Der verheißene König und sein Reich
Kommentar zum Matthäus-Evangelium

Kapitel 27

Der verheißene König und sein Reich

Judas und sein Ende (27,1–10)

„Als es aber Morgen geworden war, hielten alle Hohenpriester und Ältesten des Volkes Rat gegen Jesus, um ihn zu Tode zu bringen. Und nachdem sie ihn gebunden hatten, führten sie ihn weg und überlieferten ihn [Pontius] Pilatus, dem Statthalter. Als nun Judas, der ihn überliefert hatte, sah, dass er verurteilt wurde, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberstücke den Hohenpriestern und Ältesten zurück und sagte: Ich habe gesündigt, indem ich schuldloses Blut überliefert habe. Sie aber sagten: Was geht das uns an? Sieh du zu. Und er warf die Silberstücke in den Tempel und machte sich davon und ging hin und erhängte sich. Die Hohenpriester aber nahmen die Silberstücke und sprachen: Es ist nicht erlaubt, sie zu dem Korban zu geben, da es ja Blutgeld ist. Sie hielten aber Rat und kauften dafür den Acker des Töpfers als Begräbnisstätte für die Fremden. Deswegen ist jener Acker Blutacker genannt worden bis auf den heutigen Tag. Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremia geredet ist, der spricht: 'Und sie nahmen die dreißig Silberstücke, den Preis des Geschätzten, den man geschätzt hatte seitens der Söhne Israels, und gaben sie für den Acker des Töpfers, wie mir der Herr befohlen hat'“ (27,1–10).

Der Tod des Herrn wurde in einer geheimen Sitzung beschlossen, die nach seiner Festnahme bei Kajaphas abgehalten worden war (Mt 26). In einer weiteren Versammlung der Hohenpriester und Ältesten wurde das Todesurteil offiziell bestätigt. Zu diesem Zweck kam der Rat schon früh am Morgen zusammen. Das Wort schweigt über das, was man mit Ihm getan hat, nachdem Er einige Stunden zuvor vor Kajaphas erscheinen musste. Jetzt banden sie Ihn und überlieferten Ihn dem Pilatus, dem römischen Landpfleger, der allein zuständig war, seinen Kreuzestod anzuordnen und Ihn zur Hinrichtung zu führen.

Als Judas seinen Meister verurteilt sah, öffneten sich seine Augen über die Schrecklichkeit seiner Handlung. Von Gewissensbissen gequält brachte er die 30 Silberstücke denen zurück, die sie ihm ausgehändigt hatten. Dabei bekannte er seine Ungerechtigkeit und sagte: „Ich habe gesündigt, indem ich schuldloses Blut überliefert habe.“ Dieses Bekenntnis fand solche, die genau so verhärtet waren, wie er selber, denn die Hohenpriester und die Ältesten kümmerten sich so wenig um seine Gewissensbisse wie um die Unschuld des Herrn. Sie antworteten ihm: Was geht das uns an? Sieh du zu.“

Ihre Pläne kamen doch zur Ausführung, was wollten sie noch mehr? Judas hatte wahrscheinlich gedacht, der Herr würde seinen Verfolgern entweichen, wie Er es schon mehrere Male getan hatte. Dann hätte Judas sein Geld auch besser genießen können (vgl. Lk 4,29.30; Joh 8,59; 10,39). Als nun Judas den Herrn Jesus verurteilt sieht, befällt ihn die Verzweiflung. Nachdem er das Geld in den Tempel geworfen hat, erhängt er sich. Er hatte in Verblendung dahingelebt, obwohl er oft mit dem Herrn gegangen war. Seine Geldgier hatte dem Feind einen leichten Sieg über seine Seele gegeben. Nach dem Verrat an seinem Meister fand er weder bei den Menschen noch bei Satan Mitleid. Jeder Hilfsquelle beraubt, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in den Abgrund zu stürzen, wo er den Tag erwarten muss, da er vor dem erscheinen wird, den er für 30 Silberstücke verkauft hat.

Die Hohenpriester, gewissenlos und peinlich genau wie sie waren, wollten nicht, dass dieses Geld in den geheiligten Opferkasten käme, weil es ein Preis für Blut war. Sie beschlossen, dafür den Acker des Töpfers zum Begräbnis für die Fremdlinge zu kaufen. Aber eine Absonderung von den Fremden hatte doch keine Berechtigung mehr! Sie hatten sich ja gegen den Gott aufgelehnt, der sie aus allen Familien der Erde herausgerufen hatte. Sie hatten sich mit den Nationen eins gemacht, um ihren Messias zu verwerfen, und Gott war jetzt daran, sie als Volk zu verwerfen und unter die Nationen zu zerstreuen.

Die Herkunft dieses Geldes gab Veranlassung, diesen Acker als „Blutacker“ zu bezeichnen. Die Juden erfüllten auf diese Weise eine Prophezeiung, die sie hätten kennen sollen: „Und sie nahmen die dreißig Silberstücke, den Preis des Geschätzten, den man geschätzt hatte seitens der Söhne Israels, und gaben sie für den Acker des Töpfers, wie mir der Herr befohlen hat“ (Mt 27,9.10; Sach 11,12.13).

