Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum
Kommentar zum Hebräer-Brief

Kapitel 3

Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum

„Daher, heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesus, …“ (3,1).

Der erste Vers zieht aus den ersten zwei Kapiteln die Schlussfolgerung. Wir haben in diesen Kapiteln die unendliche Herrlichkeit der Person des Sohnes, der über die Engel erhaben war, und seine Menschwerdung gesehen. Als Mensch war Er der Apostel oder Gesandte Gottes, um mit uns zu reden. Er hat an Fleisch und Blut teilgenommen, an dem Zustand, in dem sich die Seinen, „die Kinder“, auch befanden. Er litt und starb, um sie zu befreien. Dann sehen wir Ihn, den Sohn des Menschen, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt zur Rechten Gottes, wartend, bis alle Dinge in Wirklichkeit seinen Füßen unterworfen sein werden. Und schließlich ist Er als Mensch auch ein barmherziger und treuer Hoherpriester, der, weil Er selber gelitten hat und versucht worden ist, jetzt auch denen zu helfen vermag, die versucht werden.

In diesem doppelten Charakter eines Apostels und Hohenpriesters sollen wir nun Jesus betrachten, und es ist bemerkenswert, dass Er uns hier unter seinem persönlichen Namen vorgestellt wird. Er, der ihn unter den Menschen auf der Erde getragen hat, ist es, welcher der Apostel, der Gesandte Gottes, geworden ist (Joh 20,21). Und im Himmel, wo Er sein erhabenes Priestertum ausübt, ist „Jesus“ auf immer der Name, der über allen Namen ist. Wie ist daher die Ermahnung, Ihn zu „betrachten“, so sehr am Platz, und wie redet dieser Name zu unseren Herzen!

Er ist der Apostel und Hohepriester unseres Bekenntnisses, das heißt des Christentums. Die Hebräer bekannten, Christen zu sein. Das ist der Boden, auf dem der Schreiber sie immer sieht. Dieses Bekenntnis war jedoch nicht bei allen echt. Das gab Anlass zu den in diesem Brief so häufigen Warnungen. Immerhin wird bei ihnen Aufrichtigkeit vorausgesetzt.

Sie sollten den Herrn da betrachten, wo Er jetzt auch ist: Zur Rechten der Majestät in den Himmeln. Weil sie es also mit einem himmlischen Christus zu tun hatten, obwohl sie den wahren Überrest Israels darstellten, waren sie Genossen der himmlischen Berufung, im Gegensatz zu der irdischen Berufung Israels. Als solche waren sie „heilig“, abgesondert.

„… der treu ist dem, der ihn bestellt hat, wie es auch Mose war in seinem ganzen Haus. Denn dieser ist größerer Herrlichkeit für würdig erachtet worden als Mose, insofern größere Ehre als das Haus der hat, der es bereitet hat. Denn jedes Haus wird von jemand bereitet; der aber alles bereitet hat, ist Gott. Und Mose zwar war treu als Diener in seinem ganzen Haus - zum Zeugnis von dem, was nachher geredet werden sollte -, …“ (3,2-5).

Wir finden hier einen dritten Wesenszug Christi: Er ist als Sohn über sein eigenes Haus gesetzt. Und in dieser Eigenschaft wird Er mit Mose verglichen, dessen Größe als Diener die Hebräer aufgrund des Zeugnisses des Herrn in 4. Mose 12,7 hätten hervorheben können. Aber auch dieser Vergleich lässt einen großen Gegensatz hervortreten: Mose war treu als Diener im ganzen Haus Gottes, im Haus Israel, dessen Befreier und Gesetzgeber er geworden war. Sein Charakter als Diener war Treue gegenüber Gott, dessen Worte er dem Volk überbrachte. Christus aber ist als Sohn, nicht als Diener, dem gegenüber treu, der Ihn als Apostel und Hohenpriester eingesetzt hat. Er ist treu über sein eigenes Haus, das christliche Haus. Hier ist die Kirche nicht als Leib vor uns, sondern als die Summe derer, die sich zum christlichen Glauben bekannten.

Mehr noch, Christus ist Gott, der Sohn. Das ist eine andere Herrlichkeit, die seine unendliche Erhabenheit über Mose zeigt. Gott ist es, der das Haus gebaut und aufgerichtet hat, mit allem, was dazu gehört und davon abhängig ist. Mose war nur ein treuer Diener in dem Haus seines Meisters, obwohl er einen hervorragenden Platz darin einnahm, er gehörte zum Haus. Christus, als Sohn, ist aber über sein eigenes Haus gesetzt, das Er selber gegründet hat. Mose ist nicht mehr unter uns, Christus aber bleibt und verwaltet sein eigenes Haus, zu dem wir gehören, und wir können auf Ihn, den allezeit treuen Verwalter, immer rechnen. Welche Gnade und welche Ermunterung!

„Christus aber als Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind, wenn wir nämlich die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung [bis zum Ende standhaft] festhalten (3,6).

