Botschafter des Heils in Christo 1853

Jesus und Petrus

„Dann spricht Jesus zu ihnen: Ihr werdet alle in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen; denn es steht geschrieben: Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden. Nach meiner Auferweckung aber werde ich euch vorausgehen nach Galiläa. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn alle an dir Anstoß nehmen werden, ich werde niemals Anstoß nehmen. Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, dass du in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, mich dreimal verleugnen wirst. Petrus spricht zu ihm: Selbst wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen. Ebenso sprachen auch alle Jünger. Dann kommt Jesus mit ihnen an einen Ort, genannt Gethsemane, und er spricht zu den Jüngern: Setzt euch hier, bis ich dorthin gegangen bin und gebetet habe. Und er nahm Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus mit und fing an, betrübt und beängstigt zu werden. Dann spricht er zu ihnen: Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod; bleibt hier und wacht mit mir. Und er ging ein wenig weiter und fiel auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend; und er spricht zu Petrus: Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt; der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach. Wiederum, zum zweiten Mal, ging er hin und betete und sprach: Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille. Und als er kam, fand er sie wieder schlafend, denn ihre Augen waren beschwert. Und er ließ sie, ging wieder hin, betete zum dritten Mal und sprach wieder dasselbe Wort. Dann kommt er zu den Jüngern und spricht zu ihnen: So schlaft denn weiter und ruht euch aus; siehe, die Stunde ist nahe gekommen, und der Sohn des Menschen wird in die Hände von Sündern überliefert. Steht auf, lasst uns gehen; siehe, nahe ist gekommen, der mich überliefert. Und während er noch redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, und mit ihm eine große Volksmenge mit Schwertern und Stöcken, ausgesandt von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes. Der ihn aber überlieferte, hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Wen irgend ich küssen werde, der ist es; ihn greift. Und sogleich trat er zu Jesus und sprach: Sei gegrüßt, Rabbi!, und küsste ihn sehr. Jesus aber sprach zu ihm: Freund, wozu bist du gekommen! Dann traten sie herzu und legten die Hände an Jesus und griffen ihn. Und siehe, einer von denen, die mit Jesus waren, streckte die Hand aus, zog sein Schwert und schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. Da spricht Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Platz; denn alle, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen. Oder meinst du, dass ich nicht meinen Vater bitten könnte und er mir jetzt mehr als zwölf Legionen Engel stellen würde? Wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, dass es so geschehen muss? In jener Stunde sprach Jesus zu den Volksmengen: Seid ihr ausgezogen wie gegen einen Räuber, mit Schwertern und Stöcken, um mich zu fangen? Täglich saß ich lehrend im Tempel, und ihr habt mich nicht gegriffen. Aber dies alles ist geschehen, damit die Schriften der Propheten erfüllt würden. Da verließen ihn die Jünger alle und flohen. Die aber Jesus gegriffen hatten, führten ihn weg zu Kajaphas, dem Hohenpriester, wo die Schriftgelehrten und die Ältesten versammelt waren. Petrus aber folgte ihm von weitem bis zu dem Hof des Hohenpriesters und ging hinein und setzte sich zu den Dienern, um das Ende zu sehen“ (Mt 26,31–75).

Jesus und Petrus

In1 dem erwähnten Abschnitt des angegebenen Kapitels finden wir hauptsächlich den Herrn Jesus und Petrus als die handelnden Personen. Der Abstand, der sich in dem Benehmen des Jüngers, gegenüber dem seines göttlichen Herrn und Meisters zeigt, ist sehr groß. In dem Herrn Jesus sehen wir den Gehorsamen, den Ergebenen; seine tiefe Unterwürfigkeit ist in seinem Gebet enthalten: „Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Man sah einen Engel vom Himmel steigen, der ihn stärkte (vgl. Lk 22,43). Er wurde „in Schwachheit gekreuzigt“ (vgl. 2. Kor 13,4). So hören wir Ihn bei der Versuchung in der Wüste dem Teufel mit dem Worte Gottes antworten. Er hätte in Seiner göttlichen Macht wohl sagen können: „Gehe weg Satan“, aber das würde kein Beispiel für uns gewesen sein. Ebenso finden wir auch den Herrn oftmals im Gebet.

Wenn man die Handlungsweise des Petrus mit dem Herrn vergleicht, so tritt so recht die Schwachheit des Fleisches und die Stärke des Glaubens hervor. Petrus vertraute auf sein Fleisch und bestand nicht in der Versuchung; er sah auf sich, als er sagte: „Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ (Lk 22,33). Schon gleich nachher muss ihn der Herr fragen: „Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen?“ (V. 40). Da war weder Gefängnis noch Tod. Der Herr ermahnt: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt“ (V. 41). Lasst euch nicht von ihr umstricken; fallet nicht in ihre Netze, denn das Fleisch ist schwach. Petrus fiel in die Versuchung, der Herr Jesus hingegen niemals. Und doch war die Versuchung viel größer für den Herrn. Juden und Heiden waren gegen Ihn, und hinter ihrem Rücken stand Satan. Er sagte: „Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis“ (Lk 22,53); und ferner: „Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod“ (V. 38). Der Herr blieb aber dabei nicht stehen, – Er geht und betet zum Vater. Sein Auge sah nicht auf das, was Ihn umgab, – Er sah auf zum Vater. Nicht, daß Er nicht fühlte, was über ihn kam, denn Er betet ja: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (V. 39). Er wusste, dass Er hienieden schwach war, und das ist eben wirkliche Stärke. Wer seine Schwachheit noch nicht kennt, verläßt sich darauf und fällt. Bedenkt, dass wenn wir Gott ganz vertrauen, die Versuchung uns nichts anhaben kann, wir lassen uns erst gar nicht mit ihr ein. Jesus sagt: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh 18,11). Er sieht weder Pilatus noch Judas darin; es war ja nicht Satan, der Ihm diesen Kelch gereicht hatte, sondern Sein Vater.

So ist es auch mit uns, wenn volles Vertrauen uns hilft die Versuchung zu überwinden. Prüfungen kommen; aber wir können mit dem Herrn sagen: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh 18,11). Jede Prüfung bietet uns eine Gelegenheit, unsere Ergebung in den Willen Gottes zu bewähren, wenn wir Gott nahe sind; wenn nicht, so wird sie zur Versuchung und zum Fall werden. Jesus vertraute sich völlig Gott an. „Bleibt hier und wacht mit mir“ (V. 38); scheint Schwäche; aber dennoch zitterte Er nicht davor, allein leiden zu müssen. „Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen“ (Joh 18,8). In Seiner Herzensangst betete Er immer inbrünstiger (vgl. Lk 22,44); es treibt Ihn zum Vater, und zwar ehe die Versuchung kam. Was aber folgt darauf? Als die Prüfung wirklich kam, war alle Schwachheit vorüber. Er gibt Sich ihnen selbst zu erkennen indem Er sagt: „Wen sucht ihr?“ (Joh 18,15) und ist dabei so ruhig, als ob Er käme, ein Wunder zu tun. Weder vor Kajaphas noch vor Pilatus sagte Er etwas Anderes, sondern bekennt sich als Gottes Sohn vor den Juden und als König vor Pilatus.

Woher aber kommt diese Verschiedenheit zwischen Petrus und Jesus? Zuerst sehen wir, dass, indem Petrus schläft, auch das Fleisch schlief; er schlief, um sich dem Druck der Sorgen zu entziehen. Petrus war nicht bereit, durch die Prüfung hindurch zu gehen mit dem Vater. Im Augenblick, als Jesus weggeführt werden sollte, erwachte die Tätigkeit des Fleisches und Petrus zog das Schwert. Das Fleisch hat so viel Kraft, um uns in Gefahren zu bringen, denen wir nicht gewachsen sind, und gerade dann verlässt sie uns. Wie wenig Ähnlichkeit zwischen dem Meister und seinem Jünger. Während der Herr betete, schlief Petrus; während der Herr sich geduldig unterwarf, griff Petrus zu den Waffen; während der Herr geduldig wie ein Lamm seinen Mund nicht auftat, fluchte Petrus. So ist aber das Fleisch; tätig, wenn es ruhig sein sollte; schlafend, wenn es wachen sollte. Christus wendete Sich in seiner Seelenangst zum Vater, war aber vollkommen gefasst, als die Prüfung über Ihn kam. O, wenn wir wüssten, wie wir uns mit unserm Vater zu benehmen hätten, es würde nicht eine einzige Versuchung sein, die nicht zu Seiner Ehre überwunden würde.

Die Hauptsache war aber, dass Petrus noch nicht kennen gelernt hatte, was das Fleisch ist. Er kannte nicht dessen Schwäche und darum war auch kein volles Vertrauen möglich. Er schien aufrichtig bereit, dem Herrn Jesus nachzufolgen und Ihn nicht zu verleugnen. Es war auch mehr Gefühl natürlicher und treuer Anhänglichkeit in Petrus, als in denen, die den Herrn verließen und flohen (vgl. Mt 26,56); er liebte den Herrn wirklich. Er fehlte nicht vorsätzlich, nicht weil er sündigen wollte, sondern fiel durch die Schwachheit des Fleisches. Christus überwand alle Schwachheit in der Gemeinschaft mit seinem Vater, auch selbst die Todesangst. Petrus fiel, obgleich kaum der Schatten einer Versuchung über ihn gekommen war; er kannte sein Fleisch nicht, vertraute nicht auf den Herrn und betete auch nicht. „Wir sollen wachen im Gebet“; nicht bloß bereit sein zu beten, wenn die Versuchung da ist, sondern stets in Gemeinschaft mit Gott sein und so ihr entgegen gehen, gestärkt durch Vertrauen und Gebet. Wer nicht beständig betet und immerdar an seine große Schwäche denkt, der wird, mag er Christus auch lieb haben und den besten Willen besitzen, Gott zu dienen, gerade durch diesen guten Willen verleitet, Christus zu verleugnen. Die anderen Jünger, welche flohen, entehrten den Namen des Herrn nicht so sehr, als Petrus es tat. Und so lernte er die Schwachheit seines Fleisches kennen; während Jesus seine Abhängigkeit dadurch bekannte, dass er unaufhörlich betete.

Und was tat Jesus, da Er ja wusste, dass Satan den Petrus versuchen würde? – Er betet für ihn. Je mehr Erkenntnis, desto mehr Gebet. „Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre“ (Lk 22,32). Wir können niemals unsern Brüdern die Wahrheit verkündigen, wenn wir uns nicht unserer Schwachheit bewusst sind. Was würde aus Petrus geworden sein, ohne das Gebet des Herrn? Er war nahe daran, wie Judas zu werden. Wie gut ist es, sich schwach zu bekennen, anstatt wie Petrus sich in die Gefahr zu begeben und darin unterzugehen. Wie viel besser ist es, wenn wir uns fürchten, irgendeinen Schritt zu tun, ohne die Leitung des Herrn. Das Fleisch leitet uns immer irre; wir können uns nie darauf verlassen. Nur wenn wir Gott immerdar vor Augen haben, werden wir überwinden. Keine Weisheit wird uns helfen, als nur die Weisheit von oben. Die Gewalt und Verdorbenheit unseres Fleisches können wir dadurch kennen lernen, dass wir im Gebet und Gemeinschaft mit dem Herrn leben und keinen Schritt gehen ohne seine Leitung, oder auch dadurch, dass wir die bittere Erfahrung machen, die auch den Petrus lehrte. Wenn wir uns unaufhörlich bewachen, so wird keine Versuchung uns etwas anhaben können. Prüfungen werden allerdings kommen, aber wir werden gegen alles was kommt gerüstet sein; nicht aber, dass wir etwa sagen, nun bin ich vorbereitet auf diese oder jene Versuchung. Wir wissen keinen Augenblick, welche Prüfung über uns kommt, deswegen ist unsere einzige und beste Zuflucht: „Wachen und beten“. Ja betet, ehe der Sturm kommt, wie der Herr Jesus uns lehrt.

Wir müssen auf viele Versuchungen unserer Seele vorbereitet sein; ja, oft möchten wir wohl fragen: wozu diese Prüfungen? Sie werden nur sein, um unsere Wachsamkeit auf die Probe zu stellen und uns ganz dem Vater zu übergeben. Der Herr wird uns die Last, die Er uns auflegt, tragen helfen mit seinem Geist. Darum sollen wir uns nicht fürchten und Alles in Ihm tun! Die Kraft der Liebe und des willigen Gehorsams hat keine Grenzen, wenn unsere Stärke vom Herrn ist.

„Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (V. 39). Keiner von uns kann ermessen, wie bitter dieser Kelch für Ihn war, der in des Vaters Liebe geruht hatte; aber je höher der Geist, desto höher die Erkenntnis. Da war die Heiligkeit und Gerechtigkeit selbst für uns zur Sünde gemacht worden; kein Lichtstrahl fiel in die Seele Jesus, dessen Schweiß zur Erde rann wie große Blutstropfen (vgl. Lk 22,44). Ihm wurde unsere Sünde nicht leicht; der Fürst des Lebens wurde vom Staube des Todes bedeckt. „Alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen“ (Ps 42,8). Am Kreuz trug der Herr Jesus, was du nie tragen wirst, darum hüte dich, ihn zu verleugnen. Viele aber, die im Ganzen Ihn bekennen, sündigen doch im Einzelnen gegen Ihn. – Darum prüfe dich einmal. – Und nun sei Ihm, der allein uns vor dem Fall bewahren und uns ohne Straucheln zu den ewigen Freuden Seiner Herrlichkeit führen kann – Preis und Ehre! (vgl. Jud 24.25).

Fußnoten

  • 1 Nach einem Traktat: „Zwei Warnungen und ein Beispiel“.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel