Botschafter des Heils in Christo 1855
Einige Worte über den Gegensatz und den Unterschied der israelitischen Stellung unter dem Gesetz und der jetzigen unter der Gnade
Es kann von großem Nutzen für uns sein, wenn wir diesen Unterschied recht begreifen. Wir sind ohne alle Hoffnung, wenn unsere Stellung vor Gott von Bedingungen abhängig gemacht wird, d. h. von Bedingungen, die von uns die Gerechtigkeit fordern. Das Gesetz stellt solche Bedingungen. Ehe wir dies aber weiter untersuchen, wird es nötig sein, einige Vorbemerkungen zu machen, nämlich die Stellung Israels vor dem Gesetz auf Sinai etwas näher ins Auge zu fassen. Der Bund, welchen Jehova mit Abraham machte, war ein Bund der Gnade. Durch diesen Bund wurde ihm und seinem Samen der Besitz des Landes Kanaan zugesichert, (1. Mo 13,15; 17,8) Es gab also eine Verheißung, welche Kanaan zu einem ewigen Besitz der Nachkommen Abrahams machte (Dies ist aber, wie ich glaube, noch zu erfüllen, und wird stattfinden, wenn Hesekiel 37 und Römer 11,25–27 verwirklicht sein werden). Nach einer anderen Verheißung (Kap 15,13–16) sollten die Nachkommen Abrahams im vierten Geschlecht nach Kanaan zurückkehren, nachdem sie vierhundert Jahre als Fremdlinge in einem anderen Land unter hartem Dienst zugebracht hätten. Unter Josua erlangte diese letzte Verheißung ihre Erfüllung. Kraft derselben wurde also Israel aus Ägypten und durch das rote Meer und die Wüste geführt; (2. Mo 12,40) die Treue Gottes war in Bezug auf seine Verheißung die Bürgschaft ihrer Einführung in das Land Kanaan. Gott war es nicht, der ihnen den Bund auf Sinai aufbürdete; sie stellten sich freiwillig unter denselben. Würden die Israeliten sich einerseits an ihre Fehler, an ihren Unglauben und an ihr Murren erinnert haben, und andererseits an die Treue, Langmut und Güte des Herrn, als Er ihnen sagte: „Und nun, wenn ihr meiner Stimme gehorcht, und meinen Bund beobachtet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; und ihr sollt mir ein Priesterkönigreich sein, und ein heiliges Volk“; (2. Mo 19,5–6) hätten sie daran gedacht, dass sie Abrahams Samen waren, so würden sie geantwortet haben: Kanaan und alle seine Segnungen sind uns zugesichert durch den Bund und den Eid; aber aus Erfahrung unsere eigenen Schwächen kennend, wagen wir uns nicht in eine Stellung, wo der Segen von unserem Gehorsam abhängig gemacht wird. Doch statt dessen antworteten sie im Hochmut ihres Herzens: „Alles, was Jehova geredet, wollen wir tun“ (V 8). Also hatte Israel durch den Bund auf Sinai den Boden der Verheißung, worauf es sich befand, verlassen, um ihn mit der eigenen Gerechtigkeit zu vertauschen. Vierzig Tage nachher schon machte Israel ein goldenes Kalb, und war im Abfall. Durch den Bruch dieses Bundes verlor es aber jedes Recht, kraft desselben in das Land einzugehen. Was war jetzt zu tun? Einerseits bestand die Verheißung und der Bund mit Abraham (1. Mo 15). – Gott konnte die erste nicht zurücknehmen und dem zweiten nicht untreu sein – andererseits war Israel durch die Sünde des goldenen Kalbes in Untreue und folglich unter dem Gericht. Jehova war beleidigt, und seine Gerechtigkeit musste gegen sein Volk ihren freien Lauf haben, genauso wie gegen Adam, als er in Eden ungehorsam war. Er konnte ohne Verletzung seiner Gerechtigkeit nicht über die Sünde Israels hinweggehen; sie musste gebüßt werden. Wie kam es aber nun, dass sie dennoch unter Josua in das Land eingehen konnten? – Gewiss nur durch die Kraft des Opfers Christi, welches im Voraus von Gott als vollgültig angesehen wurde. Dieser sollte als Jude kommen; Er sollte von einem Weib geboren und dem Gesetz unterworfen werden. Durch das Vergießen seines Blutes und durch seinen völligen Gehorsam vollbrachte Er vollkommen das Gesetz; Er büßte die Sünden des Volkes, und erfüllte eine Gerechtigkeit, die gesetzlich und vollkommen war. Dies ist übereinstimmend mit den Worten des Kajaphas, welcher, weil er desselbigen Jahres Hohepriester war, weissagte: „Ihr wisst nichts, bedenkt auch nicht, dass uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe …, denn Jesus sollte sterben für das Volk; und nicht für das Volk allein, sondern dass Er auch die zerstreuten Kinder Gottes, in eins zusammenbrächte“ (Joh 11,49–52).
So ging Israel unter Josua in das Land ein, wie es später unter Jesu, dem wahrhaftigen Gegenbild des Josua, eingehen wird. Dies Eingehen war genau nach demselben Grundsatz, nach welchem jeder Gläubige, von Abel an bis jetzt, in die Segnungen eingegangen ist, nämlich durch die Gnade mittels der Gerechtigkeit Christi. Nach Römer 6,21 sehen wir auch, dass dies zu jeder Zeit und in jeder Stellung der einzige Weg ist, wodurch der Mensch zu den Segnungen gelangen kann. Er hat keine Gerechtigkeit; er kann durch sich selbst zu keiner kommen; er kann jede Segnung nur auf Grund der Verheißung empfangen. Seine Gerechtigkeit muss die eines anderen sein; er muss einen Stellvertreter oder Bürgen an seiner Statt haben, wenn er etwas empfangen will.– Deshalb wird auch der Name Jesu durch Israel genannt und verherrlicht: „Der Herr, unsere Gerechtigkeit!“ (Jer 23,6; Jes 45,24–25)
Es ist sehr interessant und wichtig, die Entwicklung der Ratschlüsse und Grundsätze Gottes kennen zu lernen, und zu beobachten, wann und wie Er die Unumschränktheit seines Tuns und den Grundsatz der Auserwählung offenbart hat. Gott ändert weder sein Vorhaben, noch die Grundsätze, wonach Er handelt, obschon wir hiervon mannigfache Offenbarungen, und unter den verschiedenen Umständen und Verhältnissen auch eine verschiedene Handlungsweise sehen können. Die Israeliten waren, wie wir gesehen haben, auf den Grund ihres eigenen Gehorsams gestellt, und waren gefallen. Das ganze Volk war in diesem Abfall einbegriffen. Alle waren schuldig geworden; alle hatten sich unter den Fluch gestellt, und verdienten nichts als das Gericht. Nun hier ist es, wo Gott auftritt, um seine Unumschränktheit zu offenbaren, indem Er sagt: „Ich werde begnadigen, den ich begnadigen werde, und erbarme mich, über den ich mich erbarmen werde“ (2. Mo 33,19). Ebenso ist es jetzt. Die ganze Welt ist vor Gott als schuldig erklärt. Es gibt keine Gerechtigkeit, nicht eine Einzige (Röm 3,9–22). Und hier ist es wiederum, wo Gott nach dem Grundsatz der Auserwählung und der Unumschränktheit handelt. Gott sagt: „Jetzt werde ich begnadigen, den ich begnadigen werde, und mich erbarmen, über den ich mich erbarmen werde“ (Röm 9,15). Er kann so handeln, und dabei vollkommen heilig und gerecht bleiben; und dies bleibt Er wegen der Besprengung des Blutes Christi und seines Gehorsams. In Römer 3,4 und Kapitel 9 lässt es sich der Heilige Geist gefallen, Gott durch den Mund des Apostels wegen seiner Unumschränktheit und Auserwählung, gegen die ungerechten Anklagen, welche der Mensch erheben könnte, zu rechtfertigen; und „also ist die Weisheit gerechtfertigt durch ihre Kinder“ (Mt 11,19).
Angenommen, es würden sechs Missetäter, des Hochverrats angeklagt und überführt, zum Tod verurteilt. Dem Fürst, gegen welchen diese Tat vollbracht ist, steht allein das Recht zu, Gnade auszuüben; und er benutzt dieses Vorrecht und spricht drei von ihnen frei; aber gegen die drei anderen lässt er dem Gesetz seinen Lauf. Jetzt haben diese doch keine Ursache, den Fürsten der Ungerechtigkeit anzuklagen; und zwar deshalb nicht, weil das Gesetz sie als schuldig erfunden hat, und ihren Tod fordert. Handelte jener Fürst nur nach der Gerechtigkeit, so müssten alle sechs sterben; denn es ist ein Akt der Gerechtigkeit, einen Missetäter zu töten, der die Strafe des Todes verdient hat; und es ist ein Akt der Gnade, einen solchen Missetäter freizusprechen.
Wenn wir den Bund auf Sinai nicht klar verstehen, so werden wir auch die Notwendigkeit und den Wert des neuen Bundes, wovon Jesus der Mittler ist, und welchen Er durch sein Blut eingeweiht hat, nicht recht erkennen. Das Gesetz, in Folge des sinaitischen Bundes gegeben, forderte einen vollkommenen Gehorsam; aber es sorgte nicht für die Vergebung der Sünden, welche durch den Bruch desselben entstanden waren. Ebenso verschaffte es keine Kraft, um diesem Gesetz gehorchen zu können. Es beschränkte sich allein darauf, zu sagen und zu befehlen: „Tue das!“ – Es wandte sich an Menschen im Fleisch; und dem Fleisch ist es unmöglich, dasselbe zu erfüllen, weil das Gesetz geistlich, und nur die Liebe die Erfüllung desselben ist (Röm 13,10). Die Liebe ist der einzige Beweggrund und fähig, das Gesetz zu erfüllen; aber das Gesetz war den Menschen im Fleisch gegeben. Nun ist aber der Beweggrund und zwar der einzige Beweggrund, wonach das Fleisch wirkt, Feindschaft oder Hass; wie wir in Römer 8,7–8 lesen: „Die aber, welche im Fleisch sind, vermögen Gott nicht zu gefallen; weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist.“
Der Bund mit Abraham, (430 Jahre vor dem Gesetz gegeben (Gal 3,17)) unter welchem es eine Gerechtigkeit durch den Glauben gab, wie auch die Hoffnung der Gerechtigkeit durch den Glauben, d. i. die himmlische Herrlichkeit, hat auch nichts getan und konnte auch nichts tun, um für die unter dem Gesetz vollbrachten Sünden eine Vergebung zu erwirken, noch den Fluch fern zu halten, der mit der Übertretung des Gesetzes verbunden war. Dies lässt uns nun die Notwendigkeit und den Segen des neuen Bundes erkennen. Der Ausdruck „neu“ ist in der heiligen Schrift als Gegensatz des sinaitischen Bundes gebraucht, „welcher veraltet und dem Verschwinden nahe ist“; (Heb 8,7–13) aber nicht als Gegensatz des Bundes mit Abraham, welcher nicht aufgehört hat, und dessen Segnungen die Gemeinde teilhaftig worden ist (Gal 3,8–29). Ich erinnere euch an die Worte des Herrn Jesus bei der Einsetzung des Abendmahls: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, welches für euch vergossen wird“ (Lk 22,20). Ebenso ist Jesus in Hebräer 9,15 der Mittler des neuen Bundes genannt. Dieser neue Bund, notwendig geworden durch die Übertretung des ersten oder des Gesetzes, befreit von dieser Übertretung. Er trägt in sich, was der Bund auf Sinai nicht in sich trug, nämlich das Blut (wodurch die Erlassung der Sünden ist) und eine Kraft, welche möglich macht, den Geboten Gottes zu gehorchen. „Das ist der Bund, den ich für sie errichten will nach diesen Tagen, spricht der Herr: Meine Gesetze in ihre Herzen gebend, werde ich sie auch auf ihre Sinne schreiben; und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nicht mehr gedenken“ (Jer 31,31). Die ganze Abhandlung des Heiligen Geistes in Hebräer 9 und 10 bezieht sich auf diesen Gegenstand. In Hebräer 9,15 sagt Er: „Damit, – da der Tod zur Erlösung der unter dem ersten Bunde geschehenen Übertretungen eingeführt ist, – die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfangen möchten;“ und Er zeigt, dass es durch das Blut des neuen Bundes ist, wodurch das Gewissen vollkommen gemacht oder von den Übertretungen des Gesetzes gereinigt wird.
Also hat der neue Bund nicht nur die Wirkung, dass Gott der Sünden nicht mehr gedenkt, dass das Gewissen des Gläubigen gereinigt, von der Last der Sünden entledigt und von dem Fluch des Gesetzes erlöst wird, sondern er empfängt in demselben auch den Heiligen Geist der Verheißung, um die Gebote Gottes zu vollbringen. Es ist aber die Person des Heiligen Geistes, und nicht einfach seine Wirkung, wie etliche sagen und lehren (Röm 8,9–16; 2. Kor 6,16; Eph 1,13). Dieser Geist ist es, welcher unsere Kraft ist gegen die Sünde, unsere Kraft gegen den Satan, und welcher uns fähig macht, Gott zu gehorchen (vgl. Jer 31,31–34 und Heb 8,10–12 mit Hes 36,27).
Bis das Gesetz kam, war wohl Sünde in der Welt, (Röm 5,15) und es wäre die Besprengung des Blutes, um die Sünden zu tilgen, auch selbst in dem Fall nötig geworden, wenn kein Gesetz gegeben worden wäre; „denn ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Heb 9,22). – Also war es nicht das Gesetz oder der sinaitische Bund, welcher das Blutvergießen notwendig machte; dieser forderte vielmehr die Notwendigkeit eines neuen Bundes. Gott hatte den Menschen schon früher die Notwendigkeit der Blutvergießung wegen der Sünden offenbart; das sehen wir (1. Mo 3,21) und ebenso durch die Einführung der blutigen Opfer. Das Gesetz hat nur dem Menschen diese Notwendigkeit gezeigt, indem es ihn überzeugt hat, dass er vor Gott in der gleichen Übertretung mit Adam ist, (Röm 5,14) weil er ein bestimmtes Gebot Gottes übertreten hat. Durch das sinaitische Gesetz sah sich der Mensch einem neuen Fluch unterworfen; (5. Mo 27,26; Gal 3,13) durch den neuen Bund aber haben wir nicht nur die Erlösung oder die Erlassung der unter dem sinaitischen Gesetze vollbrachten Übertretungen, (Heb 9,15) sondern auch die Erlösung von dem Fluch dieses Gesetzes.
Das bisher Gesagte wolle man vornehmlich als Einleitung des in der Überschrift angeführten Gegenstandes betrachten. Sind dies auch meist bekannte Wahrheiten, so ist es doch gut, wenn sie ganz klar vor unserer Seele stehen, damit wir auch das Folgende umso besser erkennen.
1. Der sinaitische Bund war für das Volk Israel, dem Samen Abrahams nach dem Fleisch, errichtet. Nach diesem Bund war es, falls es der Stimme des Herrn gehorchte, ein Priesterkönigreich und ein heiliges Volk; allein es blieb nicht in diesem Bunde, und jetzt, seitdem Israel verworfen, ist die Gemeinde Gottes das heilige Volk. Doch ist dies nicht ein Volk, in Betreff des Fleisches, zusammengehalten durch eine bürgerliche Regierung, sondern ein Volk, welches geistlich ist; „auserwählte Fremdlinge nach Vorkenntnis Gottes des Vaters, in Heiligkeit des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ (vgl. 1. Pet 1,1–5 mit Kap 2,5–9). Die Auserwählten sind das heilige Volk, seit das irdische Volk bei Seite gesetzt ist. Es ist nötig, zu erkennen, dass es nur Verwirrung hervorbringt, wenn man Israel nach dem Fleisch als ein Vorbild der christlichen Völker betrachtet. Vielmehr ist dies die wahre Anwendung des Vorbildes: das Volk Israel oder der Same Abrahams nach dem Fleisch ist das Vorbild der Gemeinde des lebendigen Gottes, des heiligen Volkes, bestehend aus dem Samen Abrahams nach dem Geist (Gal 3,29–4,26–31). Was für Israel sichtbar, irdisch und in Beziehung mit dem Fleisch stand, ist für die Gemeinde Gottes unsichtbar, himmlisch und geistlich. So war auch jenes ein irdisches Volk mit irdischen Hoffnungen; dieses aber ist ein himmlisches Volk mit himmlischen Hoffnungen. Doch es ist ganz und gar unrichtig, das Fleisch und die Erde als Vorbilder für das Fleisch und die Erde zu betrachten; vielmehr sind sie Vorbilder des Geistes und des Himmels.
2. Der Charakter der Stellung Israels unter dem sinaitischen Bund war die Gerechtigkeit, und zwar eine Gerechtigkeit durch das Gesetz. Der Gehorsam nach dem Gesetz sollte die Gerechtigkeit des Volkes sein; (5. Mo 6,25) und diese Gerechtigkeit war der Grundsatz, nach welchem Gott mit dem Volk handelte, welches in den sinaitischen Bund eingetreten war. Doch muss man dieses wohl von dem Grundsatz unterscheiden, nach welchem Er mit einzelnen Gläubigen unter diesem Volk handelte. Dieser Grundsatz war der der Gnade durch den Glauben. Die einzelnen Gläubigen, wie David und andere, genossen von der Hoffnung der Gerechtigkeit durch den Glauben (vgl. Gal 5,5 mit Heb 11,10.13.16.39.40; 12,22–24). Ihr Glaube brachte sie in eine Stellung, welche über die gesetzliche hinausging. Als Juden nach dem Fleisch hatten sie Teil an den irdischen Segnungen; aber als geistliche Juden hatten sie auch Teil an den himmlischen Segnungen, unendlich höher und vortrefflicher als jene.
So wie die Gerechtigkeit der Grundsatz der Wege Gottes gegen Israel war, so sollte auch die Gerechtigkeit der Grundsatz und die Regel ihres Verhaltens unter einander sein (2. Mo 21,23–25; 3. Mo 24,19–20; 5. Mo 19,21). Unter ihnen sollte also die Gerechtigkeit oder das Recht walten. Jetzt aber waltet die Gnade, oder wenn man will, die Gerechtigkeit ohne das Gesetz, „die Gerechtigkeit durch den Glauben;“ nämlich „Gottes Gerechtigkeit durch den Glauben an Jesus Christus zu allen hin, und auf alle, welche glauben“ (Röm 3,22).
Die Gerechtigkeit oder das Recht handelt mit dem Menschen nach Verdienst. Darum ist es eine gerechte Handlung, den Schuldigen zu strafen, und den Schuldlosen freizusprechen. Die Gnade aber besteht darin: dem Schuldigen zu vergeben, Barmherzigkeit zu üben an dem Bösen, und den Unwürdigen zu segnen. Die Gnade handelt mit dem Menschen, ohne seine Schuld in Betracht zu ziehen und selbst trotz seiner Schuld. Wir sehen diesen Gegensatz recht deutlich, wenn wir in 2. Mose 23,7 mit Römer 4,5 vergleichen. „Ich lasse den Frevler nicht unbestraft.“ – „Dem aber, der nicht wirkt, aber an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Das ist die Gnade. So wie nun aber jetzt die Gnade der Beweggrund in Betreff der Wege Gottes gegen uns ist, so soll auch sie der Beweggrund in dem Verhalten der Christen unter einander und gegenüber der Welt sein (Lk 6,27–38; Mt 5,38–48; 1. Pet 2,20–28; 1. Kor 4,12).
Durch die Gnade Gottes haben wir eine vollkommene Vergebung von allen unseren Sünden empfangen, und sind teilhaftig geworden all der geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus (Eph 1,3.7; Kol 2,3.10; Röm 6,23). So sollen wir nun auch anderen mit gleicher Gnade begegnen, und nicht in Gerechtigkeit oder Gericht gegen diejenigen auftreten, welche uns Unrecht tun. Dies ist der Grundsatz aller Vorschriften des neuen Testaments in Betreff des Wandels der Gläubigen, sowohl in der Gemeinde als auch in der Welt. Es soll demnach der Charakter einer jeden Stellung, sowohl der früheren unter dem Gesetz, als der jetzigen unter der Gnade, durch diejenigen im praktischen Leben offenbar werden, welche dieselbe einnehmen. Israel, auf dem Boden der Gerechtigkeit stehend, soll kund tun, was die Gerechtigkeit ist; und die Gemeinde, auf dem Boden der Gnade stehend, soll kund tun, was die Gnade ist.
3. Die Segnungen Israels waren in Beziehung mit dem Fleisch und irdisch (vgl. 1. Mo 13,16–18; 5. Mo 7,12–15; 8,7–18; 11,8–15.21). Diese Stellen schon lassen uns den Charakter dieser Segnungen klar erkennen. Die Hoffnung des Juden, als Jude, stand in Betreff seiner Segnungen in Beziehung mit dieser Erde. Der Reichtum, langes Leben, Fruchtbarkeit des Bodens usw. waren sein Teil. Der Besitz dieser Dinge sollte für ihn ein Zeichen der Huld Gottes sein. War er leidend, sei es an seiner Person, sei es an seinen Gütern, so war dies ein Beweis der Ungunst Gottes. Der Segen des Juden stand also mit dem Fleisch in Beziehung, und der Ort, wo er ihn genoss, war die Erde, nämlich das Land Kanaan. – Unsere Segnungen aber sind geistlich, und der Ort, wo wir sie genießen, ist der Himmel (Eph 1,3; Kol 2,23). Wenn man jetzt seine Gedanken und seine Neigungen auf irdische Dinge gerichtet hat, so ist man ein Feind des Kreuzes Christi (Phil 3,18–21). Vielmehr sind jetzt die Leiden das Teil des Gläubigen auf Erden. Das Fleisch kreuzigen, sich selbst verleugnen, der Welt und alles was darinnen ist, entsagen; sein eigenes Leben hassen, den Verlust aller Dinge um Christi willen leiden, – das ist das irdische Teil des Jüngers Christi. Sein himmlisches Teil ist seine Gemeinschaft an der Herrlichkeit des auferstandenen Christus im Geist und durch den Glauben von jetzt an. Seine Hoffnung ist die Erlösung seines Leibes, und Jesus zu sehen, gleich wie Er ist, und Ihm gleich zu sein (vgl. Mt 16,24–25; 1. Kor 4,11–13; Joh 15,18–21; Röm 8,22–25; 1. Kor 1,7; Gal 6,14–17; Kol 3,4; Heb 10,32–37; 3,1).
4. Die Segnungen Israels waren bedingungsweise; sie hingen von dem Gehorsam des Volkes ab (2. Mo 19,5; 3. Mo 26; 5. Mo 27,12–26; Kap 28) Die Segnungen der Gemeinde aber sind nicht bedingungsweise; die Erlangung derselben ist nicht dem Gehorsam derjenigen unterworfen, welche die Genossen dieser Segnungen sind. Es ist Gnade durch den Glauben, dass sie derselben teilhaftig werden. Das Leben des Gehorsams, wozu sie berufen sind, wird die Folge der schon empfangenen Segnungen (Vgl. 1. Pet 3,5.9.12; Kol 1,9–14 mit 2. Mo 19,5 und siehe Heb 12,22–24). Alle Gebote des neuen Testaments, die sich auf den Wandel beziehen, sind an lebendige, d. h. geistlich lebendige Menschen und nicht an tote gerichtet, an Menschen, die das ewige Leben haben und folglich errettet sind; und nicht an Menschen, welche noch tot sind in Sünden und Übertretungen und folglich verloren sind (2. Kor 4,3–4; Joh 3,36–6,47; Eph 2,4–6; Kol 2,13). Der Gläubige wird zuerst errettet, und dann wird er verherrlicht; er empfängt das Heil im Anfang und die Herrlichkeit am Ende; er hält die Hoffnung der Herrlichkeit fest, und freut sich derselben, weil er errettet ist (Röm 5,1–2; 1. Pet 3–9). – Die Gläubigen stehen jetzt unter einem bessern Bunde, ruhend auf besseren Verheißungen, – besser, weil das Erbe ewig ist; (Heb 8,6; – 9,13) auch sind die Verheißungen nicht auf diese Worte gegründet: „Wenn ihr meiner Stimme gehorcht und meinen Bund, beobachtet, so sollt ihr mein Eigentum aus allen Völkern sein, denn die ganze Erde ist mein; und ihr sollt mir ein Priesterkönigreich sein und ein heiliges Volk,“ – sondern es heißt: „Nachdem ihr geschmeckt habt, wie gut der Herr ist, seid ihr ein geistliches Haus, eine heilige Priesterschar, das königliche Priestertum, das heilige und erkaufte Volk, das auserwählte Geschlecht, das Volk des Eigentums.“ Die frühere Stellung kannten nur Knechte, in der jetzigen aber sind die Söhne (Gal 3,26; 4,1; 4,21–31).
