Gedanken über den Brief des Apostels Jakobus
Botschafter des Heils in Christo 1860
Gedanken über den Brief des Apostels Jakobus Teil 1/3
Dieser Brief stellt das moralische Leben dar, das Leben der Tugend auf der Erde, als ein wahres Zeugnis für den Menschen, das Leben des Glaubens, und besonders das des praktischen Glaubens an Christus, so wie auch an Gott, der all unseren Wünschen und Bedürfnissen bereitwillig entgegenkommt. Auf diesem Grund bewegt sich der Brief. Den Glauben an Christus, so wie auch die Wiedergeburt durch die Macht der Gnade finden wir hier klar und bestimmt ausgedrückt. Aber dennoch erhebt sich dieser Brief kaum über ein Leben, welches in jeder anderen Periode in dem Gläubigen sich offenbaren und entwickeln könnte, nur dass es hier der Christ, geboren aus Gott, ist, der es darstellt. Der Brief wendet sich an die zwölf Stämme in der Zerstreuung (vgl. Jak 1,1). Er verbindet sich mit der Synagoge (vgl. Jak 2,2) und mit Christen, die noch mit dem Judentum in Verbindung stehen. Diese Verbindung sehen wir geschichtlich in Jerusalem, wo Jakobus an der Spitze steht (vgl. Apg 21,15–25). Über diesen Standpunkt geht der vorliegende Brief nicht hinaus. Es ist das letzte Zeugnis an Israel, als Volk Gottes betrachtet. Zugleich aber wird der wiedergeborene Überrest, auch wenn noch nicht getrennt von der Nation, deutlich unterschieden.
Gewiss enthält dieser Brief viel Trost und Ermahnung für die Christen aller Zeiten. Aber um ihn recht verstehen und würdigen zu können, müssen wir seinen wahren Charakter und seinen besondern Zweck kennen lernen. Unsere Denkweise ist auf eine viel vollkommenere Entwicklung des Christentums gegründet, auf die Offenbarung von Ratschlüssen, welche viel älter sind, als die der jüdischen Nation, auf die Offenbarung der ewigen Ratschlüsse Gottes. Dies macht es für uns auch schwer, die Form der Wahrheit, wie wir sie in dem Brief des Jakobus finden, zu verstehen. Es ist eine Form, in der das Christentum mit dem verbunden ist, was wegen der an Israel gemachten Verheißungen geschichtlich, die Wiege des Christentums ausmachte. Es wird aber auch später, wenn die Versammlung aufgenommen ist, dem gläubigen Überrest leichter werden, diese Form der Wahrheit zu verstehen. In den Zeiten der großen Drangsal wird ihnen besonders das erste und letzte Kapitel dieses Briefes zu vielem Trost gereichen und sie zum Ausharren ermuntern. Kann ihnen dann auch nicht mehr die Ankunft des Bräutigams in der Luft als Hoffnung ihrer baldigen Befreiung vorgestellt werden, so kann es doch seine nahe Ankunft als Richter. Sie vernehmen in ihren Bedrückungen die beruhigenden Worte: „Siehe, der Richter steht vor der Tür“ (Jak 5,9).
Der Brief des Jakobus redet also nicht von dem wahren Grund unserer Rechtfertigung vor Gott, noch von dem ewigen Leben, welches offenbart und mitgeteilt ist, noch von der himmlischen Stellung der Versammlung, sondern er ermuntert zum freudigen Ausharren in den Versuchungen, ermahnt gegenüber dem Scheinglauben zu einem durch die Liebe sich betätigenden und durch gute Werke erweisenden Glauben, tröstet die Leidenden mit der Ankunft des Herrn, als den gerechten Richter. Und so bildet dieser Brief ein würdiges Glied in der Kette der apostolischen Schriften.
Kapitel 1
Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, den zwölf Stämmen, die in der Zerstreuung sind, seinen Gruß! Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Prüfungen fallt, da ihr wisst, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt. Das Ausharren aber habe ein vollkommenes Werk, damit ihr vollkommen und vollendet seid und in nichts Mangel habt (Jak 1,1–4).
Jakobus wendet sich, wie schon bemerkt, an die zwölf Stämme in der Zerstreuung. Sein Dienst geht aus von Gott und dem Herrn Jesus Christus. Dies lässt uns den wahren Wert seines Zeugnisses erkennen.
Nach diesem kurzen Gruß beginnt der Apostel sofort im zweiten Vers die Gläubigen in den mancherlei Prüfungen zum Ausharren zu ermuntern. Wir dürfen aber diese Prüfungen1 nicht mit dem Worten „versucht werden“ in Vers 13 und 14 verwechseln. Jene sind dem Fleisch entgegen, während dieses gerade aus der Lust unseres Fleisches hervorkommt. Je weniger wir in Gemeinschaft mit Gott leben, desto wirksamer ist die Lust des Fleisches. Und je mehr wir in Christus Jesus gottselig leben, desto öfter begegnen uns die Versuchungen, wovon hier im zweiten Vers die Rede ist. Alle widrigen Umstände, die uns auf dem Weg des Glaubens begegnen, alle Schwierigkeiten und Hindernisse, die Trübsale und Verfolgungen jeglicher Art. Der Christ ist hier ermahnt, dies alles für lauter Freude zu halten, und zwar deshalb, weil es einen so reichen Segen für ihn bringt. Alle diese Versuchungen dienen zu seiner Läuterung. Anstatt den Weg zu versperren, sind sie für den Gläubigen durch die Gnade ein Mittel, um besser auf diesem Weg vorangehen zu können. Das, was uns aufhält, liegt nicht außerhalb von uns, sondern in uns. Es ist das unerkannte oder auch erkannte Böse, welchem Gott durch die Prüfungen von außen begegnet und es bricht. Und je mehr wir von diesem gereinigt werden, desto fähiger sind wir, auf dem Weg des Glaubens auszuharren. Zugleich sind die Prüfungen ein Mittel, um das Gefühl der eigenen Schwachheit und der völligen Abhängigkeit von Gott zu erwecken und aufrecht zu erhalten, und um uns verstehen zu lassen, dass das ganze Vertrauen auf seine Kraft die alleinige Bürgschaft unseres Durchkommens ist. In diesem Vertrauen aber wird die Kraft des pilgernden und kämpfenden Christen geübt. Hat er in der einen Prüfung die treue Hilfe seines mächtigen Gottes erfahren, so ist dieses Bewusstsein geeignet, seinen Mut für die noch kommenden Prüfungen zu beleben (vgl. Röm 5,3–5). Der durch Leiden geübte Apostel Paulus konnte im Hinblick auf fernere Prüfungen kühn sagen: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13).
Die Versuchungen als solche würden gewiss kein Gegenstand der Freude für uns sein, wenn sie nicht von so reich gesegneten Folgen wären. Sie sind es auch nicht, die an und für sich das Ausharren herbeiführen, sondern durch die Bewährung des Glaubens in denselben wird es bewirkt (Vers 3). Der Glaube vertraut in den Versuchungen auf Gott und wird darin bewährt. Er richtet sein Auge auf das Unsichtbare und handelt dem gemäß. Dies allein macht uns stark und fähig, in den Versuchungen zu bestehen.
In Vers 4 werden wir zum völligen Ausharren ermahnt. Denn nur dem Bewährten wird, wie wir in Vers 12 sehen, die Krone des Lebens verheißen. Es sind zwei Stücke, welche zur Vollkommenheit und zur Vollendung des Christen notwendig sind, und auch notwendig, um die Verheißungen zu erlangen: Glauben und Ausharren. Wir werden in Hebräer 6,12 ermuntert, „Nachahmer derer zu sein, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben“ (vgl. Heb 6,15; 10,36). Hat das Ausharren sein vollkommenes Werk, so ist auch der Christ „vollkommen“, ist es völlig bis ans Ende, so ist der Christ „vollkommen und vollendet“ und hat „in nichts Mangel“.
Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln; denn der Zweifelnde ist gleich einer Meereswoge, die vom Winde bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde; er ist ein wankelmütiger Mann, unstet in allen seinen Wegen (Jak 1,5–8).
