Jeremia, Gottes Bote in böser Zeit

Weissagungen über die Nationen

Bei der Berufung Jeremias zum Propheten sagte Gott zu Seinem jungen Knechte: «Siehe, ich bestelle dich an diesem Tage über die Nationen und über die Königreiche,

  1. um auszurotten und niederzureissen und zu zerstören und abzubrechen,
  2. um zu bauen und um zu pflanzen.» Jeremia war weder König noch Feldherr. Es standen ihm keine Kriegsheere zu Gebote, um den ersten Punkt seines Lebensprogramms durchzuführen. Auch war er kein Staatsmann, um verheerte Nationen wieder aufzubauen und von neuem an ihrer Stätte einzupflanzen.

Aber er durfte der Mund des lebendigen und wahren Gottes sein, der «die Erde gemacht hat durch Seine Kraft». Sie gehört Ihm, und Er gibt sie, wem es Ihn gutdünkt. Sein sind «Weisheit und Macht.» «Er ändert Zeiten und Zeitpunkte, setzt Könige ab und setzt Könige ein», mit dem Fernziel, den von Ihm abgefallenen, aufrührerischen Erdkreis in Gerechtigkeit zu richten durch einen Mann, den Er dazu bestimmt hat. Christus, der Sohn Gottes und Sohn des Menschen, wird dann inmitten der Nationen, die Ihm zum Erbteil gegeben sind, Sein Friedensreich aufrichten, und zwar von Zion aus. Denn Israel ist der besondere «Stamm Seines Erbteils». Die Menschen mochten das Wort Jeremias geringschätzen und verachten. Aber nach diesem Wort, das Er ihm gab, wird Gott die Nationen niederreissen und aufbauen, und zum Teil hat es sich schon erfüllt.

Auch andere Propheten liess Gott Weissagungen über die Nationen und besonders über die Nachbarvölker Judas aussprechen. (Vergleiche Jesaja - diverse Kapitel -; Hesekiel 25 - 32; Amos 1 - 2; Zephanja 2.) Jeremia aber schildert vor allem, wie Babel, die Zuchtrute Jehovas, über alle kommen wird und schliesslich selbst vom Gericht weggerafft werden muss.

Das Gericht begann bei Jerusalem

Israel, das Volk, das sich Jehova aus allen Nationen zum Eigentumsvolk erwählte, hätte unter ihnen ein klares Zeugnis für den allein wahren Gott sein sollen. Waren «die Aussprüche Gottes» nicht zuerst ihnen anvertraut worden? Hatte Er sie nicht durch gewaltige Wunderwerke aus Ägypten befreit, durch die Wüste geleitet und in dieses Land der Verheissung geführt? Zuerst in der Stiftshütte und dann im Tempel zu Jerusalem hatte Er unter ihnen gewohnt. Wie gerne hätte Er sie von Zion aus gesegnet!

Aber sie hatten sich von der Nachfolge Jehovas abgewendet. Sie richteten ihre Blicke auf die Nationen ringsum und auf deren Götter. Der Götzendienst mit seinen sündigen Festen entsprach ihren fleischlichen Neigungen besser als der heilige Dienst Jehovas. Trotz aller Warnungen Gottes schritten sie auf diesem eingeschlagenen Wege weiter. Sie hörten nicht auf Ihn.

Daher blieb Gott nichts anderes übrig) als Sein Volk «nach Gebühr zu züchtigen», um es auf diesem Wege zur Busse und zur Rückkehr zu bringen. Gewiss, die Sündhaftigkeit der Nationen war nicht weniger gross; aber weil sich Gott Seinem Volke in besonderer Weise geoffenbart und ihnen so viele Vorrechte gegeben hatte, wog dessen Schuld viel schwerer. Daher musste das Gericht bei der Stadt beginnen, die nach Seinem Namen genannt war.

Nach diesem Grundsatz handelt Gott auch heute gegenüber den Seinen. «Die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes». Noch hält Er gegenüber der Welt Seine Gerichte in Langmut zurück, da Er noch viele Sünder retten will. An Seinem Hause aber übt Er immer wieder Zucht aus, weil Er unter uns wohnen will und das Böse nicht dulden kann. Die Kinder Gottes, nicht die Kinder der Welt, werden jetzt gezüchtigt. Im Buche der Offenbarung z. B. geht den Gerichten über die Welt die Züchtigung der Versammlung hier auf der Erde voraus.

Juda und die umliegenden Nationen müssen vom Zornwein trinken

Diesen Völkern rief Gott durch Jeremia zu: «Siehe, bei der Stadt, welche nach meinem Namen genannt ist, beginne ich Übles zu tun, und ihr solltet etwa ungestraft bleiben? Ihr werdet nicht ungestraft bleiben; denn ich rufe das Schwert über alle Bewohner der Erde, spricht Jehova der Heerscharen.»

Wenn Juda schwer gezüchtigt wurde, weil es andern Göttern nachwandelte, wie sollten da die Nachbarvölker, von denen es Abgötterei gelernt hatte, verschont bleiben! Dass sie durch Israel die Kunde von dem lebendigen Gott vernommen hatten, machte auch ihre Schuld gross.

Das 25. Kapitel des Buches Jeremia ist wie ein göttliches Programm, nach welchem Er in den Tagen Seines Knechtes Sein Gericht über jene Völker kommen liess:

Nach Jerusalem und den Städten von Juda sollte Nebukadnezar, der König von Babel, auch Ägypten und die Länder in der Nachbarschaft Palästinas erobern und unterwerfen. Auch diese Nationen sollten ihm siebenzig Jahre dienen. Die Nation, die sich unter dieses Gericht beugte und dem König von Babel diente, durfte in ihrem Lande bleiben und darin wohnen.

Damit die im 25. Kapitel aufgezählten Völker diese schweren Schläge nicht einem blinden Schicksal oder dem Tun der Menschen, sondern Gott zuschrieben und sich unter Sein Gericht beugten, musste Jeremia aus der Hand Jehovas einen Becher Zornwein nehmen und sie alle daraus trinken lassen.

Wohl beziehen sich diese Gerichte nicht auf die letzten Tage, wie z.B. in Jesaja, sondern auf den damaligen Zeitpunkt, wo Gott diese Völker niederbeugte, damit die Herrschaft des babylonischen Weltreiches aufgerichtet werden konnte. Doch weist der Schluss von Jeremia 25 auf den gewaltigen Sturm des Gerichtes hin, der über alle Bewohner der Erde kommen muss, auf die schreckliche Gerichtszeit, die der Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches vorausgehen wird.

In den Kapiteln 46-51 wird dann das Gericht über die einzelnen der im 25. Kapitel genannten Nationen näher beschrieben. Wir können hier aber nur kurz darauf eingehen.

Beim Lesen dieser Abschnitte wird uns aufs neue bewusst, dass «Gericht ausüben» für Gott ein «befremdendes Werk», eine «aussergewöhnliche Arbeit» ist. Wieviel mehr liebt Er, sich auch den Nationen gegenüber als ein Gott der Barmherzigkeit und der Güte zu zeigen! Auch diese Völker schlug Er nicht mit kalter Hand, sondern liess sie wissen, weshalb Er es tat. Er gab ihnen zu verstehen, dass Er die Leiden des Krieges und der Besetzung, in die sie nun eintraten, wohl abgewogen hatte.

Das Gericht über Ägypten

Ägypten war von jeher ein mächtiges Volk gewesen. Es besass viele Rosse und Wagen. Juda hatte in seiner durch Untreue gegen Gott verschuldeten Not bei Ägypten Hilfe gesucht und sich auf dessen Rosse gestützt, statt nach Jehova zu fragen und Ihn wieder zu suchen. Daher streckte Er Seine Hand aus, um diesen «Helfer» und die auf ihn vertrauten, zum Straucheln zu bringen.

Aber auch gegenüber Ägypten selbst hatte Gott eine Rechnung zu begleichen. Sein «Tag der Rache» war gekommen, «um sich zu rächen an seinen Widersachern» und Ägyptens Götter heimzusuchen.

Das Volk am Nil hätte sich im Bewusstsein seiner Macht gerne an die Spitze der Nationen gestellt. Aber nach den Regierungswegen Gottes sollte Babel diesen Platz einnehmen. Ägypten wurde daher am Euphrat und auch in seinem eigenen Lande geschlagen. «Hernach aber»  nach dem Untergang Babels - «soll es (Ägypten) bewohnt werden wie in den Tagen der Vorzeit.»

Das Gericht über Ammon und Moab

Auch diese beiden Länder wurden nun heimgesucht. Beim Einzug in Kanaan durfte Israel diese beiden Nationen nicht bekriegen, weil sie als Nachkommen Lots Brudervölker waren, die nicht zu den verfluchten Kanaanitern gehörten. Moab und Ammon hatten sich damals gegenüber Israel allerdings als unbarmherzig erwiesen, und bis zum zehnten Geschlecht durften sie daher nicht in die Versammlung Jehovas kommen.