„Dessen Haus wir sind“, sagt der Schreiber, indem er sich zu den hebräischen Gläubigen zählt, an die er sich wendet. Es geht hier um das Haus Gottes unter dem Gesichtspunkt der Verwaltung und nicht so sehr als Behausung Gottes. Da es sich um das Bekenntnis handelt, gehörten alle Hebräer, die sich zum Christentum bekannten, zu diesem Haus. Aber erst am Ende werden diejenigen offenbar, welche die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung standhaft festhielten. Die Bekenner ohne Leben scheiden unterwegs aus, aber die Bekenner, die das Leben besitzen, werden aufgefordert, bis zum Ende treu zu sein. Sie werden durch die Freimütigkeit, die das Christentum gibt und die herrliche Hoffnung, die damit verknüpft ist, aufrecht gehalten.

„Deshalb, wie der Heilige Geist spricht: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht, wie in der Erbitterung, an dem Tag der Versuchung in der Wüste, wo eure Väter mich versuchten, indem sie mich prüften, und sie sahen doch meine Werke vierzig Jahre. Deshalb zürnte ich diesem Geschlecht und sprach: Allezeit gehen sie irre mit dem Herzen; aber sie haben meine Wege nicht erkannt. So schwor ich in meinem Zorn: Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!“ (3,7-11).

„Deshalb“ - auch hier wird, ähnlich wie im ersten Vers, eine Ermahnung eingeführt, die sich auf das Vorangegangene bezieht. Im ersten Vers lautete die Ermahnung: „Betrachtet den …“, und hier: „Hört auf ihn.“ „Wie der Heilige Geist spricht.“ In diesem Brief finden wir, wenn eine Stelle aus dem Alten Testament angeführt wird, mehrere ähnliche Ausdrücke: „Der Heilige Geist zeigt an“ (Heb 9,8), „der Heilige Geist bezeugt“ (Heb 10,15). Auch darin haben wir ein Zeugnis für die göttliche Inspiration des Alten Testaments, wie übrigens auch in anderen Zitaten, die mit „Gott sagt“ oder „Er sagt“ eingeführt werden. Dies steht in völliger Harmonie sowohl zu den Eröffnungsworten unseres Briefes: „Nachdem Gott... ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten“ als auch zum Zeugnis des Herrn in den Evangelien. In diesen Zeiten des Unglaubens tun wir wohl, das zu beachten.

Diese Ermahnung sollte die hebräischen Christen vor der Gefahr schützen, ihr Vertrauen und ihre Hoffnung aufzugeben. In diesem Bestreben führt der heilige Schreiber Worte aus Psalm 95 an, wo der Psalmist an den Widerstand des Volkes, an dessen Ursache und dessen Folgen erinnert: Ihr Unglaube führte zum Ausschluss von Kanaan. Dann wendet er diese Worte im nächsten Vers auf die Empfänger des Briefes an.

„Gebt Acht, Brüder, dass nicht etwa in jemand von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen von dem lebendigen Gott, …“ (3,12).

Der Ursprung des Unglaubens ist im Herzen. Der Feind sucht, auf das böse Herz einzuwirken, um Misstrauen gegen Gott und seine Verheißungen hineinzupflanzen. Israel in der Wüste gab seinem bösen Herzen nach, obwohl es die Werke Gottes, seine Macht und seine Fürsorge, erfahren hatte. Es übergab sich dem Unglauben und verlor so die Zuversicht, die Gott ihm gegeben hatte, in Kanaan einzutreten und die Ruhe darin zu finden. Es empörte sich. Das ist die natürliche Neigung des Herzens. Die Hebräer sollten sich vor einer solchen Haltung hüten, damit die Verführung des Feindes sie nicht zu derselben Sünde verleitete. Der Unglaube ist eine Sünde, und die Sünde ist immer ein Betrug des Herzens. Wie feierlich ernst ist das Ergebnis des Unglaubens! Man gibt „den lebendigen Gott“ auf und stürzt sich so in den Tod. Was bleibt dann übrig?

„… sondern ermuntert euch selbst an jedem Tag, solange es „heute“ heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch Betrug der Sünde“ (3,13).