Bei unserer gegenwärtigen Schwachheit und Unvollkommenheit wird es uns aber oft an Weisheit mangeln, um uns in all den Versuchungen stets als Christ zu verhalten und nach dem Glauben zu handeln. Deshalb werden wir in Vers 5 auf die Quelle aller Weisheit hingewiesen: „So bitte er von Gott.“ Dies ist der einfachste und geradeste Weg, um wirklich Weisheit zu erlangen. Und Gott ist völlig willig zu geben. Er beschämt uns wegen unserer Unwissenheit nicht. Er wirft uns unsere Schwachheit und Unvollkommenheit nicht vor, noch macht Er die Gewährung unserer Bitte davon abhängig, sondern Er gibt nach der vollkommnen Gnade und Liebe seines eigenen Herzens. Doch nur der im Glauben Bittende empfängt (Vers 7). Die Willigkeit Gottes und unser Glaube begegnen einander. Redet Gott, so ist der Glaube das Ohr, welches hört, und gibt Gott, so ist der Glaube die Hand, welche nimmt. Sobald Gott gesagt hat: „Ich gebe willig“, so antwortet der Glaube mit Zuversicht: „Ich weiß, dass du willig gibst“. Und hat Er dem Bittenden sagen lassen: „Es wird ihm gegeben werden“, (Vers 5) so antwortet der Glaube nicht: „Es wird, sondern es ist mir gegeben. Ich bin der Erhörung meiner Bitte völlig gewiss“ (vgl. 1. Joh 5,15). Der Glaube weiß, dass Gott wirklich Gott ist, der Wahrhaftige, und alle seine Verheißungen Ja und Amen.
Der Zweifler aber geht leer aus, weil jede Verheißung nur dem Glauben zugesichert ist. Er mag viel bitten, aber Gott begegnet ihm nicht mit Erhörung, auch gerade deshalb nicht, weil er trotz der Versicherung Gottes an seiner Willigkeit zweifelt. Und so verunehrt er Gott, indem er sowohl seine Wahrhaftigkeit als auch seine Liebe in Zweifel zieht. Sein Herz ist wankelmütig und er ist ungewiss und unsicher in allen seinen Wegen. Sein Unglaube treibt ihn hin und her, wie der Wind die Meereswoge. Wie ernst sind diese Worte und doch wie köstlich, indem sie gerade die Gewissheit und Festigkeit der Verheißungen Gottes, die keinem Zweifel Raum lassen, bestätigen!
Der niedrige Bruder aber rühme sich seiner Hoheit, der reiche aber seiner Erniedrigung; denn wie des Grases Blume wird er vergehen. Denn die Sonne ist aufgegangen mit ihrer Glut und hat das Gras verdorren lassen, und seine Blume ist abgefallen, und die Zierde seines Ansehens ist verdorben; so wird auch der Reiche in seinen Wegen verwelken. Glückselig der Mann, der die Prüfung erduldet! Denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die er denen verheißen hat, die ihn lieben (Jak 1,9–12).
In Vers 9 und 10 finden wir die Armut wie den Reichtum als Versuchung dargestellt. Während das Herz des niedrigen Bruders sich gegenüber dem Reichen durch Neid beflecken und mit Sorge und Unruhe erfüllen kann, steht dieser in Gefahr, sich zu überheben und sein Vertrauen auf den nichtigen und ungewissen Reichtum zu setzen. Deshalb richtet der Apostel den Blick des niedrigen Bruders auf seine wahre Hoheit, und zeigt dann die Nichtigkeit und das traurige Ende des Reichtums dieser Welt, sowie auch dessen der darauf vertraut hat, „denn wie des Grases Blume wird er vergehen“. Die „Sonne mit ihrer Glut“, welche das Gras dörrt und wodurch dessen Blume abfällt, ist ein Bild auf Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, im Gericht. Bei seiner Erscheinung wird alles Hohe erniedrigt werden und „so wird auch der Reiche in seinen Wegen verwelken“ (Vers 11). Dann wird seine Erniedrigung gegenüber der Hoheit, deren sich der niedrige Bruder durch die Gnade in Christo Jesu rühmen kann, völlig ans Licht treten. Er schwindet dahin mit allem, worauf er sich verlassen hat.
In völligem Gegensatz zu einem solchen Ende ist „die Krone des Lebens“ (Vers 12). Sie ist der Kampfpreis derer, die in den Versuchungen ausgeharrt haben und darin bewährt worden sind. Sie ist der Kampfpreis derer, welche die Liebe zu Gott der Liebe zur Welt, das Unsichtbare dem Sichtbaren vorgezogen haben. Sie sind glückselig und ihre Glückseligkeit ist bleibend. Denn sobald ihre Pilgerschaft hier auf der Erde vollendet ist, wird die Krone des Lebens, eine ewig dauernde Herrlichkeit, ihr gesegnetes Teil sein. Wie verschieden ist ihr Ausgang von denen, die in den vergänglichen Gütern dieser Welt ihren Schatz haben!
Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht; denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Irrt euch nicht, meine geliebten Brüder! Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist noch der Schatten eines Wechsels. Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, damit wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien (Jak 1,13–18).
