Zucht im Haus Gottes
Mit Weisheit handeln

Teil 3: Fragen und Antworten

Zucht im Haus Gottes

Um das Thema abzurunden und zu vertiefen, wollen wir uns im Folgenden nun einige Fragen stellen, die mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft am Tisch des Herrn in Verbindung stehen und versuchen, biblisch begründete Antworten zu geben. Wiederholungen zu bereits weiter oben Gesagtem werden bewusst in Kauf genommen.

Frage 1: Was bedeutet ein Ausschluss nach den Belehrungen der Bibel?

Ein Ausschluss ist das, was der Herr Jesus in Matthäus 18,19 mit dem Wort „binden“ andeutet. Für die Jünger, zu denen der Herr damals sprach, war das ein bekannter Ausdruck, den sie gut verstanden. Für sie hatte das „Binden“ – wie das „Lösen“ – zwei Bedeutungen. Zum einen verstand man darunter, dass Vorschriften und Gesetze bindend auf jemand gelegt wurden, d.h., er war verpflichtet, sich danach zu richten. „Lösen“ bedeutete, solche Vorschriften wieder abzuschaffen. Zum anderen bedeutete „binden“ auch, dass man jemand unter einen Bann brachte. „Lösen“ bedeutete dann analog, dass der Bann aufgehoben (gelöst) wurde. In diesem Sinn war Binden eine Strafe, die auf jemand gelegt wurde. Offensichtlich haben wir es beim Ausschluss mit der zweiten Bedeutung zu tun.

In Johannes 20 finden wir einen ähnlichen Gedanken. Dort ist der Herr Jesus am Auferstehungstag mit seinen Jüngern zusammen und sagt ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist! Welchen irgend ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ Das geht in die gleiche Richtung. Die Zusammenkunft der Jünger auf dem Obersaal war zwar kein direktes Zusammenkommen „als Versammlung“, denn die Versammlung gibt es der Zeit nach erst seit der Erfüllung von Pfingsten in Apostelgeschichte 2. Dennoch gibt uns die Szene in dem Obersaal ein Bild davon, wie Christen sich später im Namen des Herrn Jesus versammeln würden. Die Befugnis, Sünden zu behalten und Sünden zu vergeben, nimmt Bezug auf das „Binden“ und das „Lösen“. Dabei wird völlig klar, dass sich ein solcher Vorgang nur auf diese Erde beziehen kann. Wenn es um die ewige Vergebung von Sünden geht, ist es Gott allein, der Sünden vergeben und behalten kann. Was jedoch die verwaltungsmäßige Seite auf dieser Erde betrifft, ist eine örtliche Versammlung befugt zu „binden“, d.h. die Sünde auf jemand zu legen und – wenn möglich – wieder zu „lösen“, d.h. die Sünde zu vergeben.

Binden ist also der Ausschluss und Lösen die Wiederzulassung. Dass sich beides nur auf diese Erde beziehen kann, ist ebenso aus den Worten des Herrn in Matthäus 18 klar ersichtlich: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18). Wir binden und lösen auf dieser Erde, und wir binden und lösen in Bezug auf diese Erde. Unsere „Befugnis“ geht niemals darüber hinaus. Gleichzeitig ist klar, dass der „Beschluss“ einer örtlichen Versammlung mit dem Herrn in der Mitte in Bezug auf „Binden“ und „Lösen“ im Himmel Anerkennung findet.

Was bedeutet es nun praktisch, wenn eine Versammlung bindet, d.h. jemand ausschließt? Es bedeutet, dass die betreffende Person kein Anrecht mehr hat, an den Vorrechten der Gläubigen teilzunehmen. Geschwisterliche Gemeinschaft ist nicht mehr möglich. Darin eingeschlossen ist, dass eine solche Person nicht weiter am Tisch des Herrn seinen Tod verkündigt und am Brotbrechen teilnimmt. Das Brotbrechen ist ein tiefer Ausdruck der Gemeinschaft, die wir als Glieder des einen Leibes, mit dem verherrlichten Herrn und untereinander, haben. Das macht 1. Korinther 10 sehr klar: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ (1. Kor 10,16.17). Ein Ausgeschlossener kann an diesem Vorrecht nicht mehr teilhaben. Er muss aus der Mitte der Gläubigen weggetan werden (1. Kor 5,2). Er ist „draußen“ und nicht mehr „drinnen“ (1. Kor 5,12).

Allerdings – und das dürfen wir nicht verwechseln – bedeutet der Ausschluss nicht, dass wir etwa ein Glied vom Leib Christi abschneiden würden. Draußen oder drinnen zu sein berührt die Wahrheit über das Haus Gottes auf dieser Erde und hat mit der Heiligkeit des Hauses Gottes zu tun. Wenn jemand einmal ein Glied am Leib Christi ist, dann bleibt er es. Es ist aber bemerkenswert, dass Paulus in 1. Korinther 5 von jemand spricht, der „Bruder genannt wird“ (Vers 11). Wenn jemand so von der Sünde gekennzeichnet ist, dass er ausgeschlossen werden muss, steht es uns nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen, ob er tatsächlich ein Bruder (eine Schwester) ist oder nicht. Das überlassen wir Gott.

Frage 2: Warum wird überhaupt Zucht in Form eines Ausschlusses ausgeübt? Aus welchem Grund fordert Gott uns dazu auf?

Altes und Neues Testament enthalten den Gedanken der Zucht im Sinn des Ausschlusses von den Vorrechten des Gottesvolkes. Im Alten Testament bezog sich ein solcher Ausschluss auf das irdische Haus Gottes (den Tempel). Ein Beispiel ist der König Ussija, der durch seine Sünde bis zu seinem Tod vom Haus des Herrn ausgeschlossen war (2. Chr 26,21). Im Neuen Testament hat Zucht mit der Versammlung als dem geistlichen Haus Gottes zu tun. Ein konkretes Beispiel haben wir in 1. Korinther 5. Dort sollte der Hurer von der örtlichen Versammlung in Korinth hinaus getan werden.

Es gibt verschiedene Gründe, warum Gott sein Volk auffordert, in dieser Weise zu handeln:

Als Erstes sei die Erhaltung der Heiligkeit und Reinheit des Hauses Gottes genannt. Das können wir einfach nicht übersehen. Wir kennen Gott als unseren Vater, der uns liebt. Wir freuen uns, dass wir persönlich und gemeinschaftlich eine Beziehung zu ihm haben, die von dieser Liebe geprägt ist. Aber wir wollen dabei nie vergessen, dass unser Gott ein heiliger Gott ist. Er kann sich niemals mit Bösem einsmachen. Er kann es nicht einmal sehen (Hab 1,13). Dem Haus Gottes geziemt Heiligkeit. Deshalb ist es unmöglich, dass Gott in seinem Haus ungerichtetes Böses duldet. Gott ist immer getrennt vom Bösen. Deshalb fordert er uns auf, ihm darin zu folgen – persönlich und gemeinsam.

1. Korinther 5 spricht nicht umsonst vom Sauerteig, der ausgefegt werden soll. Sauerteig ist im Neuen Testament immer ein Bild vom Bösen, das nicht gerichtet worden ist. Es ist unmöglich, dass wir Böses im Haus Gottes dulden. Tun wir es doch, verunreinigen wir nicht nur uns selbst, sondern ebenso den Ort, wo wir uns zum Namen des Herrn versammeln. Der Tisch des Herrn muss rein bleiben. Der Herr kann seinen Namen nicht mit Bösem verbinden. Es ist nicht unser Tisch, sondern sein Tisch 1. 1. Korinther 11 zeigt uns, dass wir uns selbst geprüft haben sollen, wenn wir zum Brotbrechen gehen. Dort geht es um die Frage, wie (auf welche Art und Weise) wir das Brot brechen. 1. Korinther 10 hingegen zeigt uns die gemeinsame Verantwortung, die wir haben, wenn wir am Tisch des Herrn sind. Dort geht es um die Frage, mit wem wir das Brot brechen. Wenn jemand in offenkundiger Sünde lebt und davon geprägt wird, können wir mit ihm nicht das Brot brechen.