Jeder sollte vor sich selbst und vor den Listen seines eigenen Herzens auf der Hut sein. Gleichzeitig ist es nötig, einander zu ermahnen und zu ermuntern, und zwar „jeden Tag“. Jeder Christ hat diese Liebespflicht gegenüber seinen Brüdern zu erfüllen. Das gibt beiden die nötige Kraft. Man hat mehr Energie und Mut, wenn man zusammen kämpft, als wenn man es alleine tut. Das „jeden Tag“ ist sehr am Platz, weil wir jeden Tag, bis wir am Ziel angelangt sind, Prüfungen, Schwierigkeiten und Versuchungen begegnen. Darum wird hinzugefügt: „Solange es heute heißt“. Dieses Wort wird in den Kapiteln 3 und 4 fünfmal wiederholt. Dadurch wird die Wichtigkeit hervorgehoben, die der Heilige Geist ihm beimisst. Allein der gegenwärtige Augenblick gehört uns, über den morgigen Tag können wir nicht verfügen. Jeder Tag ist ein „heute“, bis wir am Ende unseres Weges in der herrlichen Ruhe angekommen sind. „Heute“, lässt sich die Stimme Gottes durch sein Wort vernehmen, nicht nur um Sünder zum Heil, sondern auch um die Christen zur Wachsamkeit und zum Ausharren aufzurufen. „Heute“ erinnert uns daran, dass auch ein Morgen, ein strahlender Morgen anbrechen wird, aber nicht für diese Erde. Wenn wir so auf uns Acht haben und uns „heute“, jeden Tag ermuntern, werden wir vor einer Verhärtung des Herzens bewahrt, wozu der Betrug der Sünde führen würde.

„Denn wir sind Genossen des Christus geworden, wenn wir nämlich den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten, …“ (3,14).

Es ist das kostbare und herrliche Vorrecht des wahren Christen, Genosse des Christus zu sein. Diese Genossen wurden schon in Kapitel 1,9 erwähnt. Sie haben teil an seinem Leben und dann auch an seiner Herrlichkeit. Sie gehen auf dem Weg, den Er gebahnt und auf dem auch Er gegangen ist, und werden auch dasselbe Ziel erreichen. Nur weil die gläubigen Hebräer mit Bekennern vermischt waren, wird hier eine Einschränkung gemacht: „wenn wir anders den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten“. Dieser Platz der Genossen des Christus ist unser Platz, wenn wir bis zum Ende die Zuversicht festhalten. Das berührt überhaupt nicht die Heilssicherheit des wahren Gläubigen. Wir sind jeden Augenblick von Gott abhängig, und Er ist bis zum Ende treu. Aber auch wir sollen bis zum Ende treu sein.

„… indem gesagt wird: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht, wie in der Erbitterung“ (3,15).

Dieser Vers ist mit dem vorhergehenden verbunden. Wir finden darin einen dringenden Beweggrund, die Hoffnung, die uns von Anfang an gestützt hat, bis zum Ende nicht loszulassen: „Indem gesagt wird“.

Der Brief ist voll an Ermahnungen und Warnungen, denen wir eine ernste Aufmerksamkeit schenken sollen.

„(Denn welche, als sie gehört hatten, haben ihn erbittert? Waren es aber nicht alle, die durch Mose aus Ägypten ausgezogen waren? Welchen aber zürnte er vierzig Jahre? Nicht denen, die gesündigt hatten, deren Leiber in der Wüste fielen? Welchen aber schwor er, dass sie nicht in seine Ruhe eingehen sollten, wenn nicht denen, die ungehorsam gewesen waren? Und wir sehen, dass sie nicht eingehen konnten wegen des Unglaubens)“ (3,16-19).

Diese Verse, die sich auf das Leben und die Sünde Israels in der Wüste beziehen, bilden eine Einschaltung. Sie stellen uns ein Beispiel vor, das uns zeigt, was aus denen werden kann, die sich nur äußerlich zum Christentum bekennen.

Das Volk hatte unter der Führung Moses das Land Ägypten verlassen. Sie alle hatten die Stimme Gottes vernommen, hatten sich aber trotzdem gegen Ihn erhoben und Ihn erbittert. Während der vierzig Jahre Wüstenreise zürnte Er ihnen. Wegen ihrer Sünde führte Gott das Urteil über sie aus, dass Er ausgesprochen hatte, und ihre Leiber fielen in der Wüste (4. Mo 14,22.23.29.32). Sie durften nicht in die verheißene Ruhe eingehen. Ihr Unglaube hinderte sie daran.

Die Warnung richtet sich an die, die sich zum Christentum bekennen, sich aber entmutigen lassen und, wegen ihres Unglaubens, nicht bis zum Ende festhalten. In erster Linie galt diese Warnung den Hebräern, die sich auf den christlichen Weg begeben hatten, nachdem sie den Herrn als den verheißenen Messias aufgenommen hatten. Nun aber schienen sie durch die Schwierigkeiten des Weges, die Prüfungen und Verfolgungen entmutigt zu sein. Sie wurden daher ermahnt, die verheißene Hoffnung im Glauben festzuhalten und sich davor zu hüten, aufzugeben und so den Genuss an der Ruhe Gottes zu verlieren. Diese Ruhe ist der Gegenstand des folgenden Kapitels.

Erinnern wir uns noch einmal daran, dass diese Ermahnungen und Warnungen, diese wiederholten „wenn“, in keiner Weise die Sicherheit des Gläubigen antasten, der sich auf den Gott stützt, der keinen Fehler macht. Solche ziehen aus den gegebenen Warnungen Nutzen und wachen, um bis an das Ende des Weges im Glauben auszuharren.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel