Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum
Kommentar zum Hebräer-Brief

Kapitel 4

Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum

Wenn man Gott aus Unglauben aufgibt und sich durch den Betrug der Sünde verhärtet, wie es die Israeliten in der Wüste taten, ist die Folge, dass Gott sich erzürnt. So musste Er dem Volk damals den Eingang in die Ruhe Kanaans verschließen. Nachdem der Schreiber den Gedanke der Ruhe hier eingeführt hat, schließt er Ermahnungen an, die sich an die hebräischen Christen wenden.

„Fürchten wir uns nun, dass nicht etwa, da eine Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, hinterlassen ist, jemand von euch scheine zurückgeblieben zu sein“ (4,1).

Den Gläubigen war eine Verheißung hinterlassen, in die Ruhe Gottes einzugehen. Auf diese Verheißung mag das „heute“ in der weiter oben angeführten Stelle aus Psalm 95 hindeuten, einige Jahrhunderte nach dem Einzug der Israeliten in Kanaan geschrieben (vgl. Heb 4,7). Da die aus Ägypten ausgezogenen Israeliten wegen ihres Unglaubens in der Wüste gefallen sind, „fürchten wir uns nun, dass nicht etwa, da eine Verheißung in seine Ruhe einzugehen hinterlassen ist, jemand scheine zurückgeblieben zu sein.“ Sich auf der Erde niederzulassen, um sich hier bequem auszuruhen und dabei sowohl die Leiden als auch den guten Kampf zu vermeiden, der mit der Pilgerschaft des Glaubens verbunden ist, erweckt den Anschein, als ob man die Ruhe Gottes, die am Ende des Weges in Aussicht steht, aus den Augen verloren hätte.

„Denn auch uns ist eine gute Botschaft verkündigt worden, wie auch jenen; aber das Wort der Verkündigung nützte jenen nicht, weil es bei denen, die es hörten, nicht mit dem Glauben verbunden war“ (4,2).

Sowohl den Israeliten als auch uns ist die gute Botschaft der Ruhe verkündigt worden. Für uns aber ist es nicht die zeitliche Ruhe, sondern eine ewige.

Das Wort Gottes sicherte dem Volke den Eintritt in das gute Land Kanaan. Sie vernahmen dieses Wort, aber es nützte ihnen nichts, weil sie es nicht im Glauben aufnahmen, wie wir in 4. Mose 1314 sehen. Die Berichterstattung der Kundschafter wurde für sie zum Prüfstein. Ihr Unglauben wurde offenbar. Sie empörten sich und kamen in der Wüste um. Was nützen die Verheißungen Gottes in seinem Wort, wenn man sie nicht mit dem Herzen im Glauben annimmt? Nichts, das sagt unser Vers. Das ist sehr ernst!

„Denn wir, die wir geglaubt haben, gehen in die Ruhe ein, wie er gesagt hat: „So schwor ich in meinem Zorn: Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!“, obwohl die Werke von Grundlegung der Welt an geworden waren“ (4,3).

Hier haben wir die positive Seite der Wahrheit, die in Vers 2 enthalten ist. Diejenigen, die geglaubt haben, gehen in die Ruhe ein,“, und zwar im Gegensatz zu denen, deren Unglaube sie von der Ruhe ausgeschlossen hat. Der Glaube ist das Kennzeichen derer, die in die Ruhe eingehen. Es ist wohl eine zukünftige Ruhe, aber sie gehört ihnen, sie treten durch den Glauben schon jetzt in sie ein und sind davon überzeugt. Es ist die von Gott verheißene Ruhe, die seine eigene Ruhe ist.

„Denn er hat irgendwo von dem siebten Tag so gesprochen: Und Gott ruhte am siebten Tag von allen seinen Werken“ (4,4).

