Botschafter des Heils in Christo 1857

Trost in der Wüste

Deshalb nun, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, lasst auch uns, indem wir jede Bürde und die leicht umstrickende Sünde ablegen, mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes (Heb 12,1.2).


Die vielen Versuchungen dieses Lebens, die Leiden mannigfacher Art bewirken in unserer Seele ein starkes Bedürfnis nach Trost von oben, um auf dem so rauen Weg durch diese Wüste immer weiter fortschreiten zu können. Und Er, der so überströmend darreicht, nicht allein nach unseren Bedürfnissen, sondern nach der Fülle seines allgütigen Herzens, gibt nicht nur das, was für den Augenblick erhalten, lindern und befähigen kann, um weiter vorwärts zu dringen, sondern Er verleiht auch neue Kraft und neues Leben, wodurch wir unsere Pilgerreise mit größerer Freudigkeit und erneuertem Mut fortsetzen können. Gern möchte ich hier einige Gedanken über den Segen des Kampfes und der Leiden in dieser Wüste niederschreiben.

1.    Unsere Herzen werden durch dieselben zum Gehorsam gebracht. Eine aufrichtige Seele wird immer besser verstehen lernen, dass die vielfachen Segensbezeugungen des Herrn ihren Grund in seiner Liebe haben, und dass sie stets unserem besonderen Bedürfnis hienieden in der Wüste entsprechen. Hier ist der Ort des Kampfes und der Leiden. Und wir werden nie wieder Gelegenheit haben, Glauben, Liebe und Gehorsam in Prüfungen zu beweisen, weil diese nicht dem Himmel angehören. Dort werden Liebe und Gehorsam ihren freien und ungehinderten Lauf haben, aber hier gibt es fortwährend etwas zu bekämpfen und zu besiegen. Darum ist es auch die gegenwärtige Zeit, in welcher wir vor Engeln, Teufel und Menschen beweisen können, dass eine solche Gesinnung dem Herzen Gottes Freude gewährt, und dass gerade jetzt ein stiller, friedlicher, heiliger und gerechter Wandel so großen Wert in seinen Augen hat, umso mehr, da demselben so vieles entgegen ist.

2.   Kampf und Leiden haben den Zweck, uns in eine tiefere Bekanntschaft mit Gott einzuführen. Nur in diesem Zeitraum unseres Lebens ist es uns möglich mit der Barmherzigkeit, der Langmut, der Liebe, der Fürsorge, dem Mitgefühl und der Bewahrung unseres Gottes in besonderer Weise vertraut zu werden. Wie könnten wir dieses alles auch besser kennen lernen als in unseren mannigfachen Nöten? Denn wir wissen, dass wir es im Himmel, wo nur Freude und Wonne herrscht, nicht können; und dass es nur hier ist, wo Gott mit liebender Sorgfalt und Barmherzigkeit in jedes Leiden, das uns trifft, eingreift. Seine süßen Trostworte, sein Herz voll Mitleid und seine treue und segnende Hand erhalten, stärken und tragen uns durch alles hindurch. Selbst in der Herrlichkeit droben, wo eine ununterbrochene Glückseligkeit herrscht, eine persönliche Vertrautheit mit der göttlichen Natur und ihrem Wesen stattfinden wird, haben wir keine solche Gelegenheit, unseren Gott auf eine solche Weise kennen zu lernen. Diese Wüste allein mit ihren mannigfachen Versuchungen gibt uns diese kostbare Gelegenheit. Und ich glaube fest, dass wir in der Freude des Himmels durch alle Zeitalter hindurch mit Anbetung und Dankbarkeit des Kampfes und der Leiden gedenken werden, die uns unseren Gott in der Wüste so teuer machten.

3.    Durch die Leiden werden wir zur Verwirklichung der Gesinnung Gottes immer mehr zubereitet. In dieser Wüste allein haben wir Gelegenheit, bei den Leiden anderer Nachahmer unseres Gottes zu sein, sowohl in seiner herzlichen Güte und seinem liebevollen Erbarmen, als auch in seinem innigen Mitgefühl. Hier allein in den schweren, zeitlichen Verhältnissen haben wir Gelegenheit, unserem Gott in der Geduld, Milde und Liebe gegen die Feinde nachzufolgen. Sollten wir, dieses wissend, nun wohl wünschen können, den Prüfungen zu entgehen, und nicht vielmehr in dieser Zeit der Langmut, Barmherzigkeit und Gnade Gottes stets nach einer innigeren Gemeinschaft mit Ihm trachten?

Ach! Wie wenig erkennen wir noch die unsichtbare Kette, durch welche unser Leben und Wandel hier auf der Erde mit der zukünftigen Herrlichkeit in Verbindung steht!

4.    Gott gibt sich uns immer mehr und mehr in den Leiden zu erkennen. Nur in den Trübsalen dieses Erdenlebens hat unser Gott die Freude, uns zu trösten. Nur hier vermag Er vor Engeln und Menschen diese beglückenden, segensreichen Züge seines Charakters zu enthüllen, welche sonst für immer verborgen blieben. Deshalb können wir so getrost und guten Mutes in allen Versuchungen sein, weil diese unserem treuen Gott ja die kostbare Gelegenheit geben, sich in seinem herrlichen Wesen an uns mehr und mehr zu offenbaren, und durch welche Er unseren Herzen immer teurer wird. Es gereicht selbst den Engeln zu größerer Wonne und Glückseligkeit, diesen Schauplatz unaussprechlicher Segensbezeugungen zu sehen, wodurch auch sie eine besondere Erkenntnis ihres herrlichen Schöpfers erhalten, auf welche sie stets mit erneuerter Bewunderung, Anbetung und Entzücken hinblicken. Sie sind aber nicht, gleich uns, in solchen Verhältnissen, durch welche jene herrlichen Eigenschaften Gottes in lebendiger Erfahrung erkannt werden. Gewiss aber erscheint unserem Gott diese Zeit sehr wichtig; und wie wichtig würde sie uns erscheinen, wenn wir besser deren ganze Tragweite auf die Zukunft verständen? Und selbst wie unbedeutend würden wir unsere Leiden und Trübsale ansehen, wenn wir stets daran denken würden, was es dem Herzen unseres Gottes gekostet haben muss, sechstausend Jahre lang diesem Ärgernis des Satans durch die Menschen zuzusehen. Betrachten wir im Glauben, was geschrieben steht, wie die Sünde vor der Sündflut überhandnahm, wie sie zuletzt zu einem solchen schauderhaften Grad heran wuchs, dass Gott in seinem Herzen darüber erzürnt wurde und die Welt vertilgte. Dann wieder zu der Zeit des Ausgangs des Volkes Gottes aus Ägypten bis zu dem Augenblick, wo sie den Jordan erreichten. Gott selbst spricht hierüber: „Vierzig Jahre hatte ich Ekel an dem Geschlecht“ (Ps 95,10). Und wiederum sagt der Psalmist: „Wie oft waren sie widerspenstig gegen ihn in der Wüste,  betrübten ihn in der Einöde“ (Ps 78,40). Und als der HERR sie endlich nach Kanaan gebracht, und ihnen das gute Land zum Eigentum gegeben hatte, wie oft lesen wir danach in den Propheten, in den Königen und in den Psalmen, wie sie den HERRN „versuchten“, „betrübten“, „reizten“ und „Ärgernis gaben“, bis Er sich endlich genötigt sah, sie hinaus zu stoßen?

Und als der Gesalbte, der Heilige, zuletzt selbst erschien, wie viel hat es da dem Herzen des Vaters gekostet, seinen Sohn zu opfern, seinen Geliebten, an welchem Er sein Wohlgefallen hatte, hinzugeben, weil auf keine andere Weise Rettung für uns möglich war? Und von dem Pfingstfest bis zu der heutigen Stunde ist dem Heiligen Geist widerstrebt, seinem segensreichen Wirken entgegen gearbeitet und sein Zeugnis verschmäht und verworfen worden. Seit dem Sündenfall bis zu dem heutigen Tag ist die Welt durch den Satan ein Schauplatz des Leidens für Gott, den Vater, Gott, den Sohn, und Gott, den Heiligen Geist, geworden. – Ist es nicht erstaunlich, dass der allmächtige Gott, der Herr des Himmels und der Erde, durch Geschöpfe wie wir, erfreut oder auch betrübt werden kann? – Welche alles übersteigende Wahrheit, dass Er mit dem Menschen, den Er aus einem Erdenklos gebildet hat, in eine solche enge Verbindung treten wollte, dass Er leidet, wenn sie leiden, sich freut, wenn es ihnen wohl geht; und dass Freude im Himmel ist (bei allen Engeln) über einen Sünder, der sich bekehrt (vgl. Lk 15,10). Lesen wir nicht, wie sein Herz froh ist, wenn wir weise vor Ihm wandeln (vgl. Spr 27, 11), wie Er frohlockt, wenn wir Gutes reden (vgl. Spr 23,16), wie unser Gebet Ihm wohlgefällt (vgl. Spr 15,8) und wie unsere Lobpreisungen Ihn verherrlichen (vgl. Ps 50,23)?

Ach! Wie wenig wissen wir von unserem herrlichen Gott, denn sonst würde Er zu jeder Zeit in unserem Herzen sein, und in zunehmender Erkenntnis würden wir nur für Ihn leben. Was auch dann unser Weg hienieden sein mochte, wie viel Dornen und Unebenheiten sich auch auf demselben befinden würden – der Laut des teuren Vaternamens würde immer in unseren Herzen innige Liebe hervorrufen. Doch wie wenig verstehen selbst die Geistlichsten und Geistreichsten unter uns von der Fülle, die in Ihm ist, durch welche wir nur befähigt sind, des Apostels Ermahnung an die Philipper ganz zu fassen und in unserem Leben zu verwirklichen: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ (Phil 4,4).

5.   Kampf und Leiden führen zu der Verherrlichung seines Namens. Noch eine kurze Zeit und alle Sünde, alle Traurigkeit, alles Leiden wird für immer von der Erde verschwunden sein. Wir sind dann die Gefährten seines herrlichen Triumphs, nämlich dann, wenn Er, das Haupt der Versammlung, das Loblied anstimmen wird, wie von Ihm geschrieben steht: „Inmitten der Versammlung will ich Dir lobsingen“ (Heb 2,12). Dann werden gewiss auch alle jene Beweise der errettenden, hilfreichen und tröstenden Liebe, die wir während unseres Pilgerlebens hienieden von Ihm erfahren haben, nicht vergessen sein. – Ja, dann erst werden wir dieselben, in ihrer durch alle Zeiten hinlaufenden Bedeutung, wahrhaft verstehen. Der Anführer unsers Heils, welcher durch Leiden zur Vollkommenheit gebracht ist (vgl. Heb 2,10), wird seine Gelübde erfüllen (vgl. Ps 116,14; Ps 22,26). Die treue Liebe, welche Ihn durch seine ganze Pilgerschaft hienieden begleitete, wie wir in vielen Psalmen lesen, ja alle die einzelnen Begebenheiten in seinem Wandel werden dann ganz besonders der Gegenstand seines Ruhmes und seines Dankes sein. Und wahrlich, die Versammlung kann für die unzähligen Gnadenbezeugungen, welche jedem einzelnen Glied zu Teil geworden sind, mit überströmender Freude und Wonne einstimmen. Der Grund des Lobens und Dankens, welcher am meisten im Wort Gottes erwähnt wird, – ich erinnere hier nur an Psalm 22,24.25 – ist die Erhörung der Gebete in Leiden und im Kampf. Sicherlich können wir in jene Dank- und Loblieber einstimmen, und seinen und unseren Vater für alle seine gnadenreichen Führungen, deren wir uns hier in jedem Kampf und in allen Leiden zu erfreuen hatten, preisen. Dort werden wir eine Erinnerungsfähigkeit besitzen, gleich der unseres verherrlichten Hauptes, wodurch es uns möglich sein wird, alles klar in seinem Zusammenhang mit der Jetztzeit unter Anbetung, Lob und Preis zu betrachten. Vor dem Herrn Jesus Christus niederfallend, werden wir mit tiefer inniger Dankbarkeit Ihm unaufhörlich Lob und Preis darbringen – Ihm, der uns vom ewigen Tod errettet und Gott dargebracht hat, sagend: „Du bist geschlachtet worden und hast [uns] für Gott erkauft, durch Dein Blut, aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation“ (Off 5, 9).

6.   Der Zusammenhang des Kampfes und der Leiden mit der zukünftigen Herrlichkeit. Wenn der Schmerzensmann, der den Leidenskelch bis zum letzten Tropfen austrinken musste (vgl. Jes 53,3), der tot war und lebt (vgl. Off 2,8), der sich mit uns verlobte, als wir in der Wüste waren – wenn Er uns, seine Braut, geschmückt für Ihn, den Gemahl, zu sich nehmen wird, damit sie seine Freude teile und Mitgenossin seiner Herrlichkeit sei, wie sie jetzt seine Gefährtin im Kampf und in Leiden ist – dann wird Er uns in die himmlischen Wohnungen einführen, nicht als die Gemahlin des Königs, des Herrn, sondern als die Frau des Lammes.

Uns allen ist der Ausdruck „Braut“ bekannt. Wir verbinden damit Glück und Freude; aber wir wissen auch, dass das Wort „Frau“ eine weit vollkommenere Verbindung ausdrückt, eine solche, die durch vielfache, gemeinschaftliche Prüfungen und in schweren Kämpfen in dieser Welt geknüpft wurde. – Was das Wort „Lamm“ betrifft, so wissen wir, dass jeder Name des Herrn Jesus auch seine Bedeutung hat, dessen Erklärung wir schon in der Bibelstelle, mit welcher derselbe verbunden ist, selbst finden; und jeder Name, welcher Ihm im Alten ober Neuen Testament gegeben ist, soll unserem Geist und unserem Herzen die Umstände, welche die verschiedenen Charakterzüge unseres hochgelobten Immanuels enthüllen, tief einprägen. Und gewiss, es ist nicht ohne Ursache, dass der Name „Lamm“ so oft in dem Buch der Offenbarung vorkommt. Das Lamm, das geschlachtet wurde, führt die ganze Kette der Leiden in der Wüste an unserem Geist vorüber, nämlich den ganzen langen Kampf des Heiligen, den Martertod des sanften, demütigen und gehorsamen Menschensohnes. Ich glaube daher, dass die Versammlung, die Frau des Lammes, diesen ihren schönsten Namen deshalb empfangen hat, weil sie eins mit dem ist, der verworfen wurde, eins mit Ihm in den Leiden, den Prüfungen und der Schmach, aber auch eins mit Ihm in den Wünschen und Hoffnungen. Ich finde in der Schrift keine Wahrheit, welche mehr geeignet wäre, uns zu demütigen, aber auch keine, welche uns mehr zu ermuntern und zu stärken vermöchte.

7.   Die folgerechte Beziehung des Kampfes und der Leiden zu der zukünftigen Herrlichkeit. Wir alle wissen, dass unsere Erweckung aus der Erkenntnis der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, welche Er in Christus Jesus kundgetan hat, entspringt. Während unserem ganzen Leben hienieden aber lernen wir Ihn immer besser kennen, und kommen wir zu dem Richterstuhl Christi, so finden wir, dass die Stellung in der Herrlichkeit völlig derjenigen entspricht, welche wir hier im Kampf und in Leiden mit dem Vater und dem Sohn verwirklicht haben. Der Herr aber allein kennt das Verborgene des Herzens. Er allein vermag die wahre und falsche Ähnlichkeit mit dem Vater und dem Sohne zu unterscheiden. Ja, Er kennt das, was an jenem Tag bestehen wird. Dies erinnert uns daran, dass wir selbst nicht vor der Zeit zu richten haben. Der Sieg über das Temperament, den Eigenwillen und die Begierden dient ebenso sehr dazu, das Bild Gottes in uns zu verwirklichen, als der äußere Dienst in der Darreichung der leiblichen Notdurft unter den Kindern Gottes, oder der Dienst am Wort des Lebens, weil das eine wie das andere auf dieselbe Sache hinzielt, nämlich auf eine größere Gleichförmigkeit mit dem Herrn Jesus, dem vollkommenen Bild des Vaters. Sei es nun, dass wir in unserm Kämmerlein für andere beten oder zu Gott flehen um mehr Kraft im Kampf für uns selbst, sei es, dass wir mit unseren Familien in verschiedener Weise, entweder als Dienende, oder als Regierende, als Eltern oder als Kinder zu tun haben; sei es, dass unsere Beschäftigungen zu Hause oder außer demselben, im öffentlichen- oder Privat-Leben sind, oder in welcher Weise wir auch immer zu wirken haben, –überall und in allem kommt es stets darauf an, dass wir in unserem inwendigen Menschen nach dem Ebenbild des Herrn Jesus Christus heranwachsen. Wenn dies der Fall ist, so werden wir immer zu allem guten Wort und Werk, je nachdem wir die Fähigkeit und auch die Gelegenheit dazu haben, bereit sein. Und ist es Wahrheit, dass die verschiedenen Stellungen in der Herrlichkeit dem Wesen nach der Ähnlichkeit entsprechen werden, welche wir mit dem Vater und dem Sohne hienieden verwirklicht haben, dann können wir auch leicht daraus folgern, dass durch die ganze Ewigkeit hindurch eine beseligende Erinnerung an unsere irdische Pilgerreise stattfinden wird, nämlich dort in der Herrlichkeit, wo jede Traurigkeit, jede Versuchung und Sünde für ewig verschwunden sein wird.

 [Übersetzt]

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