Botschafter des Heils in Christo 1855
Epaphroditus
Es ist eine tief eingewurzelte Neigung des Menschen, immer seine eigene Ehre zu suchen; sogar die Segnungen der Gnade Gottes werden oft eine Gelegenheit für ihn, sich zu rühmen und zu erheben. Wenn der Herr nach dem Reichtum seiner Gnade einem Menschen besondere Huld erweist, und ihn vor anderen auszeichnet, so geschieht es nicht selten, dass dieses für ihn ein Anlass wird, sich dem Eigendünkel und der Überhebung seines Herzens zu überlassen, anstatt dass diese besondere und ganz unverdiente Huld ihn beugen und demütigen sollte. So war es mit Israel. „Jeschurun (Israel) ward fett und schlug aus … es verließ den Gott, der es geschaffen hatte und verachtete den Fels seines Heils“ (5. Mo 32,15). Selbst als diese Gunst dem Volk sichtbar entzogen worden war, so blieb doch die Überhebung im Herzen wohnend. Dieses Böse ist der traurigste Beweis des menschlichen Elends. Jesus fand, während seines Wandels und Dienstes auf der Erde, das Volk Israel ganz und gar von sich selbst eingenommen, und dies in einer Zeit, wo es durch ein gerechtes Gericht Gottes der Blindheit übergeben war.
Das Böse in der Kirche hat trauriger Weise in der gegenwärtigen Zeit denselben Charakter. Jesus, nachdem Er gen Himmel aufgestiegen ist, hat für die Erhaltung und Pflege seines Leibes, d. i. der Kirche, große und herrliche Gaben ausgeteilt … Allein, wie wir es schon in der Versammlung zu Korinth sehen, sind diese Gaben bei vielen ein Anlass der Überhebung geworden. Die Verantwortlichkeit, verbunden mit dem Empfang einer Gabe, wurde sehr bald vergessen. Freilich kann auch die Trägheit eine Gabe in ihrer Wirksamkeit schwächen und aufhalten; allein sehr häufig diente sie dazu, um den Menschen als solchen zum Vorschein zu bringen und zu verherrlichen. Die Folge davon war, dass der Charakter des Dienstes oder Amtes, über das hinaus erhöht wurde, was er sein sollte, und dass bei denen, welche sich nicht zutrauten, eine amtliche Stellung zu haben, das Gefühl der persönlichen Verantwortlichkeit sehr geschwächt wurde. Später machte das Böse immer weitere Fortschritte und alle Ehre, welche dem Dienst oder dem Amt, da wo es die wahre geistliche Kraft besitzt, wirklich zukommt, wird jetzt auf das Amt als solches, abgesehen von dieser Kraft, auf das Amt in seiner äußeren Form übertragen. Das Reich Gottes besteht aber nicht in Worten, sondern in der Kraft; und die Behauptung, dass es ein Amt gibt, unabhängig von dieser Kraft, macht gerade den Verfall der Kirche aus. Diese Form des Bösen zeigt sich besonders darin, dass man ein Amt annimmt oder behauptet, und die Verantwortlichkeit der Gaben, welche man empfangen hat, bei Seite lässt. Es ist augenscheinlich, dass wir in dieser Beziehung bei dem jetzigen Zustand der Dinge ein köstliches Vorrecht verloren haben; das Heilmittel dieses Übels aber besteht nicht in einer äußeren Wiederherstellung, sondern in der persönlichen Treue. „Wer Ohren hat, zu hören, der höre.“
Das große Übel unserer Zeit, entstanden durch die Einführung und Behauptung eines äußeren Amtes mit richterlicher Autorität, besteht darin, dass die Heiligen die Gewohnheit angenommen haben, zu leben, ohne sich durch die Gedanken Christi unterweisen zu lassen, und ohne sein vollkommenes Beispiel vor sich zu haben, um demselben zu folgen. Sie sind im Allgemeinen befriedigt, wenn sie den gebahnten Pfad verfolgen, und halten es ihrerseits für eine Anmaßung, Untersuchungen über das anzustellen, was durch die Übung der Gaben mitgeteilt wird (vgl. 1. Kor 14,29). Dies ist auch wohl ein Grund mit, weshalb die Namen von mehreren einfachen Christen, d. i. solcher, welche keine besonders auffallende und anerkannte Stellung in der Kirche hatten, im neuen Testamente aufbewahrt worden sind. Sie werden durch den Heiligen Geist zu unserer Belehrung erwähnt, und es gereicht uns zur Freude, zu wissen, dass uns verhältnismäßig nur eine sehr kleine Zahl von den Namen derer mitgeteilt werden, die im Buch des Lebens eingeschrieben sind. Dies Bewusstsein ist es aber auch, was uns zum größten Teil die Namen der einzelnen Gläubigen, welche in den Briefen der Apostel erwähnt werden, so besonders köstlich macht. Nicht für jene ist es köstlich, dass ihre Namen aufbewahrt sind, sondern für uns; aber für jene, wie für uns ist es gleich erfreulich, zu wissen, dass ihre Namen in dem Himmel angeschrieben waren. Gewiss hat der Heilige Geist einen besonderen Zweck dabei gehabt, die Namen aller der Heiligen, wovon Er redet, bis auf uns zu bewahren. In gewissen Fällen können wir seine Absicht sehr bald erraten. Oft wird ein Grundsatz hingestellt, und zugleich eine Person angeführt, in welcher wir die Wahrheit dieses Grundsatzes verwirklicht finden. Dies ist der Fall bei Epaphroditus, dessen Namen diesen Zeilen als Überschrift gegeben ist.
