Botschafter des Heils in Christo 1855
Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen.
Durch die Gefangenschaft des Apostels Paulus, waren die Philipper auf eine lange Zeit genötigt, dessen persönliche Pflege und Unterweisung zu entbehren. Doch hatte dies die gegenseitige Gemeinschaft der Herzen in nichts geschwächt, im Gegenteil scheint die Liebe nur noch tiefer und völliger geworden zu sein. Die Philipper hatten Epaphroditus zu ihm gesandt, damit er für sie den Mangel ihres Dienstes ausfülle; (Kap 2,30) und Paulus durch die reiche Gabe ihrer Liebe, welche sie diesem zur Überbringung übergeben hatten, aufs Neue einen Beweis ihrer innigen Anhänglichkeit und Zuneigung empfinge. Der Apostel seinerseits gedachte ihrer stets in seinen Gebeten, die er mit Freuden tat; er sehnte sich nach ihnen allen mit dem Herzen Christi, (Kap 1,4.8) und nannte sie seine geliebten und gewünschten Brüder, seine Freude und seine Krone (Kap 4,1).
Während der Abwesenheit des Apostels mussten die Philipper lernen, dass Gott durch seine unsichtbare Gegenwart alles ersetzt, und dass Er stets genug ist. Solche Erfahrungen, so köstlich sie auch sind, erfordern jedoch in besonderer Weise, sowohl von einer Versammlung als auch von einer einzelnen Seele, kindlichen Glauben, ausharrende Geduld, einfältige Hingabe, und stete Verleugnung. Der Apostel erinnert sie hieran in Kapitel 2,12: „Also denn, meine Geliebten, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit bewirkt mit Furcht und Zittern eure eigene Seligkeit.“ Sie hatten einen so willigen Gehorsam bewiesen bei der Gegenwart des Apostels, allein sie bedurften es jetzt noch viel mehr, während seiner Abwesenheit, und zwar in dem Bewusstsein der unsichtbaren Gegenwart Gottes und der Leitung des unter ihnen wirkenden und wohnenden heiligen Geistes, Es zeigt die Vollkommenheit einer Versammlung an, wenn die Gegenwart Gottes in dem Heiligen Geist für sie in allen Fällen genug ist, um stets in einem völligen Gehorsam zu wandeln; und so segensreich es auch ist, so ist es doch ein Beweis ihrer Mangelhaftigkeit, wenn sie solcher Glieder bedarf, die ihr durch ihre Gaben dienen. Der treue Gott aber gibt uns diese, und lässt uns auch erfahren, dass Er durch seine Gegenwart alles ersetzt, und sowohl das Wollen als auch das Wirken nach seinem Wohlgefallen in und unter uns wirkt.
Der Heilige Geist wohnt in jedem Kind Gottes, wie auch in der Versammlung der Heiligen, und durch seine Innwohnung macht Er sowohl den Leib des Einzelnen, als auch die Versammlung, den Leib Christi, zum Tempel Gottes. Sind wir im Namen Jesu versammelt, so ist der Heilige Geist sowohl in unserer Mitte, als auch in jedem Herzen, das sich der Gegenwart Christi bewusst ist, wirksam. Durch diese Wirksamkeit werden uns durch das Wort, welches einerseits tröstet, stärkt und erquickt, andererseits auch die mannigfachen Mängel und Gebrechen, sowohl die persönlichen als auch die der Versammlung aufgedeckt. Das Bewusstsein dieser Mängel und Gebrechen erweckt durch denselben Geist, der sie aufgedeckt hat, Betrübnis und Schmerz, sowie das Bedürfnis nach einem Völligersein zum Preis Gottes. Soweit das Wort die Herzen erreicht hat, wird sich ein ernstes und tiefes Verlangen offenbaren, alles hinweg zu tun, was dem Wesen Gottes nicht entspricht, und also zu wandeln, dass dadurch sein Name wahrhaft verherrlicht und gepriesen wird. Dies ist das Wollen, gewirkt von Gott.