5. Der Kultus des israelitischen Volkes bestand in fleischlichen Satzungen, welche bis Zur Zeit der Zurechtbringung oder Besserung eingeführt waren (Heb 9,9–10). Der Ort des Dienstes oder des Kultus war ein irdisches Heiligtum von Händen gemacht, und errichtet durch Menschen auf der Erde. Die Priester, welche Gott Gaben und Opfer darbrachten, waren nach einem fleischlichen Gebot eingesetzt (Heb 7,11–12.16–23). Das Recht, Priester zu sein, war ganz und gar auf das Fleisch gegründet, nämlich auf ihre Eigenschaft als Glieder der Familie Aarons, und nicht auf irgend eine moralische oder geistige Eigenschaft. Dies Priestertum war auf eine besondere Klasse beschränkt, auf die Familie Aarons, und die Familie Levi allein war für den Dienst der Stiftshütte und später des Tempels berufen. Der Dienst der Priester bestand darin, die Opfer darzubringen, und auf dem ehernen Altar im Innern des Heiligtums zu räuchern, welches die Fürbitte vorstellte. Der Dienst der Leviten war nicht der Kultus, d. h. er bestand weder darin, die Opfer darzubringen, noch die Fürbitte zu üben; sie waren bloß beauftragt im Heiligtum in der Weise zu dienen, dass sie für alle Geräte desselben und was sonst dazu gehörte, Sorge tragen mussten.
Man hat sich geirrt, wenn man diese drei Klassen von Personen, die Priester, die Leviten und das Volk, als Vorbilder von drei verschiedenen Klassen in der Gemeinde Gottes betrachtet hat. Sie bezeichnen zwar drei verschiedene Charakter in der Gemeinde, nicht aber drei Klassen. Nach der jetzigen Stellung der Gläubigen ist jeder derselben ein Priester, (1. Pet 2,5–9; Off 1,6; 5,8–10) Jeder Gläubige hat das Recht, sogar in das Allerheiligste zu gehen durch das Blut Jesu; (Heb 10,19–20) jeder Gläubige ist berufen, zu opfern geistliche Opfer; (Heb 13,10–15; 1. Pet 2,14) jeder Gläubige hat Fürbitte zu üben für alle Heiligen oder für die ganze Gemeinde; (Eph 6,18) und jeder Gläubige ist Diener in der Gemeinde (welche das Haus Christi auf Erden ist (Heb 3,6)) und Diener der Gemeinde (Joh 13,14–15; Gal 5,13; Eph 5,21; 1. Kor 12,25–26; Röm 12,8; 1. Joh 3,16). Also ist jetzt jeder Gläubige das Gegenbild eines Priesters unter dem Gesetz oder eines Sohnes Aarons; und zu gleicher Zeit ist er das Gegenbild eines Leviten, wie Christus selbst ein Gegenbild von Aaron ist. Die Priester unter dem Gesetz waren ein Bild der Gemeinde Gottes in ihrem Kultus; die Leviten waren ein Bild der Gemeinde Gottes in ihrer gegenseitigen Bedienung. Israel als ein Leib oder ein Ganzes betrachtet, abgesehen von aller Einteilung in Klassen oder Ordnungen, war ein Bild der Gemeinde, betrachtet als Leib oder ein Ganzes, sowie der einzelne Israelit Vorbild eines Gläubigen war, einfach in Christus betrachtet, und nicht als Priester oder Levit.
Es konnte aber ein jeder Priester, obschon er diesen Titel und Charakter stets beibehielt, doch nirgends anders sein Priesteramt ausüben, als im Heiligtum; (in der Wüste in der Stiftshütte und später im Tempel) man konnte nirgends anders Opfer darbringen, als dort, wo der Name des Herrn war; (2. Chr 7,16) dort, wo der eherne Altar sich befand, welcher vor dem Heiligtum war; und man konnte nirgends anders räuchern, um Fürbitte zu tun, als da, wo der goldene Altar stand, im Innern des Heiligtums. – Wenn jetzt die Gläubigen Priester sind, so müssen sie auch ein Heiligtum haben, vor welchem sie Opfer darbringen und in welches sie eingehen können, um zu räuchern. Dies Heiligtum ist im Himmel, wo Jesus, der große Hohepriester mit seinem Blut eingegangen ist. Da ist es, wo Er vor und auf dem Gnadenstuhl die Besprengung seines Blutes vollbracht hat, welches stets bessere Dinge redet, als das Blut Abels (Heb 12,24; Kap 8,1–4; 9,1–24; 10,19–22; 4,14–16).
Die Gläubigen sind eine geistliche Priesterschar und haben geistliche Gaben zu opfern; ihr Heiligtum und folglich der Ort ihres Kultus oder Dienstes und ihrer Gemeinschaft mit Gott ist, wie wir gesehen haben, der Himmel. Hier gibt es weder ein Priestertum nach dem Fleisch, noch fleischliche Satzungen oder Gebote, weder ein Heiligtum in dieser Welt, noch einen Ort der Gemeinschaft oder des Kultus auf der Erde. Dieser ist jetzt nahe beim Gnadenthron, d. i. im Himmel, da wo sich der große Hohepriester befindet (2. Mo 25,21–22; Kap 29,43; Heb 9,11–12.24). – Wir haben also gesehen, dass der Kultus jetzt geistlich und nicht fleischlich ist, dass er im Geist und durch den Geist und nicht nach dem Gesetz und durch das Gesetz geschieht; ferner, dass das Priestertum geistlich und himmlisch und nicht fleischlich und irdisch ist, dass das Heiligtum sich im Himmel und nicht auf der Erde befindet, errichtet von Gott und nicht durch Menschen, und dass der Ort der Gemeinschaft mit Gott nur da sein kann, wo Gott wohnt. Seine Wohnung aber ist im Allerheiligsten im Himmel und nicht mehr in der Scheschina zwischen den Cherubim in dem Heiligtum dieser Erde. Der Gläubige hat nun das Recht und die Freiheit, durch das Blut Jesu in das Allerheiligste des Himmels einzugehen (Heb 10,19). Die Macht, mittels derer seine Seele dort eingeführt ist, ist der Heilige Geist, der in ihm wohnt (Eph 2,18; 1. Kor 6,19; 2. Kor 6,16; Gal 4,6).
Die bisher angeführten Stellen, um zu beweisen, dass jeder Gläubige ein Priester ist, dienen auch dazu, die Unrichtigkeit einer Behauptung, die man gegen diesen Grundsatz gemacht hat, darzutun. Man hat gesagt, dass, obschon Israel ein Priesterkönigreich war, es doch eine Klasse oder eine bestimmte Familie (die Familie Aarons) gab, welche zum Priesteramt berufen war, und dass jeder Israelit, der dieser Familie nicht angehörte, todeswürdig war, sobald er sich auf irgend eine Weise anmaßte, den Dienst des Priesters zu vollziehen (4. Mo 3,10.38). Hieraus schließt man, dass, obschon jeder Gläubige ein Priester ist, doch die Sohn Aarons ihr Gegenbild in einer bestimmten Klasse von Personen haben müssten, welche für die Verrichtung oder Übung des Priesteramtes geweiht und abgesondert wären, und dass kein Christ, der nicht zu dieser Klasse gehöre, das Recht habe, sich in diesen Dienst einzumischen. Man führt auch Judas 11: „Wehe ihnen! … sie kommen um in dem Aufruhr Koras,“ an, als eine Drohung gegen die Eingriffe in das jetzige Priestertum. Dieser Gedanke hat seinen Grund in der falschen Anwendung des Vorbildes des Priestertums Aarons, indem man dieses auf eine besondere Klasse in der Gemeinde, statt auf die ganze Gemeinde, betrachtet in ihrem Kultus oder Gottesdienst, anwendet. Folgendes ist jedoch entschieden gegen eine solche Meinung:
1. Nirgendwo im neuen Testament finden wir irgend eine Erwähnung von einer besonderen Klasse von Priestern in der Gemeinde Gottes, welche sich von anderen Gliedern derselben unterscheidet.
2. Alle Gläubigen haben eine und dieselbe Stellung in Christus; ein jeder gehört zu der Zahl derjenigen, welche Gott mit Christus lebendig gemacht, welche Er samt Ihm auferweckt hat, und welche Er hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus (Eph 2.5–6). So ist nun jeder Gläubige nicht allein in Christus, (1. Kor 1,30) sondern er ist in Ihm da, wo Er selbst ist, d. i. im Allerheiligsten. in dem Heiligtum im Himmel, wohin Jesus eingegangen ist mit seinem eigenen Blut, um jetzt für uns vor Gott zu erscheinen (Heb 9,1–12.24; Kap 8,1–6). Das Allerheiligste des irdischen Heiligtums stellte die Wohnung und die Gegenwart Gottes vor, und niemand konnte hineingehen als der Hohepriester, und zwar nur einmal im Jahr am großen Versöhnungstag (3. Mo 16,2–29; Heb 9,7). Die Söhne Aarons durften nur in das Heilige, welches durch einen Vorhang vom Allerheiligsten getrennt war, eingehen, um ihren Dienst zu verrichten (Heb 9,6). Die Vereinigung jedes Gläubigen mit Christus, auferstanden und verherrlicht, gibt ihm eine Stellung im Allerheiligsten. Er hat fortwährend das Recht und die Freiheit daselbst durch das Blut Jesu einzugehen, weil der Vorhang zerrissen ist (Heb 10,19–22). Es gibt keinen Ort, welcher näher bei Gott ist, als dieser, und kein größeres Vorrecht als dieses; aber es ist der Ort und das Vorrecht aller Gläubigen ohne Ausnahme, und gehört nicht nur einer besonderen Klasse von Christen an.
3. Der ganze Dienst der Söhne Aarons, nämlich das Opfer und die Fürbitte, ist jetzt der ganzen Gemeinde beigelegt (Siehe 1. Pet 2,5–9; Off 1,6; 5,8; Heb 10,19–22; 13,10.15; Eph 6,18). Alle Gläubigen haben die Freiheit in das Allerheiligste einzugehen, wo sonst nur der Hohepriester allein eingehen konnte; sie haben den Beruf und das Vorrecht, den Dienst zu verrichten, welchen die Söhne Aarons im Heiligtum vollbrachten. Hieraus folgt, dass keine Klasse von Menschen in der Gemeinde einen Dienst als Priester hat, woran nicht ein jedes Glied derselben Teil nehmen kann. – Das Wort in Judas 11 ist von großer Wichtigkeit, und der Herr gebe, dass alle diejenigen, gegen welche es gerichtet ist, es mit Ernst beachten, auf dass sie seiner schrecklichen Ausführung entgehen. Die Sünde Koras war ein Aufruhr gegen die unter dem Gesetz von Gott eingeführte priesterliche Ordnung, und ein Versuch, sich die Vorrechte dieser Ordnung anzumaßen. Dies Beispiel ist also anwendbar gegen alle, welche die in der jetzigen Zeit von Gott eingeführte Priesterordnung verkennen und verwerfen, welche den Genuss und die Verrichtung des Dienstes oder die Vorrechte derjenigen, wovon die Söhne Aarons Vorbilder waren, ausschließlich an sich reißen. – Jetzt sind alle diejenigen, welche durch Jesus zu Priestern Gottes gemacht sind, und welche die wahre Gemeinde Gottes ausmachen, – Menschen im Geist, Menschen, die nicht von dieser Welt sind, welche durch das Blut Jesu von ihren Sünden gewaschen und mit Ihm gestorben und auferstanden sind; es sind aber nicht Menschen im Fleisch, nicht Menschen dieser Welt, welche tot sind in Sünden und Übertretungen, und die weder gewaschen noch lebendig gemacht sind. Jesus ist es, Jesus allein, der sie zu Priestern machte. Ihr Beruf und ihre Vorrechte kommen von Ihm und von Ihm allein, ohne irgend eine Vermittlung oder Bestätigung von Seiten eines Menschen (Off 1,5–6). Die Anmaßung besteht jetzt darin, irgend einen Dienst des Priestertums an sich zu reißen, – oder ein Priestertum von einer besonderen Klasse von Personen hinzustellen, – oder, was noch mehr ist, ein Priestertum nach dem Fleisch zu errichten, indem man Menschen im Fleisch, Menschen von der Welt, die nicht den Geist haben, als Priester anerkennt und bestätigt, oder ihre Qualifikation (Befähigung) von Bildung und von menschlicher Auszeichnung, – und ihren Beruf von der Autorität (Ansehen) oder dem Willen des Menschen abhängig macht, – oder ihr Recht auf die Succession oder die Übertragung von Menschen zu Menschen gründet, – oder auch den Dienst und das Vorrecht eines Priesters für sich beansprucht, während man die Anderen, die in Christus sind, ausschließt, – oder die Erde und ein irdisches Heiligtum als den Ort des Dienstes herzustellen bemüht ist, sei es von einem Einzelnen, oder sei es von irgend einer Körperschaft, – dies alles ist im Grundsatz die Nachahmung Koras. Es ist eine Verachtung und Verwerfung der Ordnung, welche Gott eingeführt hat, und eine Anmaßung in dem Dienst und den Vorrechten dieses Priestertums. –
Die ganze jüdische Haushaltung und folglich alle fleischlichen Gebote haben für jetzt aufgehört. Dies alles sind schwache und armselige Elemente geworden (Gal 4,9). Der Versuch, Gott zu nahen nach jüdischen Zeremonien, auf Grund eines irdischen Priestertums, nach fleischlichen Geboten oder Satzungen, oder die Dinge, welche Gott beseitigt hat, wieder aufrichten zu wollen, ist nur ein Götzendienst (Heb 7,11–12; 8,7–8). Der Götzendienst besteht nicht allein darin, dass man einen anderen Gegenstand als den allein wahren Gott anbetet, sondern auch darin, dass man versucht, in einer anderen Weise anzubeten, als die, worin Er angebetet sein will; er besteht nicht allein in dem Gegenstand, sondern auch in der Weise des Kultus; Gott kann nur einen Kultus annehmen und anerkennen, wenn er nach der Weise ist, welche Er selbst vorgeschrieben hat. Der Kultus ist wahr oder falsch; ist er nicht wahr, so ist dies kein Kultus oder Gottesdienst, – es ist ein Götzendienst.
Der einzige Gott wohlgefällige Dienst ist der im Geist; (Joh 4,23) jede andere Art Gottesdienst ist falsch; weil Gott durch keinen anderen wahrhaft angebetet und geehrt werden kann. Deswegen sagt auch der Apostel in Galater 4,8–9 ausdrücklich, dass die Wiederannahme der jüdischen Satzungen, jetzt schwache und elende Elemente geworden, eine Rückkehr zu dem Götzendienst sei, unter welchen sie damals geknechtet gewesen wären, als sie Gott nicht erkannt hätten. Die Galater waren ursprünglich Heiden und nicht Juden, und wollten jetzt zu den Dingen zurückkehren, unter welchen sie geknechtet gewesen waren, nämlich zu fleischlichen Geboten, zu einem Gottesdienst nach dem Fleisch. Es bleibt sich gleich, welche Form das Fleisch annimmt, – sei es der grobe Götzendienst des Heidentums, oder sei es die etwas reinere Form der jüdischen Satzungen. Gott kann einen solchen Gottesdienst nicht annehmen. „Die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Nicht mittelst der Schatten der Satzungen der jüdischen Zeremonien, sondern durch Jesus, welcher die Wahrheit ist, d. i. das Wesen oder die Wirklichkeit, wovon jene Satzungen nur Schatten waren (Joh 1,17; Kol 2,16–23). In dieser letzten Stelle ist der Gläubige als mit Christus auferstanden betrachtet, und dadurch selbst von dem Fleisch und der Welt befreit, weshalb er nun nicht mehr den Satzungen unterworfen sein kann, welche dem Fleisch und dem irdischen Heiligtum angehören. Man rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass man sagt, man habe die Absicht, mittelst dieser Satzungen Gott anzubeten, und nicht die Absicht, den Götzen zu dienen. Wir finden 2. Mose 32,1–5, dass Aaron die Anbetung des goldenen Kalbes „ein Fest dem Herrn“ nannte. So auch in den traurigsten Zeiten des jüdischen Abfalls unter der Regierung Ahas, wo die Altäre in allen Straßen Jerusalems vervielfältigt waren, da maßten die Häupter und die Priester des Volkes sich an, sich auf den Herrn zu stützen, indem sie sagten: „Ist der Herr nicht unter uns? Es wird kein Böses über uns kommen“ (Mi 3,9.11 vgl. Kap 1 & 2 mit 2. Kön 16 und 2. Chr 28 siehe auch Jer 7,1–11). Ebenso auch als Jesus auf der Erde wandelte. Die Juden nannten sich „Abrahams Samen;“ allein der Herr sagte ihnen, dass der Vater, von dem sie herkämen, der Teufel sei, (Jos 8,33.39–44) und während sie für das Gesetz und alle äußerlichen Satzungen sehr eifrig waren, wendet Er auf sie die Worte Jesaja 29,13 an: „Weil dies Volk sich naht mit seinem Mund, und mit seinen Lippen mich ehrt, sein Herz aber ferne von mir hält, und seine Furcht gegen mich gelernte Menschensatzung ist; darum siehe, usw.“ In Kolosser 2,20–22 sagt Paulus ausdrücklich, dass die jüdischen Satzungen, vor welchen er die Kolosser warnt, Gebote und Lehren der Menschen seien.
Wir haben aber gesehen, dass das Priestertum und der Gottesdienst jetzt geistlich sind; ebenso ist der ganze Dienst geistlich. Die Gläubigen sind sowohl geistliche Priester, als auch geistliche Leviten. Es ist sehr wichtig, das Priestertum von der Bedienung zu unterscheiden. Im Priestertum gibt es völlige Gleichheit unter den Gläubigen; alle sind Priester. Im Betreff des Dienstes im Innern des Vorhangs gibt es keinen Unterschied. Alle haben gleiche Vorrechte und Berufung; aber in Bezug auf den Dienst oder die Bedienung außerhalb des Vorhangs gibt es sowohl eine Verschiedenheit in den Gaben als auch in der Berufung; sowie der Leib viele Glieder und jedes Glied seine besondere Verrichtung hat. Gerade diese Verschiedenheit der Gaben und der Berufung machen den Leib fähig, seine verschiedenen Verrichtungen zu erfüllen (2. Kor 12,4–30). Diese Verschiedenheit in dem geistlichen Leib Christi wird der Machtvollkommenheit des Heiligen Geistes zugeschrieben (1. Kor 4,11) Der Geist ist es, der die Gaben einem jeden austeilt, wie Er will. Es ist ein großer Irrtum, vorauszusetzen, dass der Dienst in der Gemeinde Gottes bloß darin bestehe, dass man bete und das Wort predige. Die Diakonen waren Diener, wie es das Wort „Diakon“ schon selbst andeutet; auch zeigt es der Dienst, welchen sie verrichteten. Phöbe war eine Dienerin der Gemeinde zu Kenchreä (Röm 16,1). Das Haus Stephanas hatte sich selbst zum Dienst der Heiligen verordnet. Die Füße der Heiligen zu waschen, ist auch ein Dienst an der Gemeinde, ebenso wahr, als die Belehrung durch das Wort, nur anderer Natur (Joh 13,14; 1. Tim 5,9–10; Tit 2,35). Nach diesen Stellen ist es augenscheinlich, dass auch die Frauen Dienerinnen sind, allein sie haben nicht den Dienst am Wort (1. Tim 2,8–12; 1. Kor 14,34–35). Was die Diener am Wort betrifft, so sind sie Diener des neuen Bundes und nicht des alten; sie sind nicht Diener nach der jüdischen Form, d. h. nach dem Fleisch, wie es die Leviten waren; sie sind ebenso wenig Diener der jüdischen Satzungen, sondern des Geistes (2. Kor 3,6). In dieser Stelle ist die Qualifikation oder die Fähigkeit, Diener zu sein, allein Gott zugeschrieben, und nicht der Autorität der Menschen. Auch nicht irgend einer Gabe oder natürlichen Fähigkeit, als vom Menschen selbst kommend.
