Botschafter des Heils in Christo 1858
Die Gesinnung des Herrn Jesus und die Gesinnung des Fleisches
Wenn wir die Gesinnung des Herrn Jesus, als Er in dieser Welt wandelte, und die Gesinnung des natürlichen Menschen oder des Fleisches einander gegenüber stellen, so haben wir immer den völligsten Gegensatz – Liebe und Hass, Licht und Finsternis, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Und gerade hier, wo der Herr inmitten der Welt und unter den Sündern seine göttliche Gesinnung, seinen himmlischen Charakter offenbarte, tritt dieser durch den Gegensatz umso augenscheinlicher und in seiner ganzen Lieblichkeit an das Licht, wie auch auf der anderen Seite gerade in seiner Gegenwart die Gesinnung und das Wesen des natürlichen Menschen oder des Fleisches umso augenscheinlicher und in seiner ganzen Hässlichkeit sich offenbart. Je mehr wir diese Gegensätze im Licht Gottes betrachten und verstehen, desto mehr werden wir fähig sein, Ihn zu verehren und das Fleisch zu verachten; und je mehr wir Ihn im Geist anschauen, desto lieblicher wird Er für unsere Herzen sein, desto tiefer und völliger wird sein Bild sich unseren Seelen einprägen und in uns verwirklicht werden.
Der Herr Jesus kam als Heiland, um Gnade und Errettung anzubieten den verlorenen Sündern, die bisher in allem Verfahren Gottes gegen sie, auf das völligste bewiesen hatten, dass sie nur sündigen konnten, und zu jeder Selbsthilfe ganz und gar unfähig waren; Er kam um Versöhnung anzubieten, den Feinden Gottes, die bisher in allen ihren Wegen nichts als Feindschaft gegen Gott an den Tag gelegt hatten. Aber Er fand hier keine Aufnahme, weder in der Welt, noch in „seinem Eigentum“. Er fand nur Spott, Schmach, Verachtung und Verwerfung. Und dies alles wurde gerade für Ihn eine Gelegenheit, die ganze Fülle seines Wesens, seine Liebe und Gnade, seine Güte und Treue, seine Milde und Langmut in der ganzen Schönheit zu entfalten; ja in seiner Verwerfung und in seinem Tod am Kreuz, worin der Mensch seine vollkommene Verderbtheit und Bosheit offenbarte, gab Er den völligsten Beweis seiner Liebe und Gnade. – Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf das oben angeführt Kapitel, und wir werden bei verschiedenen Umständen und Vorfällen reichlich Gelegenheit haben, die Gesinnung des Herrn Jesus und die des Fleisches sehr klar und deutlich in ihren Gegensätzen ausgeprägt zu sehen.
Die ersten Verse dieses Abschnitts (V 1–6) zeigen uns den Charakter des Fleisches oder des natürlichen Herzens in seiner rohen und zügellosen Gestalt, erfüllt mit Bosheit und Hass gegen Gott und seinen Gesalbten, und in der völligen Unterwürfigkeit und dem Dienst Satans. „Und die Hohepriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie Ihn umbrächten, denn sie fürchteten das Volk“ (V 2). Je mehr das Fleisch sich im Dienst Gottes glaubt, desto mehr offenbart es seine Feindschaft wider Gott. Statt Gnade und Erbarmen – der allein würdige Charakter eines wahren Hohepriesters – finden wir hier Hass und Mordlust. Welch ein schrecklicher Gegensatz! Die Vertreter des Volkes Gottes und die Lehrer der göttlichen Wahrheit haben sich vereinigt, den Jehova, dem sie zu dienen vorgaben, aus dem Weg zu schaffen. Sie sind gleich den Gottlosen, von welchen der Psalmist sagt: „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen;“ – „denn sie fürchteten das Volk.