Wenn Jehova der Herrschaft Babels, dem Weltreich der Nationen, ein Ende setzt, wird Er diesen beiden Völkern wieder Güte erweisen und sie aus der Gefangenschaft in ihre Länder zurückbringen.

Der Geist Gottes verweilt hier ganz besonders bei Moab. Der Prophet jammert und schreit und weint, wenn er die Verwüstung dieses Volkes sieht. Er bringt dabei zum Ausdruck, was das Herz Gottes bewegt, wenn Er die Nationen schlagen muss.

Welches waren denn die Verfehlungen Moabs, die es reif machten für dieses Gericht? Es hat auf seine Werke und Schätze vertraut, hat wider Jehova gross getan und über Israel, Sein Volk, gelacht. Überhaupt war es «sehr hochmütig» und voll eitler Prahlerei. Wie sehr hat es sich dadurch gegen Gott vergangen! Er musste ihm daher - wie allen Hochmütigen - widerstehen.

Ein Ausspruch über Moab hat auch uns Gläubigen viel zu sagen: «Sorglos war Moab von seiner Jugend an, und still lag es auf seinen Hefen und wurde nicht ausgeleert von Fass zu Fass, und in die Gefangenschaft ist es nicht gezogen; daher ist sein Geschmack ihm geblieben und sein Geruch nicht verändert.» Der Wein darf nicht auf seinen Hefen liegen bleiben, sondern muss fachgemäss von Fass zu Fass abgezogen werden, um bessern Geschmack zu bekommen, um abgeklärt und gereift zu werden. - So haben auch wir die Schule Gottes nötig. Er führt uns von Übung zu Übung, von Prüfung zu Prüfung, damit wir unseren angestammten «Geruch» verlieren. Paulus sagte zu Timotheus: «Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist.» «Gnade» ist ein ganz anderer Geruch als der, den die Natur bei uns hervorbringt: Vertrauen auf eigene Kraft und Weisheit, ungebrochener Wille. Wie gut, wenn der Wohlgeruch der Gnade, die in Christo Jesu ist, uns immer mehr durchdringt! So nur können auch wir andern eine wirkliche Hilfe sein!

Völker, die nicht aus der Gefangenschaft zurückkehren

Den Philistern (Kap. 47), Edom (49,7-22), Damaskus (49,23-27) und Hazor (49,28-33) wird, im Gegensatz zu dem entfernten Elam (49,34-39) und den schon erwähnten Ländern Ägypten, Moab und Ammon, keine Verheissung der Rückkehr aus der Gefangenschaft und der Wiederherstellung ihres Territoriums gegeben, weil diese Gebiete zum Lande gehören, das Israel nach Hesekiel 47 und in der Zukunft in seinem ganzen Ausmass bewohnen wird.

Ja, auch Edom gehört zu den Völkern, für die es keine Hoffnung gibt. Beim Einzug in Kanaan verschonte Israel diesen «seinen Bruder». Auch gebot Jehova Seinem Volke: «Den Edomiter sollst du nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder ... Kinder, die ihnen im dritten Geschlecht geboren werden, mögen von ihnen in die Versammlung Jehovas kommen.» Aber Edom hat die Bruderhand nicht ergriffen und die ihm erwiesene Gnade missbraucht. Es zwang Israel, sein Land beim Einzug in Kanaan in einem weiten Bogen zu umgehen. Auch sonst verschuldete sich Edom gegen das Volk Gottes, indem es, wohl von seinem Vater Esau her, gegen die Nachkommen Jakobs Rachsucht im Herzen trug und in immerwährendem Grimm sich rächte, wo es dies ohne Risiko tun konnte (Hes 25,12 und Amos 1,11).

Daher ist das Gericht Gottes gegen Edom besonders schwer. Damals gab Er es in die Hand Nebukadnezars. Einst aber wird Jehova durch die Hand Seines Volkes Israel Rache an ihm üben, bis zu dessen völliger Vertilgung. (Vergleiche auch Obadja, besonders Vers 18.) Wie verhängnisvoll ist es doch, die Gnade Gottes abzuweisen und zu verachten!

Gottes Abrechnung mit Babel

Wegen der Untreue des Hauses David und des Volkes Juda wie auch wegen der Sünden der Nachbarvölker hatte Gott die Aufrichtung des babylonischen Reiches beschlossen und ihm die Herrschaft über die damalige Welt anvertraut. Der Fall Judas war die Voraussetzung dazu. Babel nahm darin nun den Platz Israels ein.

Alle in diesem Buche bis dahin erwähnten Gerichte stehen in Zusammenhang mit diesem göttlichen Beschluss. Juda und die einzelnen Völker wurden beiseite gesetzt, um dem einen Weltreich der Nationen Platz zu machen. Das war ein Hauptgegenstand der bisherigen Weissagungen Jeremias.

Nachdem sich diese Prophezeiungen erfüllt hatten und das Babylonische Reich zu Jeremias Lebzeiten aufgerichtet war, beschäftigte sich der Prophet mit dem weiteren Schicksal dieses Reiches. Schon jetzt wurde ihm der Sturz Babels und das Gericht über das Land der Chaldäer gezeigt. Und wenn Jehova das durch Ihn aufgerichtete Weltreich zerstörte, so war dessen Fall das Signal zur Befreiung Judas - ein Angeld und Vorgeschmack auf die völlige und endgültige Befreiung ganz Israels, das durch Drangsale geläutert, Jehova, seinen Gott, wieder suchen wird. (Siehe Kap. 50,4.5.19.20.)

Jeremia bleibt beim babylonischen Reiche jener Tage stehen, das nach dem Willen Gottes aufgerichtet wurde und einen besonderen Charakter hat. Er erwähnt die darauffolgenden Weltreiche nicht, von denen Daniel spricht. Doch kennzeichnet das sittliche Wesen Babels in mancher Hinsicht auch die nachfolgenden Weltreiche. Und wie der Sturz dieses ersten Reiches der Befreiung Judas vorausging, so wird der Fall des letzten, des Römischen Reiches der Zukunft, die endgültige Wiederherstellung Israels einleiten.

Wir fragen uns vielleicht: Wenn doch Gott den König aus Babel mit seinen Heerscharen selber «aus dem Norden» herbeigerufen hat, um eine Zuchtrute für Juda und ein Hammer zur Zertrümmerung der Nationen zu sein, weshalb nun dieses Gericht, diese völlige Verwüstung Babels?

In den Kapiteln 50 und 51 finden wir die göttliche Antwort.

  1. Babel, das Werkzeug des Gerichtes in Gottes Hand über götzendienerische Nationen, hätte allein Ihn anbeten und Ihm dienen sollen. Er hat sich ja Nebukadnezar deutlich genug bezeugt. Statt dessen hat dieser König einen obligatorischen Götzendienst eingeführt und sein Reich dadurch verderbt (Kap. 50,2. 38; 51,15-19; Dan 3).
  2. Jehova nahm Rache an Babel wegen der Zerstörung Seines Tempels (Kap. 50,28; 51,11; 52,13. 17-23).
  3. In der Ausübung des Gerichts an Juda überschritten die Chaldäer das von Gott festgesetzte Mass: Sie hatten Jehovas Erbteil geplündert und die in die Gefangenschaft Weggeführten bedrückt. Auch hielten sie die Gefangenen fest und dachten nicht daran, sie zu entlassen.
  4. In allen diesen Verfehlungen hat sich Babel in seinem Hochmut über Jehova erhoben, gegen den Heiligen Israels vermessen gehandelt und gesündigt (50,14.29-32).

Aus diesen Gründen kam ein viel schrecklicheres Gericht über Babel als über Juda und die angrenzenden Länder: Eine Nation zog von Norden her wider Babel - die Meder - und machte die grosse Stadt, die sich Nebukadnezar «durch die Stärke seiner Macht und zu Ehren seiner Herrlichkeit» erbaut hatte, wie auch das Land der Chaldäer zu einer ewigen Wüste, ohne Bewohner. «Wüstentiere mit wilden Hunden werden darin wohnen ... es soll in Ewigkeit nicht mehr bewohnt werden ... kein Menschenkind wird darin weilen.»

Am Schluss der kurzen Betrachtung dieses Buches drängt es uns, jetzt schon in das Lied Moses einzustimmen und zu sagen: «Der Fels: vollkommen ist sein Tun; denn alle seine Wege sind recht.» Wie aber werden erst unsere Herzen in ewiger Anbetung überströmen, wenn wir im Himmel Gottes Wege mit den Menschen in vollkommener Einsicht und mit vollem Verständnis überblicken!

Auch die Person Seines Knechtes Jeremia ist uns etwas vertrauter geworden. Gott hat diesem empfindsamen, an sich schwachen Manne Gnade gegeben, seinen Dienst in Treue und Gehorsam zu vollenden, durch alle Leiden und Widerstände hindurch. Wie werden sich seine Klagelieder über Juda und Jerusalem in Freudengesänge umwandeln, wenn ganz Israel wiederhergestellt ist und von einem herrlichen Zion aus regiert und gesegnet wird!

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