Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)
Kapitel 23 - 26
Paulus wendet sich an das Synedrium mit dem Ernst und der Würde eines aufrichtigen Menschen, der gewohnt ist, mit Gott zu wandeln. Seine Rede ist nicht ein Zeugnis, das ihnen zu ihrem Wohl gebracht wird, sondern die Berufung eines guten Gewissens auf ihr Gewissen, falls sie ein solches hatten. Die unmittelbare Antwort, die der Apostel empfängt, ist eine Beleidigung von Seiten des Richters oder Vorstehers des Rates. Paulus, durch diese Handlung gereizt, kündigt ihm von Seiten Gottes das Gericht an, sobald ihm aber berichtet wird, dass Ananias der Hohepriester sei (er war jedenfalls nicht so gekleidet, dass man ihn erkennen konnte), entschuldigt er sich mit seiner Unwissenheit in dieser Sache, indem er das förmliche Verbot des Gesetzes: „Dem Obersten deines Volkes sollst du nicht übel reden“, anführt (Apg 23, 5). Alles dies war richtig und an seinem Platz den Menschen gegenüber; aber der Heilige Geist konnte nicht sagen: „Ich wusste nicht.“ Die Worte des Apostels vor dem Synedrium sind nicht das Resultat der Wirksamkeit des Geistes, der das Werk der Gnade und des Zeugnisses ausführt; sie sprechen vielmehr das endliche Gericht Gottes über das Volk aus. In diesem Charakter, insoweit es die Juden betrifft, tritt Paulus hier auf. Sein Verhalten ist weit erhabener als das seiner Richter, die sich ganz und gar erniedrigen und ihren schrecklichen Zustand offenbar werden lassen; aber er erscheint nicht für Gott vor ihnen. Nachher benutzt er die verschiedenen Parteien, aus denen das Synedrium zusammengesetzt war, um in ihrer Mitte eine völlige Verwirrung hervorzubringen, indem er bekennt, dass er ein Pharisäer sei, eines Pharisäers Sohn, und eine Lehre dieser Sekte zum Vorschein bringt (V. 6). Er war wirklich ein Pharisäer; allein eine Berufung darauf war unter der Höhe seiner eigenen Worte: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gerechnet.“ Die Juden zeigen jedoch völlig ihren Zustand. Was Paulus sagt, erregt einen Tumult, und der Oberste entreißt ihn ihren Händen. Danach sehen wir, wie Gott alles zu seiner Verfügung hatte. Ein Schwestersohn des Paulus, der sonst nirgendwo genannt wird, hört von einem Hinterhalt, den man Paulus bereitete, und setzte ihn davon in Kenntnis. Paulus sendet den Jüngling zum Obersten, und dieser besorgt, unter Begleitung einer Wache, die Abreise des Apostels nach Cäsarea. Gott wachte Über seinen Knecht, aber alles geht den gewöhnlichen Gang menschlicher Wege und göttlicher Vorsehung. Es ist dort nicht ein Engel, wie bei Petrus, oder ein Erdbeben wie zu Philippi. Wir fühlen, dass wir hier auf einem anderen Boden stehen.
Paulus erscheint vor den Obrigkeiten der Reihe nach: vor dem Synedrium, vor Felix, vor Festus, vor Agrippa und schließlich vor dem Kaiser selbst. Wenn er vor ihnen steht, so wendet er sich, je nachdem die Gelegenheit sich darbietet, an ihr Gewissen; und wenn es sich um seine Verteidigung handelt, so haben wir die männlichen und ehrlichen Erklärungen eines guten Gewissens, das über die ihn umgebenden Leidenschaften und Interessen erhaben ist. Ich übergehe mit Stillschweigen den weltlichen Egoismus, der sich in Lysias und Festus verrät, indem sie sich allerlei gute Eigenschaften und gutes Verhalten beilegen – die Mischung eines erwachten Gewissens mit dem Mangel an Grundsätzen in Felix – den Wunsch der Statthalter, ihrer eigenen Wichtigkeit halber den Juden zu gefallen oder ihre Regierung über ein aufrührerisches Volk zu erleichtern – sowie die Verachtung, die diejenigen empfanden, die für öffentliche Ruhe nicht so verantwortlich waren wie Lysias. Die Stellung Agrippas und alle die Einzelheiten der Geschichte haben ein merkwürdiges Gepräge von Wahrheit und stellen die verschiedenen Charaktere in einer so lebendigen Weise dar, dass man sich in die geschilderte Szene versetzt findet. Man sieht die Personen sich gleichsam bewegen. Dies kennzeichnet überhaupt auf eine treffende Weise die Schriften des Lukas.
Noch andere Umstände beanspruchen hier unsere Aufmerksamkeit. Festus, um den Juden zu gefallen, bot Paulus an, ihn nach Jerusalem mitzunehmen. Allein Rom sollte in der Verwerfung des Evangeliums der Gnade, des Zeugnisses der Versammlung, seinen Anteil haben; und Paulus beruft sich auf den Kaiser. Festus muss ihn deshalb dorthin senden, obwohl er in Verlegenheit ist, da er nicht weiß, welches Verbrechen er ihm aufbürden soll, wenn er ihn sendet. Ein trauriges Gemälde der menschlichen Ungerechtigkeit! Aber alles dient mit zur Erfüllung der Vorsätze Gottes. Durch seine Berufung auf den Kaiser hat Paulus keinen besseren Erfolg als bei seinen Anstrengungen, die Juden zufrieden zu stellen, indem er an den Kosten der Opfer teilnimmt, die das Gelübde der Männer erforderte, die Jakobus ihm empfohlen hatte. Es war vielleicht für das menschliche Auge unter den gegenwärtigen Umständen sein alleiniges Hilfsmittel; aber der Heilige Geist sorgt dafür, dass wir wissen, er hätte in Freiheit gesetzt werden können, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.
In Agrippa erblicken wir Bedürfnisse und ein erwachtes Gewissen. Er war nicht weit von der Überzeugung von der Wahrheit des Christentums entfernt. Vielleicht wäre er ein Christ geworden, wenn ihm nicht seine Leidenschaften ein Hindernis in den Weg gestellt hätten. Er würde sich gefreut haben, wenn Paulus in Freiheit gesetzt worden wäre. Er drückt seine Überzeugung aus, dass dies hätte geschehen können, wenn Paulus sich nicht auf den Kaiser berufen hätte. Er spricht dem Festus seine Meinung aus als die eines verständigen und redlichen Mannes; aber im Grund waren seine Worte diktiert von seinem Gewissen – Worte, die er auszusprechen sich erkühnen konnte, wenn Festus und alle die übrigen darin einig waren, dass Paulus nichts getan hatte, was des Todes oder der Bande wert war. Gott wollte, dass die Unschuld seines geliebten Knechtes vor der ganzen Welt dargetan würde. Seine Rede hat diesen Zweck. Er geht zwar weiter, allein seine Ansicht ist, von seinem Betragen Rechenschaft abzulegen. Seine wunderbare Bekehrung wird erzählt, um seine nachfolgende Laufbahn zu rechtfertigen; allein sie wird so erzählt, dass sie auf das Gewissen Agrippas wirken soll, der mit jüdischen Dingen bekannt war und offenbar wünschte, etwas von dem Christentum zu hören, von dem er vermutete, dass es die Wahrheit sei. Deshalb nimmt er diese Gelegenheit, die sich ihm darbietet, den Apostel die neue Lehre auslegen zu hören, mit Begierde wahr. Allein er bleibt beinahe, wo er war. Der Zustand seiner Seele öffnet dennoch den Mund des Paulus, und er wendet sich unmittelbar und besonders an den König, der, augenscheinlich überwältigt von dem Gegenstand, ihn zu reden aufgefordert hatte. Für Festus war dies alles nur Wortschwall.
Die Würde in dem Verhalten des Apostels vor all diesen Landpflegern ist vollkommen. Er wendet sich an ihr Gewissen mit einer Selbstverleugnung, die einen Menschen zeigt, dem die Gemeinschaft mit Gott und das Bewusstsein seiner Beziehung zu Gott den Geist über alle Wirkung der Umstände erhob. Er handelte für Gott und mit einer vollkommenen Ehrerbietung gegen die Stellung derer, zu denen er redete; moralisch war er ganz über sie erhaben. Je erniedrigender seine Umstände sind, desto schöner tritt diese Überlegenheit an den Tag. Vor den Nationen ist er ein Gesandter von Gott. Er ist wieder – Gott sei gepriesen! – an seinem rechten Platz. Alles, was er zu den Juden sagte, war richtig und wohl verdient; allein warum war der, weicher von dem Volk überliefert worden war, ihrem gänzlichen Mangel an Gewissen, ihren blinden Leidenschaften, die dem Zeugnis keinen Raum ließen, bloßgestellt? Wie wir gesehen haben, sollte dies so sein, damit die Juden in jeder Weise das Maß ihrer Ungerechtigkeit erfüllen möchten.
Die Rede Pauli an den König Agrippa liefert uns das vollkommenste Bild der ganzen Stellung des Apostels, wie er selbst sie betrachtete, wenn sein langer Dienst und das Licht des Heiligen Geistes seinen Rückblick erleuchtete. Er redet nicht von der Versammlung: dies war eine Lehre und nicht ein Teil seiner Geschichte; aber er gibt alles im Einzelnen, was sich auf seine persönliche Geschichte in Verbindung mit seinem Dienst bezog. Er war ein gewissenhafter Pharisäer gewesen; und hier verbindet er die Lehre Christi mit den Erwartungen der Juden. Er war in Banden „wegen der Hoffnung der den Vätern gegebenen Verheißung“. Ohne Zweifel kam die Auferstehung hinzu. Warum deuchte den König die Auferstehung etwas Unmögliches? War denn Gott nicht mächtig, die Toten zu erwecken? Dies führt den Apostel auf einen anderen Punkt. Er hatte wahrlich bei sich selbst gemeint, dass er gegen Jesum von Nazareth viel Widriges tun müsse, und er hatte es mit der ganzen Energie seines Charakters und mit dem blinden Eifer eines frommen Juden ausgeführt. Sein gegenwärtiger Zustand, als Zeuge unter den Nationen, rührte von der Veränderung her, die die Offenbarung des Herrn in ihm gewirkt hatte, als er damit beschäftigt war, seinen Namen zu zerstören. In der Nähe von Damaskus hatte ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf, sie alle zu Boden geworfen; und er allein hatte die Stimme des Gerechten gehört, so dass er aus seinem eigenen Mund wusste, dass es Jesus war, und dass Er diejenigen, die an Ihn glaubten, als Sich selbst betrachtete. Einem solchen Zeugnis konnte Paulus nicht widerstehen. Da aber gerade seine Mission unter den Nationen für die Juden ein großes Herzeleid war, so zeigt er, dass seine Stellung in dieser Hinsicht von dem Herrn selbst förmlich verordnet worden war. Er war berufen, als Augenzeuge die Herrlichkeit, die er gesehen hatte, d. h. Jesum in dieser Herrlichkeit zu verkünden, und auch andere Dinge, zu deren Offenbarung ihm Jesus noch erscheinen wollte. Ein herrlicher Christus, der (persönlich) nur im Himmel gekannt wurde, war der Gegenstand des ihm anvertrauten Zeugnisses. Zu diesem Zweck hatte er Paulus sowohl aus den Juden als auch aus den Nationen herausgenommen, weil seine Sendung unmittelbar dem Himmel angehörte und dort ihren Ursprung hatte; und er war von dem Herrn der Herrlichkeit förmlich zu den Nationen gesandt, um ihre Stellung durch den Glauben an diesen verherrlichten Jesus Gott gegenüber zu verändern: um ihre Augen aufzutun, um sie zu bringen von der Finsternis zum Licht, von der Gewalt Satans zu Gott, und ihnen ein Erbe zu geben unter denen, die geheiligt sind. Das war ein bestimmtes Werk. Der Apostel war nicht ungehorsam dem himmlischen Gesicht: er hatte die Nationen unterwiesen, sich zu Gott zu bekehren und danach als solche zu handeln, die sich also zu Ihm gewandt hatten. Dieserhalb suchten die Juden ihn zu ermorden.
Nichts ist einfacher und zuverlässiger als diese Geschichte. Sie setzt die Lage des Paulus und das Betragen der Juden ins hellste Licht. Von Festus, der natürlich dachte, dass es nichts als unvernünftiger Enthusiasmus sei, zur Ordnung gerufen (Apg 26, 24), beruft sich Paulus mit vollkommener Würde und schneller Unterscheidungskraft auf Agrippas Kenntnis von den Tatsachen, auf die dies alles gegründet war; denn die Sache war nicht in einem Winkel geschehen. Agrippa war nicht weit davon, überzeugt zu werden. Der Wunsch, den Paulus ausspricht, bringt die Sache zu ihrer moralischen Wirklichkeit zurück. Die Versammlung wird aufgelöst. Der König nimmt in Höflichkeit und Herablassung seinen königlichen Platz wieder ein und der Jünger den eines Gefangenen; aber was auch die Lage des Apostel sein mochte, wir erblicken in ihm ein durchaus glückliches und mit dem Geist und der Liebe Gottes erfülltes Herz. Zwei Jahre Gefangenschaft hatten weder sein Herz noch seinen Glauben niedergedrückt, sondern hatten ihn nur befreit von seiner ermattenden Verbindung mit den Juden, um ihm Augenblicke zu geben, die er in Gemeinschaft mit Gott zubrachte.
Agrippa – der überrascht und hingerissen wird von der klaren und gradsinnigen Erzählung – bezeugt, dass er in kurzem überredet sei, ein Christ zu werden (V. 28). Die Liebe hätte sagen können: „Wollte Gott, dass du einer würdest!“ Aber es gibt eine Quelle in dem Herzen des Apostels, die nicht aufhört mit: „Wollte Gott!“ Nein, er sagt: „Wollte Gott, dass nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden wie ich bin, ausgenommen die Bande“ (V. 29). Welch ein Glück und welch eine Liebe (und in Gott gehen beide zusammen) finden sich in diesen Worten ausgedrückt! Ein armer Gefangener, alt und verworfen, am Ende seiner Laufbahn, ist reich in Gott. Gesegnete Jahre, die er im Gefängnis zugebracht hatte! Er konnte sich als ein Muster des Glückes vorstellen, denn sein Herz war davon erfüllt. Es gibt Zustände der Seele, die sich untrüglich äußern. Und warum sollte Paulus nicht glücklich sein? Seine Trübsale und sein Werk waren gewissermaßen beendigt; er besaß Christus und in Ihm alles. Der verherrlichte Jesus, der ihn in die Beschwerden und die Arbeit des Zeugnisses hatte eintreten lassen, war jetzt sein Eigentum und seine Krone. Dies ist in einem christlichen Leben immer der Fall. Das Kreuz im Dienst – kraft dessen, was Christus ist – ist für die Seele der Genuss von allem, was Er ist, wenn der Dienst sein Ende erreicht hat, und ist in gewisser Hinsicht auch der Maßstab dieses Genusses. Dies war bei Christo selbst der Fall in seiner ganzen Fülle; und dies ist auch der Fall bei uns, in unserem Maß, nach der unumschränkten Gnade Gottes; allein der Ausdruck des Paulus setzt voraus, dass der Heilige Geist völlig in dem Herzen wirkt, so dass es frei ist, alles zu genießen; er setzt voraus, dass der Geist nicht betrübt ist.
Ein verherrlichter Jesus – ein Jesus, der ihn liebt – ein Jesus, der das Siegel seiner Genehmigung und Liebe auf seinen Dienst drückt – ein Jesus, der ihn zu sich in die Herrlichkeit aufnehmen wird und mit dem er vereinigt ist – ein Jesus, gekannt nach der überschwänglichen Kraft des Heiligen Geistes, nach der Gerechtigkeit Gottes – ein Jesus, der den Vater offenbart und durch den er den Platz der Annehmung hatte – dieser Jesus war für Paulus die unendliche Quelle der Freude, der herrliche Gegenstand seines Herzens und seines Glaubens und erfüllte, da er in Liebe gekannt war, sein Herz mit dieser Liebe, die gegen alle Menschen überströmte. Was konnte er seinen Zuhörern Besseres wünschen, als zu sein wie er war, ausgenommen seine Bande? Wie sollte er, mit dieser Liebe erfüllt, es nicht wünschen, oder von dieser starken Zuneigung nicht voll sein? Jesus war ihr Maßstab.
Nachdem seine Unschuld völlig ans Licht gestellt und von seinen Richtern anerkannt ist, müssen die Vorsätze Gottes dennoch erfüllt werden. Seine Berufung auf den Kaiser musste ihn nach Rom bringen, damit er auch dort Zeugnis ablegen möge. In seiner Stellung hier ist er wieder Jesus ähnlich, aber zugleich, wenn wir beide miteinander vergleichen, wird der Diener, so gesegnet er ist, verbleichen und von Christus überschattet, so dass wir nicht länger an ihn denken können. Jesus opferte sich in Gnade, Er berief sich nur auf Gott, Er antwortete nur, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; und diese Wahrheit war die Herrlichkeit seiner Person, Seiner eigenen Rechte, wie sehr Er auch erniedrigt war. Seine Person strahlt hervor durch all die finsteren Wolken der menschlichen Gewalt, die keine Macht über Ihn gehabt haben würde, wenn es nicht der Augenblick gewesen wäre, also den Willen Gottes zu erfüllen. Zu diesem Zweck gibt Er der Gewalt nach, die seinen Feinden von oben gegeben war. Paulus hingegen beruft sich auf den Kaiser. Er ist ein Römer; er besitzt eine menschliche Würde, die der Mensch verliehen hatte und bei dem Menschen gültig war. Paulus macht von dieser Würde Gebrauch für sich selbst, und Gott erfüllt also seine Ratschlüsse. Paulus wird gesegnet und sein Dienst; Christus ist vollkommen, der vollkommene Gegenstand des Zeugnisses selbst.
Jedoch, wenn es nun auch für Paulus keinen freien Dienst des Heiligen Geistes mehr gibt und er in den Händen der Römer ein Gefangener ist, so ist seine Seele doch wenigstens mit dem Geist erfüllt. Zwischen ihm und Gott ist alles Freiheit und Freude. Alles, was dem Apostel begegnet war, wird zu seiner Seligkeit, d. h. zu seinem endlichen Sieg in seinem Kampf mit Satan ausschlagen. Wie gesegnet, also reden zu können durch die Darreichung des Geistes Jesus Christus! Das Wort Gottes ist nicht gebunden. Andere gewinnen durch seine Bande mehr Kraft und Freimütigkeit, obwohl sie auch einige in dem niedrigen Zustand der Kirche zu ihrem Vorteil benutzen. Allein Christus wird gepredigt und verherrlicht werden, und damit ist Paulus zufrieden (Phil 1, 15–20). O wie wahr ist es, dass dies die vollkommene Freude des Herzens ist, es komme, was da wolle! Wir sind sowohl die Gegenstände der Gnade – Gott sei gepriesen! – als die Werkzeuge der Gnade im Dienst. Christus allein ist der Zweck der Wege Gottes und des vom Heiligen Geist erfüllten Herzens, und Gott sichert die Herrlichkeit Christi. Nichts mehr ist nötig. Dies selbst ist unser Teil und unsere vollkommene Freude.
Man wird in dieser merkwürdigen Geschichte sehen, dass in dem Augenblick, da Paulus am meisten in Not gewesen sein mag – in dem Augenblick, da sein Weg vielleicht am wenigsten nach der Kraft des Geistes war, da er Verwirrung in dem Rat hervorrief, indem er Gründe hervorbrachte, die er selbst nachher nicht gänzlich zu rechtfertigen den Mut hatte – dass in diesem Augenblick es ist, wo der Herr ihm voll Gnade erscheint, um ihn zu ermuntern und zu stärken. Der Herr, der ihn zuvor in Jerusalem weggehen hieß, weil sie sein Zeugnis nicht annehmen würden, der ihm Warnungen zukommen ließ, nicht dorthin zu gehen, der aber seine eigenen Vorsätze der Gnade in der Schwachheit und den Menschlichen Zuneigungen seines Knechtes und sogar durch dieselben erfüllte, indem Er zugleich in seiner göttlichen Weisheit durch dieselben Mittel eine heilsame Zucht an seinem teuren Knecht ausübte – dieser Jesus erscheint ihm, um ihm zu sagen, dass, so wie er von Ihm zu Jerusalem gezeugt habe, er auch in Rom zeugen müsse (Apg 23, 11). Auf diese Weise erklärt der Herr in Gnade die ganze Geschichte in dem Augenblick, da sein Knecht alles Peinliche in seiner Lage gefühlt haben mag und vielleicht davon überwältigt wurde, wenn er daran dachte, dass der Geist ihm untersagt hatte, nach Jerusalem zu gehen; denn in der Trübsal ist der Zweifel eine Pein. Der treue und gnadenreiche Heiland tritt deshalb dazwischen, um Paulus zu ermutigen und ihm seine eigene Deutung von der Lage seines armen Knechtes mitzuteilen und ihm den Charakter seiner Liebe zu bezeichnen. Wenn es zu seinem Besten wegen seines Zustandes und um ihn zu vollenden nötig war, Zucht auszuüben, so war Jesus mit ihm in derselben. Nichts ist rührender als die Zärtlichkeit und die passende Zeit dieser Gnade. Überdies, wie wir gesagt haben, erfüllte dies alles die Vorsätze Gottes in Betreff der Juden, der Nationen und der Welt; denn Gott kann auf einem Weg die verschiedensten Zwecke vereinigen.