Die Werke Gottes waren von Grundlegung der Welt an erfüllt. Gott ruhte nach dem Schöpfungswerk am siebten Tag. Jene Ruhe lässt uns den Charakter der Ruhe erkennen, die noch zukünftig ist. Es wird eine Ruhe nach der Arbeit sein, aber es ist die Ruhe Gottes. Gott wird ruhen (oder schweigen) in seiner Liebe (Zeph 3,17). Und Er wollte, dass auch andere daran teilhaben und in diese Ruhe eingehen.

„Und an dieser Stelle wiederum: Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden! Weil nun übrig bleibt, dass einige in sie eingehen und die, denen zuerst die gute Botschaft verkündigt worden ist, des Ungehorsams wegen nicht eingegangen sind, so bestimmt er wiederum einen gewissen Tag: Heute, in David nach so langer Zeit sagend, wie vorhin gesagt worden ist: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht“ (4,5-7).

Gott ruhte am siebenten Tag. Diese Ruhe war nicht nur die Folge der Vollendung seines Werkes, sondern auch die erhabene Freude des Schöpfers an den Dingen, die Er erschaffen hatte: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mo 1,31). Der Mensch, sein verständiges Geschöpf, das Haupt der Schöpfung, war dazu bestimmt, in diese Ruhe einzugehen und an dieser Glückseligkeit teilzuhaben. Gott hatte zu diesem Zweck den siebten Tag geheiligt.

Aber der Mensch ist nicht nach seiner Erschaffung in die Ruhe Gottes eingegangen, denn erstens hatte er nicht gearbeitet, und darüber hinaus hat er durch seine Sünde die Verunreinigung und die Unordnung in die Schöpfung Gottes eingeführt. Auch die Israeliten haben durch ihren Unglauben und ihre Empörung den Eintritt in die Ruhe Kanaans verloren, aber Gott, der in seiner Gnade seinen Ratschluss der Liebe gegenüber dem Menschen nicht aufgibt, sondern nachdem dieser gefehlt hat, etwas Besseres einführt, bestimmt Er wiederum einen gewissen Tag, an dem einige, nämlich die Gläubigen, in seine Ruhe eingehen werden. Es ist jene Ruhe Gottes, die der Glaube schon jetzt festhält und die der Gläubige in Zukunft besitzen wird, nicht eine irdische, sondern eine himmlische Ruhe.

„Denn wenn Josua sie zur Ruhe gebracht hätte, so würde er danach nicht von einem anderen Tag geredet haben“ (4,8).

Die Einführung Israels in das verheißene Land durch Josua war nicht die endgültige Ruhe. Es war nur ein Bild davon. Der Schreiber des Briefes beweist es durch die angeführte Stelle, in der David lange Zeit nach Josua von einem anderen Tag spricht. Welcher Trost und welche Ermunterung lag für diese Christen, die durch Verfolgungen in ihrem Glauben erschüttert wurden, in der Gewissheit, dass es für sie doch noch eine kommende Ruhe gab!

Beachten wir auch hier, wie alles beiseite gesetzt wird, was sich auf die alte Ordnung der Dinge bezieht, um durch etwas Besseres ersetzt zu werden.

„Also bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig“ (4,9).

Das ist eine tröstliche Wahrheit! Sie muss noch kommen, aber sie ist gesichert: Es „bleibt“ eine Ruhe nach der Arbeit, den Kämpfen, den Mühen; das Volk Gottes wird in sie eintreten. 1 Es ist eine „Sabbatruhe“, d.h. eine bleibende Ruhe: Die Feier eines ewigen Sabbats, eine ewige Ruhe, die durch nichts getrübt wird. Das tausendjährige Reich wird die wahre irdische Ruhe für das irdische Volk Israel und für die ganze Erde sein, die unter der Herrschaft Christi gesegnet sein wird. Der Himmel aber wird der Ruheort für das himmlische Volk sein. Der dann folgende ewige Zustand, wo Gott alles in allem sein wird, wird die vollkommene und endgültige Ruhe für Gott und für alle Erlösten aller Zeiten und aller Haushaltungen sein. Dann wird Gott in all dem, was sein Herz erfreut, ruhen, und alle, die Ihm angehören, werden in seine Ruhe eingehen.

„Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch selbst zur Ruhe gelangt von seinen Werken, wie Gott von seinen eigenen“ (4,10).

Dieser Vers zeigt uns den Charakter der Ruhe, um die es in diesem Kapitel geht. Es ist die Ruhe, die der Arbeit folgt, wie sie auch für Gott auf die Schöpfung folgte. Die „Werke“ des Gläubigen umfassen nicht nur die Mühen, die aus dem Kampf gegen das Böse in ihm und um ihn herum hervorgehen, sondern auch die, die das Wirken des Guten zum Gegenstand haben. Sie umfassen alles, was der Christ nach dem Willen Gottes zu tun hat und was die Tätigkeit seines Lebens in der Wüste ausmacht. Wir werden von unseren Kämpfen und unseren guten Werken ausruhen. Jemand hat gesagt: „Die Mühen des neuen Menschen werden aufhören.“ Dabei ist unsere eigene Ruhe in der Ruhe Gottes eingeschlossen.

„Lasst uns nun Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle“ (4,11).

Das schreckliche Beispiel des Ungehorsams Israels in der Wüste und seiner Folgen wird noch einmal als Warnung vor die Augen der bekennenden Christen gestellt. Aber es liegt auch eine Ermunterung darin. Die Ruhe ist am Ende des Laufes, die Arbeiten und die Mühen jedoch sind gegenwärtig. Lasst uns daher allen Fleiß anwenden, diesen Lauf zu vollenden, ohne uns entmutigen zu lassen. Die Israeliten hatten das Wort Gottes, aber sie hatten Ihm nicht geglaubt und sind in der Wüste gefallen. Auch wir haben das Wort Gottes, das uns das Ziel zeigt und uns den Weg zur Ruhe vorzeichnet.

„Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Überlegungen des Herzens“ (4,12).

Der Schluss des Kapitels zeigt uns nun die wertvollen Hilfsquellen, die wir benötigen, um mutig voranzugehen, durch alles hindurch, was uns auf dem Weg zur Ruhe begegnen mag. Diese Hilfsquellen sind das Wort Gottes, das Hohepriestertum Christi und der Thron der Gnade. Das Wort Gottes ist so lebendig wie Gott selbst, der es uns gegeben hat. Es ist der Ausdruck seines Willens.

Es bringt verschiedene Wirkungen hervor:

  • Es ruft ins Dasein, wie es auch ins Nichts zurückkehren lässt.
  • Es wirkt auf die Seele und tut es mit göttlicher Kraft, was durch den Ausdruck „wirksam“ angezeigt wird.
  • Und um mit noch größerer Eindrücklichkeit zu zeigen, bis wohin seine Wirksamkeit geht, wird uns gesagt, dass es „schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert“.

Und wozu dienen dieses Leben, diese Energie und diese Kraft? Das Wort erreicht das Innerste des Menschen, ist durchdringend „bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes.“ Es trennt durch die Kraft der Wahrheit, was in unseren Gedanken aufs engste verbunden ist. Wenn die Seele (was von Natur aus so ist) ihre Gefühle mit dem vermengt, was geistlich ist, so lässt uns das Wort dies erkennen. Es zeigt uns als Offenbarung Gottes, was von Gott und was vom Ich ist. Die Gelenke und das Mark stellen das dar, was sowohl das Lebendigste als auch das Verborgenste ist.

Was ist nun die Auswirkung des Wortes beim Durchdringen unseres Inneren? Es beurteilt die Gedanken und Gesinnungen des Herzens. Es richtet die fleischlichen Gedanken, die den Unglauben hervorrufen und uns dazu führen, die himmlische Ruhe zu vernachlässigen, oder sie jetzt schon zu suchen. Es trennt in unseren Herzen das, was von Gott ist, von dem, was nicht von Ihm ist. Die Listen und Fallstricke unseres Herzens können für unser Leben ein Hindernis sein und dazu führen, dass wir unsere Stellung des Glaubens aufgeben.

Sogar die Beweggründe werden durch das Wort beurteilt. Meine Absicht mag mir gut erscheinen, aber erträgt sie die Beurteilung des Wortes? Gedanken, Wünsche, Beweggründe, alles muss durch das Wort beurteilt und kontrolliert werden, damit unser Leben in der Wüste durch nichts aufgehalten oder verlangsamt wird, sondern wir zum Ziel, zur Ruhe eilen können.

Wie ist dieses Wort daher als unser göttlicher Führer so wertvoll! Es richtet selbst die Wurzel der listigen Neigungen unseres Fleisches, so dass wir unseren Weg mit Freude und Vertrauen fortsetzen können.

„… und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (4,13).

Hier werden wir unvermittelt vom Wort Gottes zu Gott selbst hingeführt. Das ist verständlich, denn das Wort ist es, das uns zu Gott hinführt und in seine Gegenwart mit allem stellt, was es in uns aufdeckt. So, wie Gottes Auge über jedes seiner Geschöpfe wacht und sich niemand seinem Blick entziehen kann, so ist auch in uns „alles“ bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.

Wir würden vergeblich versuchen, irgendetwas vor Ihm verbergen zu wollen: Gedanken, Beweggründe, Absichten: Alles ist bloß und aufgedeckt vor Ihm. Unser Gewissen wird auf diese Weise seinem Blick unterstellt. Das ist ein ernster Gedanke, aber er ist auch sehr kostbar, denn es hat eine gesegnete Wirkung auf unsere Seele! So wird alles Böse beurteilt und wir können unseren Weg in Gemeinschaft mit Gott fortsetzen.

„Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns das Bekenntnis festhalten“ (4,14).

Mit diesem Vers beginnt das große Thema des Hohepriestertums Christi, dieser anderen Hilfsquelle, die uns gegeben ist, um uns auf unserem Weg durch die Wüste zu helfen. Dieser Gegenstand wird in den folgenden Kapiteln fortgesetzt.

Im ersten Vers des dritten Kapitels werden die heiligen Brüder ermahnt, den Apostel und Hohepriester unseres Bekenntnisses zu betrachten. Bis dahin haben wir den „Apostel“ betrachtet; jetzt aber werden wir uns mit dem „Hohepriester“ beschäftigen. Wenn einerseits das Wort Gottes das Böse in uns vorbehaltlos richtet, so ist uns anderseits das Hohepriestertum Christi als Hilfe in unseren Schwachheiten gegeben.

Wie im ersten Vers des dritten Kapitels der neue Gegenstand mit einer Ermahnung begonnen wurde, so ist es auch hier: „Da wir nun... so lasst uns das Bekenntnis festhalten.“ Es ist beachtenswert, mit welchem Nachdruck der Geist Gottes auf das Ausharren und das Festhalten des christlichen Bekenntnisses hinweist. Gleichzeitig aber stellt er auch die mächtigsten Beweggründe vor, damit wir an diesem Bekenntnis festhalten. Hier geht es um die Tatsache, dass wir „einen großen Hohepriester haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes“, und alles, was sich aus dieser Tatsache ergibt.

Betrachten wir zunächst die Person, die dieses Amt des Hohepriesters ausübt. Es ist Jesus, der Mensch auf dieser Erde war und als solcher in alles das eingetreten ist, was der Zustand des Menschseins auf der Erde einschließt. Er war Mensch, vollkommen und ohne Sünde. Dieser Jesus ist aber zugleich der Sohn Gottes. Das spricht von seiner Größe. Er ist daher nicht nur ein Hoherpriester, sondern ein großer Hoherpriester.