Der Herr vor Pilatus (27,11–26)

„Jesus aber stand vor dem Statthalter. Und der Statthalter fragte ihn und sprach: Bist du der König der Juden? Jesus aber sprach: Du sagst es. Und als er von den Hohenpriestern und Ältesten angeklagt wurde, antwortete er nichts. Da spricht Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, wie vieles sie gegen dich vorbringen? Und er antwortete ihm auch nicht auf ein einziges Wort, so dass der Statthalter sich sehr verwunderte. Zum Fest aber war der Statthalter gewohnt, der Volksmenge einen Gefangenen freizulassen, den sie wollten. Sie hatten aber damals einen berüchtigten Gefangenen, genannt Barabbas. Als sie nun versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Wen wollt ihr, dass ich euch freilassen soll, Barabbas oder Jesus, der Christus genannt wird? Denn er wusste, dass sie ihn aus Neid überliefert hatten. Während er aber auf dem Richterstuhl saß, sandte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten; denn viel habe ich heute im Traum gelitten um seinetwillen. Die Hohenpriester aber und die Ältesten überredeten die Volksmengen dazu, Barabbas zu erbitten, Jesus aber umzubringen. Der Statthalter aber antwortete und sprach zu ihnen: Welchen von den zweien wollt ihr, dass ich euch freilasse? Sie aber sprachen: Barabbas. Pilatus spricht zu ihnen: Was soll ich denn mit Jesus tun, der Christus genannt wird? Sie sagen alle: Er werde gekreuzigt! Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie aber schrien übermäßig und sagten: Er werde gekreuzigt! Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern vielmehr ein Tumult entstand, nahm er Wasser, wusch sich die Hände vor der Volksmenge und sprach: Ich bin schuldlos an dem Blut dieses [Gerechten], seht ihr zu. Und das ganze Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder! Dann ließ er ihnen Barabbas frei; Jesus aber ließ er geißeln und überlieferte ihn, damit er gekreuzigt würde“ (27,11–26).

Der Herr wurde gebunden vor den römischen Landpfleger geführt, der Ihn fragte: „Bist du der König der Juden? Jesus aber sprach: Du sagst es.“ Man begreift, weshalb die Juden Ihn bei Pilatus anklagten. Er erhebt Anspruch auf das Königtum: Dies schien ihnen ein gutes Mittel zu sein, den Landpfleger zu gewinnen und bei ihm die Verurteilung zu bewirken. Pilatus musste die kaiserliche Autorität gegen jeden anderen Machtanspruch verteidigen. Der Herr leugnete sein Anrecht auf den Thron nicht. Er bezeugte, was der Apostel Paulus „das gute Bekenntnis vor Pontius Pilatus“ nennt (1. Tim 6,13). Da dieses Bekenntnis nicht dazu führte, dass Pilatus Ihn verurteilte, fuhren die Hohenpriester und die Ältesten fort, Ihn zu beschuldigen. Er aber antwortete nichts darauf.

Nun sagte Pilatus zu Ihm: „Hörst du nicht, wie vieles sie gegen dich vorbringen?“ Zum großen Erstaunen des Landpflegers antwortete Er ihm auch nicht auf ein einziges Wort. Was hätte es genützt, wenn Er sich in diesem Augenblick verantwortet hätte? Sein ganzes Leben hatte bewiesen, dass Er als der Gesandte Gottes unter dem Volk war, und nichts konnte die Juden davon überzeugen. Die Bosheit des Menschen musste sich durch den Kreuzestod des Herrn bis zum äußersten kundtun, auf Golgatha, wo auch Gott offenbart werden sollte.

Um den Juden zu gefallen, hatte Pilatus die Gewohnheit, auf das Passah einen Gefangenen nach ihrer Wahl loszugeben. In seiner Verlegenheit, über den Herrn ein richterliches Urteil zu fällen, den er nicht für schuldig hielt, machte er ihnen den Vorschlag: Entweder er würde den Herrn gehen lassen oder er würde einen berüchtigten Gefangenen mit Namen Barabbas an sie losgeben.

Während Pilatus auf dem Richterstuhl saß, ließ ihm seine Frau sagen: „Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten; denn viel habe ich heute im Traum gelitten um seinetwillen.“ Gott wollte, dass in jenem Augenblick durch eine Heidin ein Zeugnis über die Gerechtigkeit seines Sohnes abgelegt würde, und dies in Gegenwart derer, die zwar „die Seinen“ genannt wurden, ihn aber nicht aufgenommen hatten (Joh 1,11).

Dieses Zeugnis erhöhte das Unbehagen des Pilatus, aber die Hohenpriester und die Ältesten stachelten die Volksmenge auf, Barabbas loszulassen und den Herrn umbringen zu lassen. Der Statthalter aber antwortete und sprach zu ihnen: Welchen von den zweien wollt ihr, dass ich euch freilasse? Sie aber sprachen: Barabbas. Pilatus spricht zu ihnen: Was soll ich denn mit Jesus tun, der Christus genannt wird? Sie sagen alle: Er werde gekreuzigt! Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie aber schrien übermäßig und sagten: Er werde gekreuzigt! Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern vielmehr ein Tumult entstand, nahm er Wasser, wusch sich die Hände vor der Volksmenge und sprach: Ich bin schuldlos an dem Blut dieses Gerechten, seht ihr zu. Und das ganze Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder! Dann ließ er ihnen Barabbas frei; Jesus aber ließ er geißeln und überlieferte ihn, damit er gekreuzigt würde.“

Diese Szene ist ein erschreckendes Bild von dem natürlichen Herz des Menschen. Wir sehen hier, wie die Führer des Volkes zwar religiös und streng gesetzlich waren, aber dennoch gewissenlos, von blindem und von fanatischem Hass gegen Gott erfüllt waren. Sie beeinflussten die Volksmenge, so dass diese von Pilatus gegen dessen Willen die Freilassung von Barabbas verlangten, anstatt die Freilassung des Herrn. Und Er hatte ihnen doch in seinem Dienst seine Liebe erfahren lassen! Als Vertreter der Autorität, die Gott den Nationen anvertraut hatte, aber den Juden machtlos gegenüberstehend, gibt Pilatus ihrem Drängen nach, weil er inmitten eines Volkes, das ihn wegen des römischen Joches hasste, mehr für seinen eigenen Ruf besorgt war als für die Ausübung des Rechts.

Es ist auffallend, dass Matthäus in seiner Beschreibung die Verantwortung der Juden in der Verwerfung ihres Messias hervorhebt. Auf ihnen lastet besonders die Schuld des Todes des Christus. Sie nehmen die Folgen sogar willig auf sich, indem sie sagen: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“

Muss man sich da noch wundern über alles das, was dieses Volk gelitten hat und noch leiden wird, bis sie sich zu dem wenden, „den sie durchstochen haben“? Alle Grausamkeiten, die das Judenvolk seit der Einnahme Jerusalems bis zu unseren Tagen in verschiedenen Ländern erduldet hat, sind wie ein Wiederhall ihres Geschreies vor Pilatus.

Doch haben auch die Nationen ihren Anteil der Verantwortung an dem Tod Jesu. Der römische Landpfleger, der Gott weder kannte noch fürchtete, wiewohl er von Ihm die Macht empfangen hatte, gebrauchte seine Autorität nur zur Geißelung und Kreuzigung dieses Menschen, von dessen Unschuld er überzeugt war, anstatt vor einem Volk, das ihm unterstellt war, die Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Er glaubte, sich seiner Verantwortung entledigen zu können, indem er seine Hände wusch, und meinte, dadurch den ganzen Fehler auf die Juden abwälzen zu können. Aber vor Gott ist jeder für sein eigenes Tun verantwortlich. Wie die Handlung des Judas die Obersten der Juden nicht von ihrer Schuld befreite, so wird auch das Tun der Juden den Pilatus am Tag des Gerichts nicht von seiner Schuld freisprechen. Jeder wird nach seinen eigenen Werken und nach seiner eigenen Verantwortung gerichtet werden.

Die Neigung des Menschen, seinen Fehler auf jemand anderes zu schieben, hat seine Wurzel bereits im Sündenfall. Schon die ersten Menschen handelten in dieser Weise. Adam schob seinen Fehler auf seine Frau, ja auf Gott selbst, indem er sagte: „Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum“, und die Frau sagte: „Die Schlange betrog mich“ (1. Mo 3,12.13). Man kann sich von dem Bösen, das man verübt hat, nicht lossprechen. Um Vergebung und Reinigung zu empfangen, muss man seine Sünde bekennen und sich darüber beugen. Nur Gott kann rechtfertigen, aber der Sünder kann sich nicht selbst rechtfertigen.

Inmitten dieser Szene, wo alle Menschen Gelegenheit haben zu zeigen, was sie vor Gott sind, in einer Art und Weise, wie selbst das Gesetz es nicht darzulegen vermochte, steht Jesus allein als der göttliche, vollkommene Mensch inmitten der Sünder da. Als freiwilliges Opfer nimmt Er alles entgegen, was Ihm die Menschen auf dem Weg zum Kreuz an Bösem zufügen, wo Er Gott verherrlichen sollte. Durch seinen Tod können jetzt Menschen, wie du und ich, durch Glauben errettet werden.

Welche Liebe und welche Dankbarkeit schulden wir dem, der sich um unsertwillen, wie ein Schaf zur Schlachtung, ans Kreuz führen ließ!

Die Kreuzigung (27,27–44)

„Dann nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Schar. Und sie zogen ihn aus und legten ihm einen scharlachroten Mantel um. Und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie ihm auf das Haupt und gaben ihm einen Rohrstab in die Rechte; und sie fielen vor ihm auf die Knie und verspotteten ihn und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie spien ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihm auf das Haupt. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine Kleider an; und sie führten ihn weg, um ihn zu kreuzigen. Als sie aber hinausgingen, fanden sie einen Menschen von Kyrene, mit Namen Simon; diesen zwangen sie, sein Kreuz zu tragen. Und als sie an einen Ort gekommen waren, genannt Golgatha, das heißt Schädelstätte, gaben sie ihm Wein, mit Galle vermischt, zu trinken; und als er es geschmeckt hatte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider unter sich, indem sie das Los warfen. Und sie saßen und bewachten ihn dort. Und sie brachten oben über seinem Haupt seine Beschuldigungsschrift an: Dieser ist Jesus, der König der Juden. Dann werden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer auf der rechten und einer auf der linken Seite. Die Vorübergehenden aber lästerten ihn, indem sie ihre Köpfe schüttelten und sagten: Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst. Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz! Ebenso spotteten auch die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist Israels König; so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir wollen an ihn glauben. Er vertraute auf Gott, der rette [ihn] jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn. - Auf dieselbe Weise aber schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren“ (27,27–44).

Als Pilatus sein ungerechtes Urteil gefällt hatte, versammelten die Kriegsknechte die ganze Schar 1 gegen den Herrn. Nachdem der Herr vor die Obersten der Juden und dann vor den römischen Landpfleger gestellt worden war, kam er in die Hände der Kriegsknechte, die die Gelegenheit wahrnahmen, um in roher und brutaler Weise in seiner Person die Juden zu verspotten, indem sie Ihn misshandelten und Ihm unsägliche Leiden zufügten, bevor Er gekreuzigt wurde. Sie zogen Ihm seine Kleider aus und bekleideten Ihn mit einem Purpurmantel. Auch flochten sie eine Krone aus Dornen, setzten sie auf sein Haupt und gaben Ihm ein Rohr in seine Rechte, das ein Zepter andeuten sollte.

Zum Gespött als König bekleidet, hat unser geliebter Heiland Hohn, Schmach und Schande von diesen rohen Leuten erlitten, die ihre Knie vor Ihm beugten und zu Ihm sagten: „Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie spien ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihm auf das Haupt.“ Unter diesen Schlägen drangen die Dornen auf grausame Weise in die Stirn des vollkommenen Menschen, dessen Herz genauso von Schmerz gemartert war wie die Stirn. Auf diese demütigende und qualvolle Weise hat Er den Widerspruch der Sünder gegen sich erduldet (Heb 12,3). Aber der Tag wird kommen, wo diese heidnischen Soldaten wie auch alle anderen Menschen, ihre Knie vor demselben Herrn beugen werden, wenn Er offenbart sein wird in Herrlichkeit. Hier jedoch war der König der Könige und der Herr der Herren das wehrlose Opfer, das ans Kreuz ging, um dort für sündige Menschen das Werk der Erlösung zu vollbringen. Zu jener feierlichen Stunde sollte sich der Hass der Menschen gegen Gott und seine Liebe zu uns am Kreuz begegnen.

Gott gebe, dass jetzt noch viele ihre Knie vor Ihm, dem Heiland und Herrn, beugen und in Freiwilligkeit Ihm Dank bringen für die Liebe, die Er uns im Vollbringen des Erlösungswerkes erwiesen hat! Sonst müssen sie es einst vor Ihm als dem Richter tun!

Nachdem die Kriegsknechte Ihn verspottet hatten, zogen sie Ihm den Purpurmantel aus und zogen Ihm seine eigenen Kleider an. Dann führten sie Ihn nach Golgatha, um Ihn zu kreuzigen. Gewöhnlich trug der Verurteilte sein Kreuz selbst an den Ort der Hinrichtung. In Johannes 19,17 heißt es: „Sein Kreuz tragend, ging er hinaus.“ Hier lesen wir: „Als sie aber hinausgingen, fanden sie einen Menschen von Kyrene, mit Namen Simon; diesen zwangen sie, sein Kreuz zu tragen.“ Es besteht kein Widerspruch zwischen diesen beiden Aufzeichnungen: Simon ging in dem Augenblick vorbei, als der Herr mit dem Kreuz beladen hinausging, und man zwang ihn, es für Ihn zu tragen. Warum? Das Wort sagt nichts darüber.

An der Schädelstätte angekommen, gaben Ihm die Kriegsknechte Wein mit Galle vermischt zu trinken. Es war ein Getränk, das die Schmerzen während der Kreuzigung etwas betäuben sollte. Aber als Er es geschmeckt hatte, weigerte Er sich, es zu trinken. Er wollte mit vollem Bewusstsein alles das auf sich nehmen, was über Ihn kommen sollte. Er zog es vor, sein Vertrauen auf seinen Vater zu setzen, der Ihm alles darreichen würde, was Er nötig hatte, um die Leiden bis zum Ende zu erdulden.

Seiner Kleider entblößt wurde Er zwischen zwei Übeltätern gekreuzigt. Die Kriegsknechte teilten seine Kleider unter sich und erfüllten damit unwissentlich das, was in Psalm 22,19 geschrieben steht: „Sie teilen meine Kleider unter sich.“ Nach beendetem Werk setzten sie sich, um Ihn zu bewachen. Über seinem Haupt befestigten sie seine Beschuldigungsschrift an das Kreuz, die nichts anderes enthielt, als sein „schönes Bekenntnis“ vor Pontius Pilatus, und die dieser selber geschrieben hatte: „Dieser ist Jesus, der König der Juden.“ Das Zeugnis von dem, was der Herr für das Volk war, sollte trotz des Widerstandes der Juden bis zum Ende öffentlich bekannt gegeben werden.

