Botschafter des Heils in Christo 1855
So viele nun vollkommen sind, lasst uns so gesinnt sein (Philipper 3)
Es ist stets ermunternd und stärkend für unsere Herzen, wenn wir die Gesinnung und den Wandel eines treuen Christen erforschen und anschauen. Nicht allein finden wir in ihm die Kraft des göttlichen Lebens wirksam, sondern haben auch durch seine Erfahrungen die Wahrheit des Wortes Gottes praktisch bestätigt und die Beachtung dieser Erfahrungen erweckt unser inneres Leben und reizt es zur Nachahmung. Es macht nun freilich jeder Christ seine Erfahrungen, aber der Charakter derselben richtet sich immer nach seinem Wandel. Wer fleischlich wandelt, wird hauptsächlich erfahren, was das Fleisch ist. Wer aber mit Gott wandelt, wird erfahren, was Gott ist und in seinem Licht wird er nicht weniger das Wesen des Fleisches erkennen. Die Erfahrungen eines himmlisch gesinnten Christen sind immer einfach, weil sein Weg, den er im Glauben mit dem Herrn wandelt, einfach ist, aber die eines weltlich gesinnten sind dagegen reich und mannigfaltig, weil er durch allerlei Wege zur nüchternen Erkenntnis Gottes gebracht werden muss. Dies ist eine Wahrheit, die uns durch die Geschichte Abrahams und die des Jakob auf das Klarste bestätigt wird. So notwendig die Erkenntnis unserer selbst, d. h. unserer natürlichen Verderbtheit ist, so ist sie doch von ganz untergeordnetem Wert gegen die Erkenntnis des Christus. Jene gibt weder Mut noch Kraft, weder Zuversicht noch Freudigkeit. Diese aber reicht alles dar, was zum Leben und zur Gottseligkeit dient (2. Pet 1,3). Das Wort Gottes stellt uns auch nie das Leben solcher Christen als Muster hin, deren Erfahrungen sich auf die Verderbtheit des Fleisches beziehen, sondern das Leben solcher, die im Glauben wandeln und deren Herz stets auf die überreichliche Erkenntnis des Herrn Jesus Christus gerichtet ist. So lesen wir Hebräer 13,7: „Gedenkt eurer Führer, die das Wort Gottes zu euch geredet haben, und, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmt ihren Glauben nach“. Ebenso Philipper 3,17: „Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und seht hin auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt“. Man ist auch oft bemüht gewesen und ist es jetzt noch, das Leben solcher Christen, die den guten Kampf des Glaubens bis ans Ende mit Beharrlichkeit gekämpft haben, den Mitstreitern desselben Glaubens zur Nachahmung vor die Seele zu führen und man tut wohl daran. Doch ist jede Übertreibung und jeder Ruhm des Fleisches bei solchen Mitteilungen stets verwerflich.
Als Beispiel eines in jeder Beziehung vollkommenen Wandels steht das Leben des Herrn Jesus allein da. Nur Er konnte sagen: „Wer von euch überführt mich der Sünde?“ (Joh 8,46) und nur von Ihm konnte der Heilige Geist durch Petrus bezeugen: „Der keine Sünde tat, noch wurde Trug in seinem Mund gefunden“ (1. Pet 2,22). Nichtsdestoweniger sind wir von Ihm selbst aufgefordert, seine Nachfolger zu sein und in seiner Gesinnung zu wandeln (vgl. Lk 14,27; Joh 13,14.34). In gleicher Weise ermahnen uns auch hierzu die Apostel. Paulus schreibt an die Philipper: „[Denn] diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“ (Phil 2,5), an die Epheser: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder“ (Eph 5,1) und Johannes ermahnt: „Wer sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt ist“ (1. Joh 2,6). Gegenüber diesen und so vielen anderen ernsten Ermahnungen zur Nachfolge des Herrn ist es beklagenswert, wenn Christen, entweder im leichtfertigen Sinn, in falscher Demut oder gar aus verborgenem Weltsinn, selbst die Ermahnung wie der Herr Jesus zu wandeln und so gesinnt zu sein für eine Vermessenheit halten. Sie sagen: Er ist der Herr, der Sohn des lebendigen Gottes und wir sind von Natur arme Sünder. Dies ist wahr. Sie vergessen jedoch, dass wir in Christus der göttlichen Natur und des Geistes des Vaters und des Sohnes teilhaftig geworden sind, dass wir durch diesen Geist zur Kindschaft gekommen und „Abba, Vater!“ rufen. Doch ohne hier weiter auf diesen Gegenstand einzugehen, wollen wir für jetzt vielmehr einen Blick in das Leben des Apostels Paulus werfen, besonders in Bezug auf sein Leben als Christ, wie uns diesen der Heilige Geist in dem Brief an die Philipper, namentlich in dem dritten Kapitel, so einfach und klar darlegt.