Zweitens müssen wir bedenken, dass ungerichtetes Böses nicht nur den verunreinigt, der es verübt hat, sondern auch andere, die mit ihm in Kontakt sind. Deshalb ist Reinigung erforderlich. Dieses Prinzip finden wir schon im Alten Testament sehr deutlich vorgestellt. In 4. Mose 5 sagt Gott zu Mose: „Gebiete den Kindern Israel, dass sie alle Aussätzigen und alle Flüssigen und alle wegen einer Leiche Verunreinigten aus dem Lager hinausschicken; sowohl Mann als Frau sollt ihr hinausschicken, vor das Lager sollt ihr sie hinausschicken, damit sie nicht ihre Lager verunreinigen, in deren Mitte ich wohne“ (4. Mo 5,2–3).

Die Verbindung zu solchen, die in Sünde leben, ist kein Kavaliersdelikt. Nein, wir werden selbst dadurch betroffen. Damit ist kein „geheimnisvolles“ Übergehen der Sünde von der einen auf die andere Person gemeint. Aber Gott legt die Sünde auf uns, wenn wir uns nicht davon trennen. Als Achan von dem Verbannten genommen hatte, sagt Gott zu Josua: „Israel hat gesündigt“ (Jos 7,11). Das ist ein weiterer Grund, warum eine Versammlung handeln muss, wenn Böses in ihrer Mitte offenbar wird.

Das Prinzip des Sauerteigs macht das klar. Warum sollten die Korinther den alten Sauerteig ausfegen? Erstens durchsäuert ein wenig Sauerteig die ganze Masse, d.h. steckt alle andern mit an. Zweitens muss er ausgefegt werden, damit die Gläubigen eine neue Masse sein konnten (Verse 6–7). Es wird deutlich, dass die Notwendigkeit des Ausfegens u.a. damit begründet wird, dass die Übrigen rein blieben. In 2. Korinther 7 kommt Paulus noch einmal auf diesen Punkt zu sprechen. Er sagt dort, dass sich die Korinther dadurch, dass sie den Bösen hinausgetan hatten, an der Sache als rein erwiesen hatten. Wodurch hatten sie sich als rein erwiesen? Durch den Ausschluss! Es ist wichtig, dass wir diesen Gedanken gut erfassen. Die Reinigung einer örtlichen Versammlung erfolgt – wenn offenkundig Böses vorhanden ist – durch den Ausschluss. Andere Maßnahmen mögen gut gemeint und je nach Situation durchaus am Platz sein. Sie erfüllen aber in einem Fall, wo ein Ausschluss nötig ist, nicht den Zweck der Reinigung der Versammlung. Das müssen wir sehr klar sehen. Die Praxis zeigt, dass dieser Punkt häufig nicht genügend berücksichtigt wird.

Drittens dient die Zuchthandlung zur Überführung dessen, der gesündigt hat. Dieser Punkt ist natürlich wichtig, wird allerdings manchmal überbetont. Deshalb nenne ich ihn bewusst erst jetzt. Dennoch hat er unbedingt seine Berechtigung. In 2. Korinther 2,6 spricht Paulus in Verbindung mit der Zuchthandlung tatsächlich von einer „Strafe“. Der Betreffende hat möglicherweise auf ernste Mahnungen nicht gehört. Wenn das so ist, muss die Versammlung handeln. Sie überlässt den Betreffenden jetzt Gott. Zucht hat in diesem Sinn also durchaus etwas mit „Strafe“ zu tun. Allerdings darf diese Strafe nicht zu einer öffentlichen „Exekution“ werden. Wir sahen weiter oben, dass ein Ausschluss immer mit Trauer verbunden sein soll.

Damit ist gleichzeitig die mögliche Wiederherstellung des Ausgeschlossenen verbunden. Die Zucht ist „zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Heb 12,10). Mit jeder Zuchthandlung verbinden wir die Hoffnung und das Gebet, dass der Herr mit dem, der ausgeschlossen werden musste, zu seinem Ziel kommt. „Die Zurechtweisungen der Zucht sind der Weg des Lebens“ (Spr 6,23). Wir schließen nicht jemand aus, um ihn – vielleicht endlich – endgültig loszuwerden. Ein solcher Gedanke wäre völlig verkehrt. Nein, wir wünschen von Herzen, dass die Zucht ihr Ziel der Wiederherstellung erreicht.

Frage 3: Wer ist nach den Anweisungen der Bibel befugt, Zucht auszuüben?

Im Alten Testament hatte Gott dazu genaue Vorschriften gegeben. Wir finden das in 5. Mose 17,8–13. Wenn es Streitigkeiten im Volk Gottes gab, die sie selbst nicht untereinander lösen konnten, sollten sie an den Ort gehen, den Gott erwählen würde, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (dieser Ort war Jerusalem, wo der Tempel Gottes gebaut werden sollte). Dort sollten sie zu den Priestern, den Leviten und zu dem Richter gehen, der die Sache besehen sollte. Der Spruch, den diese fällen würden, war in jedem Fall verbindlich. Sie sollten davon weder zur Rechten noch zur Linken abweichen.

Im Neuen Testament gibt es keine speziellen „Geistlichen“ (Priester, Richter oder Leviten) mehr, zu denen wir gehen können. Was es aber wohl gibt, ist ein Ort, wo der Herr heute seinen Namen wohnen lässt, d.h. wo er in der Mitte ist. Für uns ist es kein geographischer, sondern ein geistlicher Ort. Der Ort ist da, wo der Herr die Seinen um sich versammelt. Das ist die örtliche Versammlung. Sie ist es heute, die „befugt“ ist, Zucht auszuüben. Das wird in Matthäus 18 sehr deutlich.

Wir wollen diesen Punkt deutlich betonen. Die Befugnis, jemand vom Tisch des Herrn auszuschließen (und einen solchen wieder zuzulassen), liegt ausschließlich bei der Versammlung – und zwar der Versammlung an dem betreffenden Ort. Zulassung und Ausschluss liegen in der Verantwortung aller, die an einem Ort zu seinem Namen hin zusammenkommen. Einzelne Brüder – seien sie noch so begabt – können niemand unter Zucht stellen. Keine Brüderstunde – oder irgendeine andere „Kommission“ hat eine solche Befugnis – schon gar nicht über den Ort hinaus. Auch eine Nachbarversammlung kann nicht für eine andere Versammlung Zucht ausüben.

In der Praxis wird es in den meisten Fällen so sein, dass sich zuerst einzelne Brüder mit einer Sache beschäftigen. Wir haben in Matthäus 18 gesehen, dass – auch in diesem konkreten dort beschriebenen Fall – nicht sofort die ganze Versammlung einbezogen wurde. Es mag sein, dass Brüder einer Nachbarversammlung dabei einen Rat geben, weil sie z.B. über bestimmte Informationen verfügen. Aber sie alle können keinen Ausschluss vollziehen. Wenn diejenigen, die sich mit einer Sache beschäftigen, den Eindruck gewinnen, dass ein Ausschluss erforderlich sein könnte, haben sie die Pflicht, die Angelegenheit der Versammlung vorzulegen. Sie allein kann – wenn sie zu dem Herrn hin versammelt ist – einen Beschluss fassen. Dazu ist es unabdingbar, dass der Herr in ihrer Mitte ist. Schließlich handelt die Versammlung in seinem Namen. Paulus erinnert die Korinther daran, dass sie „mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus“ versammelt sein sollten.

Das zeigt uns, warum die Versammlung die Autorität hat, so zu handeln. Ist es, weil bei uns so viel Weisheit gefunden wird? Ist es, weil wir in unseren Beschlüssen unfehlbar sind? Ganz sicher nicht. Die Autorität liegt darin, dass der Herr in der Mitte der Versammlung ist, wenn sie in seinem Namen zusammenkommt. Wenn wir Matthäus 18,20 aufmerksam lesen, merken wir, dass die Zusage des Herrn, in der Mitte derer zu sein, die zu seinem Namen hin versammelt sind, die Begründung von Vers 18 ist, wo der Herr über Binden und Lösen spricht. Die Autorität der örtlichen Versammlung liegt keineswegs in uns selbst begründet, sondern darin, dass der Herr in unserer Mitte ist. Ein so getroffener Beschluss wird im Himmel anerkannt.

Frage 4: Welche Sünden führen zu einem Ausschluss bzw. wer wird ausgeschlossen?

Nicht jede Sünde eines Gläubigen führt zu einem Ausschluss. Das ist völlig klar. Sonst wären wir wohl alle „draußen“. Jede Sünde ist zwar eine Beleidigung Gottes und kann nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie muss im Gebet vor Gott mit einem Bekenntnis in Ordnung gebracht werden. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). Aber nicht jede Sünde führt zu einem Ausschluss.

Ein Ausschluss ist eine sehr ernste Sache. Wir tun deshalb gut daran, gründlich darüber nachzudenken, unter welchen Umständen jemand ausgeschlossen werden muss. Die grundsätzliche Anweisung dazu lautet in 1. Korinther 5,13: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“. Es geht – ganz kurz zusammengefasst – um eine Person, die „böse“ genannt wird.

Was ist nun unter einem „Bösen“ zu verstehen? In Vers 11 zählt Paulus einige Beispiele auf, die uns helfen, das richtig zu erfassen. Die „Liste“ ist nicht vollständig, sie zeigt Beispiele. Da ist die Rede von Hurern, Habsüchtigen, Götzendienern, Schmähern, Trunkenbolden und Räubern. Wir erkennen, dass es nicht einfach um einzelne Sünden (sündige Handlungen) geht, sondern um Zustände, die durch ein sündiges Verhalten hervorgerufen werden. Ein Böser im Sinn von 1. Korinther 5 ist jemand, der von der Sünde, die er tut, charakterisiert und geprägt wird. Es geht nicht darum, dass jemand von einem Fehltritt übereilt wird. Wir haben im ersten Teil gesehen, was nach Galater 6 mit einem solchen geschehen soll. Die Übrigen – die Geistlichen – sollen ihn im Geist der Sanftmut zurechtbringen.

Im Alten Testament wird ein deutlicher Unterschied gemacht zwischen solchen, die „aus Versehen“ sündigen und solchen, die es bewusst tun. Eine Sünde „aus Versehen“ ist ohne Frage eine Sünde. Denn dafür musste ebenfalls ein Opfer gebracht werden. Aber sie wird doch von dem bewussten und willentlichen Sündigen unterschieden.

Wer wollte von sich behaupten, nicht oft von einem Fehltritt übereilt worden zu sein? Wer wollte von sich behaupten, nicht immer wieder in einzelne Sünden zu fallen? Der Gedanke in 1. Korinther 5 ist aber ein anderer. Es geht darum, dass jemand von der Sünde gekennzeichnet ist. Sie prägt ihn. Allerdings kann im Einzelfall durchaus eine einmalige Sünde bereits einen bösen Zustand offenbaren. Nehmen wir ein Beispiel. Wer sich einmalig betrinkt – so schlimm das ist –, ist deshalb noch lange kein Trunkenbold. Wer einmal etwas wegnimmt, was ihm nicht zusteht, ist deshalb noch kein Räuber. Aber wer einmal jemanden ermordet, ist ein Mörder. Wer einmal seine Ehefrau mit einer anderen betrügt, hat ohne Frage Hurerei begangen. Aber ist er in jedem Fall ein Hurer? Es ist in vielen Fällen nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob eine Sünde einen Menschen prägt oder nicht, d.h. ob er ein Böser ist oder nicht. Es ist die Aufgabe der örtlichen Versammlung, genau das sorgfältig zu prüfen. Ein pauschales und schnelles Urteil ist in den seltensten Fällen möglich. Es mag Situationen geben, wo die Dinge sehr schnell klar und offensichtlich sind. Aber in vielen Fällen ist das nicht so. Eine sorgfältige Prüfung ist unerlässlich.

Es gibt einen weiteren Punkt, der geprüft werden sollte. Ist die Sünde nach außen hin offenkundig geworden und geben wir damit den Ungläubigen Menschen einen Anlass zur Lästerung? Bei den Korinthern war das der Fall. Der Mann, um den es in 1. Korinther 5 ging, lebte in einer solchen Sünde, die selbst in der gottlosen und götzendienerischen Umgebung, in der er sich befand, ein Skandal war. Ein Beispiel gibt uns 2. Samuel 12. Dort geht es um die Sünde von David und Bathseba. Gott sagt ihm durch den Propheten Nathan: „Nur weil du den Feinden des Herrn durch diese Sache Anlass zur Lästerung gegeben hast, soll auch der Sohn, der dir geboren ist, gewiss sterben“ (Vers 14). Diese Tatsache machte die Sünde Davids umso schwerwiegender.

Es ist also wichtig zu prüfen, ob sich jemand, der ausgeschlossen wird, wirklich als ein Böser erwiesen hat. Ist das klar und deutlich, können wir nicht anders, als einen solchen auszuschließen. Ist es nicht klar, sollten wir darauf warten, dass der Herr es klar macht. Die Verantwortung, die auf einer örtlichen Versammlung liegt, ist sehr groß. Sie muss mit der notwendigen Sorgfalt handeln.

Frage 5: Wie ist der praktische Ablauf bei einem Ausschluss? Wie soll eine Versammlung vorgehen?

Auf diese Frage kann es ganz sicher keine pauschale Antwort geben, sondern lediglich einige Gedankenanstöße. Im Alten Testament hatte Gott viele Dinge im Einzelnen geregelt und genaue Vorschriften gegeben, wie in welchem Fall zu handeln war. Im Neuen Testament ist das anders. Gott gibt uns in seinem Wort gewisse Leitlinien und Grundsätze, aber im Allgemeinen keine detaillierten Vorschriften, wie wir die Grundsätze umsetzen. Wir haben den Heiligen Geist, der uns dabei leitet.

Wir wiederholen noch einmal die wichtige Voraussetzung für das Handeln einer Versammlung: Die Dinge müssen klar und offenbar sein. Jemand muss sich als „böse“ erwiesen haben, d.h. es muss ein böser Zustand vorliegen. Das sorgfältig zu prüfen, ist die Aufgabe der Versammlung.

Ich möchte gerne zunächst auf zwei gegensätzliche Gefahren hinweisen:

  • Erstens können wir nicht auf Basis von Gerüchten, Vermutungen oder Verdächtigungen handeln, sondern aufgrund erwiesener und bezeugter Tatsachen. Es ist des Weiteren nicht unsere Aufgabe, wie ein Detektiv Personen zu beobachten und zu beschatten. Wir haben das Vertrauen zum Herrn, dass er Dinge offenbar macht. Tut er es, haben wir die Verantwortung, uns damit auseinander zu setzen.
  • Zweitens ist es falsch, wenn wir dem Bösen gegenüber tolerant und gleichgültig sind. Wir können unsere Augen dann, wenn der Herr etwas offenbar macht, nicht einfach verschließen und so tun, als ob nichts wäre. Dann machen wir uns ebenso schuldig, als wenn wir aufgrund von Vermutungen handeln.

Es muss also klar sein, dass der Herr etwas offenbar machen will. Wenn das der Fall ist, haben wir die Aufgabe und die Pflicht, sorgfältig und nicht oberflächlich vorzugehen. Im Alten Testament gab es folgende Vorschrift, die wir geistlich „übertragen“ wollen: „Wenn du von einer deiner Städte, die der Herr, dein Gott, dir gibt, um dort zu wohnen, sagen hörst: Es sind Männer, Söhne Belials, aus deiner Mitte ausgegangen und haben die Bewohner ihrer Stadt verleitet und gesprochen: Lasst uns gehen und anderen Göttern dienen (die ihr nicht gekannt habt), so sollst du genau untersuchen und nachforschen und fragen; und siehe, ist es Wahrheit, steht die Sache fest, ist dieser Gräuel in deiner Mitte verübt worden ...“ (5. Mo 13,13–15). Es geht mir um den Ausdruck „genau untersuchen und nachforschen“. Das ist unsere Aufgabe, wenn es einen Tatbestand gibt, der auf einen bösen Zustand schließen lässt. Dabei sollten wir das im Alten und Neuen Testament verankerte Prinzip von zwei oder drei Zeugen nicht übersehen. Es ist in den seltensten Fällen möglich, aufgrund einer einzigen Zeugenaussage zu handeln (es sei denn, der Betreffende gibt die Sünde selbst zu).

Ohne ein Schema aufstellen zu wollen, möchte ich gerne vier Schritte vorstellen, die sich in der Praxis bewährt haben:

Schritt 1: Eine Sache wird offenkundig, indem sie sich manifestiert oder indem sie angezeigt wird. Dann werden in der Regel zunächst Brüder mit geistlichem Unterscheidungsvermögen und Vertrauen beginnen, die Sache zu prüfen. Sie tun es nicht ohne Gebet. Gewinnen sie den Eindruck, dass der Fall einen Ausschluss erforderlich machen könnte, werden sie die Ergebnisse ihrer Prüfung dem Urteil der örtlichen Versammlung vorlegen. Dabei müssen nicht notwendigerweise alle Details genannt werden, weil die Beschäftigung mit Bösem immer verunreinigt. Aber es ist doch erforderlich, dass den Geschwistern die notwendigen Fakten genannt werden. Was vorgetragen wird, muss natürlich begründet werden können. Die Geschwister einer örtlichen Versammlung müssen in der Lage sein, ein geistliches Urteil fällen zu können.