Die Vorübergehenden lästerten Ihn, indem sie ihre Köpfe schüttelten und seine Worte über den Tempel zum Gespött machten. Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten verspotteten Ihn und sagten: „Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist Israels König; so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir wollen an ihn glauben. Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn.“ Alles das, was sein Herz am meisten berührte, wurde mit Füßen getreten, in jenem Augenblick, wo die furchtbare Prüfung nur seine Vollkommenheiten zum Ausdruck brachte. Er tat seinen Mund nicht auf. Hier geschah es, dass Er nach Psalm 22 von einem reißenden und brüllenden Löwen, von Stieren von Basan und von einer Rotte von Übeltätern umgeben war. Sogar die Räuber, die mit Ihm gekreuzigt waren, schmähten Ihn.

Es ist daher leicht zu verstehen, dass schreckliche Gerichte folgten und noch folgen werden auf diese Bosheit, die seine Peiniger und ganz besonders die Juden an der anbetungswürdigen Person des Herrn Jesus ausübten. Denn alle Leiden, die Er von den Menschen erduldet hat, ziehen nicht das Heil der Sünder, sondern Gerichte nach sich, wie sie in den Psalmen und Propheten vorausgesagt wurden.

Wie ist doch alles dazu angetan, unsere Herzen für seine anbetungswürdige Person zu erwärmen, wenn wir Ihn sehen, wie Er der Bosheit des Menschen wehrlos ausgesetzt seinen Mund nicht auftat und stillschweigend den „so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldete“. Seine Feinde hätte er durch ein einziges Machtwort vernichten können. Seine Liebe zu Gott, den Er um jeden Preis in seinem Leben wie in seinem Tod zu verherrlichen suchte, und auch seine Liebe zu den Sündern, die Er erretten wollte, waren die Beweggründe, die Ihn veranlassten, alles das anzunehmen. Können wir diese Szene von Golgatha betrachten, ohne dass unsere Herzen Ihm gegenüber von Liebe und Dankbarkeit erfüllt werden, der sich unter das Gericht stellte, das wir verdient haben? Wie sollte diese Szene aber auch die Herzen aller Unerretteten zu einem solchen Heiland ziehen!

Das Verlassensein von Gott (27,45–49)

„Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf mit lauter Stimme und sagte: Eli, Eli, lama sabachthani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Als aber einige der Dastehenden es hörten, sagten sie: Dieser ruft Elia. Und sogleich lief einer von ihnen und nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und legte ihn um einen Rohrstab und gab ihm zu trinken. Die Übrigen aber sagten: Halt, lasst uns sehen, ob Elia kommt, um ihn zu retten!“ (27,45–49).

Mit diesen Versen beginnt eine neue Szene. Sie ist unmöglich zu beschreiben, aber wir finden ihre ganze Erklärung in dem Schmerzensschrei des Herrn: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wir waren Zeugen der Leiden seiner Seele in Gethsemane, wo Er der Macht Satans gegenüberstand. Satan benutzte die kommenden Schrecken des Todes am Kreuz dazu, Ihn angesichts eines solchen Todes zum Rückzug zu veranlassen. Wir haben in schwachem Maß auch etwas von seinen seelischen und körperlichen Qualen mitempfunden, welche die hasserfüllten Menschen Ihm zugefügt hatten. Das alles war aber nur der Weg, auf dem Er als freiwilliges Opfer sich Gott zur Verfügung stellte, um von seiner Seite das Gericht zu erdulden, das für uns, die Schuldigen, nötig war.

Es ist wohl zu beachten, dass die Leiden, die jener furchtbaren sechsten Stunde vorausgingen, keine einzige Sünde sühnen konnten. Wenn der Herr auf die Herausforderung der Obersten des Volkes vom Kreuz herabgestiegen wäre, so wäre kein einziger Sünder errettet worden. Alle jene Leiden zogen, wie wir bereits darauf hingewiesen haben, die Gerichte Gottes auf den Menschen herab und dienten nicht zu dessen Errettung.

„Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde (3 Uhr nachmittags).“ Diese Finsternis unterbrach die Kundgebung des Hasses der Menschen Jesu gegenüber und trennte Ihn vollständig von der vorangegangenen Szene, wo Er von den Menschen zu leiden hatte. Es brachen nun die drei Stunden an, wo Er, zwischen Himmel und Erde hängend, zum Gericht für uns, von Gott verlassen wurde, damit Er die Sühnung für unsere Sünden würde. Er litt von Seiten eines gerechten und heiligen Gottes und trug die Strafe, die alle verdienten, die errettet werden sollten, damit Gott jedem, der da glaubt, ewiges Leben geben könne.

Dort auf dem Fluchholz blieb Ihm nichts erspart. Wenn die Menschen am Tag des Gerichts von jedem unnützen Wort, das sie ausgesprochen haben, Rechenschaft ablegen werden (Mt 12,36), so hat der Herr für jedes dieser Worte unter dem Gericht Gottes leiden müssen, damit durch den Glauben alle Menschen, die sie ausgesprochen haben, Vergebung empfangen möchten. Es ist ein vollständiges Gericht, wie es beim Sündopfer durch das Feuer dargestellt wurde, welches das ganze Opfer verzehrte (3. Mo 16,27).

