Botschafter des Heils in Christo 1858
Die Gnade Gottes
Es gibt vielleicht keinen Abschnitt in der heiligen Schrift, worin die Gnade anziehender dargestellt wäre, als in dem 15. Kapitel des Lukas. Hier wird auf die schlagendste und einfachste Weise die Freude Gottes über die Errettung des Sünders ans Licht gestellt. Ach! wie träge ist das menschliche Herz, diese lieblichen Darstellungen des Charakters und der Handlungen Gottes aufzunehmen und sie zu genießen! Wohl sind die Menschen bereit, zuzugeben, dass Gott heilig ist, und dass Er den Menschen wegen der Sünde richten wird. Ebenso geben sie sich der Einbildung hin, dass die Gerechtigkeit Gottes die moralischen Verdienste des Menschen belohnend anerkennen werde, und denken in ihrem Stolz, dass sie Ihm auf diesem Grund begegnen könnten. Wenn aber Gott in dem Evangelium die Menschen als Sünder bezeichnet, als solche Sünder, die auch nicht das Geringste haben, was sie vor Ihm empfehlen könnte – und wenn Er ihnen die Vergebung der Sünden und seine Willigkeit, den Sünder auf dem Grund der freien Gnade zu empfangen, verkündigen lässt, dann fängt der Mensch an, Einwendungen zu machen. Er wirft vor, dass auf diese Weise, moralische, ehrbare Leute mit „Zöllnern und Sündern“ in eine Klasse gebracht würden. Und warum? Weil er von seiner eingebildeten Gerechtigkeit nicht lassen kann, und weil Gott, indem Er die Menschen als Sünder behandelt, und sie nur auf dem Grundsatz der Gnade empfängt, alle die Unterscheidungen, welche das stolze Herz des Menschen zwischen dem einen und dem anderen macht, hinweg nimmt. Das Wort Gottes stellt den ehrbaren und selbstgerechten Menschen, der liebreich, angenehm und gütig in den Augen der Welt ist, der nie irgendjemand Unrecht getan, und, gleich dem Kain, Gott seine Ehrerbietung bewiesen und Ihm einen Teil seiner Gabe dargebracht hat, ja, einen solchen stellt es mit dem elendesten Sünder auf ein und denselben Grund. Vor den Augen Gottes ist, wie wir Römer 3,22 lesen: „kein Unterschied; denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes.“ Deshalb „murrten“ die Pharisäer und Schriftgelehrten (gleich den Selbstgerechten und Gesetzlichen unserer Tage) wider den gesegneten Jesus: „dieser,“ sagten sie, „nimmt die Sünder auf und isst mit ihnen.“ Und gerade dies beweist, dass Gott alle die moralischen Unterscheidungen, welche der Mensch macht, völlig bei Seite setzt, weil sie auf einem falschen Grund beruhen. Sie übersehen die unendliche Heiligkeit Gottes und den vollkommenen Hass der Sünde vor seinen Augen. Gott kann dem Menschen nur als Sünder begegnen. Wenn irgendwie der Mensch sich anmaßt, gerecht zu sein, so stellt er sich dadurch selbst außer den Bereich der Einladung des Evangeliums; denn „Christus ist nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder zur Buße.“
Das 15. Kapitel des Lukas enthüllt diese Gnade in ihrer ganzen Lieblichkeit vor unseren Augen. Die drei Gleichnisse, welche dasselbe enthält, lehren uns diese gesegnete Wahrheit, dass es die Freude Gottes ist, den Sünder zu suchen und aufzunehmen. Ohne Zweifel ist es eine Freude für den Sünder, aufgenommen zu werden; aber das, worüber wir hier belehrt werden, ist die noch größere Freude Gottes, ihn aufzunehmen. O, welch eine glückliche und wunderbare Wahrheit! – Der Himmel erfreut sich über den zurückkehrenden Sünder.
Das erste Gleichnis ist das des Hirten, welcher dem verlorenen Schaf nachgeht, bis er es findet. „Und wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Schultern, und trägt es heim mit Freuden.“ Er unterzieht sich all der Mühen und Beschwerden des Suchens, weil er es für so wert hält. Dies ist der Weg Christi, des guten Hirten, welcher sein Leben lässt für die Schafe. Er kam, „zu suchen und zu erretten, was verloren war.“
Das zweite Gleichnis zeigt uns die Bemühung der göttlichen Liebe, um das Verlorene wieder zu erlangen. Alles ist geschehen, um die Drachme zu finden: die Lampe ist angezündet, das Haus ist gekehrt, es ist fleißig gesucht worden, bis der Schatz gefunden war; und wenn er gefunden ist, so ist große Freude im Haus, und selbst wurden andere hinzugerufen, um daran Teil zu nehmen: – „Freut euch mit mir; denn ich habe die Drachme gefunden, welche ich verloren hatte.“ –
In dem dritten Gleichnis finden wir, dass die Gnade Gottes in der Aufnahme der Sünder auf eine speziellere Weise offenbart ist. Der Herr Jesus stellt uns hier einen Menschen vor, der dem Haus seines Vaters den Rücken gekehrt hat, und welcher vorzieht, seinen eigenen Willen zu tun, bis er in das tiefste Verderben und in den traurigsten Zustand herabgesunken ist. Der Herr wählt einen Fall, worin sogar nach menschlichem Urteil das Böse völlig enthüllt und offenbar ist, damit Er die überschwängliche Gnade umso klarer an den Tag legen kann. –
Lasst uns hier bemerken, dass der Lauf der Gottlosigkeit gerade die Folge der ersten Handlung der Unabhängigkeit war. Der Verschwender wendet seinem Vater den Rücken und erwählt, seinen eignen Willen zu tun. Dies war seine große Sünde, und alle anderen flössen daraus hervor. Fragen wir in dieser Beziehung uns selbst, ob wir nicht, ehe die Gnade Gottes uns ergriffen hatte, gleich schuldig gewesen sind? Ob wir nicht, sei es im Offenbaren, sei es im Geheimen, Gott unseren Rücken gekehrt hatten? Ob wir nicht vorzogen, unseren eigenen Willen zu tun, und unsere Gelüste mehr als das Wohlgefallen Gottes zu suchen? Gewiss, im Grundsatz sind wir alle Verschwender gewesen; wir haben unsere eigenen Wege geliebt; haben unabhängig von Gott gehandelt, und waren also ebenso schuldig, wenn auch äußerlich nicht so unrein, wie jener.
Der Verschwender war der Verlorenen einer, weit entfernt von dem Haus seines Vaters, – mag seine Laufbahn eine öffentlich gerichtete und verworfene gewesen sein, oder nicht. Er war ebenso gewiss ein Sünder, wenn er auf der Türschwelle seines Vaters einherging, als wenn er in fernem Land die Schweine hütete. Er hatte erwählt, sich selbst zu gefallen, und unabhängig zu handeln, und dies ist das Wesen der Sünde. Aber, was war sein Lauf und wie endete er? Er suchte sein Glück in dem Trachten nach den Vergnügungen dieser Welt. Was er sich in seinem Herzen vorsetzte, und wovon er dachte, dass es zu seinem Genüsse beitragen könnte, das tat er. Sich in der Freude zu sättigen, war der große Gegenstand seines Herzens. Gelang ihm dieses? Ach, in diesem eitlen Trachten verschwendete er alles, was er hatte, und dann trat die „Hungersnot“ ein – und so geht es gewöhnlich. Der Mensch gibt sich dem eitlen Wahn hin, seine Befriedigung in dem zu finden, was diese Welt darbietet. Er ersinnt Vergnügungen; vorher denkt er darüber nach, und nachher verweilt er bei denselben; er vollbringt in der Hoffnung für morgen die Leere des heutigen Tages. Und nach diesem allem – er kann sich nicht glücklich machen. Am Ende findet er sich immer wieder getäuscht. Früher oder später hören die Ergötzungen auf, und dann tritt das Gefühl des „Mangels“ ein – ein Mangel, den jeder Weltling fühlt – ein Mangel, welcher durch nichts Irdisches befriedigt werden kann. In dem fernen Land ist kein Balsam für ein schuldbeladenes Gewissen – kein Trost für die Schmerzen eines gebrochenen Herzens.
