Die Briefe an die Thessalonicher
2. Thessalonicher 1
Der zweite Brief an die Thessalonicher wurde offensichtlich nicht lange nach dem ersten geschrieben. Die Thessalonicher waren also immer noch jung im Glauben und daher anfällig dafür, von falschen Lehrern irregeführt zu werden, besonders in Fragen, die das Kommen des Herrn betrafen. Die Anfangsworte sind fast genau dieselben wie im ersten Brief. Paulus verbindet sich wieder mit denselben beiden Mitarbeitern.
Der Zustand dieser Versammlung gab dem Apostel immer noch Anlaß zu großer Freude und Dankbarkeit. Ihr geistlicher Zustand war gesund trotz der Verfolgungen und Bedrängnisse, denen sie ausgesetzt waren. Wir könnten beinahe sagen, gerade wegen ihrer Verfolgungen und Nöte. Da die Welt sich ihnen gegenüber feindlich verhielt, bildeten die Versuchungen der Welt zu dieser Zeit keine Gefahr für sie. Gerade der Druck, den die Welt auf sie ausübte, bewirkte, daß sie zusammengeschweißt wurden.
In den Versen 3 und 4 werden der wachsende Glaube und die überströmende Liebe in einen engen Zusammenhang mit Verfolgungen und Bedrängnissen gebracht, und das nicht ohne guten Grund. Ihr Glaube wuchs nicht nur, sondern wuchs überaus; Liebe war nicht nur vorhanden, sondern die Liebe war überströmend. Das war für den Apostel ein Anlaß zu großer Freude, da es ein Zeichen ihrer geistlichen Frische und des Wachstums war, obwohl er in diesem Brief nichts im Hinblick auf ihre Erkenntnis oder ihre Gaben zu erwähnen hatte. Im Gegensatz dazu anerkannte er in seinem ersten Brief an die Korinther deren Erkenntnis und Gaben, während er nichts Rühmenswertes über ihren Glauben und ihre Liebe zu sagen hatte; und er konnte sich ihrer nicht rühmen, da sie fleischlich waren. Haben wir die Wichtigkeit dieser Sache alle erfaßt? Worauf achten wir, wenn wir gern bei anderen geistliches Wachstum feststellen möchten?
Die Schrift zeigt uns, daß wahrer Glaube eine lebendige Sache ist. Er gleicht einem lebenden Baum, dessen Wurzeln tief in den Boden der Erkenntnis Gottes reichen. Der Glaube ist das geistliche Augenlicht, und wenn wir Fortschritte machen, sollte unser Blick klarer werden und unser Gesichtsfeld sich vergrößern. Wenn wir Gott besser kennenlernen, vertrauen wir Ihm mehr.
Wir müssen feststellen, daß Paulus in diesem zweiten Brief ihre Hoffnung nicht erwähnt, wohl aber ihr Ausharren, das eine Frucht der Hoffnung ist. Der Grund dafür ist offensichtlich, daß die Widersacher weitere Versuche unternommen hatten, ihre Gesinnung im Hinblick auf die zukünftigen Dinge zu erschüttern, und zwar in einer Weise, die dazu angetan war, ihre Hoffnung zu verdunkeln. Für eine Zeit hatten sie Erfolg damit gehabt. Wie die Widersacher dabei vorgingen und wie der Apostel ihren Anstrengungen in diesem Brief entgegentritt, werden wir sehen, wenn wir in unserer Betrachtung fortfahren. Die folgenden Verse 5 bis 10 dieses ersten Kapitels wurden offensichtlich niedergeschrieben, um ihnen die Dinge in der rechten Weise vorzustellen. Man hatte versucht, sie zu dem Gedanken zu verleiten, ihre gegenwärtigen Nöte seien ein Zeichen dafür, daß der Tag des Herrn schon da wäre. Dies wird deutlich, wenn wir die Verse l und 2 von Kapitel 2 lesen.
In den Versen 5 bis 10 wird die öffentliche Erscheinung des Herrn Jesus als die Umkehrung der gegenwärtigen Umstände beschrieben; das Blatt wird sich dann sozusagen wenden. Die Thessalonicher erlitten Bedrängnisse, und die Menschen dieser Welt waren ihre Bedränger. Wenn der Herr Jesus erscheint, wird Er Vergeltung bringen, der Welt Drangsale und Seinen Heiligen Ruhe. Dabei wird Er in Gerechtigkeit handeln.
Es ist nicht schwierig zu verstehen, daß es eine völlig gerechte Sache für Gott ist, wenn Er die Verfolger Seiner Heiligen in Kürze mit Drangsal überschütten wird. Es ist jedoch nicht so einfach zu verstehen, warum der Eingang Seiner Heiligen in das kommende Reich mit Gerechtigkeit verbunden wird, denn wir würden sicherlich jeden Gedanken an Verdienst von uns weisen und darauf bestehen, daß allein Gnade uns in das Reich Gottes bringen konnte. Der Gedanke in Vers 5 scheint jedoch zu sein, daß, obwohl alles aus Gnade ist, Gott dennoch danach verlangt, Seinen Heiligen das Reich zu geben als solchen, die dessen für würdig erachtet werden. So läßt Er Verfolgungen und Bedrängnisse zu, die in den Gläubigen die Kraft und Ausdauer bewirken, die Er wertschätzt und gerecht belohnen kann. In diesem Ausharren und diesem Glauben unter Erprobung wurde ein offenbares Zeichen gesehen, daß Gottes Urteil gerecht war, indem Er sie für das kommende Reich und seine Ruhe bestimmte.
Die Beschreibung der öffentlichen Erscheinung des Herrn Jesus, die uns in den Versen 7 bis 9 gegeben wird, ist wirklich schrecklich. Wenn Er vom Himmel her offenbart wird, dann wird nichts fehlen, was die Herzen aufsässiger Menschen mit Furcht erfüllt. Er wird Vergeltung geben denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium nicht gehorchen. Ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn wird ihre Strafe sein.
Viele Versuche sind unternommen worden, um die klare und deutliche Kraft der zwei Wörter „ewiges Verderben“ abzuschwächen. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, die Tatsache bleibt bestehen, daß Verderben nicht Vernichtung bedeutet und daß ewig für immer bedeutet, und das sowohl im griechischen Original als auch in der deutschen Übersetzung.
Beachten wir, daß das Evangelium eine Botschaft Gottes ist, der wir zu gehorchen haben. Wir sind geneigt, es als eine freundliche Einladung zu betrachten, die wir annehmen sollen, und oft stellen wir es auch anderen nur in diesem Lichte dar. Folglich betrachten die Menschen die Botschaft nur als eine Einladung, die sie ablehnen können oder deren Annahme sie zumindest auf unbestimmte Zeit verschieben können, ohne irgendwelche ernsten Konsequenzen. Das ist ein schwerwiegender Irrtum. Alle, die das Evangelium hören, sind verantwortlich, darauf durch Glaubensgehorsam zu antworten.
Bedenken wir auch, daß es kein schrecklicheres Schicksal geben kann, als für das ewige Verderben weg vom Angesicht des Herrn bestimmt zu sein. Wir sahen bei der Betrachtung des ersten Briefes, daß das Leben mit dem Herrn den Höhepunkt des Glücks ausmacht. Das Gegenteil ist ebenso wahr. Es kann nichts Schrecklicheres geben, als für immer aus der Gegenwart dessen verbannt zu sein, der die Quelle des Lebens, des Lichts und der Liebe ist.
Die Erscheinung Christi wird jedoch zwei Seiten haben. Er wird sich dadurch verherrlichen, daß Er an den Gottlosen Vergeltung übt. Er wird an jenem Tag aber auch in all denen verherrlicht und bewundert werden, die geglaubt haben. Beachten wir, daß die Präposition hier nicht von ist, sondern in. Er wird sicherlich auch von uns verherrlicht und bewundert werden, aber hier geht es darum, daß Er in uns verherrlicht werden wird. An jenem Tag werden die Gläubigen in Seiner Herrlichkeit erstrahlen, als Sein Werk. Menschen und Engel werden sie betrachten und Ihn verherrlichen, da alles, was sie sind, die Frucht Seines Werkes sein wird.
Heutzutage verunehren wir Ihn allzu oft. Das Volk Israel mußte beschuldigt werden: „Denn der Name Gottes wird euretwegen unter den Nationen gelästert“ (Röm 2,24). Dieselbe Anschuldigung muß gegen die vorgebracht werden, die bekennen, heute das Volk Gottes zu sein. Aber an jenem Tag werden nicht unsere Erbärmlichkeit oder unsere Eigenarten offenbar werden, sondern die Gnade und Kraft Christi, die in uns wirksam war. Die Menschen werden in uns die herrlichen Auswirkungen des mächtigen Werkes Gottes sehen.
Was für eine wunderbare Berufung ist das! Kein Wunder, daß der Apostel sehr danach verlangte, daß Gott sie dieser Berufung für würdig erachten würde, indem er jetzt alles Wohlgefallen Seiner Gütigkeit in ihnen erfüllte und das Werk des Glaubens in Kraft in ihren Herzen und Leben förderte. Dadurch würde der Name des Herrn Jesus schon jetzt in ihnen verherrlicht und nicht erst in dem kommenden Zeitalter. Wenn Er dann in uns verherrlicht werden wird, ist es sicherlich recht, daß wir damit beschäftigt sind, daß Er jetzt schon in uns verherrlicht wird.
Der letzte Vers des ersten Kapitels unterstreicht dies und fügt die Tatsache hinzu, daß Er in dem kommenden Zeitalter nicht nur in uns verherrlicht werden wird, sondern daß wir auch in Ihm verherrlicht werden, denn wir werden in einer Herrlichkeit erstrahlen, die nicht unsere eigene ist, sondern Seine. Dies wird geschehen „nach der Gnade unseres Gottes und des Herrn Jesus Christus“. Nichts außer der Gnade Gottes konnte so ein wunderbares Ergebnis zustande bringen.