Im Anfang des Briefes an die Philipper finden wir einen Gruß an die Aufseher und Diakonen; allein Epaphroditus scheint keins von diesen Ämtern bekleidet zu haben. Aus dem, was uns nachher in diesem Brief von ihm gesagt ist, geht wohl deutlich genug hervor, dass er nur, wie man jetzt zu sagen pflegt, ein einfacher Christ war. Dies verhindert jedoch den Apostel nicht, ihn anzuerkennen; nicht nur als einen Bruder, sondern auch als „seinen Mitarbeiter und Mitkämpfer“ (Kap 2,25). Wir sehen in diesem Brief, wie der Apostel sich an die Seite des Timotheus als Diener stellt, (Kap 2,22) und dass er durch die Gnade sich über seine öffentliche Stellung in der Kirche hinaus erhebt, nicht denkend an die Autorität, sondern an den Dienst. Nach demselben Gnade stellt er den Epaphroditus neben sich, als den, welcher sich mit ihm in demselben Dienst und in demselben Kampf befand. Wie viel größere Segnungen würde es den Heiligen bringen, wenn sie anstatt über die Fragen der Autorität zu disputieren, daran gedachten, auf eine bessere Weise zu dienen. Die Seele eines Heiligen kann unmöglich in einem guten Zustand sein, sobald derselbe von seiner Autorität oder von der eines anderen in der Kirche eingenommen ist. Sobald wir nicht tun, was wir können, streiten wir, um zu wissen, was wir tun sollen, und was wir anderen zu tun erlauben. Auf diese Weise verlieren wir Zeit und die Gelegenheit, um dem Herrn zu dienen, weil wir auf unseren eigenen Vorteil, und nicht auf den der anderen bedacht sind; und die Gesinnung, „welche in Christus Jesus war,“ ist nicht in uns.
Epaphroditus war der Gesandte der Philipper. Er hatte sich freiwillig zu ihrem Diener gemacht, um dem Apostel, damals im Gefängnis zu Rom, sowohl ihre Botschaft, als auch die Beweise ihrer Liebe zu überbringen. Er war nicht in der Eigenschaft als Prediger oder Lehrer voll jenen gesandt; sein Amt war in den Augen der Menschen viel geringer, – er war ein Diener. – In Kapitel 4,18 bekennt der Apostel, dass er die reiche Gabe der Philipper durch Epaphroditus empfangen habe, und in Kapitel 2,25 redet er von ihm, als einem Bruder, der ihm in seiner Notdurft gedient hat. Der. Apostel hatte ihn als einen freiwilligen Diener benutzt, und sandte ihn jetzt zu den Philippern zurück, um diese in ihren gegenwärtigen Versuchungen zu trösten. Welch ein inniges Band knüpfte dieser Dienst zwischen dem Apostel zu Rom und der Kirche zu Philippi! Es scheint mir, dass das Gefühl von der Existenz solcher Bande in unseren Tagen in der Kirche fast ganz verloren ist. Es sind wenige mit dem Gedanken beschäftigt, Spender der mannigfachen Gnadengaben Gottes zu sein, weil man die Segnungen so vielfach durch gewisse anerkannte Organe erwartet. Epaphroditus bekleidete in der Kirche eine Stelle, welche weder Paulus, noch die Aufseher, noch die Diakonen ausfüllen konnten. – Ebenso hat man auch seit langer Zeit die Kirche in zwei Klassen geteilt, in die Diener oder Beamte, und das Volk; und man findet kaum jemand, der gleich Epaphroditus in einer ähnlichen Stellung wirksam ist. Sein Wirkungskreis war zwar gering und von wenigem Schein nach Außen; allein ein solcher Dienst offenbart in ganz besonderer Weise die Gegenwart der Gnade des Herrn Jesus Christus.
Die köstliche Lehre, welche im Anfang dieses 2. Kapitels dargestellt ist, finden wir in einer lieblichen und lebendigen Weise in dem Charakter und dem Verhalten des Epaphroditus verwirklicht. „Nichts tuend aus Parteisucht oder eitlem Ruhm, sondern in Demut einer den Anderen besser haltend, als sich selbst“ (V 3). – In Kapitel 1,15.17 sehen wir, dass etliche Christus aus Neid, Streit und Eifersucht predigten. Dies ist immer der Grundsatz des Fleisches (Röm 2,8) wo der Mensch durch seinen eigenen Willen zu erfüllen trachtet, was er in Unterwürfigkeit dem Heiligen Geist nicht tun mag; und also handelnd, gedachten jene, den Banden der Apostel Trübsal zuzufügen. Epaphroditus tat nicht also; er achtet Paulus viel höher, als sich selbst, und ist glücklich, ihm in seiner Notdurft zu dienen. – Der Apostel scheint durch die herzliche Zuneigung, welche man ihm in seiner Gefangenschaft zeigte, in besonderer Weise erquickt worden zu sein. Seine Bande waren für viele ein Anlass geworden, sich durch das Fleisch leiten zu lassen; solche, welche seine persönliche Gegenwart gefürchtet haben würden, drängten sich jetzt vor, um ihm zu schaden. Allein seine Gefangenschaft war auch zu verschiedenen Malen, sowohl für die persönlichen Gaben, als auch für die brüderliche Liebe, eine Gelegenheit geworden sich auf eine gesegnete Weise tätig zu erweisen, (Kap 2,16) Die Seele des Apostels hatte auch jetzt eine große Erquickung empfangen. Er freute sich, wenn nur Christus verkündigt, wenn nur sein Name bekannt wurde. Er sagt, indem er von einem anderen Bruder redet: „Der Herr gebe dem Haus des Onesiphorus Barmherzigkeit, denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Kette nicht geschämt“ (2. Tim 1,16). Wenn nur Christus verkündigt und die Gnadengaben der Kirche sich wirksam erwiesen … Paulus war zufrieden, ein Gefangener zu sein. Das einfältige Auge ist die mächtigste Waffe gegen die Eigenliebe und den Hass.
„Ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des anderen ist. Denn diese Gesinnung sei in euch, welche auch in Christus Jesus war.“ Seine Liebe war in der Tat uneigennützig. Er hatte alles verlassen und für sich selbst nichts behalten, es sei denn die Genugtuung, welche sein von Liebe erfülltes Herz darin fand, dass Er sein Leben für uns gelassen hat (1. Joh 3,16). Wir würden nie die Liebe in ihrem wahren Wesen erkannt haben, wenn wir nicht Christus gesehen hätten, der alles für uns verlassen hat, und als Belohnung nur die Genugtuung seiner Liebe fand. Er sähe nicht auf das seine, – denn „die Liebe sucht nicht das ihre“, – sondern sähe auf das, was den Anderen zum Segen gereichte. – Der Ausdruck in 1. Korinther 2,16: „Wir aber haben Christi Sinn“, lässt uns verstehen, dass der geistliche Mensch in die Gedanken und in die Gesinnung Christi eingehen kann. Er vermag mit Einsicht von Gott zu urteilen, denn er versteht seine Gedanken.