Schritt 2: Die Versammlung kommt zusammen. Nach Matthäus 18 muss sie in seinem Namen versammelt sein. Es ist unmöglich, dass sich einige Geschwister am Samstagnachmittag im privaten Wohnhaus eines Bruders oder einer Schwester treffen und dort einen Ausschluss beschließen. Das ist kein Zusammenkommen als Versammlung.

Wenn wir 1. Korinther 5 aufmerksam lesen, finden wir dort drei Hinweise, die uns helfen können. Paulus sagt in Vers 4: „ ... im Namen unseres Herrn Jesus Christus (wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus versammelt seid)“.

  • Der erste Hinweis ist der Geist der Apostel. Nun haben wir heute keine Apostel mehr unter uns, aber wir haben sehr wohl ihre Schriften. Basis für das Handeln einer örtlichen Versammlung kann nur Gottes Wort sein. Es geht nicht um Meinungen von Brüdern und Schwestern. Es geht auch nicht um die Frage, wie in ähnlichen Fällen früher gehandelt worden ist. Das kann manchmal hilfreich sein, manchmal aber ist es sogar hinderlich. Jeder Fall ist anders und wir müssen anhand des Wortes Gottes prüfen, wie zu handeln ist.
  • Der zweite Hinweis ist der Name des Herrn Jesus. Wir handeln sozusagen stellvertretend für den Herrn, der unsichtbar – aber doch persönlich – in unserer Mitte anwesend ist. Dazu brauchen wir die Abhängigkeit von ihm, die im Gebet ihren Ausdruck findet. Eine Versammlung, die sich mit einer Zuchthandlung beschäftigt, muss eine betende Versammlung sein.
  • Der dritte Hinweis ist die Kraft unseres Herrn. Die Kraft kann dann wirksam werden, wenn wir unsere eigene Schwachheit anerkennen. „Meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2. Kor 12,9). Das können wir hier anwenden. Wir handeln nicht in unserer eigenen Kraft. Wenn wir meinen, wir könnten das selbst entscheiden, werden wir ganz sicher Fehler machen.

Schritt 3: Die Versammlung wird sich die nötige Zeit lassen, zu einer Beurteilung zu kommen. Es gibt – wie gesagt – Fälle, die sehr klar liegen und eine Beurteilung keine große Zeit braucht. Oft aber ist es anders. Dann gibt es für ein geistlich ausgewogenes Urteil keine Eile. Ungute Eile hat selten Gutes zustande gebracht. Es ist darüber hinaus wichtig, dass geistliche Einwände geäußert und im Gebet bedacht und berücksichtigt werden. Das legt Verantwortung auf alle Geschwister. Schweigen muss als Zustimmung bewertet werden. Offensichtlich ungeistliche Einwände sollten kein Gehör finden. Andererseits kann es durchaus zur persönlichen Urteilsbildung Rückfragen an die Brüder geben, die sich mit der Sache beschäftigt haben. Diese Fragen sollten mit Ruhe in persönlichen Gesprächen beantwortet werden.

Es hat sich im Übrigen in der Praxis fast durchweg als sehr schädlich erwiesen, wenn sich nähere Familienangehörige (Eltern, Großeltern, Kinder, leibliche Geschwister) aktiv in Zuchtfragen einbringen. Sie sollten sich möglichst vollständig zurückhalten. Sie können nur schwerlich objektiv sein. Man kann es nicht fordern, aber es ist ein Zeichen von Weisheit, wenn sie es tun.

Schritt 4: Wenn die Versammlung vor dem Herrn zu einem geistlichen Urteil gekommen ist, kann sie handeln. Sie bindet (schließt aus) oder löst (ermöglicht die Teilnahme am Brotbrechen). Dabei wollen wir noch einmal betonen, dass es gut ist, wenn allen Geschwistern die nötige Zeit gelassen wird, zu einem gesunden Urteil zu kommen.

An dieser Stelle noch einige weitere praktische Hinweise:

  • Zucht ist zuerst eine örtliche Sache. Die Geschwister in X handeln zunächst für die Versammlung in X und nicht für die Versammlung in Y. Aber die Versammlung an einem Ort ist auch Christi Leib (1. Kor 12,27). Sie handelt stellvertretend für alle anderen örtlichen Versammlungen. Wir sind mit den Geschwistern aus anderen Versammlungen eng verbunden. Wenn sich also geistliche Stimmen von außerhalb melden, sollten sie gehört werden. Wenn es Fragen aus anderen Versammlungen gibt, sollte man ihnen eine Antwort geben. Zucht wird örtlich ausgeübt, aber sie hat Auswirkungen über den Ort hinaus. Wenn eine Versammlung in Zucht handelt, tut sie es immer für den ganzen Leib, d.h. andere örtliche Versammlungen sind ebenfalls an die Entscheidung gebunden.
  • Oft wird die Frage gestellt, wann eine Versammlung eigentlich handlungsfähig ist. Wir müssen bedenken, dass eine örtliche Versammlung keine Art „Parlament“ ist. Sie handelt nicht nach demokratischen Gesichtspunkten, also etwa mit Abstimmung oder Mehrheitsbeschlüssen. So etwas finden wir in der Bibel nicht. Es ist ohne Frage anzustreben, dass ein Beschluss zum Ausschluss einstimmig getroffen wird. Allerdings gibt es keine zwingende Notwendigkeit zu einer absoluten Übereinstimmung aller Anwesenden.
    Noch einmal: Geistliche Einwände müssen gehört und bedacht werden, aber wenn es Einzelne gibt, die einen Beschluss – aus welchen Gründen auch immer – unbedingt verhindern wollen, kann das nicht zur Handlungsunfähigkeit einer Versammlung führen. In 2. Korinther 2,6 finden wir einen interessanten Ausdruck. Dort heißt es: „die Strafe, die von den Vielen ist“. Die Fußnote der älteren Fassung der Elberfelder Übersetzung erklärt das Wort „viele“ wie folgt: „die Mehrheit oder die Masse der Versammlung“. Das geistliche Gewicht einer Versammlung muss da sein. Es kann nicht sein, dass einzelne – vielleicht aus fleischlichen Gründen – für eine Blockade sorgen. Sonst könnte es sehr bald dazu kommen, dass eine Versammlung überhaupt nicht mehr handeln kann. Allerdings sind Geduld und Abhängigkeit erforderlich. In Zweifelsfällen sollten wir warten und beten. Es ist sicher nicht von ungefähr, dass der Herr Jesus gerade in Matthäus 18 über das Gebet der örtlichen Versammlung spricht und uns die Zusage gibt, dass der Vater im Himmel uns geben wird, worum wir ihn bitten.
  • Die Beschäftigung mit einem Zuchtfall wird es in aller Regel notwendig machen, dass mit der betreffenden Person, bei der ein böser Zustand vermutet wird, gesprochen wird. Es sind nur sehr seltene Fälle denkbar, wo das nicht der Fall sein wird. Solche Gespräche müssen in der richtigen inneren Herzenshaltung und unter der Leitung des Geistes geführt werden. In der Regel werden das Brüder tun, die das Vertrauen der Versammlung haben. Allerdings erlebt man es in der Praxis bisweilen, dass solche Personen jede Kontaktaufnahme verweigern und auf diese Weise kein Gespräch zustande kommt. Kann ein solcher „Boykott“ dazu führen, dass die Versammlung handlungsunfähig ist? Die Antwort lautet nein. Wir sollten uns alle Mühe geben, dass ein Gespräch zustande kommt, aber wenn es nachhaltig verweigert wird, kann das die Handlungsfähigkeit der Versammlung in der Zuchtfrage nicht beeinträchtigen. In einem solchen Fall muss die Versammlung ohne Gespräch ihr Urteil fällen. Nebenbei bemerkt sollte es selbstverständlich sein, dass man die betreffende Person dann ebenfalls über den Beschluss der Versammlung zum Ausschluss informiert.
  • Eine Frage, die ebenfalls oft gestellt wird, ist die Frage, wie wir uns zu verhalten haben, wenn die betreffende Person bereits aufrichtig Buße getan hat. Ist dann noch ein Ausschluss erforderlich? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, und ich maße mir nicht an, eine endgültige Antwort darauf zu geben. Mir scheint, dass es Einzelfälle geben mag, wo ein Ausschluss dann nicht (mehr) erforderlich ist. Aber es werden Ausnahmefälle sein. Wir sollten noch einmal Folgendes bedenken: 1. Korinther 5 spricht in keinem Vers von Buße oder von Wiederherstellung. Es geht in diesem Kapitel um die Reinigung der Versammlung. Sie ist durch das Böse in ihrer Mitte verunreinigt und muss sich reinigen. Die Buße an sich ist überaus wichtig, aber wenn es um die Reinigung der Versammlung geht, gibt es nur einen Weg: Sie muss den Sauerteig ausfegen, d.h. das Böse aus ihrer Mitte entfernen. Wenn sich ein böser Zustand gezeigt hat, muss ein Ausschluss erfolgen. Anders ausgedrückt: Wenn die Versammlung verunreinigt ist, kann sie sich nur durch einen Ausschluss reinigen. Noch einmal: Beugung und aufrichtige Buße ist ganz wichtig, aber das allein reicht in der Regel nicht aus. Beugung und Buße sind notwendige Voraussetzungen für eine Wiederherstellung. Aber der Ausschluss hat es als erstes mit der Reinigung der Versammlung zu tun. Das sind zwei Dinge, die wir gut unterscheiden müssen.