Dieser kleine Abschnitt belehrt uns über zwei Dinge. Zuerst, dass nicht Gott, sondern unsere eigene Begierde2 uns zum Bösen versucht (Vers 13–15), und dann, dass im Gegenteil Gott die unveränderliche Quelle alles Guten ist (Vers 16–18). Es ist ein großer Irrtum, zu sagen, dass wir von Gott versucht werden (Vers 13) und etwa bemüht sind, durch solche Behauptung unsere Verantwortlichkeit zu schwächen oder gar aufzuheben. Gott selbst kann nicht vom Bösen versucht werden, weil das Böse nicht den geringsten Anknüpfungspunkt in Ihm findet. Ebenso wenig konnte es Jesus, der sich hier auf der Erde in den äußeren Prüfungen3 (Vers 2) der größten und schwierigsten Art befand. Denn keine Begierde4 zum Bösen war in Ihm. Deshalb sagt auch der Apostel in Hebräer 4,15 von Ihm: „… der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde.“ Wir können vom Bösen versucht werden, und dies beweist, dass die Begierde dazu in uns vorhanden ist. Sie ist es, und nicht Gott, die uns zum Bösen fortzieht und lockt. Und hat sie dasselbe in sich aufgenommen und genossen, dann tritt die Sünde als Tat hervor. Somit ist die Sünde die Frucht der Begierde, nachdem sie empfangen hat, und der Tod ist die Frucht der vollendeten Sünde.
Von Gott dagegen kommt „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk“ (Vers 17). Er ist der „Vater der Lichter“ die alleinige und unveränderliche Quelle alles Guten und alles dessen, was zur Glückseligkeit leitet. Nicht der geringste Wechsel, noch irgendeine Veränderung ist bei Ihm. Und Er allein ist auch die Quelle, aus welcher wir, damit sind alle Wiedergeborenen gemeint, hervorgegangen sind. Der Beweggrund zu unserer Zeugung ist sein Wille, das Mittel sein Wort, das „Wort der Wahrheit“, und der Zweck ist, uns als „Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe“ der neuen Natur, die nicht durch Sünde verderbt ist, darzustellen. Erst in der völligen Offenbarung des Reiches, in der vollendeten Erneuerung, wird die eigentliche Ernte sein. Die in Zeiten der Drangsal gesammelten Gläubigen bilden, gegenüber der bei völliger Enthüllung des Reiches stattfindenden Ernte, die Erstlinge seiner Schöpfung. Beide aber, das Geschöpf und die Schöpfung, sind aus Gott, der unveränderlichen Quelle alles Lichtes hervorgegangen, und auf diese Tatsache gründet der Apostel die folgenden Ermahnungen.
Daher, meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Denn eines Mannes Zorn wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit. Deshalb legt ab alle Unsauberkeit und alles Überfließen von Schlechtigkeit, und nehmt mit Sanftmut das eingepflanzte Wort auf, das eure Seelen zu erretten vermag. Seid aber Täter des Wortes und nicht allein Hörer, die sich selbst betrügen. Denn wenn jemand ein Hörer des Wortes ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann, der sein natürliches Angesicht in einem Spiegel betrachtet. Denn er hat sich selbst betrachtet und ist weggegangen, und er hat sogleich vergessen, wie er beschaffen war. Wer aber in das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, nahe hineinschaut und darin bleibt, indem er nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werkes ist, der wird glückselig sein in seinem Tun. Wenn jemand meint, er diene Gott, und zügelt nicht seine Zunge, sondern betrügt sein Herz, dessen Gottesdienst ist nichtig. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten (Jak 1,19–27).
„Daher, meine geliebten Brüder ...“: Dieses „daher“ zeigt uns die Verbindung mit dem Vorhergehenden (vgl. Vers 17.18). Das Wort hören und tun sind die zwei Stücke, welche der Apostel hier den Gläubigen besonders ans Herz legt. Das viele Reden oder Disputieren, selbst wenn es die köstlichsten Dinge betrifft, macht weder das Herz wahrhaft glücklich, noch wird Gott dadurch verherrlicht (Vers 19). Ebenso wenig wirkt der Zorn des Mannes die Gerechtigkeit Gottes, denn der Zornige ist nicht einmal fähig, im Frieden über das nachzudenken, was Gott wohlgefällig ist, und noch viel weniger fähig, dasselbe zu tun. Er handelt nach den Leidenschaften seines Fleisches. Gott selbst aber ist langsam zum Zorn und groß an Güte (Ps 103,8). Er handelt mit großer Langmut und Gnade gegenüber dem Sünder, und wir sind ermahnt, in derselben Gesinnung einherzugehen.