Die Gesinnung Christi, welche uns in vorliegendem Kapitel dargestellt wird, ist seine freiwillige Erniedrigung, seine Erniedrigung bis zum Tod am Kreuze. Von dieser Erniedrigung verstand aber Petrus als der Herr einst davon redete, nichts. Er nahm ihn vielmehr bei Seite und strafte Ihn mit den Worten: „Ei behüte Herr! das kann dir nicht widerfahren.“ Jesus aber sagt zu ihm: „Du sinnst nicht auf das, was Gottes ist, sondern auf das, was der Menschen ist.“ Die Gesinnung, welche damals in Petrus war, ist die Gesinnung des Fleisches (Röm 8,6). Die herrschende Gesinnung seines Herzens bezog sich auf das, was Er hochschätzte – das Ansehen Christi; der Sohn des lebendigen Gottes sollte nicht leiden. Jesus aber, dessen Gesinnung in Übereinstimmung mit Gott war, konnte dieses nicht suchen. Er konnte nur dann den Anderen wahrhaft zum Segen sein, wenn Er sich selbst erniedrigte; Er durfte sich nicht schonen, weil Er nicht das Seine suchte. Seine Gesinnung war auf das gerichtet, was Gottes war. Von dieser Seite aus ist es hauptsächlich, warum uns der Apostel Jesus als Beispiel hinstellt. „Dass in uns dieselbe Gesinnung sei, welche auch in Christus Jesus war.“ Wir sollen uns selbst erniedrigen, um fähig zu werden, den Anderen in ihren Bedürfnissen zu dienen. Und verstehen wir wohl, was diese Erniedrigung wirklich in sich schließt? Jesus hat sich erniedrigt; und uns ist gesagt, es gerade sowie Er zu tun. Als Sünder können wir uns nicht erniedrigen, denn wir sind verloren und verdorben. Ein solches Bekenntnis ist ohne Zweifel für den Stolz des Menschen sehr demütigend. Wir haben uns als Heilige zu erniedrigen; Gott hat uns mit berufen mit einem so heiligen Ruf, dass wir uns jetzt wirklich erniedrigen können.
Wir sind in Jesu geheiligt, und sind eins mit Ihm gemacht. Mit derselben Liebe sind wir geliebt und mit demselben Namen beehrt. Wir sind Söhne Gottes und Miterben der Herrlichkeit Christi. Jesus hat sich nicht geschämt, uns seine Brüder zu nennen. Wir müssen unsere Würde als Sohn Gottes verstehen, um begreifen zu können, wie wir uns zu erniedrigen haben. Das Fleisch strebt immer nach dem, was es erhebt; es sucht immer wieder irgend einen Vorrang über die Anderen. Gott aber hat uns mit Jesu, der über alles erhöht ist, eins gemacht, so dass wir jetzt nur nach dem zu trachten haben, was Er ist; denn alles ist unser, weil wir Christi sind, und Christus Gottes ist. Welch ein bewundernswürdiger Gegenstand ist doch unsere Erlösung in Christus Jesus! Wahrlich! nur der allein weise Gott konnte diesen Plan fassen und ausführen. Niemals würde er in dem Herzen des Menschen, welcher ein Sünder ist, Eingang gefunden haben. Jetzt aber, durch die Gnade genügsam erhoben, ist er vermögend von seiner Würde in eine niedrigere Stellung herabzusteigen. Das Bewusstsein unserer jetzigen Höhe in Christi, ist der wahre Grund unserer Erniedrigung. Der Sohn Gottes, als Sohn, konnte nicht erhöht werden; aber Er konnte sich selbst zu nichts machen und Knechtsgestalt annehmen. Vom Sohn erniedrigte Er sich bis zum Knecht, und zwar zum Knecht des Menschen. Dies heißt wahrhaft, sich erniedrigen; und wir sollen Ihm darin folgen. Er hat sich aber noch tiefer erniedrigt; nicht nur bis zum Diener, sondern bis zum Kreuz; und darum ist er auch so hoch erhöht. Alles dieses war vollkommen. In Epaphroditus sehen wir, bis zu welchem Grad sich ein Mensch, an Neigungen uns gleich, erniedrigt, um in den Fußstapfen unseres göttlichen Meisters zu wandeln. Er, von Paulus als Bruder und selbst als seines Gleichen anerkannt, verstand die Freude, um der Liebe Jesu willen ein Diener des anderen zu sein. Seinen Titel „Bruder“ wurde ihn: durch die Freiheit, sich bis zum Diener seines Bruders herabzulassen, nicht geraubt. Dieselbe Gesinnung, welche in Christus Jesus war, war auch in Ihm.
