Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)
Kapitel 15
Sehr bald erhebt sich zu Antiochien die Frage, ob die Errichtung von Versammlungen unter den Nationen, gänzlich unabhängig von dem Judentum und der Autorität des Gesetzes Moses, erlaubt werden könne. Wir haben nicht mehr den Widerstand der dem Evangelium feindlich gesinnten Juden, sondern den blinden Eifer derer, die dasselbe angenommen hatten, und welche begehrten, dass den Bekehrten aus den Nationen das Gesetz auferlegt würde. Doch die Gnade Gottes sorgt auch für diese Schwierigkeit.
Das vorliegende Kapitel enthält die Mitteilung darüber. Etliche Personen kommen von Jerusalem, wo alles noch in Verbindung mit den Forderungen des Gesetzes stand, und suchen diese Forderungen den Nationen in diesem neuen Mittel- und Ausgangspunkte des Werkes der Evangelisation, der sich zu Antiochien gebildet hatte, aufzubürden. Es war der Wille Gottes, dass diese Sache festgestellt würde – nicht durch apostolische Gewalt des Paulus oder nur durch die unabhängige Wirkung des Heiligen Geistes zu Antiochien, wodurch die Kirche hätte geteilt werden können, sondern vermittels einer Konferenz zu Jerusalem. Hierdurch blieb die Einheit bewahrt, was auch die Vorurteile der Juden sein mochten. Die Wege Gottes in dieser Hinsicht sind bemerkenswert, weil sie zeigen, auf welche Weise Er in Gnade seine unbeschränkte Sorge für die Kirche aufrechthält. Wenn wir die Epistel an die Galater lesen, so sehen wir, dass in Wirklichkeit von solchen Dingen die Rede war, die das Christentum in seinem innersten Wesen antasteten, seine Fundamente erschütterten. Es handelte sich um die tiefen Grundsätze der Gnade, der Rechte Gottes, des sündigen Zustandes des Menschen – Grundsätze, worauf der ganze Bau der ewigen Beziehungen des Menschen zu Gott gegründet ist. Wurde jemand beschnitten, so war er unter dem Gesetz; er hatte die Gnade aufgegeben; er war von Christus abgefallen. Dennoch ist Paulus, der Apostel – Paulus, voll von Glauben, Energie und brennendem Eifer –, verpflichtet, nach Jerusalem hinaufzugehen, wohin zu gehen er nicht gewünscht hatte, um diese Sache in Ordnung zu bringen. Paulus hatte in Antiochien gearbeitet, allein das Werk in dieser Stadt war nicht das seinige. Er war nicht der Apostel Antiochiens, wie er der von Ikonium, Lystra und nachher von Mazedonien und Griechenland war. Er ging aus von Antiochien, aus dem Schoß der schon dort gebildeten Versammlung, um seine Mission unter den Nationen zu vollbringen. Die Streitfrage musste für die Kirche in Ordnung gebracht werden, abgesehen von der apostolischen Autorität des Paulus. Der Apostel musste sich Gott und seinen Wegen überlassen.
Paulus streitet mit den Männern von Judäa, allein der Zweck wird nicht erreicht (V. 2). Es wird bestimmt, dass einige Glieder der Versammlung nach Jerusalem gesandt werden sollen, und mit ihnen Paulus und Barnabas – Männer, die an dieser Sache ein so großes Interesse hatten. Überdies hatte Paulus eine Offenbarung, dass er hinaufgehen sollte (Gal 2, 2). Gott leitete seine Schritte. Es ist dennoch gut, sich bisweilen unterwerfen zu müssen, auch wenn wir völlig recht haben oder voll geistlicher Kraft sind.
Die Frage wird nun zu Jerusalem behandelt. Es war schon ein Großes, dass der Unterwerfung der Nationen unter das Gesetz zu Jerusalem Widerstand geleistet werden sollte, und mehr noch, dass man dort entscheiden sollte, dass diese Unterwerfung nicht nötig war. Wir sehen darin die Weisheit Gottes, der es also ordnet, dass eine solche Lösung dieser Frage ihren Ursprung zu Jerusalem haben sollte. Hätte sich daselbst kein blinder Eifer erhoben, so wäre die Frage nicht nötig gewesen; doch das Gute muss ausgeübt werden trotz aller Schwachheit und Überlieferungen der Menschen. Eine Lösung, die zu Antiochien stattgefunden hätte, würde etwas ganz anderes gewesen sein als eine Lösung, die von Jerusalem ausging. Die jüdische Versammlung würde die Wahrheit nicht anerkannt, die apostolische Autorität der Zwölf ihr Gutachten darüber nicht abgegeben haben. Die Richtung zu Antiochien und die der Nationen würde eine abgesonderte gewesen sein, und ein anhaltender Streit zwischen beiden Parteien würde begonnen haben, in dem jede (wenigstens dem Schein nach) ihren Stützpunkt gefunden hätte, die eine in der Autorität der ursprünglichen und apostolischen Kirche, und die andere in der Energie und Freiheit des Geistes, deren Vertreter Paulus war. Die jüdische Neigung der menschlichen Natur ist stets bereit, die hohe Kraft des Geistes zu verlassen und sich zu den Wegen und Gedanken des Fleisches zurückzuwenden. Diese Neigung durch die Überlieferungen eines alten Glaubens genährt, hatte bereits genug Mühe und Betrübnis demjenigen bereitet, der besonders unter den Nationen nach der Freiheit des Geistes wirksam war, und zwar wirksam ohne Hinzufügung der Richtung der Apostel und der Kirche zu Jerusalem, um dieser Freiheit ein Ansehen zu geben.
Nach vielem Wortwechsel, wozu völlige Freiheit gegeben worden war, erzählt Petrus, der die Leitung übernimmt, die Geschichte des Kornelius. Nachher teilen Paulus und Barnabas die wundervolle Offenbarung Gottes durch die Kraft des Heiligen Geistes mit, die unter den Nationen stattgefunden hatte. Dann fasst Jakobus das Urteil der Versammlung in Worten zusammen, die die Zustimmung aller erhalten, dass nämlich die Nationen nicht verpflichtet werden sollten, sich beschneiden zu lassen oder dem Gesetz zu gehorchen, sondern sich nur vom Blut, vom Erstickten, von Hurerei und von dem den Götzen geopferten Fleische zu enthalten (V. 7–20). Wir werden wohl tun, die Natur und die Bestimmung dieses Beschlusses etwas näher zu betrachten.
Wir haben hier (V. 20) eine Anweisung, die uns nicht das lehrt, was an und für sich gut oder böse ist, sondern das, was dem vorliegenden Fall angemessen ist. Es war „notwendig“ (nicht „gerecht vor Gott“), sich gewisser Stücke zu enthalten. Diese konnten wirklich böse sein, allein sie werden hier nicht als solche betrachtet. Es gab etliche Dinge, woran die Nationen gewöhnt waren, und sie taten recht, sich davor zu bewahren, damit die Versammlung, wie es sich geziemte, vor Gott in Frieden wandeln möchte. Den anderen Satzungen des Gesetzes sollten sie nicht unterworfen sein. Mose hatte solche, die ihn predigten. Dies genügte, ohne dass man die Nationen zwang, sich seinen Gesetzen zu unterwerfen, wenn sie sich dem Herrn und nicht den Juden anschlossen.
Dieser Beschluss spricht sich daher nicht über die Natur der verbotenen Dinge, sondern über ihre Schicklichkeit aus, weil die Nationen wirklich die Gewohnheit hatten, dies alles zu tun. Wir müssen bemerken, dass diese Dinge nicht nur im Gesetz verboten waren. Sie waren auch nicht in Übereinstimmung mit der von Gott als Schöpfer eingesetzten Ordnung, noch mit dem, was Gott Noah verboten hatte, als Er ihm erlaubte, Fleisch zu essen (1. Mo 9, 4). Die Frau sollte nur mit dem Mann in der Heiligkeit der Ehe verbunden sein. Das Leben gehörte Gott an. Alle Gemeinschaft mit den Götzen war eine Beleidigung gegen die Autorität des wahren Gottes. Mose mag seine eigenen Gesetze lehren; diese Dinge waren der einsichtsvollen Erkenntnis des wahren Gottes entgegen. Was wir hier haben, ist nicht ein neues dem Christen auferlegtes Gesetz, noch eine Nachgiebigkeit bezüglich der Vorurteile der Juden. Es hat nicht dieselbe Art von Gültigkeit wie ein moralisches Gebot, das in sich selbst verpflichtend ist. Es ist der Ausdruck für das christliche Verständnis in Bezug auf die Grenze der wahren Beziehungen des Menschen zu Gott in den Dingen der Natur und ist durch die Güte Gottes, vermittels der Leiter zu Jerusalem, unwissenden Christen gegeben. Es ließ sie frei vom Gesetz und erleuchtete sie hinsichtlich der Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen und dessen, was dem Menschen geziemte – Dinge, in denen sie, als den Götzen dienende Heiden, unwissend gewesen waren. Ich habe gesagt, dass diese Bestimmungen an das christliche Verständnis gerichtet sind; demgemäß widersprechen sie dem nicht, etwas zu essen, was im Fleischladen verkauft wird; denn ich erkenne Gott an, der es gab, und nicht einen Götzen. Wenn aber die Handlung Gemeinschaft mit einem Götzen in sich schließt, sogar für das Gewissen eines anderen, und ich würde dann essen, so würde ich Gott zum Eifer reizen; ich sündigte entweder gegen Ihn oder gegen meinen Nächsten (1. Kor 11, 22–29). Ich mag nicht wissen, ob ein Tier erstickt ist oder nicht; wenn ich aber so handle, als sei es gleichgültig, ob das Leben Gott angehört oder nicht, so sündige ich. Ich werde also durch die Sache selbst, die ich esse, nicht verunreinigt, aber ich fehle in christlichem Verständnis hinsichtlich der Rechte Gottes als Schöpfer. Was die Hurerei betrifft, so ist sie ein Vergehen gegen die christliche Reinheit, ebenso wie sie auch der Ordnung des Schöpfers zuwider ist. Es ist eine direkte Frage über Gutes oder Böses, und nicht nur eine Frage der Rechte Gottes, die unserem Verständnis offenbart sind. Kurz, die festgestellten Grundsätze sind diese Die Einheit Gottes als alleiniger, wahrer Gott; Reinheit vermittels der Ehe nach Gottes ursprünglicher Einsetzung; das Leben gehört Gott an. Die Wichtigkeit liegt also mehr im allgemeinen Grundsatz als in den Einzelheiten der Dinge selbst. Ebenso verhält es sich auch in Bezug auf das, was die Apostel als Grundlage ihrer Verordnung anführen: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen.“
Der Heilige Geist hatte sich bei Kornelius und durch die Bekehrung der Nationen offenbart, worüber Petrus, Paulus und Barnabas Mitteilung gemacht hatten. Andererseits waren die Apostel die Vertreter der Autorität Christi: ihnen war die Regierung der Versammlung, die in Verbindung mit dem wahren jüdischen Glauben gegründet war, aufgetragen worden. Sie vertraten die Autorität des aufgefahrenen Christus, wie auch die Kraft und der Wille des Heiligen Geistes in den Fällen, die ich soeben mitgeteilt habe, offenbar geworden waren. Diese Autorität wurde ausgeübt in Verbindung mit dem, was in gewisser Hinsicht die Fortsetzung eines durch neue Offenbarungen ausgebreiteten Judentums war, und das seinen Mittelpunkt zu Jerusalem hatte und den vom Volk verworfenen, aber zum Himmel aufgefahrenen Jesus, als Messias anerkannte. Christus hatte ihnen die Autorität übertragen, die nötig war, um die Versammlung zu regieren. Sie waren auch am Pfingsttag versiegelt worden, um dies zu vollbringen.
Der Geist der Gnade und Weisheit zeigt sich deutlich in ihrer Handlungsweise. Sie geben Paulus und Barnabas ihre völlige Genehmigung und senden Personen mit ihnen, die in der Versammlung zu Jerusalem Ansehen hatten und von denen man nicht vermuten konnte, dass sie eine Antwort bringen würden, um ihre eigenen Anmaßungen zu stützen, wie man dies bei Paulus und Barnabas hätte voraussetzen können.
Die Apostel und die Ältesten sind versammelt, um diese Sache zu besehen; aber sie handeln in Gemeinschaft mit der ganzen Herde. Jerusalem hatte also entschieden, dass das Gesetz für die Nationen nicht bindend sei. Diese, aufrichtig in ihrem Wunsch, mit Christus zu wandeln, freuen sich sehr über ihre Freiheit von diesem Joch. Judas und Silas, die Propheten waren, ermahnen und befestigen sie und werden nachher in Frieden entlassen. Silas aber, beeinflusst durch den Geist, zieht das Werk unter den Nationen dem zu Jerusalem vor (V. 40). Dieses Werk wird zu Antiochien durch Paulus, Barnabas und andere fortgesetzt (V. 35). Wir sehen dort wiederum die vollkommene Freiheit des Heiligen Geistes.
Kurze Zeit nachher schlägt Paulus den Barnabas vor, die durch ihre Vermittlung in Kleinasien gegründeten Versammlungen zu besuchen. Barnabas gibt seine Zustimmung; aber er will Johannes mitnehmen, der sie, wie wir in Apg 13, 13 gesehen haben, verlassen hatte. Paulus aber wünscht jemanden mitzunehmen, der sich weder von dem Werk zurückgezogen noch den Platz eines Fremdlings, wozu das Werk ihn machte, verlassen hatte, um in seine Heimat zurückzukehren. Barnabas beharrt darauf, und diese beiden treuen Diener Gottes trennen sich, Barnabas nimmt Markus mit sich und geht nach Cypern. Markus war sein Verwandter und Cypern seine Heimat. Paulus nimmt Silas, der das Werk Jerusalem gegenüber und nicht Jerusalem dem Werk gegenüber vorgezogen hatte, mit sich und reist ab. Aus seinem Namen können wir schließen, dass Silas ein Hellenist war.
Es ist erfreulich zu hören, wie Paulus nachher mit völliger Liebe von Barnabas redet und wünscht, dass Markus zu ihm kommen möchte, weil er ihn zum Dienste nützlich gefunden hatte (siehe 1. Kor 9, 6; 2. Tim 4, 11). Überdies wird Paulus der Gnade Gottes von den Brüdern befohlen. Der Titel, den die Apostel dem Paulus und Barnabas gegeben hatten, zeigt den Unterschied zwischen der apostolischen Autorität, die von Christus in Person verliehen, und derjenigen, die durch die Macht des Heiligen Geistes eingesetzt war. Paulus und Barnabas waren ohne Zweifel von Christo selbst gesandt worden, tatsächlich aber waren sie durch die Leitung des Heiligen Geistes von Antiochien ausgezogen, und ihre Mission war durch seine Kraft bestätigt. Bei den Aposteln haben Paulus und Barnabas keinen Titel als ihre Arbeit – „Männer, die ihr Leben hingegeben haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus“ (V. 26). Sie sind das, wozu der Heilige Geist sie gemacht hat. Die Apostel sind die Zwölfe. Die Freiheit und die Kraft des Geistes kennzeichnen Paulus. Er ist das, wozu der Geist ihn macht. Wenn Jesus ihm erschienen ist, so muss er es (obwohl Ananias es bezeugen kann) in Wirklichkeit durch seinen Dienst beweisen. Die Früchte seines Dienstes sowie auch der Charakter desselben werden in den Kapiteln 16 bis 20 mitgeteilt. Die Wirkung und die Freiheit des Heiligen Geistes werden uns dort auf eine bemerkenswerte Weise dargestellt.