Frage 6: Was sind die Auswirkungen eines Ausschlusses?

Es ist erstaunlich, wie groß die Unkenntnis in dieser Frage oft ist und wie manches Mal gegen die klaren Anweisungen Gottes verstoßen wird. Es gibt Auswirkungen einer Zuchthandlung im Blick auf die ganze Versammlung weltweit, aber ebenso im Blick auf den Ausgeschlossenen selbst:

a) Denken wir zunächst an die Folgen eines Ausschlusses in Bezug auf die ganze Versammlung. Die Versammlung Gottes wird uns u. a. im Bild eines Leibes vorgestellt. Alle Gläubigen auf der ganzen Erde bilden diesen Leib. Christus ist das Haupt im Himmel. Die Versammlung an einem Ort ist die örtliche Darstellung dieser ganzen Versammlung auf der Erde. Wenn sie zusammenkommt, tut sie es im Charakter der ganzen Versammlung weltweit. Deshalb kann es nicht anders sein, als dass alle anderen örtlichen Versammlungen, die auf der gleichen Grundlage zusammenkommen, den Beschluss einer örtlichen Versammlung anerkennen. Das gilt für die Zulassung genauso wie für einen Ausschluss. Die Handlung einer einzelnen Versammlung – wenn sie im Namen des Herrn und mit ihm in der Mitte gehandelt hat – ist bindend für alle anderen Versammlungen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber in der Praxis leider nicht. Die Versammlung an einem Ort handelt stellvertretend für den ganzen Leib. Wenn jemand in der Versammlung in X ausgeschlossen werden musste, dann ist er in allen anderen Versammlungen ebenfalls ausgeschlossen. Alles andere ist ein Handeln in Unabhängigkeit. Ein solches Handeln kennt die Bibel nicht. Wenn der Himmel das anerkennt, was die örtliche Versammlung mit dem Herrn in ihrer Mitte beschließt, sollte das selbstverständlich in allen anderen Versammlungen ebenfalls Anerkennung finden.

b) Wenn es um die Folgen für den Ausgeschlossenen selbst geht, wollen wir bedenken, dass der Ausschluss die letzte Möglichkeit der Zucht durch die Versammlung ist. Alle anderen Möglichkeiten sollten erschöpft sein. Jetzt können wir den Betreffenden nur noch Gott überlassen2. Die Folgen sind in der Tat einschneidend:

  • Es ist keine Gemeinschaft am Tisch des Herrn mehr möglich. Der Betreffende kann nicht mehr an den Vorrechten der Gläubigen und damit nicht mehr am Brotbrechen teilnehmen. Damit ist es natürlich ebenso unmöglich, ihm einen Empfehlungsbrief auszustellen.
  • Es gibt keine seelsorgerlichen Bemühungen mehr um einen Ausgeschlossenen. Ein geschätzter Diener des Herrn hat einmal gesagt, dass wir mit solchen – gewiss gut gemeinten – Bemühungen dokumentieren, dass wir „lieber“ sein wollen als Gott. Wir haben den Betreffenden Gott übergeben. Er wird handeln. Beispiele aus der Praxis des Versammlungslebens zeigen darüber hinaus, dass solche Bemühungen oft mehr geschadet als genutzt haben. Etwas anderes ist es, wenn wir erkennen, dass der Herr im Herzen eines Ausgeschlossenen ein Werk begonnen hat. Darauf kommen wir noch zurück.
  • Es kann keinen Umgang mehr mit einem Ausgeschlossenen im persönlichen Bereich geben. 1. Korinther 5,11 sagt das ganz deutlich: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Schmäher oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen“. Diese Aussage der Bibel ist klar und eindeutig. Dennoch stellen wir in der Praxis fest, dass oft dagegen verstoßen wird. Man meint es vielleicht gut, verstößt aber damit gegen Gottes Wort und schadet dem Werk einer Wiederherstellung mehr als man ihm nutzt. „Keinen Umgang haben“ meint den Abbruch der normal üblichen sozialen Kontakte, die man unterhält 3.

In den Augen vieler Menschen mag ein solches Verhalten hart und lieblos aussehen. Wir müssen uns in der Tat einerseits unbedingt davor hüten, uns innerlich über eine Person zu stellen, die ausgeschlossen werden musste. Hier ist Trauer angebracht. Darüber hinaus gilt die Warnung aus Gottes Wort: „Daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle“ (1. Kor 10,12). Andererseits fühlen wir uns an Gottes Wort und seine Anweisungen im Blick auf den Umgang mit Ausgeschlossenen gebunden. Gut gemeinte Bemühungen an einem Ausgeschlossenen behindern das Werk Gottes an seiner Seele. Das belegen im Übrigen viele Beispiele aus der Praxis. Was wir immer tun können, ist im Gebet unsere Empfindungen vor Gott bringen und dafür beten, dass er ein ganzes Werk tun kann.

c) An dieser Stelle ein kurzes Wort zu der Frage der familiären und beruflichen Bindungen. Wir sollten bei allem nicht vergessen, dass die natürlichen – von Gott gegebenen – Beziehungen in der Familie und im Berufsleben im Grundsatz unverändert bestehen bleiben. Der Ehepartner bleibt Ehepartner. Das Kind bleibt Kind. Die Eltern bleiben Eltern. Der Vorgesetzte bleibt Vorgesetzter usw. Die am Tisch des Herrn ausgedrückte Gemeinschaft ist eine andere Gemeinschaft als die in der irdischen Familie oder im Beruf ausgeübte Gemeinschaft. Die natürlichen Beziehungen bleiben bestehen und werden keineswegs aufgehoben. Aber sie werden durch einen Ausschluss ganz sicher belastet. Ein Vater, dessen Sohn ausgeschlossen werden musste, wird mit ihm nicht mehr über Versammlungsangelegenheiten reden können. Inwieweit gemeinsame Mahlzeiten möglich sind, ist eine Frage des persönlichen Ermessens. Wir sollten aber in diesem Punkt aufpassen, nicht unnatürlich zu werden. Eine Ehefrau wird unter normalen Umständen wohl nach wie vor mit ihrem Mann eine Mahlzeit einnehmen. Etwas anderes ist es, wenn z.B. Familienfeiern im größeren Kreis stattfinden und Gäste eingeladen sind. Hier ist es in jedem Fall angeraten, dass ein Ausgeschlossener nicht daran teilnimmt. Tut er es doch, sollte man als Gast solchen Veranstaltungen besser fern bleiben.

d) Kann – oder soll – ein Ausgeschlossener die Zusammenkünfte besuchen oder sollte man es ihm verwehren? Diese Frage wird immer wieder gestellt. Es ist klar, dass ein Ausgeschlossener nicht an den Vorrechten der Gläubigen teilhaben kann, d.h. er kann nicht am Brotbrechen teilnehmen oder sich nicht in den Zusammenkünften aktiv beteiligen. Aber es scheint keinen plausiblen Grund zu geben, warum ein Ausgeschlossener nicht in persönlicher Zurückhaltung an den Zusammenkünften teilnehmen sollte. Das gilt besonders für die Zusammenkünfte zu Wortverkündigung (und Wortbetrachtung). Was könnte besser sein, als die Wirkung des prophetischen Wortes, so wie es in diesen Zusammenkünften gesprochen wird? Aber auch darüber hinaus sollte eine Teilnahme an anderen Zusammenkünften nicht verwehrt werden. Voraussetzung ist allerdings in jedem Fall, dass ein Ausgeschlossener die anwesenden Geschwister nicht durch sein Verhalten in Verlegenheit bringt, sondern sich zurückhaltend verhält. Es hat sich als praktikabel erwiesen, wenn ein Ausgeschlossener die Zusammenkunft vor den übrigen Geschwistern verlässt, um so einer möglichen Situation der Begrüßung ganz aus dem Weg zu gehen.