Der Gegenstand des Dienstes sind jetzt die Dinge Gottes (1. Kor 2,6–16). Niemand kennt diese Dinge, ohne den Geist Gottes (V 11). Also kann ein Mensch, welcher den Heiligen Geist nicht hat, auch die Dinge Gottes nicht kennen, und ist also unfähig, andere zu lehren. Der 2. Brief an die Korinther zeigt, was der Dienst jetzt ist, sowohl in seiner Natur als auch in seinem Charakter. Es ist der Dienst des neuen Bundes, der des Geistes; es ist der Dienst der Gerechtigkeit und Herrlichkeit. Wir sehen hier auch, was er nicht ist. Er ist nicht der Dienst des alten Bundes, nicht der des Buchstaben oder des Gesetzes; er ist nicht der des Fleisches; denn das Fleisch ist die Decke, welche die Juden verhinderte, die Herrlichkeit Christi zu sehen. Der natürliche Mensch versteht nichts von den Dingen, die des Geistes Gottes sind. Kapitel 4 zeigt, was der Dienst in seiner Ausübung ist, und wohin er führt (V 7–17 und Kap 6,4–10). Hätte man nicht ganz und gar den Charakter des Dienstes aus den Augen verloren, wäre der Dienst selbst nicht verdorben worden, so würde er nie ein ehrenvoller Stand in der Welt geworden sein. Im Gegenteil, die Diener des Herrn würden von der Welt auch jetzt noch als ein Auskehricht und ein Auswurf von allen betrachtet werden.
6. Wir haben noch den Gegensatz zu betrachten, welcher zwischen den Feinden der Juden und der Gemeinde besteht. – Israel war zur Besitznahme eines irdischen Erbteils berufen. Dies Erbteil war in den Händen von Menschen im Fleisch. Die Israeliten sollten diese durch das Schwert vertreiben und sie ausrotten (5. Mo 7,1–2.16–26). Ihre Feinde waren im Fleisch; sie hatten beständig ihr Land gegen die Überfälle anderer Völker zu verteidigen, und auch ihre Waffen waren fleischlich. Jetzt sind unsere Feinde nicht Fleisch und Blut, sondern die Fürstentümer, die Gewalten, die Weltbeherrscher dieser Finsternis, die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern (Eph 6,12). Diese Feinde können wir auch nur durch geistliche Waffen bekämpfen (2. Kor 10,4; Eph 6,10–17). Der Unterschied der Stellung der Israeliten und der Gemeinde ist in dieser Beziehung, nach meiner Meinung, in dem Gleichnis des Herrn vom Unkraut unter dem Weizen enthalten (Mt 13,24–31). Die Israeliten sollten abgesondert und allein wohnen, (4. Mo 23,9) in einem besonderen Ort auf der Erde, im Land Kanaan; und wenn sie Gott gehorsam gewesen wären, so würde kein einziger der Unbeschnittenen im Land geblieben sein (Ri 2,2–20.23–3,1–5). Die Gemeinde aber, welche aus Auserwählten besteht, die zerstreut sind, hat auf der Erde keinen besonderen Ort, weil ihre Berufung himmlisch ist (Heb 3,1). Es sind fremde Pilger hier unten, (1. Pet 2,1) Der Wohnort der Gemeinde ist in den himmlischen Örtern in Christus Jesus, (Eph 1,3) folglich sollen die Christen nicht versuchen, das Unkraut, was der Teufel gesät hat, auszureißen; der Acker, wo das Unkraut und der Weizen wachsen, ist die Welt und nicht die Gemeinde (Mt 13,38). Dies Unkraut sollten sie, selbst wenn sie die Macht dazu hätten, nicht ausreißen. Doch die ganze papistische Verfolgung, die schauderhafte Inquisition, die blutigen Kriege der Kreuzzüge, – waren im Grundsatz nur eine Anstrengung, das Unkraut auszurotten. Man handelte nach jüdischen und nicht nach evangelischen Grundsätzen.
Man verbrannte die Ketzer und stützte sich dabei auf das, was bei der Ausrottung der Kanaaniter geschehen war. Dies ist ein auffallendes und schlagendes Beispiel, wie gefährlich es ist, den Charakter der Israeliten unter dem Gesetz und den der Gläubigen unter der Gnade zu verkennen und zu verwechseln.
Schließlich mögen hier noch in wenigen Worten die Gegensätze der beiden Stellungen, die wir bisher betrachtet haben, sowohl der unter dem Gesetz, als auch der unter der Gnade einander gegenüber gestellt werden: Die Stellung der Israeliten unter dem Gesetz
1. Gegenstand: Das Volk Israel, der Same Abrahams nach dem Fleisch.
2. Charakter: die Gerechtigkeit
3. Satzungen: fleischlich und irdisch.
4. Segnungen: bedingungsweise, von dem Gehorsam abhängig.
5. Gottesdienst: fleischliches Gebot, fleischliche Opfer, ein irdisches Heiligtum, ein fleischliches Priestertum, ein Dienst nach dem Fleisch.
6. Hoffnung: die Macht und der Reichtum und die Herrlichkeit auf der Erde
7. Feinde und Waffen: fleischlich Die Stellung der gläubigen unter der Gnade Die Stellung der Israeliten unter der Gnade
1. Gegenstand: Die auserwählten Gläubigen, der Same Abrahams nach dem Geist
2. Charakter: die Gnade
3. Satzungen: geistlich und himmlisch
4. Segnungen: ohne Bedingung zugesichert, sowie auch das Recht sie zu besitzen
5. Gottesdienst: im Geist und in der Wahrheit, geistliche Opfer, ein himmlisches Heiligtum, ein geistliches Priestertum, ein Dienst nach dem Geist
6. Hoffnung: eine himmlische und ewige Herrlichkeit
7. Feinde und Waffen: geistlich