In seinem elenden Zustand sucht der Verschwender Erleichterung bei einem Bürger jenes Landes; und dieser schickte ihn auf seine Äcker, um „die Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch von den Träbern zu füllen, welche die Schweine fraßen; und niemand gab ihm“ (V 16). Das ist der elende Zustand der Sklaven Satans; das ist das Ende der Freuden dieser armen Erde. Die Einbildungen der verheißenen Glückseligkeit sind dahin. Die Quellen sind erschöpft; im Innern sind die Vorwürfe eines nagenden Gewissens, und in der Welt ist kein Trost mehr zu finden. Ach, das Teil des Weltlings ist höchst bejammernswert und traurig!
In dieser äußersten Not kam der Verschwender „zu sich selbst.“ Der Gedanke an des Vaters Haus tauchte mit einem Schimmer von Hoffnung in seiner Seele auf. Er sagt: „Wie viel Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot; ich aber komme hier vor Hunger um“ (V 17). Also gedrängt durch seine große Not, und ermutigt durch die Gedanken an die Gnade seines beleidigten Vaters (obgleich seine Gedanken über dessen Herz höchst unwürdig waren) sagt er: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater! ich habe gesündigt wider den Himmel und vor dir; ich bin nicht würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner“ (V 18–19).
Dies war der Wendepunkt in seiner Geschichte. Er war von seiner Sünde überzeugt – tief überzeugt, und sein Herz war bereit, sie zu bekennen. Er war überzeugt, dass er sich selbst zu Grunde gerichtet hatte; aber er hatte auch Mut zu hoffen, dass er von dem, gegen welchen er gesündigt hatte, Vergebung erlangen würde. Ist dies auch deine Erfahrung, mein lieber Leser? Bist du auch auf diese Weise zu dir selbst gekommen? Ist es dir offenbar geworden, dass du selbst dich zu Grunde gerichtet und von Gott entfernt hast und dass nur in Gott Hilfe für dich ist? Bist du auf diese Weise unter dem Gefühl der Sünde niedergebeugt gewesen? Hast du je zu dir gesagt (es sind schreckliche Worte): „Ich bin Verloren!“ „Meine Ungerechtigkeiten haben mich und meinen Gott von einander geschieden“? (Jes 59,2) Wenn diese Überzeugungen durch den Heiligen Geist in deiner Seele gewirkt worden sind, dann lass diese göttlich mitgeteilte Ermutigung auch dich zur Umkehr bewegen. Gott selbst lädt dich ein.
Doch kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Der Verschwender richtet seine Schritte zu dem Haus seines Vaters. Erlangt er schon Frieden, während er noch auf dem Weg ist? Nein; je weiter Er voran geht, desto mehr wächst das Gefühl der Unwürdigkeit in seiner Seele. Sein Herz schlägt; seine Lumpen werden offenbarer – seine Schlechtigkeit drückender. Wohl möchte er sagen: „Ich bin gewiss, er ist der gütigste der Väter; aber, wird er – kann er einen solchen, wie ich bin, aufnehmen?“ So ist es mit dem Sünder, wenn er durch den Heiligen Geist von seiner Schuld überführt ist. Anstatt dass das Gewissen abgestumpft wird, wird es vielmehr tätig. Das Gefühl der Sünde, wenn der Sünder sich in der Gegenwart Gottes beschaut, beugt ihn tief darnieder. „Wie kann ich dem Herrn nahen, dessen Augen zu rein sind, als dass Er Ungerechtigkeit anschauen könnte? O, ich elender Mensch, der ich bin.“ Wenn aber das Werk des Geistes fortgesetzt wird, dann wird in der Tat das Evangelium eine Botschaft großer Freude – dann wird die Lieblichkeit Jesu, als Heiland, empfunden. Der gnadenreiche Charakter Gottes entfaltet sich; die Lieblichkeit des Gedankens, dass Gott ein Vater ist, wird gefühlt. – So geht der Verschwender voran, obgleich er noch in seinen Lumpen ist. Was wird sein Empfang sein? Ach! welch ein tief ergreifendes Bild von der Gnade Gottes wird in dieser Erzählung uns vorgestellt. Süßere Klänge dringen nie in das Ohr eines zurückkehrenden Sünders, wie wir hier in dem 20. Vers unseres Kapitels finden: „Als er aber noch von ferne war, sah ihn sein Vater, und ward innerlich bewegt, und lief hin und fiel ihm um den Hals und küsste ihn viel.“ – Glaubst du, mein geliebter Leser, in deinem Herzen, dass dies eine wahre Darstellung der Gnade Gottes zu verlorene Sünder ist? Gewiss, wenn du es tust, so muss sich dein Herz in Liebe gegen Ihn öffnen. Gott sei Dank! Wir haben hier das getreue Bild der überschwänglichen Gnade Gottes – ein Bild, gezeichnet durch die Hand des Herrn Jesus selbst. Ja, die Gedanken der Menschen würden nie gewagt haben, an eine solche Gnade zu denken. Der Verschwender war, als der Vater an seinem Hals hing, noch in dieselben Lumpen gehüllt, welche ihn auch im fernen Land bedeckt hatten. Sein Empfang war von dem abhängig, was der Vater, und nicht von dem, was er war. Ebenso hängt die Aufnahme des Sünders nicht von dem ab, was der Sünder, sondern was Gott ist. Ach, mit welch einem Gott haben wir es zu tun! Möge doch der Geist einem jeden von uns, einen tieferen und bleibenderen Eindruck von dieser Liebe Gottes geben, die allein fähig ist, uns in unseren Lumpen zu umarmen! Doch nur der Heilige Geist kann uns eine wahre Überzeugung von dem geben, was wir sind; nur Er kann uns diese Erkenntnis Gottes mitteilen, welche Friede, Freude und ewiges Leben ist.
Der Verschwender, als er noch unterwegs war, hatte keine Idee von dem Reichtum der Gnade seines Vaters; sein höchster Gedanke erfasste nicht den geringsten Grad derselben. „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner,“ war seine beabsichtigte Bitte. Er kannte den Vater nicht, und er wusste nicht, was Gnade ist. Er tröstete sich damit, dass er nicht würde verworfen werden; doch seine Gedanken waren mehr Gedanken des Gesetzes, – etwas zu geben und etwas wieder zu empfangen.
In der Umarmung seines Vaters ließ er seinem Bekenntnis freien Lauf; aber die letzten Worte: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner,“ konnte er nicht über seine Lippen bringen. Nein; denn des Vaters Küsse erstickten diesen Gedanken. Er konnte die Liebe, welche ihn als Kind umarmt hatte, nicht durch solche Worte beleidigen, noch konnte er durch solch eine unkindliche Bitte das Herz des Vaters kränken, welcher, auf seine Buße und auf das Vertrauen an seine Gnade die ganze Vergangenheit für immer ausgetilgt hatte. Er konnte, nachdem er die Küsse empfangen und als Kind aufgenommen worden war, nicht mehr daran denken, zum Tagelöhner gemacht zu werden.
Der Verschwender würde zufrieden gewesen sein, als Knecht aufgenommen zu werden; allein das Herz des Vaters konnte sich nicht damit befriedigen. – „O Gott, – gepriesen sei dein Name! – du bist die Liebe! Dein Herz kann nicht befriedigt werden durch die schuldigen Dienstleistungen eines Knechtes. Dein Haus muss durch den Freudenruf: Abba, Vater! erfüllt werden.“
Es gibt aber noch andere Züge in dieser lieblichen Szene. Gott wollte, dass der bußfertige und gläubige Sünder in seinem Haus mit der ganzen Freiheit und dem völligen Vertrauen eines Kindes wohne; Er wollte, dass er bekleidet sei mit Kleidern, die sich für einen aufgenommenen Sohn geziemen. – Er hat für eine dauernde Segnung Sorge getragen. Deshalb mussten die Lumpen, in welchen der Verlorene empfangen war, ausgezogen werden – es sollte nicht die geringste Spur der Sünde zurückbleiben, und dieser Wechsel der Kleider musste vorher in Ordnung gebracht werden. Aber konnte der Verschwender dies selbst in Ordnung bringen? Gewiss nicht; und deshalb fordert ihn auch der Vater nicht auf, hinzugehen und sich Kleider zu suchen, welche der Stellung, worin er sich erfreuen sollte, gemäß seien. Ach! und dennoch sind ihrer so viele, welche dies zu tun versuchen, und sich solange vergeblich abmühen. In ihrem Stolz bestreben sie sich, sich selbst für den Himmel fähig zu machen, indem sie suchen, sich einen Reichtum von ihrem Eigenen zu gründen – ein Reichtum, der durch sie selbst oder in ihnen hervorgebracht ist – anstatt in ihrer wahren Leere zu kommen und sich mit dem Reichtum Gottes füllen zu lassen – mit einem Reichtum, welcher ganz und gar außer ihnen ist, und welcher allen zugerechnet wird, die da glauben. „Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringt das vornehmste Kleid her und zieht es ihm an, und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße“ (V 22). So hat Gott für den Sünder ein Kleid der Gerechtigkeit bereit liegen, in welchem derselbe in seiner Gegenwart stehen kann. Lasst uns an dieses kostbare Kleid denken. Es ist die freie Gnade Gottes durch den Tod Christi. Der Mensch ist mit Sünde bedeckt und kann als solcher nicht im Haus des Vaters wohnen; denn Gott ist sowohl heilig als auch gütig. – Wie wird nun aber die Sünde hinweggetan? Kann der Sünder sich selbst reinigen? Kann der Äthiopier sich weiß waschen? Nimmer mehr. Die Sünde ist eine tiefere und schrecklichere Sache, als der Mensch sich vorstellt. Alle Mittel des Menschen, sie hinweg zu schaffen, sind ganz und gar eitel und nichtig. Die Sünde ist in den Augen Gottes überall hässlich, und nach seinem unabänderlichen Richterspruch endet sie im Tod.
So ist denn dein Teil, mein lieber Leser, als Sünder ein ewiger Tod.– Müssen wir denn ewiglich sterben? Furchtbar schrecklicher Gedanke! Gott wolle es verhüten! – Ja, Er will es; Er, sowohl vollkommen in Liebe als auch in Heiligkeit, hat einen Ausweg für uns bereitet. Die Liebe hat gesiegt. Der ewige Sohn Gottes hat den hoffnungslosen Zustand des Menschen auf sich genommen. Er wurde Mensch; Er nahm unsere Sünde auf sich und am Kreuz trug Er, als Stellvertreter des Sünders, die schreckliche Strafe des Gerichts Gottes, welches die Sünde verurteilte. Er starb, „der Gerechte für die Ungerechten.“ Denn Er hat „den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in Ihm die Gerechtigkeit Gottes würden“ (2. Kor 5,21). Gottes Gesetz ist also verherrlicht, seine Heiligkeit offenbart, und seine Gerechtigkeit befriedigt worden. Zur vollkommenen Freisprechung ist dem Sünder jetzt ein Weg bereitet, und ewiglich bleibt er für die freie und völlige Errettung ein Schuldner Gottes.
Jeder Forderung an den Sünder ist auf diese Weise begegnet – völlig begegnet worden durch Christus; – Gottes Gerechtigkeit ist jetzt, nach den Worten des Paulus „zu allen hin und auf alle, welche glauben.“ Dies ist das Kleid, welches Gott dem Sünder darreicht, welcher – jeden Gedanken an seine eigene Gerechtigkeit, die im besten Falls nur schmutzige Lumpen sind, aufgebend, – mit einem bußfertigen und gläubigen Herzen kommt, um die „Gerechtigkeit Gottes“ zu empfangen.
Möge diese Wahrheit, lieber Leser, einen tiefen Eindruck auf dein Herz machen. Gott wollte, dass seine Kinder in vollkommener Ruhe in seiner Gegenwart wandeln möchten, und zwar in dem Bewusstsein, dass Christus, als ihr Stellvertreter, jede Forderung für sie bezahlt und aus dem Weg geräumt hat. Er wollte nicht, dass sie noch irgend ein Zeichen ihrer früheren Sünde und Schande an sich trügen, sondern wollte ihnen den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade kund tun – einer Gnade, in welcher jede Spur von Sünde, jeder Zug des „fernen Landes“ hinweggetan ist. Und in dieser Quelle, welche Gott für alle Sünde und Unreinigkeit geöffnet hat, gewaschen zu sein, und dennoch sich einzubilden, dass irgend ein Flecken von Sünde zurückgeblieben sei, heißt nichts anders, als das versöhnende Blut Christi, welches Gott zur Tilgung der Sünde verordnet hat, herabzuwürdigen. Das Blut reinigt nicht nur von einigen, sondern von „allen Sünden.“ Deshalb, wenn die, welche glauben, wegen ihrer vergangenen Sünden Unruhe haben, als ob sie ihnen noch zugerechnet würden, schätzen sie das vollkommen beendigte Werk Christi gering und zweifeln an der Wahrhaftigkeit Gottes; es heißt in der Tat sagen: „Ich kann nicht völlig auf das vertrauen, was Gott sagt; ich kann nicht glauben, dass Christus meine Schuld vollkommen hinweggetan hat; der Preis für meine Erlösung ist, fürchte ich, nicht hinreichend.“ Ach, wie träge sind sogar die Christen, zu glauben alle dem, was der Herr geredet hat! Wie schwer wird es dem armen Herzen, die wahren Worte Gottes völlig anzunehmen, weil sie in der Tat so unaussprechlich gütig und gnädig, und unseres Gottes so würdig sind. Der geringste Unglaube aber entehrt Gott, und raubt seinem geliebten Volk viel Freude. Wie glücklich ist im Gegenteil das einfache Kind des Glaubens! Es verwirft seine eigenen Gedanken, und empfängt in seiner Seele, als unumstößliche Wahrheit, die offenbarten Gedanken Gottes. Gott sagt ihm, dass Er völlig zufrieden sei mit dem kostbaren Blut Christi – „dem Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt“ – als eine vollkommene Genugtuung für die Sünde. Und es wird in der Einfalt und im Vertrauen eines gläubigen Herzens ausrufen: „Was Gott mir sagt, muss wahr sein. Christus, mein Bürge, nahm meine Schuld und bezahlte sie. Christus, mein Stellvertreter, nahm meine Sünde und trug deren Fluch; Er litt die Strafe des Todes, welche ich verdient hatte – Er starb an meiner statt. Dies ist Gottes Wort an mich – Gott selbst ist es, der es gesagt hat. Wie darf ich Ihm misstrauen? Was Er sagt, muss wahr sein. Christus hat meine Sünden an seinem eigenen Leib an dem Holz getragen; (1. Pet 2,24) und Er hat sie für immer hinweg getragen.“ Die Frage, zwischen Gott als einem Richter und mir als einem Sünder, ist nun völlig erledigt, – ich habe Frieden. 1
Möge der Herr durch den Geist auch dein Herz öffnen, geliebter Leser, um diese köstliche Wahrheit mit vieler Gewissheit des Glaubens aufzunehmen. Gedenke daran, dass die wunderbare Offenbarung Gottes seiner selbst und seiner Wege die gehorsame Unterwerfung deiner Seele fordert. Und diese Unterwerfung besteht zunächst darin, dass du völlig und zuversichtlich glaubst. Gott kann sich nicht nach deinen unwürdigen, beschränkten und armseligen Gedanken richten. Er handelt nach der Vollkommenheit seiner Liebe, und deshalb bekleidet Er den Sünder der ihm im Glauben naht, mit dem besten Kleid. Er ist nicht mit einem guten Kleid zufrieden, es muss das Beste sein. Dies ist, was Gott tut. Er bekleidet ihn mit Christus, schmückt ihn mit der Annehmlichkeit Christi, welcher Gottes unaussprechliche Wonne ist, und deshalb ist kein Engel im Himmel in seinem Glanz dem gleich, der „im Blut des Lammes gewaschen ist.“ Die Engel sind nicht mit dem Kleid, welches Gott ihm gegeben hat, bekleidet. Es sind Sünder – das gefallene Geschlecht Adams – welches Gott erwählt hat, um sich in ihnen zu verherrlichen. Es ist seine Freude, um „nach den ewigen Ratschlüssen vor den anbetenden und staunenden Heerscharen des Himmels an ihnen den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte in Christus zu erweisen“ (Eph 2,7). Die Sünde des Menschen ist also eine Gelegenheit geworden, die herrlichen Vollkommenheiten Gottes zu enthüllen.