Je mehr das Böse in uns wirksam ist, desto unfähiger sind wir, das Wort der Wahrheit in uns aufzunehmen. Deshalb ermahnt der Apostel in Vers 21 zuerst, „alle Unsauberkeit und alles Überfließen von Schlechtigkeit abzulegen“. Es ist selbstredend, dass, wenn alle Unsauberkeit abgelegt werden soll, auch alles Überfließen von Schlechtigkeit dazugehört. Dann ermahnt er, das unter ihnen eingepflanzte oder verkündigte Wort mit Sanftmut zu empfangen, nicht mit aufgeregtem oder erbittertem Gemüt und widersprechendem Geist. Die Aufnahme dieses Wortes ist zu wichtig, denn es ist fähig, unsere Seelen zu erretten.
Es handelt sich nun aber darum, Täter des Wortes zu sein (Vers 22). Begnügen wir uns mit dem Hören, so betrügen wir uns selbst, wie uns das Bild in Vers 23 und 24 ganz deutlich zu erkennen gibt. Ein Spiegel kann uns unsere Flecken wohl anzeigen, aber was hilft es, wenn wir uns nicht reinigen, sondern immer wieder hingehen und vergessen, wie wir sind? Ebenso ist es mit dem bloßen Hören des Wortes. Doch derjenige, welcher „in das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, nahe hineinschaut und darin bleibt, der wird glückselig sein in seinem Tun“ (Vers 23–25). Das durch Mose gegebene Gesetz war das der Knechtschaft und war an Gottlose gerichtet. Es verhieß dem, der es erfüllte, das Leben, und brachte, weil es niemand erfüllte, allen den Tod. Dieses Gesetz aber, wovon hier die Rede ist, ist vollkommen, vollkommen in seiner Quelle, in seinem Wesen und in seinen Forderungen. Spricht es auch mit dem Gesetz vom Sinai oft dieselben Gebote aus, denn der Charakter Gottes kann sich nie verleugnen, so ist doch unsere Stellung zu demselben eine ganz andere. Es wendet sich an Lebende und ist in völliger Übereinstimmung mit der neuen Natur, dem Leben aus Gott. Es wirkt weder den Tod, noch gebietet es Knechtschaft, sondern als das Gesetz der Freiheit wendet es sich an solche, die von der Knechtschaft der Sünde und dem verdammenden Gesetz völlig befreit sind. Dies Gesetz ist mit einem Wort der vollkommne Ausdruck des Lebens, welches wir in Christus Jesus besitzen. Und wer in diesem Gesetz lebt, wird in Wahrheit glückselig sein. Wie eitel aber ist hingegen der vorgebliche Gottesdienst dessen, der seiner Zunge freien Lauf lässt, und, indem er als vergesslicher Hörer in seinem Zustand beharrt, sein Herz verführt (Vers 26). Und ach, wie ist in unseren Tagen dieser traurige Selbstbetrug in der Christenheit so allgemein geworden!
In dem letzten Vers dieses Kapitels sagt nun der Apostel, worin „der reine und unbefleckte Gottesdienst vor Gott und dem Vater“ besteht, nämlich „Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten“. Die wahre Quelle, woraus dieser Dienst entspringt, ist die erbarmende Liebe und die Heiligkeit, die völlige Absonderung von der Welt und ihrem Wesen. Unser Dienst muss, wenn er Gott gefallen soll, seinem eigenen Wesen völlig entsprechen. Gott ist die Liebe, und Er ist ein heiliger Gott. Er ist auch der Vater der Witwen und Waisen und nur in Übereinstimmung mit diesem Charakter und dieser Gesinnung ist unser Dienst rein und unbefleckt und hat das Wohlgefallen Gottes.
(Fortsetzung folgt.)
Fußnoten
- 1 In der alten, nicht überarbeiteten Elberfelder Übersetzung steht hier ebenfalls das Wort „Versuchungen“.
- 2 In der alten, nicht überarbeiteten Elberfelder Übersetzung steht hier das Wort „Lust“.
- 3 In der alten, nicht überarbeiteten Elberfelder Übersetzung steht hier wieder das Wort „Versuchungen“.
- 4 oder Lust (so auch weiter)
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