Briefe an junge Menschen
Christus unser Fürsprecher
Liebe Freunde!
Ich setze meinen Brief vom vorigen Monat fort und möchte jetzt auf eine andere Frage eingehen:
Wenn ein Gläubiger sündigt, was dann?
Wenn wir als Gläubige sündigen, was geschieht dann? Kann das unsere Stellung als Kinder Gottes verändern? Werden wir dann aus der Gegenwart Gottes entfernt?
Wir finden die Antwort in Hebräer 9 und 10. Christus hat eine ewige Erlösung erfunden. „Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Heb 10,14). Unser Verhältnis als Geschöpfe Gott gegenüber ist für allezeit geordnet. Wir sind in das Verhältnis von Kindern zum Vater gebracht. Dieses Verhältnis wird durch nichts mehr verändert.
Aber übersieht denn der Vater die Sünden seiner Kinder? Unser Vater ist der Gott, der Licht ist und in dem gar keine Finsternis ist. Er ist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, und in denen, die ihm nahen, muss er geheiligt werden. Er kann die Sünden der Ungläubigen, ja, der gottfeindlichen Welt jetzt noch dulden, aber niemals die Sünden seiner Kinder. Wie sollte er, der Heilige, Gemeinschaft mit Sünde oder mit jemandem, der durch die Sünde verunreinigt ist, haben können? Darum wird unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn sofort durch jeden sündigen Gedanken, jedes sündige oder unnütze Wort, jede unabhängige, daher sündige Tat, unterbrochen. Die Gemeinschaft wird nicht wiederhergestellt, bevor die Sünde nicht auf einem göttlichen Weg beseitigt worden ist. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). Nur durch Bekenntnis und Selbstgericht werden wir gereinigt.
Selbstgericht ist der einzige Weg zur Wiederherstellung der Gemeinschaft
Das ist ein Grundsatz, den wir in der ganzen Heiligen Schrift, sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament, finden. Lasst uns einige typische Beispiele des Alten Testaments vornehmen. In 3. Mose 4 und 5, teilweise auch in Kapitel 6 und 7, finden wir die Vorschriften für einen Israeliten, der gesündigt hatte. Es handelt sich da nicht um einen Sünder, der zur Bekehrung kommt, obwohl ein Evangelist diese Kapitel gut benutzen könnte, um die Grundsätze des Evangeliums darzustellen. Diese Kapitel sehen Israel als ein Volk, das durch das Opfer am großen Versöhnungstag (3. Mo 16) zu Gott gebracht ist und in dessen Mitte Gott aufgrund des täglichen Brandopfers wohnt (2. Mo 29,38-46). Doch nun, wo es als Gottes Volk in seine Nähe gebracht ist
und in dem Bewusstsein ruhen kann, „begnadigt zu sein in dem Geliebten“ (Eph 1,6; 3. Mo 1 und 7,8), wo es während der Wüstenreise einen Gegenstand für sein Herz bekommen hat (das Speisopfer, 3. Mo 2) und wo es Gemeinschaft mit Gott haben kann, weil es denselben Gegenstand besitzt und genießt wie er (das Dankopfer, 3. Mo 3 und 7,11-34), da muss die Frage der täglichen Verunreinigung behandelt werden.
3. Mose 5,1-4 nennt uns zunächst die drei großen Gruppen von Verunreinigungen, die im täglichen Leben vorkommen: Vers 1, wenn man unterlässt zu zeugen, entweder gegen das Böse oder für das Gute. Auch Unterlassung kann Sünde sein, Vers 2 spricht von Verunreinigungen, die durch äußere Einflüsse entstehen, also dadurch, dass wir von den Dingen dieser Weit nicht wirklich abgesondert sind. Vers 4 spricht von den Folgen der Unnüchternheit und dem Mangel an Selbstbeherrschung, also von den Verunreinigungen, die aus unserem eigenen Herzen kommen. In Vers 15 geht es um jemand, der sich an solchen Dingen vergreift, die Gott sich selbst vorbehalten hat. Von Vers 20 an ist schließlich noch die Rede vom Wegnehmen oder Zurückhalten von dem, was anderen gehört.
Auf welche Weise konnte ein Israelit, wenn er übertreten hatte, gereinigt werden? Der einzige Weg wird in Kapitel 5,5.6 genannt: „Und es soll geschehen, wenn er sich in einem von diesen verschuldet, so bekenne er, worin er gesündigt hat; und er bringe dem Herrn sein Schuldopfer für seine Sünde“. Es mochten noch andere Dinge hinzukommen (z.B. musste man zu dem Erstatteten noch etwas hinzufügen, wenn man dem Herrn oder einem Bruder etwas weggenommen hatte, Kap. 5,6.23.24), aber das erste, die Grundbedingung ist: die Sünde bekennen und ein Schuldopfer bringen.