Darum können wir die Leiden nicht beschreiben, die Er von Seiten Gottes wegen der Sünde erlitten hat. Wir armen, elenden Sünder haben sie auf den Sohn Gottes herabgezogen. Er hat diese Sünden freiwillig auf sich genommen, damit wir davon verschont blieben. Wenn wir nur ein klein wenig von dem Kelch des Zornes Gottes gegen die geringste unserer vielen Sünden hätten trinken müssen, so hätte dies eine Ewigkeit von Leiden für uns bedeutet, ohne dass je eine Sünde dadurch gesühnt worden wäre. In dem Maß, wie die Gläubigen in das Werk am Kreuz und in die Liebe eindringen, die Er im Vollbringen eines solchen Werkes für die Schuldigen bewiesen hat, können sie dem Herrn singen:

Wer fasset deiner Liebe Tat,
und wer ergründet deine Gnad',
Die uns so reich umgibet?
Selbst Engel deinem Throne nahn
und beten staunend mit uns an,
dass Du uns so geliebet.
2

Wir tun dies in Erwartung des Augenblicks, wo wir in der Herrlichkeit Christus gleich sind und dann in vollkommener Weise das Werk am Kreuz ergründen werden. Vor dem Richterstuhl Christi werden wir die Berge unserer Sünden sehen und dann verstehen, wie die Heiligkeit, die Gerechtigkeit und alle Herrlichkeiten Gottes durch den Herrn aufrecht erhalten wurden, als Er mit unseren Sünden beladen war.

Durch Ihn vermag Gott solche, wie wir waren, als vielgeliebte Kinder in seine Gegenwart einzuführen, und zwar in einem Zustand der Vollkommenheit, wie es seinem heiligen Wesen entspricht, und worin wir uns völlig seiner Liebe erfreuen können. Wir werden dann auch erfassen, welchen Platz der Herrlichkeit der Herr verlassen hat, um Mensch zu werden und als Sündopfer zu sterben. Wenn wir dann erkennen, wie wir erkannt worden sind, werden wir in vollkommener Weise fähig sein, das Lamm anzubeten und zu preisen, das für uns starb, um uns zu erkaufen und uns in die Herrlichkeit einzuführen.

Diese Anbetung, die Gott, dem Vater und dem Herrn Jesus dargebracht wird, darf – Gott sei Dank! – durch seine Erlösten schon jetzt beginnen. Wohl geschieht sie noch in großer Schwachheit, verbunden mit vielen Unvollkommenheiten, aber der Gegenstand und der Beweggrund der Anbetung des Vaters und des Sohnes sind dieselben wie in der Herrlichkeit, und hier wie droben erfolgt sie durch denselben Geist, in alle Ewigkeit.

Als der Herr jenen Schmerzensschrei ertönen ließ: „Eli, Eli, lama sabachthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, da verstanden die Umstehenden diese Sprache nicht. Sie sagten: Dieser ruft Elia.“ Einer von ihnen nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und tränkte Ihn und erfüllte dadurch, was über Ihn gesagt war: „In meinem Durst tränkten sie mich mit Essig“ (Ps 69,22). „Die Übrigen aber sagten: Halt, lasst uns sehen, ob Elia kommt, ihn zu retten!“ Als der Heiland-Gott hatte Er nicht nötig, dass Elias Ihn rette. Er vollbrachte das Werk, kraft dessen Elias einst zum Himmel fahren konnte ohne dabei durch den Tod gehen zu müssen, weil Er selbst durch den Tod hindurchging. Damit der Sünder erkennen konnte, was am Kreuz zustande kam, musste der Herr in den Tod gehen, musste Er auferstehen und verherrlicht werden und den Heiligen Geist herabsenden. Durch Gottes Gnade darf jetzt jeder Gläubige wissen und bekennen:

Preis dir, großer Überwinder,
der in dunkler Todesnacht
auf dem Kreuz den Sieg errungen
und den Feind zunicht' gemacht.

O, wir fallen vor die nieder,
rühmen deiner Liebe Macht,
rufen huldigend von Herzen:
Dir, o Herr, sei Lob gebracht!
3

Der Tod des Herrn und Begräbnis (27,50–61)

„Jesus aber schrie wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf. Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss von oben bis unten in zwei Stücke; und die Erde erbebte, und die Felsen rissen, und die Grüfte taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt; und sie kamen nach seiner Auferweckung aus den Grüften hervor und gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die, die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und das, was geschehen war, fürchteten sie sich sehr und sprachen: Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn! Es waren aber viele Frauen dort, die von weitem zusahen, solche, die Jesus von Galiläa nachgefolgt waren und ihm gedient hatten. Unter diesen waren Maria Magdalene und Maria, die Mutter des Jakobus und Joses, und die Mutter der Söhne des Zebedäus. Als es aber Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimathia, mit Namen Joseph, der auch selbst ein Jünger Jesu geworden war. Dieser ging hin zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, dass er ihm übergeben würde. Und Joseph nahm den Leib und wickelte ihn in reines, feines Leinentuch und legte ihn in seine neue Gruft, die er in dem Felsen hatte aushauen lassen; und er wälzte einen großen Stein an den Eingang der Gruft und ging weg. Es waren aber Maria Magdalene und die andere Maria dort und saßen dem Grab gegenüber“ (27,50–61).