Achten wir auch auf den Ort, an dem das Priestertum ausgeübt wird: Er ist „durch die Himmel gegangen“. Damals ging Aaron am Sühnungstag, nachdem er alles ausgeführt hatte, was verordnet war, durch die verschiedenen Teile der Stiftshütte hindurch und trat schließlich in das Allerheiligste ein, wo sich die Bundeslade befand, die ein Bild des Thrones Gottes ist und wo der Herr seine Gegenwart offenbarte. So ist auch Christus, unser großer Hoherpriester, nachdem Er sich selbst geopfert hat, über alle Himmel hinaufgestiegen und in die Gegenwart Gottes eingetreten. Er ist nicht nur im Rang der Geister der vollendeten Gerechten und der Engel, sondern hat sich vielmehr zur Rechten der Majestät gesetzt, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Er hat einen Namen empfangen, der über jeden Namen ist. Alles ist seinen Füßen unterworfen. Dort im Himmel erscheint Er jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns.

„… denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“ (4,15).

Unser Hoherpriester hat Mitleid mit unseren Schwachheiten. Seine Größe hindert Ihn nicht daran. Wohl ist Er der Sohn Gottes, aber Er ist auch der Sohn des Menschen, und als solcher ist Er auf der Erde, wo Er gelebt hat, in allem versucht worden in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde.

Aber achten wir darauf: Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten, nicht jedoch mit unseren Sünden. Die Sünde wird durch das Wort verurteilt, und ich verurteile sie mit ihm. Er hat kein Mitleid mit der Sünde. Wenn wir gesündigt haben, so bekennen wir Gott unsere Sünde, und wir haben einen „Sachwalter“ bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten (1. Joh 2,1). Aber Er ist Hoherpriester, um Mitleid zu haben mit unseren Schwachheiten, unseren Unzulänglichkeiten, unseren Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Mühen, den Kämpfen und der Arbeit, die das Leben mit sich bringt. Für das alles finden wir in Ihm ein Herz voller Mitgefühl.

Weshalb dies? Weil Er selber „versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“. Man vermag Mitleid zu haben mit anderen, wenn sie Schmerzen empfinden, durch die man selbst hindurchgehen musste, und dies ist auch bei unserem Hohenpriester der Fall. Er ist „in allem versucht (oder geprüft) worden in gleicher Weise wie wir“. Wie wir schon im zweiten Kapitel gelesen haben, hat Er an Fleisch und Blut teilgenommen, Er ist wahrhaftig Mensch geworden und hat alle Dinge, denen Er begegnete, mit dem Herzen eines Menschen empfunden. Er war ein Mann der Schmerzen. Er war in Trübsal und Angst. Außer den sittlichen Leiden hat Er auch unsere physischen Schwachheiten empfunden: Müdigkeit, Hunger und Durst. Er hat den Widerspruch von den Sündern, die Ihm widerstanden haben, gegen sich erduldet. Er wurde von all den Listen Satans und der Menschen angefallen. Versucht vom Teufel, versucht von den Bösen, versucht durch die Jünger - nichts blieb Ihm erspart. Auf diese Weise wurde Er in allem seinen Brüdern gleich gemacht, damit Er für sie ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden konnte. Deshalb kann Er auch mitfühlen, Er empfindet sogar mit uns in seiner hohen Stellung der Herrlichkeit, die Er jetzt einnimmt, nachdem Er durch die Himmel gegangen ist, wo Er all diesen Schwachheiten und Leiden entrückt ist.

Aber vergessen wir es nicht: Wenn der Herr wahrer Mensch geworden und durch alles, was den Zustand des Menschen ausmacht, hindurchgegangen ist, so war dies „ausgenommen die Sünde“. Das bedeutet nicht nur, dass Er weder in Taten noch in Gedanken und Worten gefallen ist, sondern dass Er auch in sich selbst ohne Sünde ist. Wir dagegen sind aus dem Fleisch geboren und haben die Sünde im Fleisch in uns. Wir werden also von der Sünde versucht, die in uns wohnt und wir sündigen (Jak 1,14.15). Der Herr Jesus dagegen wurde durch den Heiligen Geist gezeugt und ist folglich ohne Sünde, unberührt von Begierden, so dass jede Prüfung für Ihn nur von außen kommen konnte. Aber die Schwachheiten, in denen wir uns befinden, hat auch Er empfunden. Daher kann Er jetzt, obwohl Er jedem Schmerz entrückt ist, aber mit der menschlichen Natur, in der Er in der Zeit seines Lebens Schmerz und Mattigkeit empfunden hat, in Liebe mitfühlen in allem, was uns auf dem Weg des Glaubens und der Treue begegnet.

Das führt uns zum dritten Punkt und Hilfsmittel: zum Thron der Gnade, der mit dem Hohenpriestertum Christi verbunden ist.

„Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe“ (4,16).

Für einen Sünder, der nicht gerechtfertigt ist, ist der Thron Gottes vor allem ein Thron der Heiligkeit, der Gerechtigkeit und des Gerichts. Vor diesen Thron geführt, muss er sagen: „Wehe mir!“ Dann aber lässt ihn Gott das Opfer Christi erkennen und die Gnade, die da vergibt und herrscht. Nun ist der Thron Gottes für den Erlösten ein Thron der Gnade geworden, und vor diesem Thron ist der Hohepriester Jesus, der Sohn Gottes, der alles vollbracht hat, was nötig war, damit wir vor Gott stehen könnten, und der Mitleid hat mit unseren Schwachheiten. Lasst uns daher unser Bekenntnis festhalten, denn Jesus ist immer da, um uns aufrecht zu halten!

Das Wissen um diese Dinge reicht allerdings nicht aus, wir müssen auch hinzutreten. Was uns hier gesagt wird - was der Herr ist, was Er getan hat, der Ort, wo Er sich befindet, was Er dort tut, und alles, was Er in seinem Herzen hat - ist dazu angetan, uns mit Vertrauen zu erfüllen. Wie können wir inmitten der Schwachheit, der Schwierigkeiten und der Anstrengungen des Feindes festhalten? „Lasst uns nun“, in diesem Gefühl unserer Bedürfnisse und unserer Ohnmacht, „mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade!“ Mit Vertrauen, denn Jesus ist da. Mit Vertrauen, denn es ist der Thron der Gnade, von dem wir keineswegs zurückgestoßen werden. Es ist das Herz Gottes selbst, das zu unseren Gunsten geöffnet ist. Lasst uns hinzutreten, um vor Gott zu sein, denn das ist unser kostbares Vorrecht.

Es wird uns nicht gesagt: Lasst uns vor den Hohepriester hintreten. Sondern wir dürfen direkt dem Thron der Gnade nahen, wo wir freien Zugang haben und wo wir alles für uns vorbereitet finden.

Wir benötigen diese Barmherzigkeit, wir armen und schwachen Geschöpfe, die selbst als Christen noch auf so manche Weise Fehler machen, und wir werden diese Barmherzigkeit am Thron der Gnade empfangen. Aber in unseren Kämpfen bedürfen wir auch der Gnade, und auch diese finden wir dort.

Wir benötigen sowohl Barmherzigkeit als auch Gnade. Sie sind rechtzeitig vorhanden, und durch sie wird uns rechtzeitig geholfen. Aber es gibt Zeiten, wo die Not größer ist und die Gefahr unmittelbarer. Lasst uns da mit Vertrauen zum Thron der Gnade gehen, wo die Hilfe schon bereit liegt und wo wir sie sozusagen nur ergreifen müssen!

Fußnoten

  • 1 Von unserer irdischen Beschäftigung hier auf der Erde ruhen wir nicht am Sabbat, der ein Bild von der Ruhe Gottes in Verbindung mit der ersten Schöpfung ist, sondern am Tag des Herrn (Sonntag). Dieser steht in Verbindung mit der neuen Schöpfung, die sich auf die Auferstehung des Herrn Jesu stützt.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel