer und Schmerz über den Verlust des einen, den ihre Seele liebte, dass keine andere Regung mehr Raum darin fand. Und als die Engel sie fragten: „Frau, warum weinst Du?“, da antwortet sie: „Weil sie meinen Herrn weggenommen haben.“ Das war die einzige Ursache ihrer Tränen. „Meinen Herrn.“ Dies blieb Er für sie auch im Tode. Der Tod konnte sie wohl äußerlich von Ihm trennen, aber nicht ihr Herz. Dies blieb unauflöslich mit Ihm verbunden.
Nach dieser Antwort wendet sich Maria gleich zurück. Diese Engel in der leeren Gruft, denen auch sogar die Ursache ihrer Tränen unbekannt zu sein schien, konnten ihr Herz nicht trösten. Nur einer konnte es. Und dieser eine war jetzt nahe gekommen, um sein armes, trauriges Schäfchen zu beruhigen und zu erfreuen. Sie aber kannte Ihn nicht und hielt Ihn für den Gärtner. „Jesus spricht zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ (Joh 20,15). Ohne aber zu antworten, fragt sie entgegen: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn wegholen.“ Sie denkt nicht daran, dass sie nur eine schwache Frau ist. Sie misst alles nach der tiefen und starken Liebe ihres Herzens zu Ihm. Und nicht länger konnte Jesus sich verborgen halten. Er war ihretwegen gekommen, denn Er wusste, wo sie Ihn suchte, und Er verstand ihren Kummer und ihre Tränen. Und siehe! Das einzige Wörtchen: „Maria!“ war genug für sie, um völlig zu verstehen, wer Er war. „Meine Schafe hören meine Stimme“ (Joh 10,27). Das Kind kennt unter Tausenden die Stimme seiner Mutter. Und mit einem „Rabbi!“ (Lehrer) will Maria zu seinen Füßen hinstürzen und sie umfassen. Sie hatte jetzt genug, denn sie hatte alles. Glückliche Maria! Doch Jesus sagt: „Rühre mich nicht an. Denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.“ Sie erkannte nicht, dass sie jetzt den auferstandenen Herrn vor sich hatte. Sie wollte das frühere Verhältnis fortsetzen, und deshalb belehrt Er sie und sagt ihr, dass Er erst zu seinem Vater hingehen müsse.
Wie gesegnet ist aber die weitere Mitteilung des Herrn an Maria: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Das Kreuz lag jetzt hinter Ihm. Das Gericht war beendet. Es war aber beendet für die Seinen. Alle ihre Sünden waren getilgt und jede Scheidewand niedergerissen. Die Ströme der Gnade und Liebe waren jetzt auf immer für sie geöffnet, und dann sagt Er: „Meine Brüder“, „mein Vater euer Vater, mein Gott euer Gott“. Er setzt sie mit sich in seine eigene gesegnete Stellung. Und dies zu können, war der Zweck seiner völligen Hingebung bis in den Tod und die süßeste Freude seines Herzens. Und Maria war unter allen die Erste, welche Ihn nach seiner Auferstehung sah und diese köstlichen Worte von seinen eigenen Lippen hörte. Es war ja ihr einziges Verlangen, Ihn wieder zu finden und bei Ihm zu sein. Und sie fand Ihn und hörte aus seinem Mund, dass ein ewiges, unauflösliches Band der Gemeinschaft sie und alle die Seinen mit Ihm vereinte. O wie köstlich ist diese Wahrheit!
Und mit den Worten: „Gehe hin“ hat Er sie auch zu uns gesandt, geliebte Brüder, ja, auch zu uns ist ihre liebliche Botschaft gekommen: „Ich habe den Herrn gesehen und dies hat Er zu mir gesagt“. Und der Herr gebe, dass sie auch unsere Herzen stets mit Friede und Freude erfülle!