Selbstgericht - das Aussprechen der eigenen Sünden, also des eigenen Versagens - ist die notwendige Voraussetzung für alle Vergebung und Wiederherstellung (siehe z.B. 1. Kor 11,31 und 1. Joh 1,9). Damit wir zu wirklicher Selbstverurteilung kommen, also nicht allein die begangene Tat, sondern unseren Zustand richten, wie David es in Psalm 51,7-9 tat, richtet Gott unsere Augen auf das Kreuz, damit wir begreifen, was Sünde ist. Nicht, als ob das Blut Christi aufs neue auf uns angewendet werden müsste - das ist ein für allemal geschehen - aber damit wir erkennen sollen, wie schrecklich Sünden sind, auch die eine, die ich eben begangen habe, wenn wir sehen, was der Herr für unsere Sünden am Kreuz hat leiden müssen (Schuldopfer). In 3. Mose 1 - 7 finden wir nicht das Kreuz selbst, sondern den Rückblick auf das Kreuz. Das Kreuz selbst, als die Grundlage dafür, dass wir in der Nähe Gottes sein dürfen, finden wir in 3. Mose 16 und 2. Mose 29.
Ja, nur im Hinblicken auf das, was der Herr Jesus auf Golgatha für unsere Sünden leiden musste, lernen wir verstehen, wie abscheulich die Sünden sind. Er musste dort von Gott verlassen werden, das Gericht Gottes erdulden und sterben, weil er „selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat“ (1. Pet 2,24). Dann kommen wir zu wirklichem Selbstgericht und zu wahrer Trauer über das, was wir getan haben. Wir wollen niemals leichtfertig über die Sünde hinweg gehen und nicht vergessen, dass das Schuldbekenntnis der einzige Weg zur Wiederherstellung und zur Gemeinschaft mit Gott ist, das Bekenntnis vor Gott zunächst, aber auch vor Menschen, sofern Menschen von unserer Sünde betroffen sind.
Unbewusste Sünden
Aber nun kommt eine große Schwierigkeit: oft tun wir Sünden, die uns gar nicht bewusst werden, manchmal sogar, wenn wir denken, wir hätten etwas Gutes getan. Aber Unwissenheit lässt uns nicht unschuldig sein. „Und wenn jemand sündigt und eines von allen Verboten des Herrn tut, die nicht getan werden sollen - hat er es auch nicht gewusst, so ist er schuldig und soll seine Ungerechtigkeit tragen“ (3. Mo 5,17).
Darum bittet David in Psalm 19: „Von verborgenen Sünden reinige mich!“ Um diese Sünden bekennen zu können, müssen wir also erst darauf aufmerksam gemacht werden. Darum wird in 3. Mose 4,23.28 gesagt: „und seine Sünde ist ihm kundgetan worden...“. Aber wer soll das tun, wenn es sich um Gedanken oder um Worte und Taten handelt, von denen andere nichts wissen? Wer soll uns überzeugen, wenn wir meinen, im Recht zu sein? Auch hierfür hat Gottes Liebe vorgesorgt. „Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt; und wenn jemand gesündigt hat - wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1. Joh 2,1). Wir wollen vor allem diesen Vers gut lesen und überdenken.
Christus, unser Sachwalter
Das griechische Wort „parakletos“, das hier mit „Sachwalter“ übersetzt ist, kommt nur in Johannes 14 und 16 und hier vor. In Johannes 14 und 16 wird es für den Heiligen Geist gebraucht.
Diesen Dienst des Sachwalters übt nun der Herr Jesus für uns im Himmel aus, jedoch nicht vor Gott, denn was Gott betrifft, sind unsere Sachen völlig auf dem Kreuz geordnet, sondern vor dem Vater.
In einem der vorigen Briefe haben wir gesehen, dass der Herr Jesus unser Hoherpriester ist, der sich bei Gott für uns verwendet im Blick auf unsere Schwachheiten und Umstände hier auf der Erde. Hier sehen wir, was der Herr Jesus im Blick auf unsere täglichen Sünden ist.
Er ist unser Fürsprecher, unser Sachwalter bei dem Vater, wenn wir sündigen. Er wird das nicht erst, wenn wir traurig sind und unsere Sünden bekennen. In dem Augenblick, in dem ich sündige, ist er der Fürsprecher im Himmel, der mich und meine Angelegenheit beim Vater vertritt.
Wer ist dieser Fürsprecher? Es ist Jesus Christus, der Gerechte. Er entspricht vollkommen der Gerechtigkeit des Vaters, und er ist gleichzeitig meine Gerechtigkeit (1. Kor 1,30). Aber nicht nur das. Er hat ein Werk vollbracht, das so vollkommen ist, dass er nicht allein das Sühnopfer für unsere Sünden, sondern auch das Sühnopfer für die ganze Welt ist. Er ist also in Bezug auf seine Person und auf sein Werk vollkommen angenehm vor dem Vater, auch dann, wenn er mein Fürsprecher ist, wenn ich gesündigt habe.
In dem Vorhergehenden haben wir aber gesehen, dass es Vergebung nur nach einem Bekenntnis gibt. Darum besteht der zweite Teil des Fürsprecherdienstes des Herrn Jesus darin, dass er sich mit uns beschäftigt und uns zur Schulderkenntnis bringt.
Die Fußwaschung
In der Nacht, in der der Herr gefangen genommen wurde, hat er in einer symbolischen Handlung diesen Dienst vorgeführt und veranschaulicht. Er wollte das Abendmahl einsetzen, das Zeichen der Gemeinschaft des gestorbenen Heilands mit allen Gliedern des Leibes Christi (1. Kor 10,16.17). Aber wie konnte es Gemeinschaft geben zwischen praktisch verunreinigten Jüngern und einem Herrn, der gestorben war, gerade um die Sünde zunichte zu machen? Das hätte nur Gericht für die Verunreinigten bedeuten können (1. Kor 11,26-32).
Darum nahm der Herr im vollen Bewusstsein dessen, was er war, aber weil seine Liebe bis zum Äußersten ging und gleichzeitig bis ans Ende fortdauerte, die Stellung eines Sklaven ein und wusch ihre Füße. Gott benutzte das Unverständnis des Petrus (der nicht begriff, dass alles, was der Herr tut, gut ist und dass wir, auch wenn wir es nicht verstehen, uns allezeit darunter zu beugen haben), um uns die Bedeutung der Fußwaschung deutlich zu machen. Die Jünger waren rein, weil sie ganz gewaschen (gebadet) waren (in der Wiedergeburt). Um aber Teil mit ihm zu haben, also in praktischer Gemeinschaft zu leben, müssen sie auch von den Befleckungen des täglichen Wandels gereinigt werden (Joh 13,8-11).
Die Verleugnung des Petrus
Die Evangelien beschreiben uns, und zwar wieder in Verbindung mit Petrus, auf welche Weise der Herr diesen Dienst ausübt. Petrus hatte die praktische Gemeinschaft mit dem Herrn verloren. Es war nichts Grobes vorgefallen, denn er wusste es selbst nicht, und niemand hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Aber als der Herr sagte, alle würden sich an ihm ärgern, sieht man, dass Petrus etwas von sich hielt, ja, dass er überzeugt war, dass seine Liebe und Treue größer sei als die aller anderen. „Wenn alle an dir Anstoß nehmen werden, ich werde niemals Anstoß nehmen“ (Mt 26,33). Das hätte Petrus nicht sagen können, wenn er in wirklicher Gemeinschaft mit dem Herrn gewesen wäre; da haben das Fleisch und der Hochmut keinen Platz. Der Herr benutzte diese Worte des Petrus, um ihn zu warnen, aber auch, um ihn wissen zu lassen, dass er alles weiß, damit Petrus sich daran erinnern konnte, nachdem er ihn verleugnet haben würde. Dann konnte er durch den Gedanken, der Herr habe alles gewusst und ihn trotzdem nicht verstoßen, aufgerichtet werden, weil er glauben durfte, dass der Herr ihn auch jetzt nicht verstoßen werde. Welche Güte und Gnade! Welche Liebe! Welche Fürsorge! - Bevor Petrus gesündigt hatte, betete der Herr für ihn; aber er betete nicht, Gott möge verhüten, dass Satan Petrus versucht. Petrus hatte diesen Fall nötig, um sich selbst zu erkennen. Die sanften, freundlichen Worte des Herrn hatten dieses Ziel nicht erreichen können, und selbst diese unverblümte Ankündigung aus dem Mund des Herrn blieb ohne Erfolg (Vers 34). Darum bat der Herr nicht, die Versuchung möge an Petrus vorbeigehen, sondern dass sein Glaube nicht aufhöre. Um ihn nach dem Fall vor allzu großer Mutlosigkeit zu bewahren, gab der Herr ihm nun schon einen Auftrag für die Zeit nach seiner Umkehr.
Petrus war so mit sich selbst beschäftigt, dass sein Gewissen durch nichts zu erreichen war. Die Worte des Herrn Jesus an ihn persönlich: „Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen“ (Mt 26,40), haben ihn zweifellos geschmerzt, sie brachten ihn aber auch nicht zur Selbsterkenntnis, ebenso wenig wie die Tatsache, dass auch er floh und den Herrn allein in der Macht der Feinde ließ (Mt 27,56). Ja, selbst als er den Herrn verleugnete, ja, als er anfing, sich selbst zu verwünschen und zu schwören: „Ich kenne den Menschen nicht“ (derselbe Petrus, der gesagt hatte: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“), selbst da kam Petrus nicht zur Umkehr. Wie verderbt ist doch das menschliche Herz!
Aber, o wunderbare Liebe! In diesem Augenblick, als die Kriegsknechte ihn schlugen, ihm Backenstreiche gaben, und ihm ins Angesicht spien (Mt 26,67), wandte sich der Herr um und sah Petrus an. Dieser Blick in diesem Augenblick, verbunden mit den Worten des Herrn Jesus, die das Hahnengeschrei ihm wieder in Erinnerung brachte, öffnete dem Petrus die Augen. „Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“
Wiederherstellung
Aber auch damit war der Dienst des Herrn Jesus nicht zu Ende. Nach seiner Auferstehung sandte er gleich eine Botschaft, in der er ausdrücklich den Petrus erwähnte (Mk 16,7), und danach hatte er eine besondere Begegnung mit ihm (Lk 24,34). Was da gesprochen wurde, teilt die Schrift uns nicht mit. Der Herr hat für jeden der seinen besondere Worte, die allein für ihn bestimmt sind. Aber dann finden wir die für Petrus so schmerzliche, aber auch gesegnete Zusammenkunft, die in Johannes 21 beschrieben wird.
Hätten wir nicht gedacht, diese öffentliche Demütigung des Petrus sei nicht mehr nötig gewesen? Finden wir sie, wenn wir uns in sie hinein vertiefen, nicht ein bisschen lieblos? Petrus war doch zur Einsicht gekommen! Er hatte doch bitterlich geweint!
Aber Er, der neben vollkommener Kenntnis des menschlichen Herzens eine vollkommene Liebe für die Seinen hat und sie in vollkommener Weisheit offenbart, weiß, was Petrus zum Besten gereicht.
Nachdem Petrus dann wirklich ins Selbstgericht gegangen ist, und nicht länger nur seine Tat, sondern auch sich selbst verurteilt, nachdem er erkennt, dass Gottes Allwissenheit nötig ist, um bei ihm die Liebe zum Herrn zu entdecken, dann kann der Herr ihn völlig wiederherstellen und ihm auftragen, seine Schafe zu hüten und seine Lämmer und Schafe zu weiden (Joh 21).
Das ist der Dienst des Herrn als unser Fürsprecher beim Vater. Wo wären wir, wenn wir Ihn nicht als Fürsprecher hätten? Jeder sündige Gedanke, jedes unnütze Wort, jede unabhängige Tat unterbricht die Gemeinschaft. Und diese wird nur durch das Bekenntnis des Bösen und durch Selbstgericht wiederhergestellt.
Unser Fürsprecher bittet für mich, bevor ich sündige, damit mein Glaube nicht aufhört. Er spricht durch sein Wort zu mir, damit ich zum Selbstgericht komme, bevor ich eine sündige Tat begangen habe. Er sieht mich im rechten Augenblick an und benutzt Brüder, Schriften, Umstände, ja, wenn es nötig ist, einen Hahn, um mich an seine Worte zu erinnern. Er leitet mich zu Selbstgericht und Bekenntnis, damit die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn wiederhergestellt wird. Er ist mein Sachwalter, mein Fürsprecher beim Vater. Er ruht nicht eher, als bis ich wieder ganz zurückgebracht bin und völlige Wiederherstellung stattgefunden hat. Selbst jetzt, in der Herrlichkeit, dient er mir und wäscht meine Füße, damit ich ungetrübte Gemeinschaft mit ihm pflegen kann, und meine Freude hier auf der Erde schon vollkommen ist.
Mit herzlichen Grüßen,
Euer H.L.H.