“ Judas, der eine Wohnstätte Satans geworden, war ihnen ein willkommener Mann; weil er ihren gottlosen Plänen entgegen kam. Wir lesen in Vers 3–5: „Aber der Satan fuhr in Judas, mit dem Zunamen, der Iskariot, welcher aus der Zahl der Zwölf war. Und er ging hin und besprach sich mit den Hohepriestern und Hauptleuten, wie er ihnen denselben überliefere. Und sie freuten sich und kamen überein, ihm Geld zu geben.“ Der Heilige Geist macht hier in Betreff des Judas die Bemerkung: „welcher einer aus der Zahl der Zwölf war,“ um die ganze Abscheulichkeit dieser Tat desto klarer ans Licht zu stellen, und um uns desto deutlicher zu zeigen, zu welch einem Gerad von Bosheit und Schlechtigkeit der Mensch oder das Fleisch fähig ist. Es macht sich des schrecklichsten Undanks schuldig; es ist fähig, seine Wohltäter, seine Freunde, ja alles preiszugeben, – ja preiszugeben für etliche elende Silberstücke, wenn dies seinen Wünschen und Zwecken entspricht. „Der mein Brot isst, hat seine Ferse wider mich aufgehoben.“ Welch ein Unterschied zwischen zwei Menschen, wenn es von dem einen heißt: „eine Behausung Satans,“ und von dem anderen: „eine Behausung Gottes!“ (Joh 14,23; 1. Kor 6,19; Eph 2,22; 3,17) Und welch eine unaussprechliche Gnade, welch ein gesegnetes Vorrecht ist es, geliebte Brüder, an der Berufung Gottes Teil zu haben und eine „Wohnung Gottes“ zu sein! Dank und Anbetung unserem Gott, der uns eine solche Gnade in Christus Jesus geschenkt hat; und Preis und Anbetung dem Lamm, das für uns geschlachtet ist!
Die Hohepriester und Schriftgelehrten freuten sich über das Angebot des Judas, was doch nichts anderes war, als ein Angebot und ein Rat Satans. Hier bestätigte sich buchstäblich das Wort des Herrn: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun; jener war ein Menschenmörder von Anfang. „ (Joh 8,44) Und womit belohnten sie diese Tat der Bosheit? – Mit Geld. Dies ist das elende Mittel, welches das Fleisch zu allem fähig macht, weil es ihm sein Gelüst gibt. „Die Geldgier oder Habsucht ist eine Wurzel alles Bösen“ (1. Tim 6,10). Ehre, Ansehen, Bequemlichkeit, Anerkennung, Vergötterung – alle diese Götzen des Fleisches werden durch Geld erkauft und unterhalten. Und wie gefährlich es selbst für die Christen sein kann, weil das Fleisch noch da ist, zeigen uns die vielen ernsten Ermahnungen des Herrn und seiner Apostel. Ich will hier nur diese eine Stelle im Timotheus anführen: „Die aber reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick, und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen in Verderben und Untergang versenken. Denn die Habsucht ist eine Wurzel alles Bösen, welcher etliche nachtrachtend, von dem Glauben abgeirrt sind, und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben“ (1. Tim 6,9–10).
Verlassen wir jetzt diese traurige Szene, wo das Fleisch seine ganze Bosheit und Schlechtigkeit entwickelt, und kehren wir da im Geist ein, wo wir den Herrn Jesus in der Mitte seiner Jünger finden. Hier sehen wir den vollkommenen Lehrer des Wortes Gottes, den wahrhaftigen Vertreter und Hohepriester seines Volkes. In Ihm findet sich nur Gnade, Liebe und Erbarmen, in Ihm wahre Furcht Gottes; denn es ist seine Speise und seine Lust, nicht seinen eigenen Willen, sondern den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte.