Frage 7: Was ist zu tun, wenn ein Ausschluss falsch war?

Diese Frage hat ihre Berechtigung, weil keine Versammlung in ihren Handlungen unfehlbar ist. Das gilt für Eltern im Hinblick auf ihre Kinder. Das gilt ebenso für die örtliche Versammlung. Es mag Fälle gegeben haben, in denen Zweifel angebracht sind, ob ein Ausschluss richtig ist oder nicht. Aber so wie Eltern durch einen einzelnen Fehler in der Erziehung nicht grundsätzlich ihre Autorität verlieren, so verliert die Versammlung nicht ihre von Gott gegebene Autorität, wenn eine Zuchthandlung falsch war. Das wollen wir zu Anfang dieser Fragestellung berücksichtigen. Mit dem Herrn in ihrer Mitte behält die Versammlung ihre Autorität zum Binden und zum Lösen.

Zunächst sollten wir bei der Zuchthandlung einer Versammlung davon ausgehen, dass die Versammlung mit dem Herrn in ihrer Mitte richtig entschieden hat. Wir leben in einer Zeit, wo Autorität in der Gesellschaft zunehmend grundsätzlich in Zweifel gezogen wird. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir diese Grundhaltung nicht mit in unser Versammlungsleben übernehmen. Dennoch ist es möglich, dass Zweifel an einer Zuchthandlung aufkommen und dass es Fragen gibt.

Wenn Fragen gestellt werden – auch von außerhalb –, so sollten diese Fragen biblisch fundiert beantwortet werden. Gemeint sind ernsthafte Fragen und nicht ein bewusst kritisches Hinterfragen. Fragen sollten zunächst den Geschwistern an dem betreffenden Ort gestellt werden, wo die Zuchthandlung ausgeübt wurde. Es ist fatal, wenn wir überall in der Welt über die – vielleicht – falsche Handlung einer Versammlung sprechen, aber nicht mit denen, die sie (angeblich) vollzogen haben. Es ist nun einmal so, dass die Geschwister am Ort, die sich mit einer Sache ausführlich beschäftigt haben, am besten Auskunft geben können. Sie kennen viele Einzelheiten, die man an anderen Orten möglicherweise nicht kennt. Aus diesem Grund ist bei einem „Einmischen“ von außen äußerste Vorsicht geboten. Eine Nachbarversammlung – oder einzelne Geschwister von anderen Orten, die mit einem Ausschluss konfrontiert werden – können durchaus Fragen stellen, denn sie gehören ebenso zu dem einen Leib. Aber sie sollten immer bedenken, dass die Geschwister „vor Ort“ die Dinge im Normalfall besser kennen sollten. Wenn aber geistlich begründete Fragen gestellt werden, sollten diese jedenfalls beantwortet werden. Es ist unbrüderlich, wenn die Antwort auf ehrliche Fragen einfach verweigert wird. Allerdings sollten sich die „Fragesteller“ vor dem Herrn wirklich prüfen, ob die Fragen wirklich berechtigt sind oder nicht, besonders dann, wenn es Einzelpersonen sind.

Sollte sich ein Beschluss wirklich als falsch erweisen, muss er zurückgenommen werden. Allerdings muss ein falscher Beschluss wirklich klar nachgewiesen sein. Warum muss ein falscher Beschluss zurückgenommen werden? Weil ein solcher Fehlbeschluss im Himmel keine Anerkennung findet. Der Herr kann seinen Namen nicht mit Ungerechtigkeit verbinden – und damit ebenfalls nicht mit einem falschen Beschluss einer örtlichen Versammlung. Manchmal wird der Gedanke geäußert, dass jeder Beschluss im Himmel anerkannt wird, weil er durch eine örtliche Versammlung, die ja die Autorität zum Binden und Lösen hat, getroffen wurde. Aber dieser Gedanke ist nicht richtig. Wenn es so wäre, würde die Versammlung über dem Herrn stehen. Das ist aber ganz sicher nicht der Fall. Deshalb muss ein falscher Beschluss zurückgenommen werden, weil er im Himmel keine Anerkennung findet. Allerdings brauchen wir dazu Zeit und Geduld. Wenn die Dinge aber klar sind und der Beschluss nachweislich falsch war, sind wir verpflichtet zu handeln. Dieses Handeln ist zuerst wiederum die Verantwortung der örtlichen Versammlung 4.

Wie verhält sich nun ein Ausgeschlossener, wenn er den Eindruck hat, er sei zu Unrecht ausgeschlossen? Es ist sicher nicht einfach, sich in eine solche Situation hineinzudenken. Aber er handelt in jedem Fall weise, wenn er sich trotzdem unter die Zucht stellt und sie trägt. Es mag sein, dass er im Recht ist. Es mag allerdings auch sein, dass er es nicht ist. Er zeigt jedenfalls eine gute Gesinnung, wenn er sich dem übergibt, der gerecht urteilt und richtet (vgl. 1. Pet 2,23). Gott wird ganz sicher für sein Recht sorgen. War der Ausschluss wirklich falsch, wird Gott es ohne Zweifel zu seiner Zeit offenbar machen. Es gibt Beispiele aus der Praxis, wo Geschwister sich so verhalten haben und die Sache schnell geklärt wurde. Es gibt andere Beispiele aus der Praxis, wo Geschwister – oder deren Angehörige – sich mit aller Kraft gegen einen Ausschluss gestemmt haben. In solchen Fällen hat es oft lange gedauert, bis eine Klärung herbeigeführt werden konnte.

Frage 8: Sind örtliche Versammlungen an die Beschlüsse einer anderen örtlichen Versammlung gebunden oder sind sie zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet?

Diese Frage ist wichtig und aktuell. Die Antwort ist allerdings nicht sehr schwierig. Was im Himmel anerkannt wird, sollte wohl auf der Erde ebenfalls Anerkennung finden und dementsprechend befolgt werden. Die Autorität zum Binden und Lösen ist der örtlichen Versammlung gegeben. Sie ist aber nichts anderes als der örtliche Ausdruck der gesamten Versammlung auf der Erde. Deshalb sind alle anderen örtlichen Versammlungen daran gebunden. Örtliche Versammlungen bilden eine Einheit d.h. die Beschlüsse einer örtlichen Versammlung werden nach biblischen Grundsätzen in allen anderen Versammlungen ebenfalls anerkannt. Deshalb spricht der Herr Jesus in Matthäus 18 auch nicht von Binden und Lösen an einem Ort, sondern auf der Erde.

Es kann nicht sein, dass eine Person, die in der örtlichen Versammlung von A ausgeschlossen werden musste, in der örtlichen Versammlung von B aber zugelassen wird und am Brotbrechen teilnehmen kann. Es ist unvorstellbar und gegen die Belehrungen des Neuen Testamentes, dass der in Korinth Ausgeschlossene etwa in der Versammlung in Thessalonich hätte aufgenommen werden können. Wenn wir die „Einheit des Geistes im Band des Friedens“ bewahren wollen (vgl. Eph 4,3), dann können (und wollen) wir nicht anders, als die Beschlüsse einer örtlichen Versammlung, von der wir wissen, dass sie im Namen des Herrn zusammenkommt, anerkennen. Alles andere wäre eigenwilliges und unabhängiges Handeln, das nicht die Zustimmung unseres Herrn findet.

Frage 9: Wieso müssen wir uns alle bzw. die Versammlung wegen der Sünde eines einzelnen vor Gott beugen?