Der Apostel durfte den Christen zurufen: „Seid meine Nachahmer“, denn er konnte hinzufügen: „wie auch ich Christi“ (1. Kor 11,1). Er hatte durch den Heiligen Geist das Zeugnis eines aufrichtigen und treuen Christenlebens. Wenn eine Partei in Korinth ihn urteilte, so konnte er sagen: „Denn ich bin mir selbst nichts bewusst“ (1. Kor 4,4) und er konnte die Thessalonicher und sogar Gott selbst als Zeugen anrufen, dass er göttlich, gerecht und unsträflich unter ihnen, den Glaubenden, gelebt hatte (1. Thes 2,10). Dieses Bewusstsein gab ihm die Freimütigkeit, sich selbst den Christen als Vorbild zur Nachahmung hinzustellen. Doch leider finden wir in unseren Tagen viele Christen, die weder auf seine Ermahnung achten noch seinem Beispiel folgen und sich damit begnügen, von ihrer Verderbtheit und von der Mangelhaftigkeit ihres Wandels zu reden, und sie nennen dies: „sich seiner Schwachheit rühmen“. Sie bedenken aber nicht, dass sich hinter solchem Rühmen eine große Trägheit des Geistes und ein weltlicher Sinn verbergen und dass die Kraft der Auferstehung des Christus tatsächlich verleugnet wird. Sie beachten es nicht, dass wir so oft und dringend aufgefordert sind, den Kampf des Glaubens zu kämpfen, das ewige Leben zu ergreifen und bis ans Ende auszuharren.
Beim Durchlesen des Briefs an die Philipper sehen wir, dass der Apostel denselben in seiner Gefangenschaft schrieb. Schon hatte er bis dahin viele und schwere Trübsale durchwandert, in mancherlei Prüfungen waren sein Glaube und seine Zuversicht erprobt worden. So lesen wir in 2. Korinther 11,23–28, wo er zwar in Torheit, wie er selbst sagt, aber in Wahrheit redet: „... In Mühen überreichlicher, in Gefängnissen überreichlicher, in Schlägen übermäßig, in Todesgefahren oft. Von den Juden habe ich fünfmal empfangen vierzig Schläge weniger einen. Dreimal bin ich mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht habe ich in der Tiefe zugebracht; oft auf Reisen, in Gefahren durch Flüsse, in Gefahren durch Räuber, in Gefahren von meinem Volk, in Gefahren von den Nationen, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Wüste, in Gefahren auf dem Meer, in Gefahren unter falschen Brüdern; in Mühe und Beschwerde, in Wachen oft, in Hunger und Durst, in Fasten oft, in Kälte und Blöße; außer dem, was außergewöhnlich ist, noch das, was täglich auf mich andringt: die Sorge um alle Versammlungen“ (vgl. 2. Kor 1,8–10). Nichts aber hatte seinen Glaubensmut und seine kindliche Zuversicht gebrochen. Obgleich er schon lange Zeit in der Gefangenschaft zugebracht und auch jetzt noch zur Verantwortung und Bestätigung des Evangeliums vor dem grausamsten Kaiser in Banden und Gefängnis gehalten wurde, obgleich so viele Irrlehrer überall bemüht waren, seine Arbeit vergeblich zu machen und das Werk des Christus zu zerstören, obgleich seine Sehnsucht so sehr groß war, die Versammlungen zu sehen, um für die teure Herde des Herrn zu sorgen, sie zu lehren und zu ermahnen, so war doch sein Herz ohne Murren und Unmut und selbst überströmend von der seligsten Freude am Herrn und von der innigsten Liebe zu Ihm und zu den Seinigen. War seine Lage menschlicher Weise noch so traurig und hoffnungslos, so konnte sie doch sein Herz nicht erreichen. Er sah überall den Herrn. Weil er nur an die Verherrlichung seines Namens dachte, so fand er Ursache genug, sich seines Gottes zu rühmen und zu freuen. Hier ist auch der Schlüssel des Geheimnisses zu diesem zuversichtlichen Glauben und der Grund seiner Freude in allen Drangsalen und Schwierigkeiten. Er hatte sich selbst und alles Sichtbare verloren und Christus war der einzige Gegenstand seiner Anbetung, seiner Freude, seines Rühmens, seines Verlangens und seiner Hoffnung. Christus war sein Ein und Alles. Die Verherrlichung seines Namens war der sehnlichste Wunsch seines Herzens, wofür er so gerne arbeitete und in Leiden ausharrte. Nicht seine Herrlichkeit zu besitzen, so köstlich auch dies Erbteil für ihn war, war das höchste und letzte Ziel seines Lebens, sondern die Person des Christus selbst. Nicht begehrte er, wie jene beiden Jünger, Jakobus und Johannes, zu seiner Rechten oder Linken im Reich zu sitzen (Mk 10,37), sondern Ihn selbst zu haben und zu genießen. Alles war für ihn von untergeordnetem Wert, sobald es sich um die Person des Christus handelte. Nur diese Gesinnung ist es auch allein, was dem Christen einen freudigen Glauben und eine so feste Zuversicht in allen Drangsalen und Schwierigkeiten gibt. Er überwindet in allem, sobald er den Herrn hinein bringt. Die Liebe und Treue des Herrn ist unwandelbar und seine Gegenwart erfüllt das Herz mit Freude und Kraft. Wo aber das Fleisch irgendwie wirksam ist, da ist Ohnmacht und Traurigkeit. Wo wir unseren Vorteil, unsere Ehre und die Dinge dieser Welt suchen, da finden und verherrlichen wir den Christus nicht. Der Apostel hatte in den schwierigsten Umständen die Treue und Liebe des Herrn erprobt und immer mehr fand er Ursache, seine Unwandelbarkeit in allem zu preisen. Ja, in den mannigfachsten Versuchungen und in den schwersten Drangsalen konnte er stets mit der freudigsten Zuversicht ausrufen: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13). Seine Seele ruhte in Gott und sein Herz strömte über in der seligsten Freude, die durch keine äußeren Verhältnisse angetastet werden konnte. Denn diese waren nicht die Quelle seiner Freude, sonst würde sie wandelbar gewesen sein, wie es jene sind. Gott selbst war es, woraus er stets schöpfte. Ihn, den er kannte und liebte, fand er in allen, auch selbst in den traurigsten Umständen, und so blieb sein Herz stets voll der seligsten Freude.
Sobald wir allein mit Christus in verborgener Gemeinschaft wandeln, so lernen wir Ihn immer besser kennen. Je länger, desto köstlicher wird Er für unser Herz und wir verstehen immer mehr die so tiefe und überströmende Quelle seiner Liebe und Gnade. Ist seine Person der alleinige Gegenstand unseres Lebens, unserer Anbetung und Liebe, so hat alles Sichtbare keinen Wert mehr für uns. Wir sind glücklich, weil wir Ihn haben und mit Ihm wandeln können.
Das Band der Gemeinschaft zwischen dem Apostel und den Philippern war ein sehr inniges und festes. Er gedachte ihrer in allen seinen Gebeten und tat das Gebet mit Freuden (Phil 1,3.4). Seine Liebe vergaß die eigene traurige Lage und war stets wirksam für Andere. Dies ist immer der Charakter der Liebe des Christus. Sie sucht nicht das Ihre, sondern das, was des Anderen ist. Das Herz des Apostels lebte für die Philipper. Sie waren sowohl in seinen Banden als auch in der Verantwortung und Bestätigung des Evangeliums seine Mitteilnehmer der Gnade (Phil 1,7). Er sehnt sich nach ihnen allen mit dem Herzen des Christus. Dasselbe Verlangen, was in dem Herzen des Christus nach der Vereinigung mit seiner Kirche wohnte, erfüllte auch sein Herz in Betreff seiner Vereinigung mit den Philippern. Er bittet für den steten Wachstum ihrer Liebe, damit sie am Tag Christi untadelig und unanstößig, erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit, dastehen möchten (Phil 1,8–11). Er teilt ihnen seine Umstände, wie sie noch mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind, und seine herzliche Freude darüber mit (Phil 1,12–20). Er drückt sein tiefes Verlangen aus, abzuscheiden und bei Christus zu sein und doch versichert er ihnen, dass er zur Förderung und Freude ihres Glaubens bei ihnen bleiben würde (Phil 1,21–26). Er ermahnt sie zu einem würdigen Wandel (Phil 1,27), er tröstet sie in ihren Trübsalen (Phil 1,28–30), er ermuntert sie zur Gleichgesinnung und Demut (Phil 2,1–12), er fordert sie auf, sich stets des Herrn zu freuen (Phil 2,18; 3,1; 4,4) und drückt seine eigene große Freude darüber aus, dass sie wiederum aufgelebt und seiner in seiner Gefangenschaft mit einer so reichlichen Liebesgabe gedacht haben. Der Apostel hatte zwar gelernt hoch und niedrig, satt und hungrig zu sein, Überfluss und Mangel zu haben. Darum war es nicht die Gabe der Philipper, die er suchte, sondern er erkannte darin die Frucht ihres Glaubens und die in ihnen reichlich wirksame Gnade und Liebe Gottes. Diese Gabe war eine Frucht in ihrer eigenen Rechnung am Tag des Herrn und der Apostel nennt sie „einen duftenden Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig“ (Phil 4,18). Das ist es vor allem, worüber er in Betreff der Gabe der Philipper so hoch erfreut ist. Doch welch einen Blick lässt uns diese Gesinnung des Apostels in sein Herz tun! Sich selbst hatte er beiseite gesetzt, sein Dienst und seine Liebe waren mit ganzer Hingebung für andere beschäftigt. Diese Gesinnung aber kann uns sowohl tief beschämen als auch, wenn unser Herz vor dem Herrn aufrichtig ist, zu eifriger Nachahmung reizen.
Die Gefangenschaft des Apostels blieb, wie wir schon gehört haben, für das Evangelium nicht ohne Wirkung und diente sogar, wie er selbst den Philippern schreibt, zur Förderung desselben (Phil 1,12). Seine Bande in dem Christus waren an dem ganzen Prätorium und bei den übrigen allen offenbar geworden. Mehrere Brüder im Herrn, indem sie durch seine Banden Vertrauen gewonnen hatten, waren viel kühner geworden, furchtlos das Wort des Herrn zu reden (Phil 1,14). Dies erfüllte das Herz des Apostels mit Freude, die selbst dadurch nicht verhindert wurde, wenn viele aus Neid und Zank Christus predigten (Phil 1,15). Waren auch diese Werkzeuge ein Gegenstand der Betrübnis, so schaute doch das Auge des Apostels weiter über sie hinaus und erkannte, dass Christus auf alle Weise verkündigt wurde (Phil 1,18). Christus war ja der Mittelpunkt aller seiner Gedanken und die Verherrlichung seines Namens der Grund seiner Freude und seiner Geduld. Hätte er an sich selbst gedacht, so war seine ganze Lage nur geeignet, sein Herz mit Unmut und Traurigkeit zu erfüllen. Er wurde zur Verantwortung vor einen der grausamsten Kaiser aufbewahrt. Banden und Gefängnis hinderten ihn, seine sonst so gesegnete Wirksamkeit fortzusetzen. Viele in seiner Umgebung verkündigten Christus nicht lauter, sondern aus Eifersucht und gedachten seinen Banden Trübsal zuzuwenden. Er musste noch dazu erfahren, dass alle das Ihrige suchten und nicht das, was des Christus war. Doch sein Herz ließ sich durch alle diese traurigen Umstände nicht niederdrücken, es lebte und ruhte in Christus. Sein Blick war unverwandt auf den gerichtet, der ihn mit Trost und Freude erfüllte. Wenn auch niemand den Herrn sehen konnte, so sah Ihn doch sein Glaube und durch diesen war er stets mit Ihm in einem lebendigen und innigen Verkehr. Er freute sich denn auch jetzt und wusste, dass ihm auch dieses durch das Gebet der Philipper und durch Darreichung des Geistes des Herrn Jesus Christus zur Seligkeit ausschlagen würde. Seine Sehnsucht und Hoffnung war, dass Christus allezeit, so auch jetzt, an seinem Leib, es sei durch Leben oder Tod, hochgepriesen werden möchte (Phil 1,19.20).