Das Passah war bereitet und er legte sich zu Tisch und die zwölf Apostel mit Ihm. „Und er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dies Passah mit euch zu essen, ehe dass ich leide“ (V 15). In dieser Sehnsucht drückt Er die tiefste und hingebendste Liebe für die Seinen aus – eine Liebe, die sich selbst ganz und gar vergisst und nur für andere besorgt und bemüht ist. Anstatt sich mit seinen bevorstehenden schrecklichen Leiden, deren ganzes Gewicht Er kannte, zu beschäftigen, ist sein Herz voll Sehnsucht, um zuerst noch mit seinen Jüngern dies Passah zu essen. Bei diesem Mahl offenbarte Er ihnen den Wert und die Kraft seiner Hingabe in den Tod. Für sie gab es jetzt ein anderes Passah–Lamm. Er selbst war es; sein eigener Leib wurde für sie gebrochen; sein eigenes Blut für sie vergossen. Dieser Leib und dieses Blut war von jetzt an wahre Speise und wahrer Trank für sie. In diesem allein ist für den Sünder – Versöhnung, Errettung und Leben. O welch einen Gegensatz sehen wir hier zwischen Ihm und dem Sünder, zwischen seiner Gesinnung und der des Fleisches. Der Sünder ist beschäftigt, Ihn zu töten, während Er bereit ist, freiwillig für den Sünder zu sterben, und sein Blut für ihn zu vergießen, damit er ewig lebe. Mag das Fleisch auch seine ganze Bosheit und Schlechtigkeit in seiner Verwerfung an den Tag legen, mag auch einer seiner Jünger, der drei Jahre lang seine Güte genossen und ein Zeuge seiner himmlischen Gesinnung gewesen war, Ihn für einige elende Geldstücke verraten – nichts kann den Strom seiner Liebe aufhalten und schwächen, nichts Ihn verhindern, für die Sünder sein Leben zu lassen. Und wir dürfen gewiss sein, geliebte Brüder, dass seine Liebe jetzt gegen die Seinen ebenso stark und so völlig ist. Sie ist unter den schwierigsten Umständen erprobt worden und hat sich bewährt erfunden; und es wäre höchst beschämend für uns, und sehr verwerflich, wenn wir jetzt noch nach solchen bestimmten und unzweideutigen Beweisen irgend welchen Zweifel in seine vollkommene Liebe gegen die Seinen setzen wollten. Diese Liebe ändert sich nie und nichts kann sie schwächen.
Während wir nun hier die aufopfernde Liebe des Herrn, „der sich selbst zu nichts machte,“ zu bewundern Gelegenheit haben, muss uns das Benehmen der Jünger, wie es uns in dem 24. Vers entgegentritt, umso mehr befremden. Wir lesen: „Es ward aber auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen für den größten zu halten sei.“ Ist es möglich, in einer solchen Stunde und unter solchen Umständen sich mit seiner Größe zu beschäftigen und an sein elendes Ich zu denken? Ist es möglich, in der Gegenwart des Herrn, der in freier Liebe seine Herrlichkeit verließ, und um unsertwillen der „Allerverachteste und Unwerteste“ wurde, und sich „selbst zu nichts machte,“ sich um seinen fleischlichen Vorzug zu streiten? Und es waren sogar seine eigenen Jünger, die dies taten! – Nie verleugnet das Fleisch seine Natur – mag es in den Kindern der Welt oder in den Jüngern des Herrn wirksam sein und sich offenbaren. Es ist zu allem fähig, nur nicht gesinnt zu sein, wie Jesus Christus es war. Die Jünger beschäftigen sich mit ihrer Größe und mit ihrem fleischlichen Vorzüge, während Jesus, dem allein der höchste Platz und alle Ehre gebührte, unter ihnen die Stelle eines Dieners eingenommen hatte. „Ich aber bin in eurer Mitte als der Dienende“ (V 27). sich selbst erheben oder etwas sein wollen, ist das Grundübel des Fleisches. Dies war es auch, was den Menschen zuerst zum Fall brachte; denn er wollte sein wie Gott. Und werfen wir einen Blick auf die traurige Geschichte des Menschen in dieser Welt, so begegnen wir überall diesem Hauptcharakterzüge des Fleisches – dieser elenden Selbsterhebung; und gehen wir weiter bis zum Vorabend der Gerichte Gottes über diese Welt, so sehen wir in dem Antichristen, dem Menschen der Sünde, das Fleisch auf dem Gipfel des Hochmuts, – in seiner vollendeten Selbstvergötterung. Doch „Gott widersteht den Hochmütigen.“ Nichts ist, was so sehr der Gesinnung Christi entgegensteht, als Selbsterhebung; und deshalb ist auch nichts, was den Jüngern Christi, die berufen sind, in seinen Fußstapfen zu wandeln, weniger geziemt, als aus sich selbst etwas zu machen oder sich zu erheben. Deshalb, meine Brüder, lasst uns nüchtern und wachsam sein, damit wir der Gesinnung des Fleisches in dieser Beziehung keinen Raum geben; und diese Wachsamkeit und Nüchternheit tut umso mehr Not, da die Erhebung unserer selbst in so mannigfaltigen Formen sich kund geben kann, und sich oft in den feinsten Schätzungen in den verborgensten Winkeln unseres Herzens verbirgt. Und immer bleibt es wahr: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt Er Gnade.“ Deshalb lasst uns die ernste Ermahnung des Apostels beherzigen: „Seid stets mit Demut bekleidet;“ denn diese Gesinnung allein geziemt den Jüngern des vollkommen demütigen Meisters.
Doch wie benimmt sich hier der Herr gegen seine Jünger, deren Rangstreit so deutlich zeigte, wie wenig sie seine Gesinnung kannten und wie wenig sie den Zweck seiner Sendung verstanden? Seine Liebe gegen sie bleibt ungeschwächt; selbst die Torheit in ihnen kann sie nicht verringern. Er liebt sie zu jeder Zeit mit vollkommener Liebe. Es ist aber leider wahr, dass die Seinen sehr oft die Größe seiner Liebe, nach ihren Gefühlen, nach ihrer Würdigkeit oder Unwürdigkeit abmessen. – Wir sehen hier, wie Er seine Jünger zuerst in aller Sanftmut über die wahre Gesinnung eines Jüngers, im Gegensatz zu der Gesinnung der Welt, unterrichtet; (V 25–27) und wie Er ihnen dann zeigt, worin eigentlich die wahre Größe und der wahre Vorzug seiner Jünger bestehe, indem Er ihren Blick auf die Zukunft richtet. In dieser Welt ist für die Seinen nichts zu erwarten. Er sagt: „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben; und ich verordne euch ein Reich, gleich wie es mir mein Vater verordnet hat, damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich, und auf Thronen sitzt, richtend die zwölf Stämme Israels“ (V 23–30).
Der Herr fand hier nichts als Versuchungen. Und dies ist auch das Teil seiner Jünger hienieden, die in seiner Gesinnung und in seinen Fußstapfen wandeln. In der Nachfolge Christi hat das Fleisch alle seine Ansprüche verloren; da heißt es immer: „Wer zu mir kommt und hasst nicht sein eigenes Leben, kann nicht mein Jünger sein.“ In dieser Welt aber findet das Fleisch seine Anerkennung und seine Rechte; doch der Herr ist ausgeschlossen und die Seinen mit Ihm. Für diese aber bleibt es, selbst inmitten der mannigfachen Versuchungen, inmitten der Schmach auf dieser armen Erde, stets ein unermessliches Glück, ja ein Glück, wogegen alle Freuden dieser Welt nichts sind, dass sie auf der Seite ihres geliebten Herrn stehen, und mit Ihm vereinigt sind. „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben.“ So schwach und unvollkommen seine Jünger auch waren, so wenig sie auch noch seine himmlische Gesinnung verstanden, und in ihrem eigenen Leben verwirklichten, so hatten sie doch mit Ihm ausgeharrt, als Er unter Schmach, Verachtung und Verwerfung von Seiten der Sünder durch diese elende Welt ging. Und es ist jetzt bei seinem Scheiden aus dieser Welt und bei seinem Eintritt in die Herrlichkeit des Vaters seine Freude, ihnen bezeugen zu können: „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben.“ Hier strahlt uns seine Liebe in ihrem wahren und lieblichen Charakter entgegen; sie denkt nicht an sich, „sie sucht nicht das ihre.“ Er selbst war es, der seine Jünger auserwählte, der sie auf dem ganzen Weg mit treuer Liebe und Sorgfalt leitete, der sie in ihrer Unwissenheit und in ihren Schwachheiten mit großer Langmut trug, der sie in den mannigfachen Versuchungen bewahrte und sie zum Ausharren bis ans Ende stark machte; – aber hier sagt Er kein Wort davon; Er spricht nur von ihrem Ausharren mit Ihm in seinen Versuchungen. Sein Tod am Kreuz, sein vergossenes Blut, ja sein ganzes, vom Vater überkommenes und jetzt vollendetes Werk ist das einzige Mittel, um den Sünder, der ferne ist, in die Nähe Gottes zu bringen – das einzige Mittel, den Strom der Gnade und den Eingang zur Herrlichkeit zu öffnen – und das einzige Mittel, uns in dieser Wüste zu bewahren und unseren Gang gewiss zu machen; – aber hier spricht Er nichts davon, als wenn das, was Er getan, nur etwas Geringes sei gegen das Ausharren seiner unvollkommenen und schwachen Jünger. „Ihr aber seid es, die in meinen Versuchungen mit mir ausgeharrt haben.“ Dies war sein Zeugnis über sie; und jetzt kann Er auch von der Belohnung dieses Ausharrens mit ihnen reden. Und worin bestand diese? War ihre Schwachheit und ihre Unvollkommenheit das Maß dieser Belohnung? O nein! Er gab nach seiner Liebe; und deshalb konnte Er ihnen nichts Geringeres geben, als was Er selbst für sein Ausharren in den Versuchungen und in dem vollkommenen Gehorsam empfangen hatte; seine Liebe war nur dann zufrieden gestellt, wenn sie Ihm in der Herrlichkeit gleichgestellt waren: „Ich verordne euch ein Reich, gleich wie es mir mein Vater verordnet hat, damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich, und auf Thronen sitzt, richtend die zwölf Stämme Israels“ (V 29–30). Welch eine liebliche Gemeinschaft, welch einen innigen vertrauten Umgang wird in den Worten ausgedrückt: „damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich!“ Diese Gemeinschaft der Seinen mit Ihm hat hier ihren Anfang, aber nicht ihr Ende; sie ist ewig und unzertrennlich. Hier ist nur eine verborgene, eine Gemeinschaft im Geist und in seinen Leiden, dort aber eine sichtbare, eine offenbare, eine Gemeinschaft in der Herrlichkeit. Unsere Blicke dürfen nie in der Gegenwart weilen, wenn wir diese Gemeinschaft in ihrer Vollendung sehen wollen. Bei Ihm in seiner Herrlichkeit ist das Ziel unseres Ausharrens; aber hienieden schon haben wir das Vorrecht und die Freude, diese Gemeinschaft im Geist völlig zu genießen; und in allen Versuchungen, ja in den Versuchungen bis zum Tod, bleibt uns dieser köstliche Trost: „Wenn wir mitgestorben sind, werden wir auch mitleben; wenn wir ausharren, werden wir auch mitherrschen“ (2. Tim 2,11).
Gehen wir in der Betrachtung des Kapitels weiter, so begegnen wir aufs Neue dem Gegensatz zwischen der Gesinnung Jesu und der des Fleisches. „Es sprach der Herr: Simon, Simon, siehe! der Satan hat eurer begehrt, euch zu sichten, wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre; und bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder! – Er aber sprach zu Ihm: Herr! mit dir bin ich bereit, auch in Gefängnis und Tod zu gehen! Er aber sprach: Ich sage dir, Petrus: der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst“ (V 31–34). Hier sehen wir das Fleisch in dem Petrus wirksam, in dem Jünger, der einer von denen war, die einer besonderen Vertraulichkeit von Seiten des Herrn gewürdigt wurden. Allein dieser so gesegnete Vorzug hindert das Fleisch nicht, zum Vorschein zu kommen, und gerade in einer solchen Stellung erscheint es am traurigsten. – Der Satan hatte verlangt, die Jünger wie den Weizen zu sichten. Das ist immer das Begehren Satans; doch war es hier etwas Besonderes, weshalb es auch der Herr erwähnt. Und er wusste, wie schlecht Petrus diese Probe bestehen, wie weit er fortgeschleudert werden würde. Er wusste, dass dieser sein vertrauter Jünger in wenigen Stunden dreimal und zwar mit Fluchen und Schwören leugnen würde, dass er Ihn kenne. Verringert dies aber seine Liebe für ihn? Kann es den Wunsch, für Ihn zu sterben, schwächen? Nicht im geringsten; Er weiß völlig, was Petrus tun wird und – Er betet für ihn. „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ O unbegreifliche Liebe, die nicht an sich denkt, die nicht das ihre sucht! – Wie aber benimmt sich in diesem Augenblick Petrus oder vielmehr das Fleisch in ihm? In vollem Selbstvertrauen ruft er aus: „Herr! mit dir bin ich bereit, auch in Gefängnis und Tod zu gehen“ (V 33). Das Fleisch kennt weder sein Verderben, noch seine Ohnmacht; es spricht nur von seiner Güte und von seiner Kraft. Und wie täuschend ist es, wenn es sich in solch frommen Gefühlen offenbart! Wie leicht verblendet es uns in dieser Gestalt, wenn wir nicht völlig nüchtern sind! Obgleich der Herr dem Petrus das Verlangen Satans offenbarte, und ihm seinen Fall zuvor bezeugte, obgleich Er ihn an die Notwendigkeit seiner Fürbitte für ihn – die ihm sicherlich später von großem Trost gewesen sein wird – erinnerte, nichts konnte ihn von dem Vertrauen auf seine frommen Gefühle für den Herrn abbringen. Er dachte nicht daran, dass diese Liebe zum Herrn nur natürlich oder fleischlich war, und dass das Fleisch nichts anders vermag, als uns ins Verderben zu bringen. – Und ach, wie oft begegnen wir solchen Gefühlen und solchem Selbstvertrauen in den Herzen der Christen, besonders bei jüngeren Seelen, obgleich es nicht immer so augenscheinlich hervortritt. Wie wenig werden in diesem Zustand die Ermahnungen beachtet, bis der Fall da ist; ja manche Seelen scheitern an ihren fleischlichen Gefühlen für den Herrn, indem sie darauf ihre Sicherheit, ihre Kraft in den Versuchungen und ihre Gemeinschaft mit Ihm gründen. O der Herr wolle uns alle, geliebte Brüder, durch seine Gnade bewahren! Doch so traurig es nun auch ist, den armen Petrus inmitten so großer Versuchung in diesem fleischlichen Selbstvertrauen zu finden, so tröstlich ist es auch, hier aus dem Mund des Herrn zu hören: „Ich habe für dich gebetet!“ Ja, seine Fürbitte ist das Mittel unserer Bewahrung, damit unser Glaube nicht aufhöre. Sie begleitet uns allezeit, während wir in unserer Schwachheit durch diese versuchungsreiche Wüste gehen, und sie bringt uns sicher in das himmlische Kanaan.
Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die Leiden des Herrn in Gethsemane. Es ist unmöglich, diese Leiden auch nur in einem geringen Maß zu verstehen und noch weniger möglich, sie zu beschreiben. Im Allgemeinen liefern uns die Evangelien nur die einfache Geschichte von den Leiden des Herrn; während wir in den prophetischen Schriften und namentlich in den Psalmen eine Beschreibung des Charakters der Größe seiner Leiden finden. Allein so lebendig und vielseitig diese auch dort geschildert werden, so ist doch jede Sprache zu arm, um sie würdig und in ihrer ganzen Tragweite darzustellen, und jedes Herz zu schwach, sie zu erfassen. – Die Größe seiner Leiden in Gethsemane werden in unserer Stelle auch in diesen wenigen Worten ausgedrückt: „Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel, Ihn stärkend; und als Er in ringendem Kampf war, betete Er heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Tropfen Bluts, welche auf die Erde herabfielen“ (V 43–44). Welch ein Augenblick! Der Schöpfer aller Dinge in den Himmeln und auf der Erde ist hier in einer Stellung, wo Er es bedarf, von seinem Geschöpf gestärkt zu werden. Und Er war für Sünder darin, die für Ihn nichts anders hatten, als Schmähung, Verachtung und Verwerfung. Er war für uns darin! – Zugleich sehen wir hier aber auch, was die Gerechtigkeit Gottes ist, wenn sie sich im Gericht gegen die Sünde offenbart. „Alle unsere Sünden lagen auf Ihm.“ Ihn traf jetzt diese Gerechtigkeit, damit uns nichts als Gnade entgegen strömen möge. Er leerte den Kelch des Zornes Gottes vollkommen, damit die vollkommene Liebe Gottes unser Teil würde. Und niemand konnte Ihm hier folgen; jeder Sünder würde durch diese Zornglut Gottes verzehrt worden sein. Ja, Er allein, der Sünde nicht kannte, war fähig, und auch vollkommen fähig, in diesem Gericht für uns zu erscheinen, und unsere Schuld zu sühnen. Wenn es aber möglich gewesen wäre, dass irgend ein Mensch Ihm hätte folgen können, gewiss, das Fleisch würde dies Werk, wie immer, verdorben haben. Jetzt aber, weil Er es allein vollbracht hat, ist es rein und vollkommen; jetzt können wir versichert sein, dass es das Wohlgefallen Gottes hat, und dass alle unsere Sünden wirklich hinweg getan sind. O Dank seiner Gnade und seiner aufopfernden Liebe! Wie verwerflich aber ist der Unglaube, in welcher Gestalt und Form oder in welchem Herzen er sich auch offenbaren mag, der in den Wert und in die Vollgültigkeit dieses Werks noch irgend einen Zweifel setzt. Wer angesichts dieses Werkes, woran er im Glauben Teil zu haben bekennt, noch an seine Sünden denkt oder ihretwegen auch nur die geringste Unruhe hat, der zweifelt an dem Wort Gottes und an der Liebe Christi, und macht sich des traurigsten Undanks schuldig. –
Wie anbetungswürdig ist aber auch der völlige Gehorsam, den wir hier in Jesus gegenüber seinem Vater finden! Ja, Er hat als Mensch den Gott vollkommen verherrlicht, selbst in seinen Leiden bis zum Tod am Kreuz, den der Mensch oder das Fleisch so völlig verunehrt hatte! O wie glücklich hat uns sein Werk und seine Liebe gemacht! – Was aber machten seine Jünger, während Jesus in diesem ringenden Kampf war, in welchem sein Schweiß wie Blutstropfen zur Erde fiel? – Sie schliefen. Welch trauriger Anblick! Sie schliefen auf dem Berg, wo Jesus verherrlicht wurde, und sie schliefen, als Er in seiner tiefsten Erniedrigung war. Das Fleisch passte weder in seine Herrlichkeit, noch in seine Niedrigkeit. Doch auch dieser Zustand seiner Jünger in diesem Augenblick schwächt seine Liebe nicht. Dies alles war vielmehr ein Beweis für Ihn, wie nötig es war, dass Er sich für sie hingab, um ihnen für immer die vollkommene Gnade und Liebe zu sicheren. O wie unbeschreiblich tröstlich ist es für uns, geliebte Brüder, dass wir einen solchen Jesus haben! Aber wie nötig ist es auch, im Blick auf die umfassende Verdorbenheit des Fleisches und auf die mannigfachen Versuchungen, die Ermahnung des Herrn zu beherzigen: „Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung hineingeht.“ Wie so leicht können wir getäuscht, wie so leicht umgeworfen werden, da das Fleisch in der feinsten und in der gröbsten Weise, ja in allen Schätzungen wirksam sein kann! Wie nötig ist es da, allezeit in Wachsamkeit und im Gebet zu beharren, und in dem steten Gefühl der Abhängigkeit des Herrn zu wandeln! Wir können aber auch völlig gewiss sein, dass seine alles überströmende Liebe allezeit und in allen Umständen für uns bemüht sein wird, ja, Ihm dürfen wir zu jeder Zeit völlig vertrauen, auf Ihn uns in allen Lagen verlassen, und zu Ihm in allen Umständen unsere Zuflucht nehmen. Möchten wir aber nie diese Worte vergessen: „Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung hineingeht,“ und: „den Demütigen gibt Gott Gnade.“