„Jesus aber schrie wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf.“ Weil alles, was der Herr tun musste, vollbracht war, war es nicht nötig, dass Er noch länger an dem Kreuz blieb. Die anderen Gekreuzigten mussten noch weiter leiden, bis ein langsamer und natürlicher Tod ihren Qualen ein Ende setzte. Er war gekommen, um sein Leben dahinzugeben und sagte: „Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen.“ Dieses Gebot hatte Er von seinem Vater empfangen (Joh 10,18). Er ließ sich von den Menschen binden, um sein Leben aus Gehorsam dahinzugehen; niemand konnte es Ihm nehmen. Nachdem alles vollbracht war, übergab Er selbst den Geist (was sonst kein Mensch tun konnte), im vollen Besitz seiner Kraft und mit lauter Stimme.

Als dieser Ruf des Sieges – nicht des Todeskampfes – ertönte, „zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten in zwei Stücke; und die Erde erbebte, und die Felsen rissen, und die Grüfte taten sich auf.“ Der erste Akt, der auf den Tod Christi folgte, bestand darin, dass der Vorhang zerriss. Gott zeigte dadurch an, dass jeder von seinen Sünden gewaschene Gläubige das Recht hat, in seine glückselige Gegenwart einzutreten, von der er bis jetzt durch den Vorhang getrennt war. Endlich konnte Gott dem ewigen Sehnen seines Herzens freien Lauf lassen, Sünder begnadigen und sie vollkommen vor sich hinstellen. Der Zutritt zum Heiligtum ist jetzt geöffnet. Die Anbeter sind für immer vollkommen gemacht und dürfen mit Freimütigkeit in die Gegenwart des heiligen Gottes eintreten (Heb 9,8; 10,19).

Der zweite Akt, der auf den Tod des Herrn folgte, war die Offenbarung der triumphierenden Macht über den Tod: Die Erde erbebte, die Felsen zerrissen und die Grüfte taten sich auf. Der Mensch kam aus dem Machtbereich des Todes hervor, erlebte die Auferstehung und war fähig, vor Gott zu erscheinen. Welch wunderbare Wahrheiten treten durch diese Tatsachen in Erscheinung! Aber das alles konnte sich für den Menschen erst verwirklichen, nachdem Christus aus den Toten auferstanden war. Darum lesen wir hier, dass viele Leiber der entschlafenen Heiligen auferweckt wurden und nach seiner Auferstehung aus den Grüften in die heilige Stadt gingen und vielen erschienen. Vorher konnten sie nicht herauskommen.

„Als aber der Hauptmann und die, die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und das, was geschehen war, fürchteten sie sich sehr und sprachen: Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!“ Der Tod eines solchen Menschen, in vollem Besitz seiner Kraft, und die darauffolgenden Ereignisse waren wohl dazu angetan, ein derartiges Zeugnis aus dem Mund eines Heiden hervorzulocken. Die Obersten der Juden aber ließen sie in ihrem gleichgültigen und ungläubigen Zustand.

Eine gewisse Anzahl Frauen, die dem Herrn aus Galiläa nachgefolgt waren und Ihm gedient hatten, schauten von ferne und sahen zu, was hier geschah. Unter ihnen befanden sich Maria Magdalene und Maria, Jakobus' und Joses' Mutter, sowie die Mutter der Söhne des Zebedäus.

In Jesaja 53,9 wird uns gesagt: „Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod.“ Und so kam es, dass zur Erfüllung dieser Weissagung ein reicher Mann, Joseph von Arimathia, ein Jünger des Herrn, den Landpfleger Pilatus um den Leib des Herrn bat.

Pilatus befahl, ihm den Leib zu übergeben. Joseph wickelte ihn in reine, feine Leinwand und legte ihn in seine eigene neue Gruft, die in einen Felsen gehauen worden war. Die Frauen, die dem Herrn aus Galiläa nachgefolgt waren, setzten sich dem Grab gegenüber. Ihre Anhänglichkeit an den Herrn ist rührend. Sie half ihnen, die Furcht zu überwinden, so dass sie bis zum Schluss sehen konnten, was aus ihrem Herrn werden würde. Welche Gedanken mussten dabei in den Herzen der Frauen aufsteigen! Sie waren dem Herrn nachgefolgt, hatten Ihm gedient, sie waren Zeugen und Gegenstand seiner Macht und Gnade gewesen. Eine von ihnen hatte Er sogar von sieben Dämonen befreit (Mk 16,9).

