Zucht im Haus Gottes
Mit Weisheit handeln
Einführung
Was bedeutet Zucht?
Das griechische Wort für „Zucht“ (paideía) ist von dem Wort „Kind“ abgeleitet. Das Hauptwort selbst kommt im Neuen Testament nur an drei Stellen vor, das Verb jedoch öfter.
- In Epheser 6,4 geht es um die Erziehung der Kinder. Dort wird das Wort mit „Zucht“ übersetzt.
- In 2. Timotheus 3,16 spricht Paulus über die Wirkung des Wortes Gottes. Dort wird es mit „Unterweisung“ wiedergegeben.
- In Hebräer 12 ist die Rede von „Züchtigung“. Dort geht es um die Zucht des himmlischen Vaters gegenüber seinen Kindern.
Ursprünglich wurde das Wort gebraucht, um damit die Erziehung eines Kindes zu beschreiben. Zucht bedeutet im allgemeinen Sinn „erziehen“ oder „unterweisen“. Zucht ist nicht einfach „strafen“, sondern weit mehr. „Strafen“ gehört sicher dazu, aber ein Kind zu erziehen und zu unterweisen ist mehr, als es „nur“ zu strafen. „Erziehen“ - und selbst „Strafen“ - bedeutet auch nicht, dass jemand über einen anderen herrscht. Ein Vater herrscht nicht über sein Kind, sondern er erzieht es. So herrscht ein Bruder nicht über seinen Mitbruder, sondern er versucht, ihn zu unterweisen und ihm zu helfen, wenn er abgewichen ist. Ebenso herrscht eine örtliche Versammlung nicht über die Geschwister, wenn sie Zucht ausübt. Zucht hat es sehr wohl mit dem Ausüben von Autorität zu tun, aber nicht mit Herrschsucht.
Zucht ist notwendig, solange wir noch auf dieser Erde sind. Kein Kind Gottes ist - was den praktischen Weg auf dieser Erde betrifft - vollkommen. Wir alle straucheln oft (Jak 3,1). Deshalb brauchen wir Erziehung und Unterweisung. Deshalb brauchen wir Zucht. Solange die Gefahr der Abweichung vom richtigen Weg (persönlich und gemeinschaftlich) und des Irrens besteht, hat Zucht ihren Platz. Wenn wir am himmlischen Ziel angekommen sind, gibt es keine Zucht mehr.
Wir können verschiedene Arten der Zucht unterscheiden:
- die vorbeugende Zucht (im Sinn von Unterweisung und Zurechtweisung), um uns vor Abweichung zu bewahren;
- die wiederherstellende Zucht, wenn wir abgewichen sind;
- die reinigende Zucht, wenn die Versammlung durch Sünde verunreinigt wurde.
Zwei Stellen aus dem Buch der Sprüche - das im Übrigen sehr viel von Zucht spricht - machen uns die Notwendigkeit der Zucht und ihr Ziel deutlich:
- Sprüche 6,23b: „Die Zurechtweisungen der Zucht sind der Weg des Lebens.“
- Sprüche 10,17: „Es ist der Pfad zum Leben, wenn einer Unterweisung beachtet; wer aber Zucht unbeachtet lässt, geht irre.“
Es wird erneut deutlich, dass sich Zucht nicht auf Strafe beschränkt. Zucht hat immer ein positives Ziel. Wir sollen - ganz praktisch - den Weg des Lebens gehen.
Grundsätze der Zucht
Im zwölften Kapitel des Hebräerbriefes finden wir wichtige Grundsätze über Zucht:
„Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt. Was ihr erduldet, ist zur Züchtigung: Gott handelt mit euch als mit Söhnen; denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, deren alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr denn Bastarde und nicht Söhne. Zudem hatten wir auch unsere Väter nach dem Fleisch als Züchtiger und scheuten sie; sollen wir uns nicht viel mehr dem Vater der Geister unterwerfen und leben? Denn jene zwar züchtigten uns für wenige Tage nach ihrem Gutdünken, er aber zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Alle Züchtigung aber scheint für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude, sondern der Traurigkeit zu sein; danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt worden sind“ (Heb 12,5-11).
In diesem Abschnitt geht es natürlich vornehmlich und im Textzusammenhang um die väterliche Zucht, d.h. um die Frage, wie Gott mit uns als seinen Kindern handelt. Das ist jetzt nicht unser Thema. Dennoch zeigt uns der Text einige wesentliche Prinzipien, die wir auf die Zucht im Haus Gottes übertragen können.
Wir lernen Folgendes:
- Gott erzieht uns als seine Söhne (Vers 5). Das setzt eine Beziehung voraus. Die Welt wird in diesem Sinn nicht von Gott erzogen. Titus 2 lehrt uns, dass die Gnade Gottes sich zwar allen Menschen erweist, dass sie aber nur die Gläubigen unterweist (Tit 2,11.12). Wohl gibt es eine Regierung Gottes mit dieser Welt (das wird uns besonders in dem 2. Brief von Petrus vorgestellt), aber Erziehung und Unterweisung im eigentlichen Sinn ist für Söhne. Auf unser Thema übertragen bedeutet das, dass in der brüderlichen Zucht und Korrektur eine Beziehung vorausgesetzt wird. In 1. Korinther 5 wird z.B. ein klarer Unterschied gemacht zwischen den Sündern dieser Welt und einer Person, die „Bruder“ genannt wird. Zucht hat es mit einem Bruder oder einer Schwester zu tun (zumindest dem Bekenntnis nach), nicht mit dieser Welt. Wir sind der Welt gegenüber wohl ein Zeugnis, es ist aber nicht unsere Aufgabe, sie zu erziehen.
- In der möglichen Reaktion auf Zucht gibt es drei Gefahren, vor denen wir uns hüten müssen:
- Wir achten die Zucht gering (Vers 5a) und gehen leichtfertig darüber hinweg: Dann wird die Zucht nicht ihr Ziel erreichen.
- Wir ermatten (Vers 5b): Das ist die entgegengesetzte Gefahr. Zucht soll nicht entmutigen und demotivieren, sondern Gott verfolgt damit ein bestimmtes Ziel.
- Wir lehnen uns auf (Vers 9): Das kann dann der Fall sein, wenn wir Zucht unangemessen finden und uns wehren. Die Zucht des himmlischen Vaters ist immer angemessen. Brüderliche Zucht und Korrektur hingegen kann tatsächlich unangemessen sein. Dennoch sollten wir sie zunächst als von Gott kommend annehmen und uns nicht gleich wehren.
Das Motiv der Zucht
Das richtige Motiv für die Ausübung von Zucht ist die Liebe. Es wird uns noch beschäftigen, dass Zucht mit der Heiligkeit Gottes zu tun hat. Gott ist Licht. Deshalb muss Zucht ausgeübt werden. Dennoch wollen wir an dieser Stelle unterstreichen, dass Zucht nur dann ihr Ziel erreicht, wenn sie aus einem liebenden Herzen kommt: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er“ (Vers 6). Der Beweggrund kann nur die Liebe sein. Wenn ein irdischer Vater sein Kind züchtigt, sollte das Motiv kein anderes als Liebe sein. Wenn das Kind merkt, wie schwer es dem Vater fällt, es zu strafen, wird das Ziel der Zuchtmaßnahme viel eher erreicht, als wenn der Vater es ohne erkennbare Empfindungen der Liebe tut. In der brüderlichen Zucht ist es nicht anders. Wenn wir einander eine Hilfe sein wollen, muss das Motiv die Liebe sein.
Liebe macht nie tolerant oder großzügig der Sünde gegenüber - ganz im Gegenteil. Die Liebe sucht den Bruder zu gewinnen. In 1. Petrus 4,8 lesen wir: „... habt untereinander eine inbrünstige Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“. Dieser Vers wird manchmal missverstanden. Die Liebe sagt nicht: „Das war nicht so schlimm“, oder: „Schwamm drüber“. Die Liebe lässt nicht fünf gerade sein und drückt nicht einfach ein Auge zu. Liebe macht Sünde niemals ungeschehen, aber Liebe redet nicht unnötig darüber. Liebe verbreitet die Fehler des anderen nicht unnötig. Das meint die Aussage: „die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“. Es ist ein großer Segen im geschwisterlichen Miteinander, wenn wir so miteinander umgehen.
Dabei ist die Ausdrucksform der Liebe nicht immer gleich. Liebe bedeutet nicht, dass wir immer „nett“ und „freundlich“ miteinander umgehen. Liebe kann zuweilen eine andere Ausdrucksform haben, aber immer mit dem Ziel, den Bruder oder die Schwester zu gewinnen. Ein Beispiel finden wir bei Joseph. Er liebte seine Brüder und wollte ihre Wiederherstellung. Dennoch lesen wir, dass er sich fremd gegen sie stellte und hart mit ihnen redete (1. Mo 42,7). War das Liebe? Wir zweifeln nicht daran. Anders hätte er die Herzen und Gewissen seiner Brüder nicht erreicht.
Das Ziel der Zucht
Zucht hat immer ein Ziel. Es ist der Nutzen dessen, an dem Zucht ausgeübt wird. In Hebräer 12 ist das Ziel, „dass wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Vers 10). Gott möchte, dass wir in praktischer Übereinstimmung mit ihm sind. Er ist heilig und so sollen wir heilig sein in allem Wandel. Deshalb ist manchmal Zucht erforderlich. Wir sollten bei allem, was wir im Folgenden überdenken, dieses Ziel nicht aus dem Auge verlieren.
Zucht scheint für die Gegenwart kein Gegenstand der Freude, sondern vielmehr der Traurigkeit zu sein. Niemand erwarte, wenn er einem anderen brüderlich helfen will oder wenn Zucht in der Versammlung ausgeübt werden muss, dass der Bruder oder die Schwester sich darüber freuen. Das wäre unnatürlich. Im Gegenteil: Zucht macht oftmals traurig. Dennoch sollten wir nicht auf den Augenblick sehen. Es gibt ein „Danach“. „Danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt worden sind“ (Vers 11). Zucht setzt einen Prozess der geistlichen Übung in Gang. Gott möchte etwas bei uns erreichen. Danach erst genießen wir die friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Wenn das so ist, hat Zucht ihr Ziel erreicht.
Diese Grundsätze wollen wir im Folgenden gut im Auge behalten. Wir wollen daran denken, wenn wir selbst ein Gegenstand der Zucht werden, aber auch dann, wenn Gott uns benutzen will, andere zu „unterweisen“, ihnen eine Hilfestellung zu geben.