Botschafter des Heils in Christo 1857
Einige Gedanken über Psalm 94
Bei dieser Betrachtung möchte ich besonders einen Augenblick bei den Tröstungen Gottes in den Versuchungen der Heiligen hienieden verweilen. In Psalm 94,11–13 lesen wir:
„Der HERR kennt die Gedanken des Menschen, dass sie Eitelkeit sind.
Glückselig der Mann, den du züchtigst, Jah, und den du belehrst aus deinem Gesetz,
um ihm Ruhe zu geben vor den bösen Tagen, bis dem Gottlosen die Grube gegraben wird!
Die Erhebung des Menschen ist Torheit, und ebenso all sein Vornehmen. Seine „Gedanken“ sind nicht geringer als die Weisheit Gottes, sondern sie sind „eitel“. Alles ist vom Anfang bis zum Ende in dem Herzen des Menschen „Eitelkeit“ und nichts anderes. Wie sich auch der Zustand der Dinge um uns her gestalte, wie sehr diese auch geeignet sein mögen, unsere Herzen mit Kummer zu erfüllen – Gott urteilt, dass alles „eitel“ ist. Jede Schutzwehr von Menschenhand bereitet, jede Kraftanstrengung und jeder noch so scharf durchdachte Plan ist nur „Eitelkeit“. Mag aber dem Herrn auch alles entgegenwirken, seine Gedanken, die Er bei sich selbst beschlossen hat, d. i. die Verherrlichung des Christus und unsere mit Ihm, wird Er vollkommen erfüllen. Der Mensch aber hat diesen Zweck Gottes nicht zu dem seinigen gemacht, deshalb müssen alle seine Gedanken und Pläne nur „Eitelkeit“ sein. Der Zweck Gottes aber wird erreicht werden. Mögen auch alle Anstrengungen der Menschen dahin gerichtet sein, denselben zu verhindern – ihr Ende wird nichts anderes als „Eitelkeit“ sein.
Nehmt einen Menschen aus der Welt, den größten Gelehrten oder den klügsten Staatsmann, gewiss, ein armer, elender Heiliger ist weiser, und hat zur Ausführung seiner Pläne mehr Sicherheit als jener, denn das Herz des einfachsten, schwächsten Heiligen läuft in demselben Gleis mit Gott. Und obgleich jener selbst keine Kraft hat, so ist doch Gott seine Kraft.
In diesem Psalm finden wir zunächst den Aufruhr der Feinde, und dann, was Gott darin getan hat. So ist es gewöhnlich mit den Heiligen in ihrer Trübsal. Sie sehen das Werk Satans zuerst und dann Gottes Hand, die sie segnet. Die Wirkung dieser Handlungen des Gottlosen für uns ist gegenwärtig diese: „Glückselig der Mann, den du züchtigst, Jah, und den du belehrst aus deinem Gesetz, um ihm Ruhe zu geben vor den bösen Tagen, bis dem Gottlosen die Grube gegraben wird!“ Diese Grube ist aber bis jetzt noch nicht gegraben und der Thron der Ungerechtigkeit noch nicht erniedrigt. Wenn aber auch in der Züchtigung die ganze Macht des Bösen gegen uns ist, so bleibt doch des Herrn Absicht diese: „… um ihm Ruhe zu geben vor den bösen Tagen.“
Ich spreche nicht nur von den Leiden für Christus, wenn wir um seines Namens willen geschmäht werden, was ja nur Freude, Triumph und Ruhm für uns ist, sondern von jenen Dingen, welche geeignet sind, viel Bekümmernis in uns zu erwecken, wenn wir sehen, dass wir unbeständig und nachlässig in den Wegen des Herrn gelebt haben. Und dennoch heißt es: „Glückselig der Mann, den du züchtigst, Jah“! Der Herr züchtigt uns nicht ohne eine bestimmte Absicht. Wenn irgendeine Sünde oder eine Nachlässigkeit im Leben vorhanden ist, die Züchtigung nach sich zieht, so benutzt Er diese Gelegenheit der Zucht, um das Übel des Herzens zu heilen. Er richtet nicht nur das Vergehen, sondern auch die Quelle, aus der dieses hervorkam. Hierdurch wird die Seele fähig gemacht, das Wort Gottes in Kraft auf sich anzuwenden. Sie ist unterwiesen, weshalb sie gezüchtigt ist. Und nicht nur dies: sie ist auch in die Gedanken des Herzens Gottes eingeweiht. Sie erkennt mehr von seinem Charakter, „Denn der HERR wird sein Volk nicht verstoßen und sein Erbteil nicht verlassen“ (Ps 94,14). Was Gott für uns wünscht, ist nicht nur, dass wir Vorrechte, sondern auch, dass wir mit Ihm Gemeinschaft haben. Durch diese Züchtigung aber wird das Herz mehr in die Nähe Gottes gebracht und zugleich in der Gewissheit der Hoffnung gestärkt und befestigt.
Betrachten wir Petrus. Nachdem der Feind gesichtet hatte, sehen wir, dass er, obgleich sein Fall sehr demütigend und schmerzlich war, viel tiefer in die Erkenntnis Gottes und in das Gefühl seiner Abhängigkeit von Ihm eindrang. Der Herr macht unsere Seele ruhig am bösen Tag und zwar durch die Gemeinschaft mit Ihm, aber nicht nur Gemeinschaft in der Freude, sondern auch in der Heiligkeit. Die Umstände werden benutzt, um die Tür des Herzens zu öffnen und Gott einzulassen. Und Gott ist der Seele nahe, wenn Er inmitten der Umstände in seiner Liebe erkannt wird.
Der Herr züchtigt niemals, ohne irgendeine Veranlassung dazu zu haben, und dennoch: „Glückselig der Mann, den du züchtigst, Jah“! Das ist gewiss ein wunderbarer Ausdruck! Ich sage nicht, dass ein Christ dies immer während der Züchtigung sagen kann, denn das Selbstgericht ist oft mit Angst und Sorge verbunden, aber die Wirkungen sind gesegnet. Was wir wünschen ist, dass alle unsere Gedanken, Wege und Handlungen des eigenen Willens hinweggetan sein möchten und dass Gott alles sei. Jede Züchtigung muss im Grundsatz den Charakter des Gerichts in sich tragen, denn der Herr handelt mit seinem Volk nach Gerechtigkeit, wie geschrieben steht: „Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht“ (1. Pet 1,17) und nicht nach dem unumschränkten Reichtum der göttlichen Gnade. Gott erlaubt nichts in dem Herzen, was mit der Heiligkeit, woran Er die Heiligen hat teilnehmen lassen, nicht übereinstimmend ist. Es ist in der Tat die gesegnete Gnade und Liebe des Vaters, die sich so viel Mühe mit uns gibt, doch ist dies nicht an und für sich der Charakter der Züchtigung.
Was wir notwendig bedürfen, ist der Umgang des Herzens mit Gott – zu ruhen in seiner Ruhe, obgleich alles um uns her Verwirrung und Aufruhr ist. Wenn wir, umgeben von Ungerechtigkeiten aller Art, seinem Herzen nahe sind, so werden wir auch seine Tröstungen erfahren, wie geschrieben steht: „Bei der Menge meiner Gedanken in meinem Innern erfüllten deine Tröstungen meine Seele mit Wonne“ (Ps 94,19). Unser Teil sind nicht nur die Reichtümer der Gnade Gottes, sondern das Geheimnis des Herrn zu kennen, mit Ihm in seiner Heiligkeit innige Gemeinschaft zu haben. Wie sehr auch immer die Umstände uns entgegen sein mögen, die Seele ruht immer glücklich und zufrieden in Ihm.
Wenn wir stets einen völligen und ungetrübten Frieden und eine innige Gemeinschaft mit Gott und untereinander hätten, wenn wir inmitten der Umstände und Versuchungen von diesen nicht bewegt würden, so würden wir nicht nur die Erkenntnis haben, dass alle Dinge in Christus unser sind, sondern auch eine Bekanntschaft mit Gott selbst, wie geschrieben steht: „In jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,10).
Möchte doch seine Gnade Ihm jeden Weg zu unseren Herzen öffnen!
[übersetzt.]