Es gibt aber noch eine andere Seite in dem Gleichnis, worauf wir noch kurz unseren Blick werfen müssen: – die Art und Weise, in welcher die Rückkehr des Verschwenders gefeiert wird. „Es ist Freude vor den Engeln Gottes, über einen Sünder, der Buße tut.“ „Denn dieser, mein Sohn, war tot, und ist wieder lebendig geworden, und war verloren, und ist gefunden“ (V 24). Lasst uns hier bemerken, dass zwei verschiedene Ausdrücke gebraucht sind, um die Stellung des Sünders bei seiner Aufnahme zu beschreiben. Er war einer, der „in den Vergehungen und Sünden tot war,“ aber Christus hat ihn lebendig gemacht und „mit auferweckt“. – Und es wird auch von ihm gesprochen, als von einem, der „verloren“ war, – aber Christus hat ihn gefunden und heim gebracht, – und mit welch einem Willkommen wurde seine Rückkehr im Haus des Vaters gefeiert! Nichts fehlte, um das Herz des Sohnes vollkommen glücklich zu machen. Alles trug dazu bei; denn wenn das Herz des Sohnes nicht glücklich war, so konnte auch die Freude des Vaters nicht vollkommen sein. Die Befriedigung der Liebe ist die Quelle der reichsten Freude in dem Herzen des Vaters; – dann aber auch erfüllte diese Freudenbotschaft das ganze Haus. Also ist die Rückkehr des Sünders zu Gott hier als eine Gelegenheit zu einem festlichen Tag dargestellt. Die lieblichsten Bilder sind gebraucht, um die Freude dieser Szene an den Tag zu legen. Das gemästete Kalb ist geschlachtet – das Gastmahl bereitet – die Musik und der Reigen wurden sogar außerhalb der Mauern gehört – Alles ist fröhlich und mit Freude erfüllt; denn der, welcher „tot war, ist wieder lebendig geworden,“ und der, welcher „verloren, ist gefunden“ (V 24.).
Gibt es wohl, mein geliebter Leser, eine augenscheinlichere Darstellung von der Gnade Gottes, dessen Liebe sich in der Aufnahme des Kindes verherrlichen will, mag dessen Zustand auch noch so schlecht sein? Welch ein Trost ist dies für den elendsten Sünder auf der Erde? Mag auch kein Mensch an ihn denken und für ihn Sorge tragen; mag auch alles um ihn her gegen ihn sein und mag ein schuldbeladenes Gewissen ihn verurteilen, – das Evangelium Christi lädt ihn ein, zu Gott zurückzukehren, zu dem Gott, gegen welchen er gesündigt hat. Dies Evangelium erzählt ihm, dass viel Vergebung bei Gott ist, und dass er in der Glückseligkeit der alles vergebenden Liebe Gottes für sein armes Herz Ruhe finden kann.
Erlaube mir nun diese Frage, mein lieber Leser: Hast du dich selbst und hast du Gott also kennen gelernt? Bist du aufgewacht, um zu sehen, dass du von Natur in einem „fernen Land“ bist – ausgeschlossen von dem Haus des Vaters und umkommend vor Hunger? Hast du mit dem verlorenen Sohn die Überzeugung erlangt, dass, wenn du in deinem jetzigem Zustand bleibst, du unrettbar verloren bist? Hast du dein Herz vor dem Herrn ausgeschüttet, und in der Angst deiner Seele ausgerufen: „Was muss ich tun, dass ich errettet werde?“ Hast du mit einem gläubigen Ohr auf die Antwort Gottes gelauscht: „Glaube an den Herrn Jesus Christus, und du wirst errettet werden.“ Und hast du dann durch Glauben die Vergebung deiner Sünden empfangen und deinen Nacken gebeugt, um das Kleid der Gerechtigkeit, welches dich für immer in der Gegenwart Gottes sicher stellt, entgegen zu nehmen? O, geliebter Leser, wenn du diese Erfahrung nicht in deiner Seele gemacht hast, so – was auch deine Gedanken über dich selbst sein mögen und welch eitlen Hoffnungen du dich auch hingeben magst – kennst du weder dich selbst noch Gott. Du bist noch in Finsternis und unter dem Fluch der Sünde; und wenn du in diesem unbußfertigen, ungläubigen und nicht versöhnten Zustand stirbst, so erklärt dir Gottes Wort, dass du nie in das Haus des Vaters eintreten wirst. Die Tür wird verschlossen sein und du wirst draußen stehen bleiben müssen – verloren – ach! verloren für immer!
Gott wolle verhüten, dass dies dein Los sei. O, möchte doch diese kleine Schrift durch die Macht des Heiligen Geistes eine Weckstimme für dein Herz sein, möchte sie sich als Warnung und als Ermunterung in dir wirksam erweisen. Ja, ich bitte dich, verachte sie nicht, und schlage diese so ernste Sache nicht gering an. Verschiebe deine Umkehr nicht auf eine „gelegenere Zeit.“ Diese Zeit möchte nie kommen. „Siehe, jetzt ist die wohl angenehme Zeit – jetzt ist der Tag des Heils!“
Fußnoten
- 1 Es gibt ohne Zweifel Personen, deren Umkehr zu Gott deutlich wahrzunehmen ist, und welche dennoch nicht diesen bleibenden Frieden haben. Sie glauben an den Herrn Jesus Christus – Er ist ihr alleiniger Grund der Zuversicht vor Gott; aber sie glauben nicht – und vielleicht sind sie auch nicht darin unterwiesen worden – das ganze göttliche Zeugnis über Ihn. Sie haben sehr unvollkommene und oft unwürdige Vorstellungen von der Größe und der Herrlichkeit dieses Heilands, an welchen sie glauben. Die Seele aber, welche sich der Belehrung des Heiligen Geistes anvertraut, wird in die Erkenntnis der völligen und vollkommenen Errettung, welche in Christus Jesus ist, geleitet werden und deshalb einen sicheren, bleibenden und ununterbrochenen Frieden haben. Denn unter der göttlichen Belehrung wird der Sünder nicht nur dahin gebracht, seinen verdorbenen Zustand zu sehen und zu fühlen, und in dem Opfer Christi eine Genugtuung zu erblicken, sondern er wird auch weiter geführt, um zu verstehen, dass derselbe göttliche Heiland, welcher für seine Sünden gestorben und auferstanden ist, jetzt zur Rechten Gottes sitzt, um für sein erlöstes Volk zu bitten. Aaron bereitete nicht nur ein Sühnopfer für die Kinder Israel, sondern er war auch beauftragt für ihre Reinigung von jeder Art Befleckung – ein schönes und vollkommenes Vorbild unseres großen Hohepriesters – Sorge zu tragen. Das völlige Ergreifen des Priestertums und der Stellvertretung Christi erfüllt die Seele des Gläubigen mit unaussprechlichem Trost. Weiter ist Christus der gute Hirte. Er liebt seine Schafe; denn Er hat sein Leben für sie hingegeben; o gewiss, sie haben alle Ursache, Ihm zu vertrauen. Sie sind unter seine allmächtige und segnende Bewahrung gestellt; Er wird in seiner Fürsorge für sie nimmer fehlen. Seine liebliche Zusage ist: „Sie werden nimmer mehr verloren gehen – niemand soll sie aus meiner Hand reißen.“