Botschafter des Heils in Christo 1853
Die Wiederkunft des Herrn
„Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso kommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen in den Himmel“ (Apg 1,11).
So sprachen die zwei Männer in weißen Kleidern zu den staunenden Jüngern, die unverwandt zum Himmel aufsahen, wo der hinauf gefahren war, an den alle ihre Erwartungen geknüpft waren. „Er wird wieder kommen!“ Das war der Trost und die selige Hoffnung, die ihnen blieb, die ihren Glaubensmut belebte und ihr praktisches Christenleben befestigte. Selbst unter den vielen schweren Kämpfen, unter den vielen Schwierigkeiten und Gefahren des Lebens, war das Wiederkommen des Herrn und ihre Vereinigung mit Ihm ihre stete Erwartung. Zeit und Stunde wussten sie nicht. Aber sie wussten, dass gesagt wurde: Er wird wieder kommen. Es scheint, als hätten sie sich in ihrer Erwartung getäuscht, doch dem ist nicht so. Der Herr selbst hatte sie auf diese Wartezeit hingewiesen und nicht auf klügelnde Berechnungen. Sie sollten zu jeder Stunde bereit sein, dem Bräutigam mit Freuden entgegen zu gehen. Diese stete Erwartung hatte den Vorteil, dass sie sich in einer vollkommenen Absonderung von der Welt erhielten, um auch vor dem Gericht derselben bewahrt zu bleiben. Außerdem ertrugen sie Spott, Hohn und Verachtung um Jesu willen geduldig. Sicher werden an jenem Tage sich die Früchte dieser Erwartung offenbaren. „Euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Thes 5,23). Diese gute Botschaft von dem Wiederkommen des Herrn, verbunden mit seiner Vereinigung mit allen wahren Gliedern seines Leibes, versuchten die Apostel auch in den Christen aufzurichten und zu erhalten. Ihre Arbeit ist auch in diesem Stück nicht vergeblich gewesen. Besonders die Gläubigen in Thessalonich waren so tief von dem Gedanken der Rückkehr Jesu Christi durchdrungen, dass sie meinten, vor diesem großen Ereignis könnten sie nicht sterben. Wenn einer unter ihnen heimging, trauerten sie wegen dem Gedanken, er würde nun an jenem Tage nicht gegenwärtig sein. Der Apostel tröstet sie und sagt, dass Gott diejenigen, die in Jesus entschlafen sind, auferstehen lassen wird um sie mit ihnen zu entrücken 1.
„Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thes 4,15–17).
An dem Beispiel der Thessalonicher, deren Glauben man in aller Welt rühmte, lernen wir, wie sehr in unseren Tagen die Gemeinde des Herrn diese Hoffnung zur Seite gesetzt hat, wie weit wir uns von dieser so herrlichen Botschaft der Apostel entfernt haben. An deren Stelle ist die Idee eines Zwischenzustandes (die Trennung der Seele vom Körper) als Erfüllung aller unserer Hoffnungen getreten, eines Zustandes, der wirklich und weit höher, als unser gegenwärtiger auf Erden ist, aber trotzdem unbestimmt und selbst ein Zustand des Wartens ist. Jesus selbst wartet und die verstorbenen Heiligen warten. Es ist nicht die Absicht, die Seligkeit dieses Zwischenzustandes irgendwie zu schwächen, aber der Apostel selbst sagt in 2. Kor 5,4.6: „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterblich verschlungen werde von dem Leben.“ „So sind wir nun allezeit guten Mutes.“ 2 – So lange die Christen unter der Zucht und Leitung des Heiligen Geistes standen, so lange sie auf das Kommen des Herrn im Glauben warteten, so lange blieben sie auch in der innigsten Gemeinschaft mit ihrem Haupt. Sobald aber die Christen anfingen, mit dem bösen Knecht zu sagen: „Mein Herr zögert sein Kommen hinaus!“ da fingen sie auch an, tyrannisch zu herrschen und ihre Mitknechte, denen es allein um die Ehre ihres Herrn und um die Verherrlichung seines Namens ging, zu verfolgen und zu schlagen (Lk 12,45). Sie selbst aber wurden immer mehr geschwächt und verweltlicht. Die Gemeinde hat den Auftrag, die Rückkehr des Herrn Jesu Christi alle Zeit zu erwarten, doch: „Als aber der Bräutigam noch ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein“ (Mt 25,5).
Wir wollen hier nun noch einzelne Stellen aus der heiligen Schrift anführen, die auf unseren Gegenstand Bezug nehmen: „Das sehnliche Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes“ (Röm 8,19). „… so dass ihr an keiner Gnadengabe Mangel habt, indem ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwartet, der euch auch befestigen wird bis ans Ende, dass ihr untadelig seid an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Kor 1,7.8). „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“ (Phil 3,20). „Um eure Herzen zu befestigen, dass ihr untadelig seid in Heiligkeit, vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen“ (1. Thes 3,13). „So wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Mal denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Errettung“ (Heb 9,28). „Und nun, Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er offenbart wird, Freimütigkeit haben und nicht vor ihm beschämt werden bei seiner Ankunft“ (1. Joh 2,28). „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und er ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, dass wir, wenn es offenbar wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1. Joh 3,2.3). Diese Hoffnung des Wiedersehens ist beglückend. Wenn sie unser Herz erfüllt, werden wir uns gewiss reinigen von aller Befleckung des Geistes und des Fleisches. Der Herr kann jeden Augenblick kommen, darum soll sich die Gemeinde immer rein erhalten, immer bereit sein, Ihn zu empfangen. „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird” (Lk 12,37). Das gläubige Warten auf das Wiederkommen gibt uns auch Freude und Trost inmitten der Welt. Es gewährt große Kraft im Kampf gegen alle Feinde. Diese Erwartung von einem Tage zum anderen ist es, welche die Kinder Gottes nüchtern und in ständigem Wachen und Beten erhält. Sie beschränkt die großartigen Pläne für die Zukunft, welche der Eitelkeit schmeicheln. Sie macht uns los von den Dingen dieser Welt, von dem vergänglichen Reichtum, und verleiht ein beständiges Trachten nach den Dingen, die droben sind. Sie fragt nicht nach dem Urteil der Menschen, sie befreit uns und läßt uns ausgehen von denen, die gerichtet und verloren werden. Sie offenbart uns unseren Beruf hier auf der Erde, nämlich mit Jesus willig zu leiden, zu kämpfen, zu dulden und gläubig zu harren. Sie richtet stets unseren Blick auf die ewige unvergängliche Herrlichkeit, die aufbewahrt wird im Himmel. Aber wie steht es denn unter uns! Ist es nicht, als ob fast jeder denkt: „Mein Herr zögert sein Kommen hinaus!“? Man hört ja kaum noch unter den Gläubigen diese gute Botschaft vom Wiederkommen des Herrn – oder sie wird so sehr geschwächt, so wenig in Wahrheit geglaubt, erkannt und erfasst und so weit in den Hintergrund gedrängt, dass man ihre heilsame, tröstende und belebende Kraft kaum noch verspürt. Selbst unter den Gläubigen wird im Allgemeinen sein Kommen mehr gefürchtet oder doch mit großer Gleichgültigkeit betrachtet, als mit innigem Verlangen gewünscht. Der Grund dafür liegt in dem unreinen Wandel, wo uns unser Herz immer wieder verdammt, und dem noch Einsmachen und dem „nicht völlig brechen wollen“ mit der Sünde, der Welt und sich selbst. Von diesem Leben, das doch vergeht, erwartet man noch etwas. Deshalb ist die Gemeinschaft mit dem, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes, so schwach und das Verlangen mit Ihm vereinigt zu werden so gering. Selbst da, wo es noch ist, ist es meistens die Furcht, des Kreuzes Christi hienieden teilhaftig zu werden. „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott“ (1. Joh 3,21). So lasst uns nun das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste ablegen. Lasst uns abtreten von aller Ungerechtigkeit. Lasst uns keine Gemeinschaft mehr haben mit der Sünde und der Welt. Dann werden wir die Liebe und Gnade Gottes in Christus Jesus erfahren und auf Sein Wiederkommen, wo all' unser Sehnen gestillt wird, glaubend und hoffend warten. Gebe doch der treue Herr, dass auch diese Wahrheit bald wieder auf den Scheffel kommt und alle erleuchtet. Möchte doch kein Leser dabei stehen bleiben, zu sagen: „Es ist wahr, so steht's unter uns“, sondern sich selbst fragen: Wie steht's denn mit mir in dieser Sache? O, dass doch jeder diese wichtige und herrliche Wahrheit vom Kommen des Herrn Jesu im lebendigen Glauben und in fester Hoffnung ergreifen möchte, umso mehr, weil der Tag naht.
Fußnoten
- 1 Ursprünglich: „Der Apostel tröstet sie und sagt, dass Gott diejenigen, die in Jesus entschlafen, wieder mit ihm bringen werde.“
- 2 Ursprünglich zusätzlich: „Wenn nämlich der sterbliche Leib, während des Wandelns hienieden, nicht verschlungen (nicht verwandelt) würde vom Leben, so würde die Zuversicht, die sie hätten, durch den Tod nicht unterbrochen. Sie hätten in ihrer Seele schon das Leben Christi empfangen; der Geist, der Jesus von den Toten auferweckt habe, sei ihnen gegeben, darum könne es nicht fehlen, sie würden beim Abschied bei Ihm sein.“