Doch auch das Wirken kann nur von Ihm sein. Hier aber offenbart sich oft die größte Mangelhaftigkeit bei uns. Bei vielen Seelen, die an und für sich etwas träge sind, bleibt es bei diesem offenbar und fühlbar gewordenen Bedürfnis; bei anderen entstehen mancherlei Vorsätze, die entweder mit der ernsten Stimmung des Gemüts und den angeregten Gefühlen des Herzens wieder verschwinden, oder dieselben in eine gesetzliche Stellung zurückführen. In letzterem Fall ist man selbst wirksam, aber nicht wirksam nach dem Wohlgefallen Gottes. Wir mögen viele gesetzliche Anstrengungen an den Tag legen und sogar viel Ernst beweisen, allein wir erreichen höchstens unser Wohlgefallen und sind in eigener Gerechtigkeit. Wenn auch der Heilige Geist das Gefühl unserer Mängel und das Verlangen nach Vollkommenheit auf das Tiefste in unserem Herzen angeregt hat, so gibt uns dies doch keine Kraft, um uns nach diesem Gefühl und nach diesem Verlangen wandeln zu lassen. Wendet sich dies Bedürfnis an uns, suchen wir selbst diesen Forderungen auf irgend eine Weise zu entsprechen, so sind wir unter dem Gesetz und machen Erfahrungen über unsere Ohnmacht. Ähnlich ist es mit einer Versammlung. Sie mag über ihre Mängel seufzen, sie mag sich nach der Verherrlichung Gottes sehnen, sobald sie eigene Mittel und Wege einschlägt, um ihren Bedürfnissen zu entsprechen, schwächt sie nur die Wirksamkeit des Geistes Gottes. Ohnmächtige, ungläubige Seufzer und Selbsthilfe lassen uns in steter Hilfslosigkeit. Gott allein, der das Wollen schaffte, kann das Wirken nach seinem Wohlgefallen geben.
Wenn wir wirklich von unserer Schwachheit überzeugt sind, was hilft uns unser Vornehmen stark zu sein? Wenn der Heilige Geist eine Versammlung von ihren Mängeln und Gebrechen überzeugt hat, so dienen die selbst gewählten Mittel und Wege zur Abhilfe nur dazu, jene zuzudecken. In manchen Versammlungen hat man schon beim Entstehen derselben solche Einrichtungen getroffen, die das Offenbarwerden mancher Mängel und Gebrechen verhüten sollen; doch was ist mit solchem Zudecken gewonnen? Man täuscht sich und andere; doch nicht den Herrn; man schwächt die Wirksamkeit des Heiligen Geistes und schwächt somit den Segen und den Wachstum der Einzelnen, wie der ganzen Versammlung. Nur die erkannten und fühlbar gewordenen Mängel können durch den Heiligen Geist das Bedürfnis nach Heilung erwecken; nicht aber die unsichtbaren, die nicht gefühlt werden.
Wenn die Mangelhaftigkeit einer einzelnen Seele oder einer Versammlung in Wahrheit offenbar und erkannt wird, so ist ein reicheres Maß der Gnade und eine völligere Wirksamkeit des Heiligen Geistes nötig, um würdiger wandeln zu können, als bisher, und dies Fehlende kann nur Gott selbst darreichen und erwecken. Darum muss das Gefühl unserer Mängel, unser Verlangen und unser Wollen vor Gott kund werden, der dieses in uns wirkte, und das Vollbringen allein geben kann. Unsere Gebete müssen die in seinem Licht erkannten Mängel und Gebrechen und die tiefe Sehnsucht nach seiner Verherrlichung vor Ihn bringen, weil Er allein helfen kann und will. Nur im Herrn haben wir Gerechtigkeit und Stärke; wir sollen lernen, in allen Lagen und Verhältnissen auf Ihn hoffen, und sollen erfahren, was Er stets für uns ist. Sehen wir nicht gleich seine Hilfe, so dürfen wir doch die Überzeugung haben, dass Er uns völlig liebt, und dass Er dieser Liebe gemäß in und unter uns wirkt. Überlassen wir uns in solchem Vertrauen und solcher Hingabe seiner Leitung, so dürfen wir überzeugt sein, dass Er uns bewahrt und leitet, und was Er selbst in und unter uns wirkt, das ist immer nach seinen Wohlgefallen.
Möchte dies Bewusstsein unsere Herzen stets erfüllen und uns immerdar geneigt machen in nichts besorgt zu sein, aber all unser Anliegen mit Bitten und Flehen und Danksagung vor Ihm kund werden zu lassen, so würden wir nicht allein zu seinem Preis stets völliger werden, sondern der Friede Gottes würde in der Versammlung, als in einem Leib, regieren und unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.