Der Apostel schreibt den Philippern von ihm: „Denn er sehnte sich nach euch allen, und war sehr betrübt, weil ihr gehört, dass er trank gewesen ist.“ Gewiss haben wir hier ein lebendiges Beispiel von dem, was uns als die Gesinnung Christi dargestellt wird. „Es sehe nicht ein jeglicher auf das Seine, sondern auf das, was des anderen ist.“ Dies wurde ganz vollkommen allein in Jesu, der allein vollkommen ist, erfüllt und offenbart. Es ist sein tiefster Wunsch, alle Heiligen bei sich zu sehen, und seine Schmerzen, sind die, wovon die Gläubigen getroffen werden; „in allen ihren Bedrängnissen ist Er bedrängt worden.“ – Epaphroditus besaß eine tiefe Erkenntnis von Christus, und diese war es, die eine so uneigennützige Liebe in ihm wirkte. Er wünschte die Philipper zu sehen; aber vielmehr um ihret– als um seinetwillen. Er war sehr betrübt, nicht weil er in einer fremden Stadt krank lag, sondern weil sie seine Krankheit erfahren hatten. Wie ist dies so ähnlich der uneigennützigen Liebe des Herrn, als Er so sehnlichst wünschte, das letzte Passah mit seinen Jüngern zu essen. Er vergaß seine eigenen Schmerzen und Leiden, und dachte nur daran, die über seinen nahen Abschied betrübten Herzen seiner Jünger zu trösten. „Weil ich dieses zu euch geredet habe, hat die Traurigkeit euer Herz erfüllt“ (Joh 16,6). Er, dessen Blick seine Erniedrigung in ihrer ganzen Ausdehnung und Tiefe durchschaute, rief ihnen zu: „Seid getrost!“
Die beiden folgenden (V 27–28) enthalten eine sehr wichtige Belehrung. Der Herr hatte den Aposteln eine solche Macht gegeben, dass wenn sie den Kranken die Hände auflegten, dieselben gesund wurden. Selbst der Schatten von Petrus, welcher über diejenigen kam, welche man auf die Straßen von Jerusalem getragen hatte, heilte diese (Apg 5,15). In Ephesus legte man sogar die Schweißtücher und Schürzen von dem Leib des Paulus auf die Kranken, und die Krankheiten wichen von ihnen und die bösen Geister fuhren aus (Apg 19,12). Es war Kraft genug da, um allerlei Krankheiten zu heilen; aber wir sehen nicht, dass diese Kraft auch für die Gemeinde gebraucht worden ist. Diese sollte die Dinge kennen lernen, welche tiefer sind, als die Zeichen und Wunder, wodurch die Seele zwar in Erstaunen gesetzt, aber nicht doch in die Gemeinschaft Gottes eingeführt wird. Die Gemeinde ist in das Leben gesetzt; und es ist das Wohlgefallen des Herrn, ihr die Kraft zu geben, die Bürde der Krankheit zu tragen, oder dieselbe für sie eine Gelegenheit werden zu lassen, ihr eigenes Mitgefühl kund zu tun, und ihre Liebe für die Heiligen in Übung zu bringen. Es ist viel besser das Mitgefühl und das Erbarmen Gottes kennen zu lernen, als Zeuge seiner Macht zu sein; und es gefällt Gott wohl, zusehen, dass seine Kinder in ihren Nöten an seinem Herzen allein ihre Zufluchtsstätte finden.
Das Herz des Apostels, so zart und so voll Fürsorge, scheint Traurigkeit über Traurigkeit gehabt zu haben. Es wäre ihm als Mensch gewiss sehr angenehm gewesen, den Epaphroditus durch die Wunderkraft zu heilen; allein Paulus sowohl, als auch Epaphroditus wurden in ein und derselben Schule belehrt, und der Eine wie der Andere sollte die Schätze der Barmherzigkeit Gottes kennen lernen. Gott sieht die Bedrängnisse seiner Heiligen und ist voll Erbarmung darüber; und Er offenbart nicht allein seine Macht, sondern auch noch seine Liebe. Es gefiel dem Herrn, das Mitgefühl seines Knechtes Paulus durch die Krankheit des Epaphroditus zu üben, und seinerseits sein tiefes Mitgefühl gegen Beide zu offenbaren. Nie ist doch unser Glaube oft so schwach und lässt uns so wenig das Erbarmen oder Mitgefühl Gottes verstehen, und wie wenig lassen wir Ihn an unseren Schmerzen Anteil nehmen. Es will sich so häufig der Gedanke in uns erheben, als beliebte es Ihm, uns Traurigkeit über Traurigkeit zu senden. „Denn er ist auch krank gewesen, dem Tod nahe; aber Gott hat sich über ihn erbarmt; nicht aber über ihn allein, sondern auch über mich, auf dass ich nicht Traurigkeit auf Traurigkeit hätte.“
Wie sehr erweitert sich unser Herz, wenn wir das Mitgefühl Gottes kennen. Epaphroditus war bekümmert, weil die Philipper von seiner Krankheit gehört hatten. Derselbe Grund macht den Paulus so eifrig, denselben zurückzusenden, damit sie, wenn sie ihn sähen, sich freuten, und an seiner Freude über die Genesung des Epaphroditus Teil hätten, und „er, Paulus selbst, weniger betrübt sei.“ Seine Freude war die, den Kummer der anderen zu stillen, und ihn auf sich selbst zu nehmen, indem er Epaphroditus von sich ließ. Dies ist in der Tat das wahre göttliche Mitgefühl. Der „Mann der Schmerzen“ fand seine Lust darin, die Schmerzen der anderen auf sich zu nehmen. Paulus offenbart hier dieselbe Gesinnung, welche auch in Christus Jesus war. „Er sieht nicht auf das seine, sondern auf das, was des anderen ist.“ Auf diese Weise wurde er weniger betrübt. In dieser Welt voll Schmerzen kommt der wahre Segen nicht vom Freisein von Leiden und von persönlichen Schmerzen, sondern von unserer Bereitwilligkeit die Leiden der anderen zu tragen, und die unsrigen dadurch zu vergessen, dass wir die der anderen erleichtern. Jesus vergaß seine Müdigkeit, als Er mit dem Weib am Jakobsbrunnen beschäftigt war, und übersah seine eigenen Leiden, als Er die furchtsamen und ängstlichen Jünger tröstete. Diese Gesinnung, die in Ihm war, befand sich durch die Gnade auch in Paulus und Epaphroditus; und warum nicht auch ebenso in uns? Gewiss, nur aus dem einfachen Grund, weil sie so wenig gewünscht und gesucht wird. – Die Gaben und die Macht eines Apostels können unseren Ehrgeiz reizen; allein ihre Gnadengaben, die wir mit ihnen gemein haben können, haben oft so wenig Wert in unseren Augen. Aber was sagt der Heilige Geist durch den Apostel: „So nehmt ihn denn auf im Herrn mit aller Freude, und haltet Solche in Ehren. Es gab Männer in der Kirche, die mit großer Autorität bekleidet waren, wie die Apostel, welchen diejenigen, die der Gnade gemäß wandelten, alle mögliche Ehre erweisen sollten; sie sollten erkennen, dass der Herr in ihnen war, und sie als den Herrn selbst aufnehmen. Es gab solche, welche über die Seelen wachten, die um ihres Werkes willen in Liebe anerkannt und besonders beachtet werden sollten“ (1. Thes 5,12–13). Hier aber handelt es sich um etwas, was nicht so schnell in die Augen fällt, um etwas, was der durchdringende Blick des Geistes allein durchschauen konnte; ich meine die Gesinnung, welche in Christus Jesus war. Es war die uneigennützige Liebe in einem Menschen von gleichen Neigungen, wie wir. „Haltet Solche in Ehren.“ Gewiss, dieser Dienst der geduldigen Liebe, welche sich nicht aufdrängt, ist hoch geehrt von Gott. Und an dem Tage, wo jeder wahre Dienst durch den Herrn selbst anerkannt und bekannt werden wird, werden die Heiligen, die keine anerkannte Stellung in der Kirche gehabt haben, ihren Dienst, der so gering geachtet, und von vielen nicht einmal als einen Dienst angesehen wurde, von dem Herrn selbst anerkennen hören. Möchten doch die Heiligen, im Werk des Glaubens, in der Arbeit der Liebe und in der Geduld der Hoffnung immer völliger werden!
Der Herr gibt uns hier ein Unterpfand seiner eigenen Freude, der Freude seines Herzens im Hinblick auf den Tag, wo Er alle Heiligen zu sich aufnehmen wird (Joh 14,3). Durch den Heiligen Geist können wir jetzt schon die Freude genießen, welche der Apostel hier ausdrückt: „Nehmt ihn denn auf in dem Herrn mit aller Freude.“ Dies ist etwas von der Freude im Heiligen Geist, deren besonderer Charakter ist, den Gegenstand derselben mit unserem Herrn selbst zu verbinden. Sie mussten ihn in dem Herrn empfangen, als einen Bruder, in welchem sie eine lebendige Vereinigung mit Jesu erkennen konnten. Die göttliche Unterweisung hat zuverlässig den Zweck, uns von uns selbst, wo wir nur Anlass zum Zank und zur eitlen Ehre finden, abzulenken, und unsere Gedanken auf den Herrn hin zu wenden. Wenn wir irgendjemand in dem Herrn empfangen, so findet der Neid keinen Raum, und es ist auch nicht zu fürchten, dass wir die Gnade in ihm geringschätzen. Es ist aber hinzugefügt: „Haltet solche in Ehren, denn um des Werkes Christi willen ist er dem Tod nahe gekommen, da er sich in Lebensgefahr begeben hat, damit deren Mangel eures Dienstes gegen mich ausfüllte.“
Wir sind ermahnt die Gesinnung anzunehmen, welche in Christus Jesus war. Er hatte ein Werk zu vollbringen, das Werk dessen, der Ihn gesandt hatte; und indem Er dieses Werk vollendete, war Er nicht allein dem Tod nahe, sondern auch, aus Gehorsam gegen den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte, senkte Er das Haupt unter der Macht des Todes, „welcher gehorsam war bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“ Und warum dieses? Damit Er für uns diesen Dienst erfüllte, welchen kein anderer über sich nehmen konnte. Sein Gehorsam gegen den Willen Gottes und in den Dienst, welchen Er für uns vollbracht hat, ist die Ursache, warum Ihn Gott geehrt und so hoch erhoben hat: „Nachdem Er die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst gemacht hat, hat Er sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt“ (Heb 1,8). „Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat, und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen“ (1. Joh 3,16).
Wir sollen dieselbe Gesinnung haben, welche auch in Christus Jesus war, um den Brüdern zu dienen. In einer Beziehung können wir weder den Brüdern noch Gott dienen, wie Er gedient hat. „Niemand kann auf irgend eine Weise seinen Bruder erlösen, noch Gott jemand versöhnen.“ In dem großen Werk, welches Er vollbracht hat, um den Tod kraftlos zu machen, und um das Leben und die Unverweslichkeit ans Licht zu bringen, ist Er allein geblieben; Er hat keine Nachfolger gehabt. Doch können wir Ihm in der Gesinnung folgen, welche sein Herz erfüllte. Wir finden in Epaphroditus einen Menschen, welcher um des Werkes Christi willen sein Leben nicht ansah, um einem von denen zu dienen, welche durch das kostbare Blut erlöst waren. Dies war höchst angenehm vor Gott; es war vor Ihm wie der liebliche Geruch des Dankes seines eigenen Auserwählten, und seines eigenen Dieners, – der sich gleichsam von Neuem von der Erde bis zu ihm erhob. Auch diejenigen, welche den Geist Gottes besaßen, sollten einen solchen in Ehren halten. Aber welches war das Werk Christi, das Epaphroditus erfüllt hatte? Es war weder das Predigen, noch das Lehren, noch irgend eine andere Sache, welche dem Menschen Ruhm geben konnte. Er diente einem unbekannten Gefangenen zu Rom Jesus selbst hatte seinen armen Gefangenen in dem Kerker zu Rom besucht, und der Apostel betrachtete die christliche Liebe des Epaphroditus, welcher von Philippi nach Rom gekommen war, ganz und gar als ein Werk durch den Herrn und für den Herrn. Gewiss kannte Paulus die Worte Jesu: „Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Persönlich war Jesus fern, und auch die Philipper befanden sich weit von Paulus; aber Epaphroditus konnte das Werk Christi ausführen, und den Mangel des Dienstes der Philipper ersetzen. In unseren Tagen wird diese Art des Dienstes unter den Heiligen nicht geachtet, wie es sein sollte. Viele wünschen fähig zu sein, zu lehren, während Gott ihnen vielleicht eine andere Stellung angewiesen hat, um ihren Brüdern in einer anderen Weise zu dienen. Weil wir die Ermahnungen finden, „mitzuteilen den Bedürfnissen der Heiligen“ – „mit Eifer nach Gastfreundschaft zu trachten,“ – „die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal zu besuchen,“ – so kann ein jeder eine Stellung einnehmen, welche für seine eigene Seele heilsam und für die Heiligen im Allgemeinen nützlich ist. Es scheint nicht, dass Epaphroditus bei der Notdurft des Paulus wegen seiner eigenen Bedürfnisse besorgt war; er war nur der Gesandte der Philipper, und er fügte zu ihrer Freigebigkeit seine persönlichen Dienstleistungen, welche hier so hoch geehrt sind. Wir sehen in diesem Fall ganz und gar einen Wirkungskreis, welcher von Christus auch dem Geringsten geöffnet ist; es ist dies vielleicht nur ein einziges Pfand, allem in die Wechselbank gegeben, bringt es seine reichlichen Zinsen. Es war nicht die Hilfe durch das Geld, welches das Herz des Apostels erfreute, obgleich seine Bedürfnisse dringend sein mochten, sondern es war der Anblick der Frucht, welche sich in der Rechnung der Philipp er so reichlich erwies, und dann die Überzeugung, dass in Epaphroditus dieselbe Gesinnung war, wie auch in Christus Jesus.
Es ist leicht zu begreifen, warum dieser Teil des Werkes Christi in Vergessenheit und beinahe in Verachtung gekommen ist. Die Kirche hat in ihrem Verfall eine Ordnung von Personen eingeführt, die mit allerlei Ehren der Welt geziert sind. Obgleich die köstliche Lehre von „der Rechtfertigung durch den Glauben“ seit der Reformation von Neuem ans Licht gebracht ist, so blieb doch der Rückschritt so groß, dass man die Predigt des Wortes beinahe ausschließlich als das Werk Christi betrachtete, und dass fast alle anderen Dienstleistungen, welche vom Heiligen Geist, als zum Werk Christi gehörend, angewiesen sind, vernachlässigt wurden. Es ist dem Satan gelungen, das Gute mit dem Bösen zu vermengen, und also dem Geist Gelegenheit zum Streit und dem Fleisch zum Ruhm zu geben, und es lebt in sehr vielen der Wunsch in derselben Weise zu dienen, anstatt sich ein jeglicher nach seiner eigentümlichen Weise verwenden zu lassen. Es war oft so wenig geistlicher Sinn unter uns, dass die einzelnen Sorgen für die Heiligen und die Freiheit ihnen irgend welchen Trost darzureichen, selten als ein Teil des Werkes Christi betrachtet worden sind. Es kann sich bei einem tätigen Evangelisten viel physische Anstrengung und eine ausgedehnte Sorge offenbaren, aber der geduldige Diener der Gnade, welcher weder seine Gesundheit noch sein Leben ansieht, wird kaum von jemand beachtet, wenn nicht vom Herrn selbst.
Auf eine Sache haben wir besonders unsere Aufmerksamkeit zu richten, dass es nämlich dem Herrn Jesus eine Freude ist, die Seinen gleichsam durch lebendige Glieder miteinander zu verbinden. Obgleich persönlich von ihnen entfernt, ist Er doch im Leben mit ihnen vereinigt durch den Heiligen Geist. Die Philipper konnten dem Apostel zu Rom nicht persönlich dienen, allein Epaphroditus füllte den Mangel ihres Dienstes aus. Es ist auch nach dem Sinn Jesu Christi vermöge des lebendigen Weges seiner Gnade uns gegenseitig zu dienen, und aus jedem Glied seines Leibes ein Gelenk zu machen, welches die Anderen Glieder verbindet.
Wir begreifen kaum, wie der Herr selbst in den kleinsten Umständen unserer Sorgen beschäftigt ist. Es ist ein großer Trost für uns, die Teilnahme zu sehen, mit welcher der Herr um das Wohlergehen seiner Jünger besorgt war. „Geht, sagte Er zu den Aposteln, an einen ernsten Ort und ruht ein wenig aus, – denn es waren viele, welche kamen und gingen, so dass sie selbst keine Zeit zum Essen hatten.“ Damals war es das Werk Christi, und jetzt in der Kirche ist es durch die Gaben denen übertragen, welche es ausfüllen sollen. Gewiss dürfen wir nicht verachten, was die Freude des Sohnes Gottes selbst ausmachte. Wir haben wahrlich sehr nötig, Augensalbe von Ihm zu kaufen, welche uns fähig macht, zu erkennen, was Ihm wohlgefällig ist, und die Stellung zu unterscheiden, in welcher jeder von uns in seinem Haus dienen soll. Das Werk Christi ist sehr mannigfaltig; Epaphroditus war beschäftigt dem Apostel zu dienen und der Apostel diente den Heiligen durch seine Briefe. Und für einen jeden von uns, wird mir das der Teil des Werkes Christi sein, worin Er uns durch die Gaben seines Geistes gesetzt hat. „Gott hat jedes der Glieder in dem Leib gesetzt, wie Er wollte. Und einem jeden ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi.“ „Aber Gnadengaben habend, verschieden nach der Gnade, die uns gegeben ist: – Es sei Weissagung, – übe er sie aus nach dem Maß des Glaubens; es sei ein Dienst, so bleibe er in dem Dienst; es sei der Lehrer, – in der Lehre; es sei der Ermahner, – in der Ermahnung; der Mitteilende – in Einfalt; der Vorstehende – in Fleiß; der Barmherzigkeit Übende, – in Freudigkeit“ (Röm 12,6.8). Fragt aber jemand, wie man am besten wissen könne, welches Teil des Werkes Christi uns übertragen sei, so antwortet das Wort: „Es sei in euch dieselbe Gesinnung, welche auch in Christus Jesus war.“