Das hängt eng damit zusammen, dass wir (die Gläubigen auf dieser Erde) eine Einheit bilden. Das Neue Testament benutzt sowohl für die örtliche Versammlung als auch für alle Gläubigen auf der Erde das Bild des Leibes. Die Versammlung an einem bestimmten Ort ist nichts anderes als der örtliche Ausdruck der gesamten Versammlung auf der Erde. Mit dem Bild des einen Leibes wird unsere Einheit ausgedrückt. Es ist zum einen eine „vertikale“ Einheit mit unserem Herrn im Himmel. Es ist gleichzeitig eine „horizontale“ Einheit untereinander. Das, was einen Gläubigen betrifft, hat Auswirkungen auf den anderen. Deshalb wird den Korinthern vorgeworfen, dass sie (also die übrigen Korinther, die selbst keine Hurer waren) wegen der Sünde der Hurerei kein Leid getragen hatten (1. Kor 5,2). Es sollte ihnen allen leid tun, dass so etwas bei ihnen passiert war. Ein Bild aus dem natürlichen Leben verdeutlicht das: wenn ich mir das Bein breche, hat das ebenso Auswirkungen auf meinen ganzen Körper, selbst wenn mein Arm nicht gebrochen ist. Deshalb leidet eine örtliche Versammlung, wenn ein Ausschluss erfolgen muss und darüber hinaus eigentlich alle Gläubigen (also ebenso an anderen Orten). Paulus schreibt in 1. Korinther 12,26 – wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“.

Schon im Alten Testament war dieser Grundsatz übrigens gültig. Wir haben uns an anderer Stelle an das Beispiel Achans erinnert (Jos 7,11), dessen Schuld vor Gott zur Schuld von ganz Israel wurde. Große Gottesmänner im Alten Testament – wie Daniel und Esra – haben die Schuld des ganzen Volkes im Gebet vor Gott zu ihrer eigenen Schuld gemacht. Sie haben damit ausgedrückt, dass sie nicht besser waren, als ihre Väter. Das sollte auch unsere innere Haltung sein. Wir müssen persönlich anerkennen, dass wir nicht besser sind als derjenige, der jetzt aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden muss.

Wir erkennen also, dass die Schuld des einzelnen zur Schuld aller wird, d.h. alle machen sich damit eins, selbst wenn sie selbst nicht gesündigt haben. Wir erkennen gleichzeitig, dass die Schuld aller zur Schuld des einzelnen wird und er sich darunter beugt, selbst wenn er selbst die Sünde nicht begangen hat. Die Korinther wurden natürlich nicht selbst zu Hurern, aber sie sollten doch traurig sein über das, was in ihrer Mitte geschehen war.

Frage 10: Gibt es Anhaltspunkte, wie lange eine Person draußen sein sollte? Hängt das von der Schwere der Sünde ab?

Wer mit dem Neuen Testament ein wenig vertraut ist, wird nicht erwarten, dass Gott uns eine genaue Zeitangabe in dieser Frage gibt. Zwei Dinge wollen wir aber im Auge behalten:

Erstens: Die Frage nach der Zeit beantwortet sich mit der Frage, wann Gott mit seiner Arbeit an dem Ausgeschlossenen zum Ziel gekommen ist. Es ist nicht so sehr eine Frage der Schwere der Sünde, sondern vielmehr eine Frage der echten Reue und des Bekenntnisses. Jede Sünde – und sei sie in den Augen der Menschen noch so schwer – wird von Gott vergeben, wenn echte Buße und ein wirkliches Bekenntnis der Schuld vorhanden ist. Und wenn Gott bereit ist, zu vergeben, sollten wir Menschen ebenfalls vergeben. Es ist ein sehr ernster Gedanke, wenn eine Versammlung einer Person die Sünde für diese Erde „behält“, die Gott gelöst sehen möchte. Solange jedoch nicht nach außen hin deutlich sichtbar wird, dass Gott ein Werk getan hat, bleibt der Ausschluss aufrecht erhalten.

Der 2. Korinther Brief kann uns hier eine Hilfe sein. Dieser Brief wurde vermutlich höchstens ein Jahr nach dem ersten geschrieben. Offensichtlich hatten die Korinther nach Erhalt des ersten Briefes gehandelt. Jetzt aber kann Paulus sie ermuntern, den Ausgeschlossenen wieder aufzunehmen, weil die Betrübnis bei ihm echt war (vgl. 2. Kor 2,6.7).

Zweitens: Die Wiederherstellung eines Ausgeschlossenen braucht in der Regel eine gewisse Zeit. Einsicht des bösen Handelns, Reue darüber und das echte Schuldbekenntnis vor Gott und Menschen sind in aller Regel ein Prozess, der nur selten „über Nacht“ geschieht. Das zeigen uns verschiedene Beispiele aus der Bibel. Diesem Handeln Gottes dürfen wir einerseits nicht vorgreifen, andererseits dürfen wir den Zeitpunkt nicht verkennen, wo Gott sein Ziel erreicht hat.

Die Wiederzulassung eines Ausgeschlossenen ist im Übrigen genauso Sache der gesamten Versammlung, wie es der Ausschluss war. Gott möchte uns alle ebenso in der Frage der Wiederzulassung üben. Dazu braucht es erneut in jedem Einzelfall Weisheit von oben.

Frage 11: Was sagt uns die Bibel über die Wiederzulassung eines Ausgeschlossenen?

Wir wollen unsere Überlegungen mit dieser an und für sich positiven Frage abschließen. Der Herr Jesus hat in Matthäus 18 nicht nur vom „Binden“, sondern auch vom „Lösen“ gesprochen. „Lösen“ bedeutet, einer Person die Teilnahme am Brotbrechen zu gewähren. Das gilt auch für einen Ausgeschlossenen, an dem der Herr sein Werk tun konnte. Ein praktisches Beispiel dazu liefert uns der in Korinth ausgeschlossene Mann, der offensichtlich zur Einsicht und zur Buße gekommen war, wie wir dem 2. Korintherbrief Kapitel 2 entnehmen können.

Hier zunächst der Bibeltext:

„Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den vielen ist, so dass ihr im Gegenteil vielmehr vergeben (o. Gnade erzeigen) und ermuntern solltet, damit nicht etwa ein solcher durch übermäßige Traurigkeit verschlungen werde. Darum ermahne ich euch, Liebe gegen ihn zu betätigen. Denn dazu habe ich auch geschrieben, damit ich eure Bewährung kennen lerne, ob ihr in allem gehorsam seid. Wem ihr aber etwas vergebet, dem vergebe auch ich; denn auch ich, was ich vergeben, wenn ich etwas vergeben habe, habe ich um euretwillen vergeben in der Person Christi“ (2. Kor 2,6–10).

Das ist das Ziel einer Zuchthandlung im Blick auf den Ausgeschlossenen. Gott möchte, dass Einsicht und Buße da sind und dass eine örtliche Versammlung aufgrund dieser inneren Umkehr „lösen“ kann. Es ist kein Fall von Zucht denkbar, der aus unserer Sicht nicht wieder in Ordnung kommen kann. Es mag sein, dass der Herr in seiner Regierung eine Person vorher wegnimmt, aber was uns betrifft, müssen wir festhalten, dass es keine Sünde gibt, die nicht vergeben werden kann. Es mag sein, dass die Folgen eines bösen Zustandes ein Leben lang spürbar bleiben. Dennoch kann die Gnade in jeder Situation triumphieren. Das wollen wir gut bedenken. Wenn innere Reue und ein von Herzen kommendes Bekenntnis da sind, hat die Versammlung die Verpflichtung, einen solchen wieder in die praktische Gemeinschaft am Tisch des Herrn aufzunehmen. Tut sie es nicht, besteht die Gefahr, dass wir in die Rechte des Herrn eingreifen. Der „Tisch des Herrn“ ist nicht unser Tisch, sondern sein Tisch. Die Sünde des Mannes in Korinth war groß, dennoch sollten die Korinther ihn wieder aufnehmen. Denken wir an David, der sich nicht nur unrechtmäßig eine Frau nahm und sich der Sünde der Hurerei schuldig machte. David ging sogar so weit, ihren Mann heimtückisch ermorden zu lassen. Dennoch fand er Vergebung und schreibt danach die Worte auf: „Glückselig der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde zugedeckt ist“ (Ps 32,1). Sollte Gott in der Zeit der Gnade weniger gnädig sein als in der Zeit des Gesetzes, wo auf die Tat Davids eigentlich die Todesstrafe stand? Sicher nicht.

Wann ist der geeignete Zeitpunkt für eine Wiederzulassung gekommen? Dazu kann man unmöglich eine Zeitangabe machen. Wir haben schon bemerkt, dass die Zeitspanne dem Grundsatz nach nicht von der Schwere der Sünde abhängig ist, sondern von der Buße. Wirkliche Buße braucht in der Regel eine gewisse Zeit. Sie kommt selten über Nacht. Wiederum brauchen die Geschwister einer örtlichen Versammlung Weisheit und Leitung von oben. Die Gefahr besteht natürlich, dass man einen Ausgeschlossenen ganz aus dem Auge verliert. Es ist wahr, dass wir keinen Kontakt mehr mit ihm haben und keine seelsorgerlichen Bemühungen mehr möglich sind. Aber das heißt nicht, dass wir eine solche Person ganz aus dem Auge verlieren sollten. Es ist unsere Aufgabe Signale einer Buße zu erkennen.

Wir können unserem Herrn vertrauen, dass er es offenbar macht, wenn sein Werk im Herzen eines Ausgeschlossenen anfängt, Früchte zu tragen. Äußerliche Indikatoren können das Aufgeben der Sünde, die Akzeptanz der Zucht, die Besuche der Zusammenkünfte und ein Bekenntnis vor anderen sein.

Das macht gleichzeitig klar, von wem die Aktivität ausgehen sollte. Sicher ist es möglich, dass ein Ausgeschlossener den Wunsch hat und äußert, wieder in Gemeinschaft am Tisch des Herrn aufgenommen zu werden. Wenn das so ist, werden sich die Geschwister damit beschäftigen. Aber eigentlich sollten es diejenigen sein, die in Gemeinschaft sind, die auf einen Ausgeschlossenen zugehen, wenn sie erkennen, dass der Herr ein Werk getan hat. Im Alten Testament (3. Mo 13–14) gab es das Gesetz des Aussätzigen. Es hilft uns, in der Bildersprache Gottes Gedanken über Ausschluss und Zulassung besser zu verstehen. Hier war es eindeutig die Aufgabe anderer, sich darum zu kümmern, dass ein geheilter Aussätziger gereinigt wurde. In 3. Mose 14 wird gesagt, dass der Aussätzige am Tag seiner Reinigung zu dem Priester gebracht werden sollte. Er ging nicht selbst, sondern wurde gebracht. Dann sollte der Priester außerhalb des Lagers gehen und das Übel des Aussatzes besehen. War es heil geworden, so musste der Priester nach den Vorschriften die Reinigung vollziehen (vgl. 3. Mo 14,1ff.). In der Praxis des Versammlungslebens ist es häufig anders zu beobachten. Man wartet, bis ein Ausgeschlossener sich „meldet“ und beginnt erst dann, sich mit der Sache zu beschäftigen. Diese Praxis sollten wir vor dem Herrn überdenken.

2. Korinther 2 zeigt uns etwas von der Gesinnung, in der wir auf jemanden zugehen sollen, an dem Gott offensichtlich ein Werk getan hat. Wir lesen: „Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist, so dass ihr im Gegenteil vielmehr vergeben (d.h. Gnade erzeigen) und ermuntern solltet. ... Darum ermahne ich euch, ihm gegenüber Liebe zu üben“ (2. Kor 2,6–8). Das wollen wir wohl bedenken. Hier ist keine Rede davon, dass der Ausgeschlossene „zu Fuße kriechen“ soll. Hier werden vielmehr die Übrigen aufgefordert zu vergeben, zu ermuntern, Gnade und Liebe zu üben. Auf Seiten dessen, der zurückkommt, ist Buße eine notwendige Voraussetzung. Auf Seiten derer, die ihn wieder aufnehmen, ist diese Gesinnung der Gnade erforderlich. Nur so kann es wieder ein glückliches Miteinander geben.

„Binden“ wie „Lösen“ ist Sache der örtlichen Versammlung. Geistlich gesinnte Brüder werden sich mit dem Ausgeschlossenen beschäftigen und die Sache dann der Versammlung zur Beurteilung und Entscheidung vorlegen. Es mag sein, dass einzelne Geschwister die Sache schon vorher klarer sehen, aber sie sollten sich so lange an die Zucht gebunden fühlen, bis die Versammlung vergeben (d.h. wieder zugelassen) hat. Dieses Vergeben der Versammlung geschieht selbstverständlich im Blick auf diese Erde, niemals im Blick auf den Himmel. Es ist einem einzelnen Bruder oder einer einzelnen Schwester nicht möglich, eine Wiederzulassung „vorweg“ zu nehmen. Das hat nicht einmal Paulus getan – obwohl er ein Apostel war. Er sah in dem konkreten Fall in Korinth längst klar. Dennoch wartete er darauf, dass die Versammlung der betreffenden Person vergab. Er sagt nicht: „Wem ich vergeben habe, dem vergebt auch ihr“, sondern er schreibt ganz bewusst: „Wem ihr aber etwas vergebt, dem vergebe auch ich“ (2. Kor 2,10).

Vergebung ist immer eine volle Vergebung und eine Vergebung „von Herzen“. Wir sollen einander so vergeben, wie Gott uns vergibt. Das bedeutet in der Folge, dass wir eine Sache dann nicht mehr nachtragen oder bei passender Gelegenheit wieder „aufwärmen“. Jemand, der als Ausgeschlossener wieder aufgenommen werden konnte, ist kein Christ „zweiter Klasse“, sondern nimmt an den Vorrechten und Verantwortlichkeiten so teil wie jeder andere auch.

Schlussbemerkung

Wir haben ein ernstes, aber notwendiges Thema behandelt. Gott duldet dem Bösen gegenüber keine Gleichgültigkeit. Wir sollen in der Gesinnung des Herrn handeln. Nur so kann sich eine örtliche Versammlung reinigen. Nur so ist eine Gott angemessene Wiederherstellung möglich. Nur so können wir ein Zeugnis für diese Welt sein.

Der Herr wird uns die nötige Weisheit geben, seine Gedanken zu verstehen und dann in der Praxis des Versammlungslebens umzusetzen.

Fußnoten

  • 1 Nicht umsonst wird dieser Tisch der „Tisch des Herrn“ genannt. Er wird nicht als „Tisch Jesu“ oder „Tisch des Christus“ bezeichnet, sondern mit der Tatsache verbunden, dass es der Herr ist. Das lässt uns an seine Autorität denken. Er ist derjenige, der zu bestimmen hat, was an diesem Tisch geschieht und wer Anteil an den Vorrechten dieses Tisches hat.
  • 2 Manchmal wird behauptet, dass wir einen Ausgeschlossenen dem Satan überliefern. Das lässt sich aber durch die Belehrungen des Wortes Gottes nicht abstützen. Um jemand dem Satan überliefern zu können, ist apostolische Autorität erforderlich, die wir heute nicht mehr haben. Es gibt auch in 1. Korinther 5 keine Aufforderung an die Korinther, dies zu tun (siehe dazu die Auslegung zu 1. Korinther 5 in Teil 2 dieses Buches).
  • 3 Eine Mahlzeit ist in der Bibel häufig ein Symbol für Gemeinschaft. Gerade deshalb sollen wir mit einem Ausgeschlossenen nicht essen. Selbst eine Begrüßung kann diese symbolhafte Bedeutung haben. In Galater 2,9 spricht Paulus die „Rechte der Gemeinschaft“ an und meint damit die rechte Hand (siehe Fußnote). In 2. Johannes 1,11 wird – allerdings in Bezug auf den Irrlehrer – gesagt: „Wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken.“ Ein Gruß kann also durchaus mehr als nur eine äußere Bedeutung haben.
  • 4 Es muss schon sehr weit kommen, bis eine Nachbarversammlung einen Beschluss einer anderen Versammlung zu Recht nicht anerkennt. Das ist im Grunde gleichbedeutend mit der Feststellung, dass diese Versammlung nicht (mehr) im Namen des Herrn zusammenkommt und deshalb nicht mit dem Herrn in ihrer Mitte entscheiden kann. In einem solchen Fall könnten wir mit Geschwistern einer solchen Versammlung das Brot am Tisch des Herrn nicht mehr brechen. Leider hat es im Lauf der Geschichte der Versammlung Gottes auf der Erde Fälle dieser Art gegeben – berechtigt und unberechtigt –, die dann zu schmerzlichen Trennungen geführt haben. Wir alle sollten da unsere Verantwortung fühlen.
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