Wie glücklich und stille ist unser Herz, sobald die Person des Christus der alleinige Zweck unseres Lebens ist. Mit welcher Zuversicht gehen wir durch jede neue Prüfung, wenn wir in seiner Gemeinschaft wandeln und nur an die Verherrlichung seines Namens denken. Wie sind wir mit so herzlicher Freude erfüllt, wenn nur Christus durch uns und durch andere in Wahrheit verherrlicht und gepriesen wird.
Der Apostel sehnte sich nach seinem Abscheiden von hier und der Grund dieser Sehnsucht war Christus. Er selbst sagt: „… indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser“ (Phil 1,23). Er wusste, dass er dahin ging, wo Christus war, und somit war das Sterben nur Gewinn für ihn (Phil 1,21). Dort konnte er weit völliger und inniger seine persönliche Gegenwart genießen. Dort war kein Feind mehr beschäftigt, seine so selige Gemeinschaft mit dem Herrn zu stören. Diese ungetrübte Gemeinschaft mit Ihm war ja auch der sehnlichste Wunsch seines Herzens, weil Christus sein Teuerstes und Höchstes, ja, sein alles war. Doch er kannte auch die Gesinnung des Christus zu seiner Gemeinde, die sein Leib ist. Durch die Offenbarung des Geistes und durch einen vieljährigen und innigen Verkehr mit Ihm selbst verstand er die Tragweite seiner Liebe und Treue, seiner Sorge und Pflege für sie, wofür Er sich selbst hingegeben hatte. So wusste er auch jetzt ganz zuversichtlich – weil ja die Gesinnung des Christus für seine Gemeinde sein eigenes Herz erfüllte und er überzeugt war, dass sein Bleiben im Fleisch den Philippern zur Förderung und Freude ihres Glaubens dienlich war –, dass er bleiben würde. Weder seine Lage noch der christenfeindliche Kaiser ließen ihm die geringste Hoffnung zu dieser Zuversicht, aber er erkannte die Gedanken des Christus und wusste, dass der Strom seiner Liebe für seine Gemeinde sich durch nichts hemmen lässt. Zwar hatte der Apostel große Lust abzuscheiden und für seine Person wusste er nicht, wenn er das eine und das andere bedachte, was er lieber wählen sollte, aber alles trat in den Hintergrund, wenn die Gemeinde des Christus in die Frage gezogen wurde und sobald er wusste, dass die Philipper durch sein Bleiben gesegnet waren. Wenn Christus für uns alles ist, so sind auch seine Neigungen und Gedanken die unsrigen. Wir beschäftigen uns mit den Dingen, womit Er sich beschäftigt und lieben alles, was ein Gegenstand seiner Liebe ist.
Mit welcher freudigen Bereitwilligkeit der Apostel sein Leben zum Opfer darbrachte, sobald es sich um Christus und seine Gemeinde handelte, lesen wir in Kapitel 2,17 und 18: „Aber wenn ich auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Ebenso aber freut auch ihr euch und freut euch mit mir!“. Er kannte den Vorzug, dem ganz und gar anzugehören, der ihn um einen teuren Preis erkauft hatte. Er hielt es für eine süße Freude, sich Ihm zu einem wohlgefälligen Opfer darzulegen. Sein Leben war stets Christus. Sein Wirken, sein Dulden und sein Kämpfen hatten nur Ihn zum Zweck, so war auch die Verherrlichung des Christus allein der Grund dieser freudigen Darbringung seines Lebens. Die Bereitwilligkeit, die wir auf seiner letzten Reise nach Jerusalem bei ihm finden, nach welcher er nicht allein bereit war sich binden zu lassen, sondern auch um des Namens des Herrn Jesus willen zu sterben, war nach einer mehrjährigen traurigen Gefangenschaft ungeschwächt geblieben. Nicht allein ungeschwächt, sondern sie ist sogar durch mancherlei Erfahrungen noch befestigt worden. Wie er Christus lehrte, wie sein eigenes Herz Ihn kannte, so fand er Ihn in allen Umständen und dies vermehrte stets seine innige Zuneigung und seine freudige Zuversicht. Diese selige Erfahrung wird jeder treue Christ machen, wenn die Person des Christus allein sein Herz erfüllt. Doch wollen wir jetzt das dritte Kapitel des Briefes etwas näher betrachten.
„Im Übrigen, meine Brüder, freut euch in dem Herrn!“ (Phil 3,1). Der Apostel wusste aus eigener Erfahrung, was die Freude im Herrn ist und welche segensreiche Wirkung sie auf das Leben des Christen hat. Sie ist ein Ausfluss der Erkenntnis Gottes und seines Verhältnisses zu uns. Wenn wir die Liebe Gottes und was noch mehr ist, Ihn selbst, ohne Störung genießen, so ist unsere Freude völlig. Solange aber unser Gewissen nicht befreit ist oder solange wir die Liebe Gottes von der Treue unseres Lebens abhängig machen, wird der Strom dieser Liebe und somit auch die Freude im Herrn in unseren Herzen ein Hindernis finden. Es ist Furcht da und wo diese ist, da ist Pein, aber in der völligen Liebe ist keine Furcht. Ist unser Gewissen durch das Werk des Christus ganz und gar gereinigt und haben wir verstanden, dass dieses Werk allein der Beweggrund der vollkommenen Liebe Gottes zu uns ist, so genießen wir diese Liebe ungehindert. Jedoch ist dieser Genuss für unsere Herzen desto köstlicher, je treuer und inniger wir in der Gemeinschaft mit Gott wandeln, weil wir dann immer mehr verstehen, was diese Liebe ist. Unsere Freude ist völlig, wenn die überreichliche Liebe des Christus durch nichts in unseren Herzen beengt wird. „Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe. Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde“ (Joh 15,9–11). Wenn der Apostel Johannes in 1. Johannes 1,1–3 von der Herrlichkeit des Christus und unserer Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn gesprochen hat, fügt er in Vers 4 hinzu: „Und dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei“. So sehen wir hier den Herrn Jesus durch die Versicherung seiner völligen Liebe zu uns und den Heiligen Geist durch das Gefühl unserer Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn beschäftigt, unsere Freude vollkommen zu machen. Die Erkenntnis des Heils, die Offenbarung der Liebe und der Herrlichkeit Gottes und vor allem die Erkenntnis der Person des Christus selbst ist die Quelle einer unaussprechlichen Freude. Nur dann sind wir ganz glücklich, wenn wir das lebendige Bewusstsein in uns tragen, Ihn selbst zu besitzen und wenn jedes Bedürfnis der Seele in Ihm seinen Ausgangspunkt hat. Nicht weniger ist aber auch die Freude am Herrn stets unsere Stärke. Wer kann uns schaden und vor wem sollten wir uns fürchten, wenn der Herr überall bei uns ist?
Der Charakter unseres Hinzunahens zu Gott sowie auch unseres Dienstes vor Ihm ist immer von unserer Befreiung abhängig. Nur dann, wenn unser Gewissen durch das Werk des Christus und die Gegenwart des Heiligen Geistes völlig befreit ist, nahen wir mit Freimütigkeit und dienen mit wahrhaftigem Herzen. Wir wissen dann auch, dass unser Dienst vor Gott angenehm ist. So lange wir Gott und uns nicht völlig erkannt haben, kann viel Neigung da sein, Gott zu dienen, aber es fehlt die Kraft, weil das Fleisch ohnmächtig ist. Ehe man Gott dienen kann, muss man sich von Ihm dienen lassen. Maria, die zu den Füßen Jesu saß, hatte das gute Teil erwählt (vgl. Lk 10,42). Bei dem Dienst einer unbefreiten Seele ist das Fleisch wirksam und sucht mehr oder weniger seine Vorzüge und seine Gerechtigkeit vor Gott geltend zu machen. So lange aber der Herr uns nicht dient, haben wir keinen Teil mit Ihm (Joh 13,8). Das Fleisch sucht stets einen äußerlichen Gottesdienst, damit es vor Gott Ruhm habe. Der wahre Dienst vor Gott aber ist der des Geistes, worin nur der Glaube, der nichts anders als Christus und sein Werk kennt, wirksam ist. „Denn wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“ (Phil 3,3). So steht der Dienst des Fleisches ganz im Gegensatz zu dem des Geistes. Die Irrlehrer waren unter den Philippern beschäftigt, den Ruhm des Christus und den Dienst des Geistes mit dem Ruhm und dem Dienst des Fleisches zu vermengen und somit das vollkommene Werk des Christus zu verstümmeln und die wahrhaftige Freiheit der Christen zu untergraben. Deshalb bezeichnet sie der Apostel als „Hunde, böse Arbeiter und die Zerschneidung“ (Phil 3,2). In Vers 18 und 19 nennt er sie mit Weinen „die Feinde des Kreuzes des Christus, deren Ende Verderben, deren Gott der Bauch und deren Ehre in ihrer Schande ist, die auf das Irdische sinnen.“
Wäre der Ruhm des Fleisches nur von irgendeinem Wert vor Gott, so hätte der Apostel vor allen Ursache genug gehabt, sich dessen zu rühmen. „Wenn irgendein anderer meint, auf Fleisch zu vertrauen – ich noch mehr: Beschnitten am achten Tag, vom Geschlecht Israel, vom Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern; was das Gesetz betrifft, ein Pharisäer; was den Eifer betrifft, ein Verfolger der Versammlung; was die Gerechtigkeit betrifft, die im Gesetz ist, für untadelig befunden“ (Phil 3,4–6). Doch wo bleibt dieser Ruhm des Fleisches, wenn das Wort Gottes sagt: „Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,22.23)? Und wiederum: „Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm 4,5). Aus Gesetzeswerken kann kein Fleisch vor Ihm gerechtfertigt werden (Röm 3,20). Vielmehr ist die Wirksamkeit des Fleisches eine Feindschaft gegen Gott, weil sie entweder mit der Person oder mit dem Werk des Christus ganz und gar im Gegensatz steht. Dies sehen wir sehr deutlich, wenn wir einen Blick auf das werfen, wessen sich der Apostel dem Fleisch nach rühmen konnte. Er gehörte einer Nation an, die Christus kreuzigte, er war Glied einer Sekte, die Ihn am meisten hasste und verfolgte. In seinem Eifer für die Aufrechterhaltung der väterlichen Satzungen ging er selbst weiter als die Hohenpriester, indem er sich nicht damit begnügte, die Gemeinde in Jerusalem zu zerstören und Männer und Frauen dem Gefängnis zu überliefern (Apg 8,3), sondern sich auch von jenen Briefe an die Synagoge zu Damaskus geben ließ, um alle, die „des Weges“ waren, gebunden nach Jerusalem zu führen (Apg 9,2). Er verfolgte die Gemeinde, wovon der Herr Jesus sagt: „Was verfolgst du mich?“ (Apg 9,4). Und schließlich machte er durch seine Unsträflichkeit nach dem Gesetz die Person und das Werk des Christus für sich selbst ganz und gar überflüssig und ungültig (vgl. Phil 3,6).
Da sehen wir, was der Ruhm des Fleisches, was seine Frömmigkeit und Gerechtigkeit vor Gott ist. Das Fleisch steht in keiner Verbindung mit Ihm und seine Wirksamkeit, d. i. die des unbekehrten Menschen, ist vor Ihm ein Gräuel. Dies umso mehr, je mehr das Fleisch den Schein der Frömmigkeit oder des Gottesdienstes annimmt. Wir sind von Natur tot in Sünden und Übertretungen und kommen erst dann mit Gott in Gemeinschaft, wenn wir mit Christus lebendig gemacht und durch den Glauben mit Ihm auferstanden sind. Nur als Auferstandene haben wir ein Verhältnis mit Gott. Es ist daher eine schreckliche Verblendung, Gott dienen zu wollen, so lange man noch unbekehrt ist oder unbekehrte Seelen durch Zeremonien, Gelübde oder gottesdienstliche Handlungen mit Gott in Verbindung zu bringen. Dies heißt in der Tat Gott verunehren, das Werk des Christus verstümmeln und das Fleisch in die Gegenwart Gottes bringen. Mag auch die Welt jeden Sonntag oder auch an einem anderen Tag beschäftigt sein, Kultus oder Gottesdienst zu halten – sie tut nur, was vor Gott ein Gräuel ist. Dies sollten alle wahrhaftigen Christen wohl verstehen. Gewiss, sie werden es, sobald es ihnen nur um die Ehre Gottes geht, sie werden dann nicht allein die Verwerflichkeit eines solchen Gottesdienstes erkennen, sondern noch vielmehr sich in keiner Weise daran beteiligen, um sich nicht fremder Sünden teilhaftig zu machen, wie geschrieben steht: „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen. Denn welche Genossenschaft haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes“ (2. Kor 6,14–16). Finden wir nun in unseren Tagen, dass so viele Christen gegenüber solchen klaren und bestimmten Ansprüchen des göttlichen Wortes und selbst gegen eine bessere Überzeugung beschäftigt bleiben, in Gemeinschaft mit der Welt Gottesdienst zu pflegen, so verrät dies nur eine Gleichgültigkeit gegen die Ehre Gottes, oder eine geheime Feindschaft gegen das Kreuz des Christus und dessen Schmach, oder auch einen weltlichen Sinn. Dies ist gewiss nichts Geringes.
Der Apostel sagt in Vers 7: „Aber was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet.“ So lange er an sich dachte, fand er, was für ihn Gewinn war; sobald er aber Bekanntschaft mit Jesu gemacht hatte, hielt er seinen Gewinn nur für Verlust. Je größer der Ruhm des Fleisches ist, desto größer ist die Entfernung von Christus. Wir müssen alles verlieren, was wir haben, um Christus ganz zu besitzen. „Ja wahrlich …“ – fügt der Apostel in Vers 8 hinzu – „… ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, damit ich Christus gewinne.“ Nichts war ihm in der Welt geblieben als Bande und Gefängnis, aber jenseits dieser Welt sah er Christus in der Herrlichkeit. Ihn zu gewinnen war der einzige Beweggrund, weshalb er alles eingebüßt und für Verlust und Dreck geachtet hatte. Die Vortrefflichkeit seiner Erkenntnis überwog alles, seine Freude, sein Ruhm, sein Schatz, sein Leben war allein Christus.
Der Apostel hatte schon den Herrn in der Herrlichkeit gesehen, es war jetzt der einzige Zweck seines Lebens Ihn so zu gewinnen und völlig zu besitzen. Dieser hohe Zweck stärkte ihn im Kampf, erhielt ihn freudig in den größten Drangsalen und machte ihn völlig bereit alles andere zu verlassen. Er beschaute nicht das, was er schon empfangen hatte, er rühmte sich nicht irgend einer Gabe, sondern Christus selbst war der köstliche Kampfpreis, auf welchen stets sein Blick gerichtet blieb, „und in ihm gefunden werde, indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben“ (Phil 3,9). Zwar hatte er diese Gerechtigkeit schon im Glauben erkannt und erfasst, sodass er ohne Furcht in der Gegenwart Gottes lebte, es sollte auch ihre ganze Fülle in seinem Leben sich verwirklichen. Er wollte nur in Christus erfunden werden. Die Gerechtigkeit Gottes haben wir stets vollkommen in Christus Jesus und sobald der Glaube sie ergreift, haben wir Frieden mit Gott. Doch ist die Verwirklichung dieser Gerechtigkeit in unserem Christenleben stets dem Wachstum unterworfen. Diese völlige Verwirklichung aber wünschte der Apostel, damit überall nur der Ruhm des Christus übrig bleibe.
In Vers 10 und 11 sagte er: „um ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde, ob ich auf irgendeine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten.“ Das Ziel seines Laufs und seines Kampfs war also die Auferstehung aus den Toten. Hatte er dieses Ziel erreicht, so hatte er Christus völlig gewonnen und Ihn wiedergefunden, wie er Ihn gesehen hat. Dann konnte er seine persönliche Gegenwart in ungetrübter Gemeinschaft genießen, dann war der Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus gewonnen (Phil 3,14). Doch wenn sein Blick auch unverrückt auf diesen Preis gerichtet bliebe, so war er doch jetzt noch ein Fremdling in der Wüste und von Versuchungen aller Art umgeben. Nichts aber vermochte ihn von der Liebe des Christus zu scheiden, vielmehr wünschte er die Gemeinschaft seiner Leiden und selbst seinem Tod ähnlich zu werden. Dies Verlangen lässt uns verstehen, warum weder das langjährige Gefängnis noch der augenscheinlich nahe Tod seine Freude im Herrn trübte. Mit der größten Bereitwilligkeit ging er durch dieses alles hindurch, um nur zur Auferstehung aus den Toten hinzugelangen. Er hatte die Kraft der Auferstehung des Christus erfahren, weil er vom Tod zum Leben hindurchgedrungen war. Er besaß auch die Kraft dieses Lebens stets völlig in Christus, doch war es sein Verlangen, dass sie sich in Ihm vollkommen verwirkliche und dass sich ihre ganze Fülle in seinem Leben offenbare. Es war ihm nicht nur darum zu tun, dass durch die Erkenntnis des Christus und seines Werkes sein Gewissen beruhigt und sein Herz glücklich sei, sondern dass die Person des Christus allein gepriesen und verherrlicht werde. Dieses wird auch stets unsere vollkommene Freude in der Herrlichkeit ausmachen. Doch glückselig die Seele, die schon hier als Fremdling in der Wüste dieses süße Geheimnis versteht und kein anderes Ziel kennt und von keinem anderen Kampfpreis weiß, als Jesus in der Herrlichkeit zu gewinnen und völlig zu besitzen.
Viele Christen begnügen sich in unseren Tagen damit zu wissen, dass sie bekehrt und ihrer Seligkeit gewiss sind. Dies Bewusstsein ist auch nötig und sehr köstlich, aber es ist nicht das Ziel des Christen. Wenn auch in dem Werk des Christus unsere Seligkeit das Nächste ist, so ist doch die Verherrlichung Gottes und des Christus darin das Höchste. Solange das Werk Gottes in mir der Gegenstand ist, auf welches meine Blicke gerichtet sind, solange ist nicht die Person des Christus der einzige Zweck meines Lebens und ich werde dann auch nur allezeit an das denken, was mir nützt. Sobald aber Christus allein mein Ruhm und meine Freude ist, sobald ich um seinetwillen alles verliere, um den Herrn Jesus zu erkennen und zu gewinnen, um in Ihm allein erfunden zu werden, sobald ich wünsche alles zu leiden, um nur Ihn in der Herrlichkeit zu besitzen, dann denke ich auch in allem nur an seine Ehre und Verherrlichung und suche stets den guten und wohlgefälligen Willen Gottes zu tun. Diese Gesinnung übt einen mächtig wirkenden Einfluss auf unser ganzes Leben aus, sowohl vor Gott als auch unter den Gläubigen und der Welt. Wir werden dann nicht unsere Gedanken zum Maßstab nehmen, um alles zu prüfen, sondern die Gedanken oder das Wort Gottes. In jede Frage werden wir den Herrn bringen und seine Ehre und sein Wille werden uns stets heilig sein. O möchte doch der Heilige Geist diese Gesinnung in allen Herzen der Christen angesichts der so nahen Ankunft des Herrn einpflanzen.
Der Apostel begnügte sich nicht nur mit der festen Überzeugung aus der argen Welt durch Christus erlöst und ein Kind Gottes zu sein, obgleich das völlige Bewusstsein stets sein Herz erfüllte. Sein Ziel war, wie wir gesehen haben, Christus in der Herrlichkeit zu besitzen. Und dieses Ziel auf seinem ganzen Pilgerlauf durch diese Wüste im Auge haltend, sagte er: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich auch von Christus Jesus ergriffen bin. Brüder, ich denke von mir selbst nicht, es ergriffen zu haben; eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13.14).
Die Berufung Gottes ist Christus in der Herrlichkeit zu besitzen. Dies war der herrliche Kampfpreis, wonach der Apostel sich stets ausstreckte und wofür er alles verlassen hatte. Wenn auch noch in der Wüste lebend, so war er doch nicht mehr von der Welt. Er war aus ihr ausgegangen, hatte alles darin um Christus willen verloren. Sein Herz und sein Blick waren nach oben gerichtet, nach dem, was vor ihm lag und was er allein zu erlangen strebte. Die Welt aber und alles, dessen das Fleisch sich rühmt, lag hinter ihm und er vergaß es. Noch war er nicht vollendet, noch hatte er das herrliche Ziel nicht erreicht, aber er wusste, dass er deshalb von Christus ergriffen war, um es zu erreichen. Er sieht noch das Licht in der Ferne, es leuchtet ihm auf dem Weg, auf welchem er unermüdet und unaufhaltsam fortläuft. Je näher er dem Licht kommt, desto heller wird der Lichtglanz auf dem Weg, doch ist es nicht seine Freude und sein Ziel sich an diesem Glanz zu ergötzen, sondern das Licht selbst zu erlangen und zu besitzen. Christus in der Herrlichkeit war für ihn dieses Licht. Die Strahlen seiner Gnade und Liebe waren bis in das Innerste seiner Seele gedrungen, aber nicht diese waren es, wonach er sich ausstreckte, sondern er begehrte Ihn selbst zu besitzen, von welchem diese erfreuenden, nur segnenden Strahlen ausgingen.
Sein Leib gehörte noch dieser Schöpfung an und die Niedrigkeit dieser Hütte trennte ihn von Christus in der Herrlichkeit. Darum war das Verlangen seines Herzens so sehr auf die Auferstehung aus den Toten gerichtet. Um diese zu erreichen, wünschte er die Gemeinschaft der Leiden des Christus und selbst seinem Tod ähnlich zu werden. Dann wird dies Verwesliche Unverweslichkeit und dies Sterbliche Unsterblichkeit anziehen (vgl. 1. Kor 15,53). Dann trennt die Glieder des Christus nichts mehr von ihrem Haupt in der himmlischen Herrlichkeit.
Das tiefe Begehren seines Herzens zu dieser Auferstehung hinzugelangen war zugleich mit der lebendigsten und zuversichtlichsten Hoffnung begleitet, denn am Schluss des Kapitels lesen wir: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20.21). Jesus war gekommen zur Erlösung der Seele und der Apostel hatte selbst die wirksame Kraft seines vollendeten Werkes erfahren, aber nun erwartete er ihn auch zur Erlösung und Befreiung seines Leibes, wofür dasselbe Lösegeld, nämlich sein Blut, bezahlt war. Diese Hoffnung und Erwartung ist jetzt der köstlichste Gegenstand, der unsere Seele erfüllt, wenn wir seine Erscheinung lieben.
Geliebte Brüder! Der Heilige Geist hat uns in dem angeführten Brief ein klares Bild von dem Leben und dem Kampf des Apostels als Fremdling in der Wüste vor die Seele geführt, ein Bild, was sowohl ermunternd und stärkend auf unsere Herzen wirkt als auch zur Nachahmung reizt. Die Erfahrungen des Apostels sind einfach, denn er hatte alles vergessen, was hinter ihm lag und streckte sich allein nach dem Kampfpreis aus, der vor ihm war. So viele unser nun vollkommen sind, so viele unser die Auferstehung des Christus und die unsere, wenn Er wiederkommt, verstanden haben, lasst uns so gesinnt sein. So lange wir das hinter uns Liegende nicht vergessen können, müssen wir es oft durch viele und schmerzliche Erfahrungen lernen. Wir werden so lange verlieren müssen, bis nur Er allein für uns übrig bleibt.
Wir haben gesehen, dass der Apostel in allem, sowohl in der Gegenwart als in der Zukunft, nur einen Gegenstand hatte, nämlich Christus. Gewiss, Er ist ja auch in jeder Lage genug. Die Bekanntschaft mit Ihm gibt sowohl dem Gewissen als auch dem Herzen völligen Frieden und selbst eine Glückseligkeit, die über alles geht. Und es ist köstlich nicht nur zu wissen, was Er für uns ist, sondern alles das, was Er ist, in unserem Leben zu verwirklichen.
Die Verhältnisse dieses Lebens sind wandelbar, wie es auch unsere Gefühle sind, und sobald wir auf diese oder jene unseren Frieden und unsere Glückseligkeit gründen, werden wir uns stets getäuscht sehen. Nur Gott ist unveränderlich und seine Liebe und Gesinnung bleibt stets dieselbe. Er ist nicht allein in den schwierigsten Umständen für uns ausreichend, sondern ist in denselben selbst eine Quelle von Freuden. Es gibt Verhältnisse, die nur geeignet sind, Traurigkeit zu erwecken. Darum sollen wir nicht diese anschauen, sondern stets Christus darin finden. Er selbst ist ja durch alle diese Umstände gegangen, denn Er ist in allem, gleich wie wir, versucht worden, ausgenommen die Sünde. Finde ich Christus selbst in allen Umständen, so finde ich auch die Liebe Gottes darin und darum ist es auch unmöglich, dass uns etwas von dieser Liebe scheiden kann. „Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38.39). So lange unsere Herzen von allen Umständen stets frei bleiben, können wir uns stets im Herrn freuen, aber sobald wir diese mit Besorgnis anschauen, stellen sie sich zwischen den Herrn und uns und unser Friede ist gestört. Nicht umsonst ruft uns der Heilige Geist zu: „Seid um nichts besorgt“ (Phil 4,6). O möchte doch dieses „nichts“ von unseren Herzen verstanden werden, dass es alles umfasst, was in dieser Welt ist. Gott ist da und Er ist für alles genug. Darum soll stets unser Bitten und Flehen vor Ihm mit Danksagung kund werden und der Friede Gottes, der über alles geht, wird unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus bewahren.
O, geliebte Brüder! Lasst uns doch stets mit Gott wandeln, lasst uns Christus allein anschauen, alles vergessen, was hinter uns ist und uns ausstrecken nach dem vorgesteckten Ziel, bis wir Christus selbst in der Herrlichkeit besitzen. Lasst uns auf die sehen, welche der Heilige Geist uns zum Vorbild hingestellt hat und so leben bis ans Ende.