Sie waren nun auch Zeugen des schmerzlichen Endes eines Lebens, das geprägt war von wunderbarer Tätigkeit. Er, der ein solches Leben gelebt hatte und an den sie geglaubt hatten als ihren Messias, Er, der die Segnung für das Volk bringen sollte, lag dort unbeweglich in einem Grab! Alles schien für sie zu einem Ende gekommen zu sein. In der Tat, für Gott war es das Ende des verlorenen und sündigen Menschen, der Abschluss einer Zeitperiode, in welcher Gott von einem solchen Menschen vergeblich die Erfüllung des Gesetzes verlangt hatte. Es war das Ende des jüdischen Volkes nach dem Fleisch. Aber diese Frauen wussten nichts von diesen Wahrheiten. Drei Tage später traten sie durch die Auferstehung des Herrn in einen neuen, ewigen Zustand der Dinge ein: Sie wurden Zeugen der Auferstehung des Siegers über Tod und Grab, und zwar in der Frühe des ersten Wochentages, des ersten Tages des Christentums. Wie der Herr es seinen Jüngern im voraus gesagt hatte, sollte „ihre Traurigkeit zur Freude werden“ (Joh 16,20).

Die Wache am Grab (27,62–66)

„Am folgenden Tag aber, der nach dem Rüsttag ist, versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus und sprachen: Herr, wir haben uns erinnert, dass jener Verführer sagte, als er noch lebte: Nach drei Tagen stehe ich wieder auf. So befiehl nun, dass das Grab gesichert werde bis zum dritten Tag, damit nicht etwa seine Jünger kommen, ihn stehlen und dem Volk sagen: Er ist von den Toten auferstanden; und die letzte Verführung wird schlimmer sein als die erste. Pilatus sprach zu ihnen: Ihr habt eine Wache; geht hin, sichert es, so gut ihr könnt. Sie aber gingen hin, und nachdem sie den Stein versiegelt hatten, sicherten sie das Grab mit der Wache“ (27,62–66).

Der Herr wurde am Tag des Passahs gekreuzigt, obwohl es die Juden anders gewünscht hätten. Sie nannten ihn den Rüsttag, weil man dann für die Feier des Sabbats zurüstete, der am folgenden Tag stattfand. In diesem Jahr fiel das Passah auf einen Freitag, folglich war der „folgenden Tag“ der Sabbat, der auf den Rüsttag folgte und an dem der Herr vollständig im Grab lag.

Am Sabbat also versammelten sich die Hohenpriester und Pharisäer bei Pilatus und sagten zu ihm: „Herr, wir haben uns erinnert, dass jener Verführer sagte, als er noch lebte: Nach drei Tagen stehe ich wieder auf. So befiehl nun, dass das Grab gesichert werde bis zum dritten Tag, damit nicht etwa seine Jünger kommen, ihn stehlen und dem Volk sagen: Er ist von den Toten auferstanden; und die letzte Verführung wird schlimmer sein als die erste. Pilatus sprach zu ihnen: Ihr habt eine Wache; geht hin, sichert es, so gut ihr könnt.“ Wie alle Ungläubigen fürchteten sich auch die Obersten der Juden, dass jetzt etwas geschehen könnte, an das sie nicht glauben wollten. Darum wollten sie allem zuvorkommen, was auf eine Auferstehung hätte schließen können. Aber ihre Vorsichtsmaßnahmen dienten nur dazu, ihnen den Beweis seiner Auferstehung zu erbringen, wie wir dies im nächsten Kapitel sehen werden. Die Wachen, die sie am Grab aufgestellt hatten, flüchteten aus Angst als sie den Engel sahen. Er war es, der den Stein wegwälzte, damit die Frauen sich von der Auferstehung des Herrn überzeugen konnten.

Der Feind hatte ein Interesse daran, die höchst wichtige Tatsache der Auferstehung, die die Grundlage des Evangeliums ist, geheim zu halten. Wenn der Herr nicht auferstanden wäre, hätte sein Tod, der das Ende des Menschen in Adam und das Gericht Gottes war, die traurige Geschichte des Sünders hoffnungslos abgeschlossen. Dann wäre keine Errettung mehr möglich gewesen. Aber der, der in den Tod hinabgestiegen war, war der lebendige Sohn Gottes, der Fürst des Lebens. Der Tod konnte Ihn nicht zurückhalten.

Er konnte sagen: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme“ (Joh 10,17). Er hat es wiedergenommen, damit alle, für die Er gestorben ist, ewiges Leben bekommen. Dadurch hat Er den Sieg über den Tod errungen, und nur deshalb können sich alle Verheißungen Gottes erfüllen. Darum haben die Apostel mit großer Kraft von der Auferstehung des Herrn aus den Toten Zeugnis abgelegt (Apg 4,33; vgl. Apg 1,22; 2,24–31; 3,15; 4,2.10; 5,30 usw.). Der Apostel Paulus sagt: „Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig; ihr seid noch in euren Sünden“ (1. Kor 15,17). Es ist verständlich, dass der Feind, der den Herrn nicht abhalten konnte, den Weg des Gehorsams zu gehen, alles daran setzte, um das Zeugnis über seine Auferstehung zu verhindern. Er versucht alle zu täuschen, die auf ihn hören. Aber Gott vollbringt sein Werk der Gnade, um arme und verlorene Sünder zu erretten.

Fußnoten

  • 1 Die Schar war eine römische Truppeneinheit, bestehend aus 400 bis 600 Soldaten.
  • 2 Quelle: Geistliche Lieder, Lied 6, Strophe 3.
  • 3 Quelle: Geistliche Lieder, Lied 151, Strophe 2.
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